Zusammenfassung
Als Kapitän Lemuel Gulliver in sein Haus in Redriff zurückkehrt und seine Frau den Verschollenen umarmt, fallt er in eine einstündige Ohnmacht. Die Reise hat den Mann vollständig verändert. Er trabt wie ein Gaul und wiehert wie ein Pferd. Jede Berührung eines Menschen versetzt ihn in panischen Schrecken. Allein die Nähe verursacht hysterische Übelkeitsanfälle. Er verstopft seine Nase mit Raute, verbietet seiner Familie, in seine Nähe zu kommen und vermeidet jeden Umgang mit Menschen. Er kauft sich zwei Hengste, schließt sich im Stall ein und hält wiehernd Zwiesprache mit ihnen. Als einzigen menschlichen Umgang duldet er den nach Mist stinkenden Stallknecht. Erst nach Jahren erträgt er den Anblick seines Spiegelbildes und die Anwesenheit seiner Frau am entfernten Tischende während der Mahlzeiten. Die Reise zu den Houyhnhnms hat die Mentalität des englischen Weltreisenden verwandelt. Swifts »Gulliver« ist nicht nur eine Satire auf die Verhältnisse in England und Europa und eine Satire auf die utopischen Vernunftstaaten, sondern auch eine auf die Mentalität der Reisenden und auf die Reiseliteratur. Durch seine Erfahrungen mit den exotischen Ländern entwickelt Gulliver einen scharfen Blick für die Fehler seiner Heimatgesellschaft. In dem Maß, in dem die kritische Distanz zu seiner eigenen Gesellschaft wächst, vermindert sie sich in der Beurteilung der fremden. Zwei Mentalitätstypen von Reisenden sind deutlich anhand der europäischen Entdeckungs- und Reiseliteratur zu unterscheiden.
Wer drin steht, der sieht zu wenig, wer draußen steht, zu viel. Das Auge des Eingeweihten gewöhnt sich an alles und erschrickt zuletzt nur noch vor dem Unerhörten.
Theodor Fontane
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Anmerkungen
Lady Mary Montagu: Briefe aus dem Orient. Nach der Ausgabe von 1784 bearbeitet von Irma Bühler. Frankfurt am Main 1982, S. 242–43.
Urs Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München 1982, S. 420.
Michel de Montaigne: Essais. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ralph-Rainer Wuthenow. Frankfurt am Main 1976, S. 93.
Heinrich Heine: Reisebilder. Vierter Teil. Englische Fragmente. In: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Herausgegeben von Klaus Briegleb. München 1976, Bd. 3, S. 538.
Theodor Fontane: Aufsätze und Berichte aus England. In: Theodor Fontane: Werke und Schriften Band 27. Herausgegeben von Jürgen Kolbe, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1979, S. 148.
Giacomo Casanova: Geschichte meines Lebens. Herausgegeben und eingeleitet von Erich Loos. Berlin 1964, Bd. 9, S. 206.
Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen. Frankfurt am Main 1978, S. 77.
Mario Erdheim: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtsein. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß. Frankfurt am Main 1984, S. 396 und 411.
Karl Heinz Bohrer: Inselphantasien. Über die Rückkehr von Freitag in Robinsons Land. In: Merkur 400 (1981), S. 981.
Karl Heinz Bohrer: Falkland und die Deutschen. Vom Ethos der Mainzelmännchen. Eine Polemik. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 112 (1982), S. 25.
Jürgen Eick: Republik der Großstädte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni (1967), S. 1.
Karl Heinz Bohrer: Die Unschuld an die Macht! Eine politische Typologie. 3. Folge: Die guten Hirten. In: Merkur 431 (1985), S. 76.
Zitat aus Bohrer: Die Unschuld an die Macht! 3. Folge: Die guten Hirten. In: Merkur 431 (1984), S. 76.
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Winter, M. (1988). Die exotische Perspektive — Karl Heinz Bohrers Englandessays. In: Wiedemann, C. (eds) Rom-Paris-London. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05555-2_40
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