Zusammenfassung
»Arger Misgriff Selbstbekenntnisse zu schreiben, statt s.(ein) Leben bescheiden zu romantisiren. -«1 Der in dieser Notiz Friedrich Schlegels aufgestellte Gegensatz ist verführerisch und lädt nachgerade dazu ein, die Kontrastierung zweier Darstellungsformen des Ich auf eine übergreifende historische Differenz — etwa zwischen der empfindsamen und der romantischen Subjektkonzeption — zu beziehen. Der im Fragment skizzierte Gegensatz ist jedoch von größerer Komplexität, als es die pointierte Formulierung zunächst glauben macht. In Schlegels Gespräch über die Poesie wird ausgerechnet dem Genre der Selbstbekenntnisse eine enge Verbundenheit mit der romantischen Paradegattung des Romans attestiert. Diese Zuordnung wird zum einen dadurch gerechtfertigt, »daß das Beste in den besten Romanen nichts anders ist als ein mehr oder minder verhülltes Selbstbekenntnis des Verfassers«2. Zum anderen besitzen Selbstbekenntnisse einen durchaus eigentümlichen ästhetischen Wert; sie gehören als Erscheinungsformen des Grotesken und Arabesken zu den wenigen »romantischen Naturprodukte(n)«3 der Moderne: »Besonders die Confessions geraten meistens auf dem Wege des Naiven von selbst in die Arabeske.«4 Das im Bekenntnis dargestellte Ich ist demnach bereits, was das dem Verfahren des Romantisierens unterworfene Ich erst werden soll, und zwar, wie Novalis in seiner Bestimmung dieses Verfahrens darlegt, im Zuge einer künstlichen »Operation«, die das »niedre Selbst … mit einem bessern Selbst … identificirt«.5
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Notizen
Vgl. Paul de Man, Allegories of Reading. Figurai Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust, New Haven, London 1979, 279: »To confess is to overcome guilt and shame in the name of truth; it is an epistemological use of language in which ethical values of good and evil are superseded by values of truth and falsehood …« — Vgl. auch Starobinski (Anm.9), 220.
Huntington Williams, Rousseau and Romantic Autobiography, New York 1983, 121.
Manfred Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen, edition suhrkamp 1563, Frankfurt/M. 1989, 248, 244.
Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hrsg. Erich Trunz, XIII, 8. Aufl., München 1981, 100.
Zur Problematik unendlicher Reflexion vgl. Winfried Menninghaus, Unendliche Verdopplung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion, Frankfurt/M. 1987.
Vgl. Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, 2. Aufl., Hermea N. F. 6, Tübingen 1977, 250–272, hier: 268f.
Vgl. Paul de Man, »The Rhetoric of Temporality«, in: ders., Blindness and Insight. Essays in the Rhetoric of Contemporary Criticism, 2. Aufl., Minneapolis 1983, 187–228.
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Moser, C. (1995). ›Romantische Subjektivität‹ im Spannungsfeld von Textualisierung und ästhetischer Konstruktion: Rousseau, Schlegel, Novalis. In: Birus, H. (eds) Germanistik und Komparatistik. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05561-3_14
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