Zusammenfassung
Was wir von Körpern und ihren Bewegungsformen wissen können, ist dem jeweiligen Stand der Aufzeichnungs- und Notationsmöglichkeiten einer Zeit geschuldet. Vor Erfindung, Einführung und Etablierung analoger Aufzeichnungstechniken ist die Verwaltung von Bewegungen Sache symbolischer Notationssysteme, allen voran der Schrift. Walter Benjamin hat die Kinematographie als Voraussetzung eines neuen Wissens von der Bewegung veranschlagt und als ein Optisch-Unbewußtes dem Triebhaft-Unbewußten der Psychoanalyse an die Seite gestellt. Der durch Medien möglich gemachte Neugewinn eines Wissens vom bewegten Körper ist vom Bereich der Visuali-tät, den Benjamin ins Zentrum des Kunstwerkaufsatzes stellte, auf den der Akustik zu übertragen. Für beide Wahrnehmungsbereiche gilt der Befund, daß Medien nicht auf die Funktion einer Abbildung vorhandener Wirklichkeiten einzuschränken sind, sondern daß sie die Schaffung von Neuwerten und damit die Konstruktion zweiter Wirklichkeiten ermöglichen.2 Als das technische Apriori für die Erzeugung eines neuen Wissens vom Menschen spielen Medien nicht nur auf der Ebene von Dispositiven und ihren direkten Einsätzen in den Wissenschaften vom Menschen ihre Rolle. Wie sehr die Anwendung ton- und bildaufzeichnender Verfahren in Psychiatrie, Medizin und nicht zuletzt in der Psychologie das Wissen vom Menschen verändert hat, gehört inzwischen zum Sachstand einer Wissenschaftsgeschichte, die den Materialitäten der Datenerhebung Rechnung trägt.
»Acting on these facts, I have also devised an instrument suitable for magnifying sounds, which I call a microphone.«1
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Notizen
Hughes, Thomas: »On the Action of Sonorous Vibrations in Varying the Force of an Electric Current«. In: The Chemical News Vol. XXXVII, H. No., 1878, S. 197–199, hier: S. 197.
Den kanonischen Ausformulierungen dieses für die Medientheorie zentralen Befundes etwa bei Benjamin steht das weitgehend vergessene Analysepotential von Autoren wie Fritz Giese zur Seite. Zu Gieses Benjamin-Nähe vgl. etwa Giese, Fritz: Psychoanalytische Psychotechnik. Leipzig u.a. 1924.
Zum Begriff vgl. Rheinberger, Hans-Jörg: Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg 1992. Zur Veränderung der (Selbst-) Wahrnehmung vgl. Hoff, H./Pötzl, Otto: »Über eine Zeitrafferwirkung bei homonymer linksseitiger Hemianopsie«. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie (Berlin 1934), S. 599–641.
Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/M. 91990, S. 388.
Benjamin, Walter: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (Zweite Fassung). In: ders.: Gesammelte Schriften. 1.2, Frankfurt/M. 1980. Diese Gleichsetzung unterschiedlicher Typen des Unbewußten konstatiert Benjamin im Wortlaut für die Photographie. Vgl. »Kleine Geschichte der Photographie«. In: ders.: Gesammelte Schriften. 1.2, Frankfurt/M. 1980, 368–385. Vgl. ferner Krauss, Rosalind E.: The optical Unconscious. Cambridge, Mass. / London 1994.
Zu den Titeln, die der Satz engführt, vgl. Biehle, H.: Die Stimmkunst. 1. Band: »Geschichtliche Grundlagen«. Leipzig 1931, 2. Band: »Ästhetische Grundlagen«. Leipzig 1932; Winkler, Chr.: Elemente der Rede. Die Geschichte ihrer Theorie in Deutschland von 1750–1850. Halle 1931; Bisozzi, Giacomo: Die menschliche Stimme und ihr Gebrauch für Sänger und Sängerinnen. Leipzig 1838; Weithase, Irmgard: Anschauungen über das Wesen der Sprechkunst von 1775–1825. Berlin 1930, sowie dies.: Die Geschichte der deutschen Vortragskunst im 19. Jahrhundert. Weimar 1940.
Zu den technischen Aspekten vgl. etwa Kühne, Fritz: Mikrofone. Aufbau, Anwendung und Selbstbau von Mono-, Stereo-, Kunstkopf- und Transistor-Mikrofonen. 9.Aufl., München 1975.
