Zusammenfassung
In der diskursiven Karriere der ›Wissenschaften vom Menschen‹, wie sie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mehr und mehr ins Blickfeld von Philosophie, Theologie und Literatur treten, spielt die Bezugnahme auf die Naturwissenschaften eine prominente Rolle. Dabei überlagern sich Strategien der Konkurrenz und der Komplementarität. Polemisch machen sich die Plädoyers für die Erforschung der Natur des Menschen die Krise der klassifizierenden Naturgeschichte zunutze, die — so Georg Forster — »zu einem leeren Gewäsch von Namenverzeichnissen, Kunstwörtern und Systemen«1 geworden sei. Als verschlinge die mikroskopisch geschärfte Aufmerksamkeit auf die »Conchylien« Erkenntnisenergien, die legitimerweise dem Menschen und insbesondere seiner Seele zuzukommen hätten, proklamiert Karl Phiüpp Moritz gegen die »objektivische Betrachtung« der Naturgeschichte »die Betrachtung seines eignen subjektivischen Daseins«.2 Georg Christoph Lichtenberg diagnostiziert, das Studium der Naturhistorie sei »nun in Deutschland bis zur Raserei gestiegen« und empfiehlt die Konzentration des Menschen auf sich selbst als Beitrag zur Ökonomisierung des Wissens durch Hierarchisierung der Erkenntnisgegenstände.3
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Anmerkungen
Georg Forster: Ein Blick in das Ganze der Natur. In: Ders.: Werke in vier Bänden. Herausgegeben von Gerhard Steiner, Band 2, Frankfurt/Main 1969, S. 13.
Karl Philipp Moritz, Die Bibliotheken, In: Ders., Werke, herausgegeben von Horst Günther, Band 3, Frankfurt/Main 1981, S. 226–227, hier S. 227.
Vgl. Lothar Müller: Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis. Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser, Frankfurt/Main 1987, S. 184–191.
Novalis: Das Allgemeine Brouillon, In: Ders., Schriften, herausgegeben von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, Dritter Band, Stuttgart 31983, S. 207–478, hier S. 269.
Vgl. z.B. Hermann Berg und Klaus Richter (Hrsg.): Entdeckungen zur Elektrochemie, Bioelektrochemie und Photochemie, Leipzig 1986; Walter D. Wetzeis, Johann Wilhelm Ritter: Romantic physics in Germany, In: Andrew Cunningham, Nicholas Jardine (Hrsg.): Romanticism and the Sciences, Cambridge 1990, S. 199–212; H.A.M. Snelders, Romanticism and Naturphilosophie and the Inorganic Natural Sciences 1797–1840: An Introductory Survey, In: Studies in Romanticism, 9, 1970, S. 193–215, bes. S. 199–206. Die beste Gesamtdarstellung ist nach wie vor Walter D. Wetzeis: Johann Wilhelm Ritter: Physik im Wirkungsfeld der deutschen Romantik, Berlin und New York 1973.
Johann Wilhelm Ritter: Beweis, daß die Galvanische Action auch in der Anorganischen Natur möglich und wirklich sey, In: Ders., Beyträge zur näheren Kenntnis des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung, Band I, 2, Jena 1800, S. 283.
Johann Wilhelm Ritter: Physisch-chemische Abhandlungen in chronologischer Folge, Band 1, Leipzig 1806, S. 1–42.
Vgl. zum folgenden K. E. Rothschuh: Von der Idee bis zum Nachweis der tierischen Elektrizität, In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 44, 1960, S. 25–44.
Vgl. Karl E. Rothschuh, Vom Spiritus animalis zum Nervenaktionsstrom, In: Ders., Physiologie im Werden, Stuttgart 1969, S. 111–138.
Johann Wilhelm Ritter: Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensprocess im Thierreich begleite, Weimar 1798, S. 158.
Johann Wilhelm Ritter: Beweis, daß der Galvanismus auch in der anorganischen Natur zugegen sey, In: Ders., Physisch-chemische Abhandlungen, Band 1, Leipzig 1806, S. 139–164, S. 155. Vgl. zur Bedeutung des Begriffs »Mischungsveränderung« in der Mineralogie wie Chemie bei Novalis Peter Kapitza: Die frühromantische Theorie der Mischung, München 1968, S. 55–58, 86 und öfter.
