Zusammenfassung
Das Wort Interessenbildung läßt sich als Abstraktion entweder zum Reflexivum ›sich bilden‹ oder zum Transitivum ›bilden‹ verstehen. Im ersten Sinne ist ›Interessenbildung‹ ein allgemeiner gesellschaftlicher Vorgang, der von einer unvorstellbaren Komplexität ist, der unsere Informationsquellen selbst für die moderne Zeit kaum gewachsen wären und die unseren mittelalterlichen hohnspricht. Daher bescheide ich mich mit dem transitiven Sinne, d.h. ich beschränke mich auf die Mitglieder der mittelalterlichen Gesellschaft, denen daran gelegen war, aktiv ein Interesse an der Literatur zu ›bilden‹. Das waren die Hersteller und die Auftraggeber, die Dichter und ihre Gönner. Damit schließe ich die Hauptmasse derjenigen aus, die überhaupt an der geschriebenen Literatur interessiert waren, die Zuhörer oder Leser — selbst sicherlich eine kleine Minderheit der damaligen Gesamtbevölkerung —, nicht weil sie in dieser Sache nicht stimmberechtigt waren, sondern weil die Art der Quellen und der Überlieferung bestimmt hat, daß sie jetzt völlig ohne Stimmen sind. Hörbar sind nur die Dichter und seit dem Beginn der Blütezeit gelegentlich ihre Auftraggeber, diese aber nur über die Dichter. (Selbstverständlich kann dasselbe Individuum als Dichter, Auftraggeber und Rezipient erscheinen.) Aber so begierige Rezipienten die Auftraggeber auch gewesen sein mögen, ihre Gier wird doch von der der Dichter übertroffen, von denen jeder rezipiert und überliefert, oder, um das Bild zu wechseln, ein Zahn am Rad ist, der Triebkraft empfangt und (manchmal sogar potenziert) weiterleitet.
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Notizen
Vgl. P.F. Ganz, Der Begriff des ›Höfischen‹ bei den Germanisten, Wolfram-Studien 4 (1977), S. 16–32; ders., ›hövesch‹ / ›hövescheit‹ im Mittelhochdeutschen, in: J. Fleckenstein (Hrsg.), Curialitas, Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, Göttingen 1990, S. 39–54.
Vgl. R.L. Benson und G. Constable (Hrsg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Oxford 1982, hier besonders: R.W. Southern, The Schools of Paris and the School of Chartres, S. 113–137.
M. T. Clanchy, From Memory to Written Record. England from 1066–1307, London 1979. Die im vorliegenden Beitrag als Anhang gebrachten Tabellen befinden sich bei Clanchy auf S. 43 und 44. Sie sind errechnet und bieten keine genauen Zahlen: Die Tabelle des Wachsverbrauchs summiert fünfjährige Perioden und ist als Überblick über die detaillierteren Zahlen S. 58 f. zu verstehen, die die Regierungszeit Henrys III. umfassen; die Daten betreffen nur die Kanzlei, da das Schatzamt [»Exchequer«] gesondert Rechnung führte, und zwar nur nach dem Preis des Wachses, während die von Clanchy vorgezogenen Kanzleidaten sowohl das Gewicht als auch den Preis buchen. Auf der anderen Tabelle sind die erhaltenen Briefe der betreffenden Potentaten gleichmäßig über ihre Regierungszeiten verteilt und als Durchschnittszahl pro Jahr ausgedrückt; päpstliche Pontifikate von weniger als acht Jahren wurden nicht mitgerechnet.
C.S. Lewis, The Discarded Image, Cambridge 1964, schreibt (S. 211): »I doubt if they [mittelalterliche Autoren] would have understood our demand for originality or valued those works in their own age which were original any the more on that account. If you had asked Layamon or Chaucer ›Why do you not make up a brand-new story of your own?‹ I think they might have replied (in effect) ›Surely we are not yet reduced to that?‹«
Vgl. J. Heinzle, Das Nibelungenlied, München und Zürich 1987 (Artemis Einführungen 35), S. 47ff.; M. Curschmann, 2VL 6 (1987), hier bes. Sp. 933ff.
Vgl. J. Heinzle, Stellenkommentar zu Wolframs Titurel, Tübingen 1972 (Hermaea N.F. 30), hier S. 131 ff.
Vgl.: K. Gärtner, Der Text der Wolfenbüttlerer Erec-Fragmente und seine Bedeutung für die Erec-Forschung, Beitr. 104 (1982), S. 207–230 und 359–430; E. Neilmann, Ein zweiter Erec-Roman? Zu den neugefundenen Wolfenbütteler Fragmenten, ZfdPh 101 (1982), S. 28–78 und 436–441.
Vgl. H. Beckers, Die mittelfränkischen Rheinlande als literarische Landschaft 1150 bis 1450, ZfdPh 108 Sonderheft (1989), S. 19–49, hier S. 25.
Vgl. R. Lejeune, Rôle littéraire de la famille d’Aliénor d’Aquitaine, CCM 1 (1958), S. 319–337, hier S. 326f.
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Johnson, L.P. (1993). Die Blütezeit und der neue Status der Literatur. In: Heinzle, J. (eds) Literarische Interessenbildung im Mittelalter. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05559-0_14
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