Zusammenfassung
Die Moderne steht unter einem allumfassenden Imperativ der Steigerung. Weil alles anders, differenzierter und damit auch besser werden kann, soll sich nichts diesem universellen Anspruch entziehen können. Unter Zugzwang gerät dabei vor allem der Mensch, der jetzt im Zuge unterschiedlicher Theoriebildungen neue Positionierungen erfährt: nicht mehr als Agent einer unausgewiesenen Ganzheit, sondern als Knotenpunkt ausweisbarer Funktionalisierungen tritt er nun in Erscheinung. Die Verpflichtung der Moderne auf Steigerung hat Konsequenzen und Implikationen, die zum Symptom der Moderne selbst werden. Der Anschluß an das ökonomische Prinzip der Steigerung setzt zum einen Strategien der Formalisierung, zum anderen solche einer zunehmenden Ausdifferenzierung voraus. Je mehr am Menschen unterschieden werden kann, je elementenreicher das Alphabet ist, aus dem er buchstabiert wird, desto höher ist die Zahl der Vergleichbarkeiten, Korrelationen und Berechenbarkeiten. Der Mensch wird zu einem Effekt von Unterscheidungstheorien und wissenschaflichen Praktiken, die nichts an ihm ununtersucht, un-ausgemessen und unkorreliert lassen.
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Notizen
Georg Simmel, »Über sociale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen«, in: Gesamtausgabe, Band 2, Aufsätze 1887–1890, Frankfurt a.M. 1989, 109–296, hier: 127.
vgl. Georg Simmeis »Die beiden Formen des Individualismus«, in: Gesamtausgabe, Band 7, Aufsätze und Abhandlungen 1901–1908, I, Frankfurt a.M. 1995, 49–56.
Niklas Luhmann, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1., Frankfurt a.M. 1993, 9–71, hier: 31f.
Vgl. dazu Hans-Jürgen Schings (Hrsg.), Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992, Stuttgart, Weimar 1994.
Niklas Luhmann, »Individuum, Individualität, Individualismus«, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3., Frankfurt a.M. 1993, 149–258, hier: 154.
Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe, Band 6, Frankfurt a.M. 1989, 696.
Klein, Wertheimer, »Psychologische Tatbestandsdiagnostik. Ideen zu psychologischexperimentellen Methoden zum Zwecke der Feststellung der Anteilnahme eines Menschen an einem Tatbestande«, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, 15. Bd, Leipzig 1904, 72–113, hier: 72.
Hermann Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. Untersuchungen zur experimentellen Psychologie, Leipzig 1885;
Hermann Gutzmann, »Über Hören und Verstehen«, Zeitschrift für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung, 1 (1908), 483–503;
sowie Otto Pötzl, »Experimentell erregte Traumbilder in ihren Beziehungen zum indirekten Sehen«, Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, Bd. 37 (1917), 278–349.
Vgl. übergreifend Stefan Rieger, Speichern/Merken. Die künstlichen Intelligenzen des Barock, München 1997
K. Boas, »Intelligenzprüfungen mittels des Kinematographen«, Zeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie, 1909, 364.
Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1977, 220.
Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanswissenschaft, Frankfurt a.M. 1990;
vgl. Fritz Giese, »Korrelationen psychischer Funktionen. Eine Experimentaluntersuchung«, Zeitschrift für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung, 10 (1915), 193–284.
Heinz Kosnik, Lebenssteigerung; ein neuer Weg zur Heilung und zur Lösung technischer Probleme des Instrumentalspiels und des Gesangs; zugleich die Begründung des Gesetzes der synthetischen Anatomie, München 1927.
Friedrich Kainz, Das Steigerungsphänomen als künstlerisches Gestaltungsprinzip. Eine literaturpsychologische Untersuchung, (Beihefte zur Zeitschrift für angewandte Psychologie, 33), Leipzig 1924;
Otto Liebmann, Die Klimax der Theorien, Straßburg 1884.
Ernst Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877 (Neudruck Düsseldorf 1980), 42.
Dazu jüngst Rudolf Maresch, »Mediatisierung: Dispositiv der Öffentlichkeit 1800/ 2000«, in: Medien und Öffentlichkeit. Positionierungen Symptome Simulationsbrüche, München 1996, 9–29, hier: 25.