Zu den Details siehe Göttert, Karl-Heinz: Geschichte der Stimme. München 1998.
Vgl. Heinitz, Wilhelm: »Konsonantenübertragung durch Rundfunk«. In: Vox 4–6 (1926) S. 7.
Heinitz, Wilhelm: »Untersuchung und Beurteilung schauspielerischer Sprechleistungen«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 22 (1928), S. 1–16, sowie ders., »Vortragskunst und musikalische Gestaltung«. In: Zeitschrift für Schulmusik 1 (1928), S. 39–43.
Vgl. Wilhelm Heinitz, »Gehörprobleme für den Rundfunk«. In: Radio-Umschau Heft 29, II. Jg. 19. Juli 1925, S. 1057–1059, sowie ders.: Klangprobleme im Rundfunk. Berlin 1926.
Eggert, Bruno: »Untersuchungen über Sprachmelodie«, In: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane I. Abteilung, 49. Bd., 1908, S. 218–237, hier: S. 219.
Würzburger, Karl: »Antenne oder Mikrophon«. In: Rufer und Hörer 1. Jg., 1931/ 1932, S. 273–277, hier: S. 273.
Vgl. pars pro toto Fechter, Paul: »Klassische Dichtung am Mikrophon«. In: Rufer und Hörer. 1. Jg., 1931/1932, 33–39.
Gerhard Tannenberg, »Ist das Mikrophon ein Instrument?«. In: Rufer und Hörer Jg. 1, 1931/1932, S. 452–454, hier: S. 453. Vgl. übergreifend das Kapitel »Sprechkultur im bürgerlichen Zeitalter« in Götterts Geschichte der Stimme. Zu einem radiophonischen Kommunikationsmodell vgl. Crux, J.: »Erfordernisse des Rundfunkvortrages«. In: Rufer und Hörer 1. Jg., 1931–32, 175–179.
Würzburger, Karl: »Anwort an Gerhard Tannenberg«. In: Rufer und Hörer Jg. 1, 1931/1932, S. 454–456, hier: S. 455.
Hoffmann, Wilhelm: »Das Mikrophon als akustisches Fernglas«. In: Rufer und Hörer Jg. 2, Heft 10. Januar 1933, S. 453–457, hier: S. 456.
Vgl. dazu Siegert, Bernhard: »Es gibt keine Massenmedien«. In: Maresch, Rudolf: Medien und Öffentlichkeit. Positionierungen Symptome Simulationsbrüche. München 1996, S. 108–115.
Stransky, Erwin: Über Sprachverwirrtheit. Beiträge zur Kenntnis derselben bei Geisteskranken und Geistesgesunden. Halle a. S. 1905.
Heinitz, Wilhelm: Strukturprobleme in primitiver Musik. Hamburg 1931, S. 16. Vgl. dazu auch ders.: »Untersuchungen über willkürliche Mitbewegungszuordnungen zu phonetischen Artikulationskomplexen«. In: Vox 18. Jg., Heft 1–2, 1. August 1932, S. 1–4.
Hülse, Edith/Panconcelli-Calzia, G./Heinitz, Wilhelm: »Untersuchungen über die Beziehungen zwischen allgemeinen und Phonationsbewegungen«. In: Vox. Mitteilungen aus dem phonetischen Laboratorium der hansischen Universität zu Hamburg. 22. Jg., 1. April 1936, S. 1–21.
Vgl. Panconcelli-Calzia, G.: »Zur Geschichte des Kymographions«. In: Folia otolaryngologica. 1. Teil / Originale: Zeitschrift für Laryngologie, Rhinologie, Otologie und ihre Grenzgebiete. Bd. 26 (1936), S. 196–207, sowie ders.: »Wilhelm Weber — als gedanklicher Urheber der glyphischen Fixierung von Schallvorgängen (1827)«. In: Archiv für die gesamte Phonetik. Bd. II, 1. Abteilung, Heft 1 (1938), S. 1–11.
Panconcelli-Calzia, G.: Leonardo als Phonetiker. Hamburg 1943. Vgl. ders. (s. Anm. 44).
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Rieger, S. (2001). Der bewegte Körper. Zur Theatralik von Mikrophonie und individueller Stimmführung. In: Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05566-8_24
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