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Zur Kanonisierung antiklassischer Stile: Manierismus und Barock

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Kanon Macht Kultur

Part of the book series: Germanistische Symposien Berichtsbände ((GERMSYMP))

Zusammenfassung

Die außergewöhnliche Fortüne des Barock- wie auch des Manierismusbegriffs seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts verweist auf einen in diesem Jahrhundert in großem Umfang aufkommenden Kanonisierungsbedarf antiklassischer Stile ebenso wie — anthropologisch und geistesgeschichtlich ausgeweitet — antiklassischer »Ausdrucksgebärden« (Hocke). Von der »Verwilderung« der Renaissance-Kunst (Burckhardt) über ihren »Verfall« (so noch der frühe Wölfflin), von der »Entartungsform der Klassik« (so Burckhardt und noch Curtius) hin zur »Antiklassik« (Friedländer, Curtius) und zum »Anti-Rinascimento« (E. Battisti) avancieren Barock- und Manierismusbegriff ihrerseits — als Epochenstilbegriffe ebenso wie als typologische Begriffe — zu Generalnennern antiklassischer Kanonbildungen, deren Attraktionskraft so weit geht, daß tendenziell alle Einzelkünste dieser kanonischen Synthese subsumiert werden, wobei sich der Streit dann weitgehend auf Fragen der Präponderanz von Barock und Manierismus und der Privilegierung des einen oder des anderen Begriffs verschiebt.1

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Notizen

  1. Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Berlin 1955, 49: »Daneben tritt hervor die Sphäre der Industrie und ein verkappter Kult des prometheischen Geistes. Der Mensch vergöttlicht seine Erfinderkraft, durch die er die Natur zu übertreffen und zu bezwingen meint, und zum Schluß das Geschöpf dieser Erfindungskraft: die Maschine. Es ist nicht abzusehen, was danach noch kommen könnte. Die Folge ist eine absteigende: ein tiefer stehendes Idol als die Maschine ist kaum vorzustellen.« — Die Rede von der Hybris gegenüber der Natur und von der in die Maschine mündenden prometheischen Schöpferkraft ähnelt den Zitaten, die in Abschnitt II über die ›fürchterliche Wirkung‹ des michelangelesken Genies gegeben werden.

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  2. Auf den interessanten Fall von Joris-Karl Huysmans’ Manifest-Roman der europäischen décadence-Literatur, A rebours (1884), der einen üppigen Kanon spätantiker Dekadenz zelebriert, kann hier nur verwiesen werden. Vgl. dazu Helmut Pfeiffer, »Ästhetizismus und der Kanon der Kunst: J.-K. Huysmans’ ›A rebours‹«, in: Zum Problem der Geschichtlichkeit ästhetischer Normen. Die Antike im Wandel des Urteils des 19. Jahrhunderts, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 1/6, Berlin 1986, 339–349, sowie Ulrich Schulz-Buschhaus, »Kanonbildung in Europa«, in: Hans-Joachim Simm (Hrsg.), Literarische Klassik, suhrkamp taschenbuch materialien 2084, Frankfurt a. M. 1988, 45–68, hier: 47 f. — Es erscheint nicht unplausibel, daß der Erfolg dieses Romans zu den Ermöglichungsbedingungen der Umwertung dekadenter Stile entscheidend beigetragen hat.

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  3. Max Dvořák, »«, Repertorium für Kunstwissenschaft 46 (1925), 243–262, hier: 256. Aufschlußreich für die europäische Dimension der Forschungsfiliationen seit der ›Entdeckung‹ von Manierismus und Barock, die das Werk der — auf Italien blickenden — deutschen und deutschsprachigen Kunstwissenschaft ist, ist die umfangreiche Forschungsbilanz von Georg Weise, Il Manierismo. Bilancio critico del problema stilistico e culturale, Accademia toscana di scienze e lettere »La Colombaria«, Studi 20, Florenz 1971.

