Zusammenfassung
Wenn Schiller sich dem Kulminationspunkt seiner Ästhetik nähert, stehen ›die Antiken‹ ein für die Evidenz, welche dem Argument hier abzugehen droht. Schiller ist nicht immer empfänglich für die ästhetischen Vorbilder; er nennt sich selbst einen Barbaren, was die schönen Künste anlangt [1], und tut sich schwer mit Goethes Propyläen und den Weimarer Kunstfreunden. [2] Aber wenn es um die Vereinigung von Anmut und Würde geht, um den Inbegriff der Vollkommenheit und den höchsten Ausdruck der Menschheit, wenn die Grazie ins Erhabene und Himmlische gesteigert werden soll — »gerechtfertigt in der Geisterwelt und freigesprochen in der Erscheinung« [3] —, dann nähert der Gedanke sich der fast überirdischen, unkörperlichen Schönheit und sucht nach Anschauung, nach sinnfälliger Beglaubigung. Er findet sie in der göttlichen Gestalt einer Niobe, im belvederischen Apoll, in dem borghesischen geflügelten Genius und anderen Figurationen — Figurationen, welche Schiller allesamt im Original nie gesehen hat, die sich ihm nicht aus ästhetischer Erfahrung unmittelbar aufdrängen, wohl aber die Schlüsselpositionen in der diskursiven Ökonomie seiner ästhetischen Schriften besetzen. So auch in anderen Kontexten, etwa dem Ueber das Pathetische oder im 15. Brief Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. Und im Essay Ueber naive und sentimentalische Dichtung ist ja ausdrücklich vom plastischen Defizit der Modernen bei aller Überlegenheit der Ideen die Rede [4]; die Nachahmung der Alten kann es nicht kompensieren, aber die Anschauung ihrer Kunst das Ideal der sinnlichen Vollendung vergegenwärtigen.
Vgl. meinen parallel erschienenen Aufsatz »Evidenzverheißungen. Klassizismus und ›Weimarer Klassik‹ im europäischen Vergleich«, in: H.P., Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik, Tübingen 1991, 137–156.
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Anmerkungen
Brief an Johann Christian Reinhart vom 7.[14?] März 1803, Schillers Werke, Nationalausgabe, XXXII, hrsg. Axel Gellhaus, Weimar 1984, 22.
Zum angesprochenen Themenkomplex: Henry Hatfield, »Schiller, Winckelmann, and the Myth of Greece«, in: Schiller 1759/1959, Commemorative American Studies, ed. John R. Frey, Urbana 1959, 12–35.
Siehe Karin Dieckmann, Die Braut von Messina auf der Bühne im Wandel der Zeit, Helsingfors 1935. Aufschlußreich auch: Valerian Tornius, »Goethes Theaterleitung und die bildende Kunst«, Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts, (1912), 192 ff.
Paul Zucker, Die Theaterdekoration des Klassizismus. Eine Kunstgeschichte des Bühnenbildes, Berlin 1925.
Goethe, Weimarer Ausgabe, 1. Abteilung, XL, Weimar 1901, 117.
Siehe auch: Peter Sprengel, »In der Musen Heiligtum. Herder, Italien und der Klassizismus«, in: Helmut Pfotenhauer (Hrsg.), Kunstliteratur als Italienerfahrung, Tübingen 1991, 40–66.
Johann Gottfried Herder, Denkmal Johann Winckelmann’s (1777), erstmals veröffentlicht von Albert Duncker, Kassel 1882.
Vgl. Nikolaus Himmelmann, Winckelmanns Hermeneutik, Abhandlung der geistes-und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1971, 1ff., 50ff.
Zitiert nach der kritischen Edition von Walter Rehm: Johann Joachim Winckelmann, Kleine Schriften. Vorreden. Entwürfe, Berlin 1968, 43.
(vgl. Claudia Henn, Simplizität, Naivetät, Einfalt. Studien zur ästhetischen Terminologie in Frankreich 1674–1771, Phil. Diss. Berlin 1973).
Vgl. die Dokumentation im Kommentar zur deutschen Ausgabe von Diderots Salons (Denis Diderot, Ästhetische Schriften, 2 Bde., hrsg. Friedrich Bassenge, Berlin, Weimar 1967, Neuaufl. 1984, II, 763).
Jean Pommier, »Winckelmann et la vision de l’Antiquité classique dans la France des Lumières et de la Révolution«, Revue de l’Art 1989, n 1, (1989), 9ff.
Gotha 1802. — Ich verdanke zu diesem Themenkomplex meinem Mitarbeiter Harald Tausch, der darüber eine größere Studie vorbereitet, wichtige Hinweise (vgl. vorerst: Harald Tausch, Fernow und Canova. Zur Eigenart des deutschen Klassizismus im europäischen Rahmen, Magisterarbeit Würzburg 1990).
Der Jason soll auf Carstens’ Bild Die Argonauten bei dem Kentauren Chiron von 1792 zurückgehen.
Vgl.: Ein Skizzenbuch Antonio Canovas. Einführung von Hans Ost, Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 19, Tübingen 1970.
»Quel chagrin pour les pédants«, vgl. Stendhal, Voyages en Italic Textes établis, présentés et annotés par V del Litto, Paris 1973, 332.
Zusammenfassend dazu und zur Mittlerrolle des nachmaligen Besitzers der Villa Vigoni, Heinrich Mylius, vgl. Hugo Blank, Goethe und Manzoni, Weimar und Mailand, Heidelberg 1988.
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Pfotenhauer, H. (1993). Vorbilder. Antike Kunst, klassizistische Kunstliteratur und »Weimarer Klassik«. In: Voßkamp, W. (eds) Klassik im Vergleich Normativität und Historizität europäischer Klassiken. Germanistische Symposien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05558-3_5
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-05558-3
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