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Vom nationalen Kanon zur postnationalen Konstellation

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Book cover Kanon Macht Kultur

Part of the book series: Germanistische Symposien Berichtsbände ((GERMSYMP))

Zusammenfassung

Angesichts der vielfältigen Anstrengungen am Ende dieses Jahrhunderts, zu einer wirtschaftlichen, politischen und monetären Einheit Europas zu kommen, stellen sich viele Fragen zur Zukunft einer europäischen Gemeinschaft auch hinsichtlich der Beziehungen zwischen den nationalen Kulturen und Institutionen. Ist eine europäische Kultur heute vorstellbar? Diese wäre nicht mehr Curtius’ europäische Kultur auf der Grundlage einer universalen Sprache und Religion, sondern eine vielsprachige, ›vielfarbige‹ Kultur und Literatur der mannigfachen Überschneidungen mit verschiedenen Kulturen der anderen Kontinente. In den modernen europäischen Literaturen funktionierte der Kanon bislang als ein ›Narrative‹, eine Erzählung nationaler Kultur, die durch Gemeinschaft und Konsensus reguliert wird. Was wird die Zukunft der nationalen Literaturen und ihrer Kanones in einer immer hybrideren europäischen Kulturlandschaft sein? Ist das Ende jeden Kanons in Sicht, oder ist die Bildung eines europäischen Kanons die Alternative? Mit welcher Abgrenzung zum Nichtkanonischen und Nichteuropäischen? Die folgenden Überlegungen zum post/nationalen Kanon sind auch vor dem Hintergrund dieser generelleren ethisch-politischen Fragen der europäischen Zukunft entstanden.

Die Ausbildung eines Kanons dient der Sicherung einer Tradition. … Jede literarische Kanonbildung muß zu einer Auswahl von Klassikern schreiten.

Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter1

Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte2

Konstellation ist nicht System. Nicht schlichtet sich, nicht geht alles auf in ihr, aber eines wirft Licht aufs andere, und die Figuren, welche die einzelnen Momente mitsammen bilden, sind bestimmtes Zeichen und lesbare Schrift.

Theodor W. Adorno, Skoteinos oder Wie zu lesen sei3

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Notizen

  1. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Aufl., Bern 1954, 261, 264.

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Brinker-Gabler, G. (1998). Vom nationalen Kanon zur postnationalen Konstellation. In: von Heydebrand, R. (eds) Kanon Macht Kultur. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05564-4_5

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