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  4. Walter Friedländer, »Die Entstehung des antiklassischen Stiles in der italienischen Malerei um 1520«, Repertorium für Kunstwissenschaft 46 (1925), 49–86. Der Aufsatz ist aus einem Habilitationsvortrag des Jahres 1914 hervorgegangen. Es sei betont, daß die Prägung des Ausdrucks ›antiklassischer Stil‹ von Friedländer (und nicht etwa Curtius) stammt, der damit einerseits die ablehnende Valenz des Manierismus-Begriffs ausschalten wollte (50, Anm. 1), andererseits aber auch »den neuen Stilwillen« (70) zu betonen wünschte. Für die Prägnanz, mit der Friedländer die Morphologie des antiklassischen Stils beschreibt, zitiere ich nur als Beispiel: »Die bisher normative Anschauungsform, die, weil intersubjektiv allgemein anerkannt, als die selbstverständliche, die ›natürliche‹ galt, wird zugunsten einer neuen, subjektiven ›unnatürlichen‹ aufgegeben. So können in der manieristischen Kunst nur aus einem bestimmten rhythmischen Schönheitsgefühl heraus mehr oder minder willkürlich die Körpergliedmaßen gedehnt werden. Das Kopflängenmaß wächst von einem Achtel bis ein Neuntel, wie es in der Renaissance ›normativ‹ als durchschnittlich naturgegeben üblich war, vielfach auf ein Zehntel bis ein Zwölftel der Köperlänge. Also eine durchgreifende Veränderung, fast Verzerrung der allgemein als gültig erkannten Anschauungsform eines Objekts. Auch die eigentümlichen Geziertheiten der Fingerhaltung, die Verdrehungen der Gliedmaßen, die sich ineinander schlingen, lassen sich auf diese durchaus bewußte Abkehr vom Normativen, Natürlichen und auf eine fast ausschließliche Verwendung des rhythmischen Gefühls zurückführen.« (51) — Der Hauptkanon der manieristischen Malerei ist bei Friedländer bereits genannt, repräsentiert durch Pontormo, Rosso, Parmigianino (diese drei sind gleichsam die Klassiker des Manierismus), Pontormos Schüler Bronzino, Rossos Schüler Primaticcio, Tintoretto und seinen Schüler El Greco, Vasari, und »über all dem … der gewaltige Schatten Michelangelos« (85). Etwa gleichzeitig mit Friedländer rekonstruiert Panofsky in seinem Idea-Buch (Anm. 6) die neuplatonische kunsttheoretische Ausgestaltung der Ideenlehre im Zeitalter des »Manierismus« (Panofsky verwendet den Begriff in Anführungszeichen). Die »Idea« wird nunmehr als Vorstellung einer naturunabhängigen Bildgestalt (disegno interiore, concetto) im Geist des Künstlers gebildet und ermächtigt ihn so zu ihrem Ausdruck. Die Forschungen Panofskys und Julius von Schlossers haben die theoretische Traktatliteratur wieder erschlossen. So entsteht auch ein Kanon manieristischer Traktatisten: mit Vasari (wenn auch noch nicht in systematisierter Form), Federico Zuccari und Paolo Lomazzo im Zentrum.

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  5. Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, 18. Auflage (1. Aufl. 1915), Basel 1991.

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  6. Vgl. Ulrich Schulz-Buschhaus, »Der Barockbegriff in der Romania. Notizen zu einem vorläufigen Resümee«, Uli 98 (1995), 6–24, hier: 7 ff.

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  7. Klaus-Peter Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus. Tesauros und Pellegrinis Lehre von der »Acutezza« oder von der Macht der Sprache, Humanistische Bibliothek, Abhandlungen 4, München 1968, vereinigt unter diesem Titel auch noch den Agudeza-Traktat Baltasar Graciáns und bietet kenntnisreiche Erläuterungen, ohne die Begiffsdoublette zu problematisieren. Die beiden Bände Renaissance und Barock (hrsg. August Buck) des Neuen Handbuchs der Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M. 1972, scheinen den Manierismus als Epoche eskamotiert zu haben; die Acutezza-Tmaktate werden hier von August Buck unter dem Titel »Dichtungslehren der Renaissance und des Barocks« und unter der leitenden These einer Poetiken-Kontinuität präsentiert (I, 28–60). Das ist das gewohnte Bild (es stellt freilich in der universitären Lehre vor einige Probleme). Die Beispiele ließen sich beliebig vervielfältigen. Was fehlt, ist eine vergleichende Analyse der kunsttheoretischen und literaturtheoretischen Traktatisten. Die Acutezza-Traktate erscheinen in dichter Folge (Pellegrini 1639, Gracián 1642, Tesauro 1655); die kunsttheoretischen Idea-Traktate ebenfalls, aber 50–60 Jahre früher (Lomazzos Idea 1590, sein Trattato 1584, Zuccaris Idea 1607). Letztlich aber muß man bis auf Vasaris Vite zurückgehen (1. Aufl. 1550, 2. Aufl. 1565), um die zeitliche Differenz zu ermessen. Daß die Kunstgeschichte den Epochenbegriff Manierismus für das 16. Jahrhundert nicht preisgeben will oder kann, leuchtet unmittelbar ein. In der Literaturgeschichte hat man sich aus dem doppelten Ursprung des antiklassischen Stils jedoch fast nur Querelen eingehandelt, weshalb hier Hugo Friedrichs Vorschlag, den Barockbegriff für den historischen Epochenstil zu reservieren, und den Manierismus-Begriff typologisch zu verwenden, plausibel erscheinen will (vgl. Hugo Friedrich, »Über die Silvae des Statius [insbesondere V, 4, Somnus] und die Frage des literarischen Manierismus«, in: Wort und Text. Festschriftfür Fritz Schalk, Frankfurt a.M. 1963, 34–56, hier: 35 f.; ders., Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, Kap. »Manierismus«, 593–616; vgl. auch die Verstärkung dieses Vorschlags einer Notlösung von Schulz-Buschhaus [Anm. 13], 18 f.).

