Zusammenfassung
Die Chancen für die Etablierung einer allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft waren in der sowjetischen Besatzungszone und nachmaligen DDR zunächst denkbar schlecht. Zum einen fehlte — wie überall in Deutschland — eine Tradition institutionalisierter Komparatistik, an die man hätte anknüpfen können, standen die überkommenen (und von dem neuen Regime übernommenen) Vertreter der Einzelphilologien zudem meist noch im Bann der deutschen Geistesgeschichte, in deren Wissenschaftskonzeption Komparatistik als selbständige Disziplin keinen Platz gehabt hatte. Zum anderen war die vergleichende Literaturwissenschaft in der Sowjetunion, wo sie in den 30er Jahren einen hohen Stand erreicht hatte, gerade einer Wendung der politischen Ideologie zum Opfer gefallen. Mit dem Appell an einen Sowjetpatriotismus, in dem großrussischer Nationalismus sich durchaus wiederfinden konnte, hatten nach dem deutschen Überfall im Zweiten Weltkrieg — dem »Großen Vaterländischen Krieg«, wie er in der Sowjetunion bald genannt wurde — zusätzliche ideelle Ressourcen erschlossen werden sollen. Mit dieser nationalistischen Wendung war die politische Ideologie auch in den anschließenden »kalten Krieg« zwischen den Siegermächten gegangen. Der komparatistische Ansatz kam in den Verruf des Kosmopolitismus, den die Parteipropaganda jetzt als ein Hauptinstrument des Westens bei der ideologischen Diversion brandmarkte. Während in der Französischen Zone die Einrichtung eines Lehrstuhls für vergleichende Literaturwissenschaft (in Mainz) unmittelbar auf die Anregung der Besatzungsmacht zurückging, einige andere westdeutsche Universitäten sich damit am US-amerikanischen Beispiel orientierten, blieb die Komparatistik aus dem Lehrangebot der ostdeutschen Universitäten prinzipiell ausgeschlossen.
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Notizen
Vgl.: Gerhard Ziegengeist (Hg.), Aktuelle Probleme der vergleichenden Literaturforschung. Berlin 1968, S. 1–16.
Vgl.: Manfred Naumann u.a., Gesellschaft — Literatur — Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht. Berlin-Weimar 1973.
Vgl.: Rainer Rosenberg, »Deutsche Vormärzliteratur in komparatistischer Sicht«. In: Weimarer Beiträge. 21. Jg. (1975), S. 74–98.
Vgl.: Anne Pütz, Literaturwissenschaft zwischen Dogmatismus und Internationalismus. Das Dilemma der Komparatistik in der Geschichte der DDR. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1992.
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Rosenberg, R. (1995). Germanistik und Komparatistik in der DDR. In: Birus, H. (eds) Germanistik und Komparatistik. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05561-3_3
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