Johann Wilhelm Ritter: Bemerkungen über den Galvanismus im Thierreich, In: Ders.: Beyträge zur näheren Kenntniß des Galvanismus, Band 1, 3. und 4. Stück, Jena 1802, S. 151. Vgl. auch S. 168: »Man kann merken, welche neue unendliche Welt sich hiermit aufthut. Man dachte nicht daran, dass man in jedem geringsten Experiment ein Universum in Bewegung setzt.«
Johann Wilhelm Ritter: Von der Galvanischen Batterie nebst Versuchen und Bemerkungen den Galvanismus betreffend, In: Ders., Beyträge zur näheren Kenntniß des Galvanismus, Band I, Stück 3 u. 4, Jena 1802, S. 195–290, S. 244.
Diesen Gedanken hat Ritter später systematisch ausgeführt. Vgl. Johann Wilhelm Ritter: Das elektrische System der Körper. Ein Versuch, Leipzig 1805.
Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher, Heft J 1748, In: Ders., Schriften, Band 2, S. 318 Zur Polarität vgl. S. 324 Vgl. zur Vorgeschichte des romantischen Polaritätsdenkens Rolf Christian Zimmermann: Goethes Polaritätsdenken im geistigen Kontext des 18. Jahrhunderts, In: JDSG, 18, 1974, S. 304–347.
Vgl. Wolf von Engelhardt: »Wenn auch meine Philosophie nicht hinreicht, etwas Neues auszufinden, so hat sie doch Herz genug, das längst Geglaubte für unausgemacht zu halten.« Georg Christoph Lichtenberg und die Naturwissenschaft seiner Zeit, In: Jörg Zimmermann (Hrsg.) Lichtenberg. Streifzüge der Phantasie, Hamburg 1988, S. 132–156, S. 154f.
Franz von Baader: Ideen über Festigkeit und Flüssigkeit zur Prüfung der physikalischen Grundsätze des Herrrn Lavoisier (1792), In: Ders., Sämmtliche Schriften, Erste Hauptabtheilung, Band 3 (Anm. 12), S. 184–202, hier S. 185.
Johann Wilhelm Ritter: Fragmente aus dem Nachlasse eine jungen Physikers. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1810. Mit einem Nachwort von Heinrich Schipperges, Heidelberg 1969, S. 11.
Hans Christian Oersted: Betrachtungen über die Geschichte der Chemie, In: Journal für die Chemie und Physik, Dritter Band, Berlin 1807, S. 194–231, hier S. 214f. Vgl. Ritters Formulierung, »daß die räumliche Erscheinung eines Wesens nichts ist, als der sinnliche Ausdruck seines inneren Kräfteverhältnisses, daß dieses Kraftverhältniß, seine dynamische Beschaffenheit, gleich ist seiner sogenannten chemischen Qualität, d.i. seiner Mischung, und daß alle räumliche Veränderung nur sinnlicher Ausdruck der Veränderung innerer Qualität, der Mischungsänderung ist.« Beweis, daß der Galvanismus auch in der anorganischen Natur zugegen sey (Anm. 25), S. 143.
Johann Wilhelm Ritter: Die Physik als Kunst. Ein Versuch die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten. Zur Stiftungsfeier der Königlich-baierischen Akademie der Wissenschaften am 28. März 1806, München 1806. Hiernach wird im folgenden zitiert. Ein Neuabdruck findet sich in Johann Wilhelm Ritter: Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Herausgegeben von Steffen und Birgit Dietzsch, Leipzig und Weimar 1984, S. 288–320.
M.C. Harding (Hrsg.), Correspondance de H.C. Örsted avec divers savants, Band II, Copenhagen 1920, S. 111.
Johann Gottfried Herder, Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts, Zweiter Band, welcher den Vierten Theil enthält, In: Ders., Sämtliche Werke, Hrsg. B. Suphan, Band VII, Berlin 1884, S. 116.
Johann Wilhelm Ritter: Versuch einer Geschichte der Schicksale der chemischen Theorie in den letzten Jahrhunderten, In: Journal für die Chemie, Physik und Mineralogie, Band 7, 1808, S. 1–66, hier S. 2.
Hans Christian Oersted, Betrachtungen über die Geschichte der Chemie, In: Journal für die Chemie und Physik, Band 3, 1807, S. 222.
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Müller, L. (1994). Die ›Feuerwissenschaft‹. In: Schings, HJ. (eds) Der ganze Mensch: Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05560-6_14
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Online ISBN: 978-3-476-05560-6
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