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  8. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 8. Auflage (1. Aufl. 1948), Bern, München 1973, 9.

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  9. Jacob Burckhardt, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens, Darmstadt 1964, 305. Diese Ausgabe folgt dem Ur-Cicerone von 1855, der nach neun weiteren von fremder Hand kontinuierlich überarbeiteten Auflagen erst 1924 wieder herausgebracht worden war.

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  10. Alois Riegl, Die Entstehung der Barockkunst in Rom, Nachdruck der Ausgabe Wien 1908, München, Mittenwald 1977, 1.

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  11. Heinrich Wölfflin, Die klassische Kunst. Eine Einführung in die italienische Renaissance, 2. Aufl. (1. Aufl. 1898), München 1901, Kap. »Der Verfall«, 180–183.

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  12. Vgl. Ursula Link-Heer, »Maniera. Überlegungen zur Konkurrenz von Manier und Stil (Vasari, Diderot, Goethe)«, in: Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements, suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 633, Frankfurt a. M. 1986, 93–114.

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  13. Giorgio Vasari, Le Vite de più eccellenti pittori scultori ed architettori scritte da Giorgio Vasari pittore aretino, hrsg. als Le Opere di Giorgio Vasari von Gaetano Milanesi, 9 Bde., Nachdruck der Ausgabe von 1906, Florenz 1981; die Zitate entstammen der Michelangelo-Vita (VII).

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  14. Werner Weisbach, »Zum Problem des Manierismus«, Studien zur deutschen Kunstgeschichte 300 (1934), 15–20.

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  15. Werner Weisbach, »Der Manierismus«, Zeitschrift für bildende Kunst 54 (1919), 161.

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  16. Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung. Mit 187 zum Teil farbigen Abbildungen im Text und auf 20 Tafeln vorwiegend aus der Bildersammlung der psychiatrischen Klinik Heidelberg, 2. Aufl. (1. Aufl. 1921), Berlin 1923.

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  17. Eugen Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie, 7. Auflage, Berlin 1943, 315.

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  18. Vgl. den Forschungsbericht von Gerhard Regn, »Tasso und der Manierismus«, RJb 38 (1987), 99–129.

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  19. Ludwig Binswanger, Drei Formen mißglückten Daseins. Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit, Heidelberg 1956, 91.

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  20. Enrico Carrara, »Manierismo letterario in Benvenuto Cellini«, Studi romanzi 19 (1928), 171–200.

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  21. Hierzu Erwin Panofsky, Galileo as a Critic of the Arts, Den Haag 1954, 13–20. — Tibor Klaniczay faßt den Geschmack Galileis als Barock auf; der Barock würde in seiner Berechnung auf Wirkung, das Exuberante und die Pracht die »Grenzen der Glaubwürdigkeit« zu überschreiten sich hüten. Dies formuliert mit nochmals anderen Worten, daß Renaissance und Barock insofern als zwei klassische Stile aufgefaßt sind, als sie eine intersubjektive Verbindlichkeit wahren, während der Manierismus zum eigentlichen Devianzstil wird, was seinen Eingang in die Psychiatrie beförderte. Vgl. Tibor Klaniczay, Renaissance und Manierismus. Zum Verhältnis von Gesellschaftsstruktur, Poetik und Stil, Literatur und Gesellschaft, Berlin 1977, 201 f. (zu Galileo).

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  22. Umberto Eco, Postille a Il Nome della Rosa, Mailand 1983, 7.

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  23. Umberto Eco, L’isola del giorno prima, Mailand 1994; vgl. dazu das Schlußkapitel von Schulz-Buschhaus’ Barockbegriff-Untersuchung (Anm. 13), 22 f.

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  24. Edouard Glissant, »D’un baroque mondialisé«, in: ders., Poétique de la relation, Paris 1990, 91–94, hier: 93.

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Renate von Heydebrand

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Link-Heer, U. (1998). Zur Kanonisierung antiklassischer Stile: Manierismus und Barock. In: von Heydebrand, R. (eds) Kanon Macht Kultur. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05564-4_9

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