Vgl. dazu Friedrich Kittler, »Über romantische Datenverarbeitung«, in: Ernst Beh-ler, Jochen Hörisch (Hrsg.), Die Aktualität der Frühromantik, München u.a. 1987, 127–140.
Dazu Friedrich Kittler, »Geschichte der Kommunikationsmedien«, in: Jörn Huber, Alois Martin Müller (Hrsg.), Raum und Verfahren. Interventionen 2, Basel, Frankfurt a.M., Zürich 1993, 169–188.
Friedrich Kittler, »Die Welt des Symbolischen — eine Welt der Maschine«, in: Dracu-las Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, 58–80, hier: 61.
Michael Hagner, Hans-Jörg Rheinberger, Bettina Wahrig-Schmidt (Hrsg.), Objekte, Differenzen und Konjunkturen. Experimentalsysteme im historischen Kontext, Berlin 1994, 18.
Walter Benjamin, »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Zweite Fassung)«, in: Gesammelte Schriften, 1.2, Frankfurt a.M. 1980, 471–508, hier: 498.
Jörg Schweinitz, »Psychotechnik, idealistische Ästhetik und der Film als mental strukturierter Wahrnehmungsraum: Die Filmtheorie von Hugo Münsterberg«, in: Jörg Schweinitz (Hrsg.), Hugo Münsterberg: Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie [1916] und andere Schriften zum Kino, Wien 1996, 9–26, hier: 18.
Übergreifend zu Münsterberg aus psychologiehistorischer Perspektive: Merle J. Moskowitz, »Hugo Münsterberg. A Study in the History of Applied Psychology«, American Psychologist, Vol.32, Number 7, July 1977, 824–842.
Fritz Giese, Psychoanalytische Psychotechnik, Leipzig u.a. 1924, 11.
Robert Musil, »Psychotechnik und ihre Anwendungsmöglichkeit im Bundesheere«, Militärwissenschaftliche und technische Mitteilungen, LUI. Jahrgang, 6. Heft, Wien 1922, 244–265, hier: 249.
Dazu und übergreifend vgl. den Literaturbericht von N. Braunshausen, »Eine Krisis der experimentellen Psychologie?«, Archiv für die gesamte Psychologie, XXI. Band (1911), 1–10.
Robert Musil, »Durch die Brille des Sports [1925/26 oder später]«, in: Gesammelte Werke, hrsg. von Adolf Frisé, II, Reinbek 1978, 792–795, hier: 793.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, hrsg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg 1978, 45.
Zur Experimentalisierung des Romans (Zola u.a.) vgl. Wolfgang Schäffner, Die Ordnung des Wahns. Zur Poetologie psychiatrischen Wissens bei Alfred Döblin, München 1995.
Walter Benjamin, »Karussell der Berufe«, in: Gesammelte Schriften, Bd. 5, Frankfurt a.M. 1980, 671.
Dazu aus systemtheoretischer Sicht Peter Fuchs: »Blindheit und Sicht. Vorüberlegungen zu einer Schemarevision«, in: Niklas Luhmann, Peter Fuchs, Reden und Schweigen, Frankfurt a.M. 1992 (2), 178–208.
Dazu Fritz Giese, Theorie der Psychotechnik. Grundzüge der praktischen Psychologie I, Braunschweig 1925, 4.
Vgl. dazu Siegfried Kracauer, »Das Ornament der Masse«, in: Der verbotene Blick, Beobachtungen, Analysen, Kritiken, Leipzig 1992, 172–185.
Vgl. dazu auch Fritz Giese, Körperseele. Gedanken über persönliche Gestaltung, München 1924.
Fritz Giese, Girlkultur. Vergleiche zwischen amerikanischem und europäischem Rhythmus und Lebensgefühl, München 1925, 36.
Fritz Giese, Das außerpersönliche Unbewußte. Theoretische Bemerkungen zum intuitiven Denken, Braunschweig 1924, 1.
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Rieger, S. (1999). Steigerungen. Zum Verhältnis von Mensch, Medium, Moderne. In: von Graevenitz, G. (eds) Konzepte der Moderne. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05565-1_21
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