Zusammenfassung
Einer der wichtigsten Beweggründe zum Gebrauch von Allegorien beruht auf dem Wunsch, Verständigungsbrücken zwischen Partnern zu bauen, die keine direkte Kommunikation miteinander verbindet, und auf ihrer Eignung zur Veranschaulichung und Konzentration auf das Wesentliche einer abstrakten Aussage. Solche Verständigungsbrücken setzen ein gemeinsames Fundament an Wissen über den Zeichenvorrat und auf beiden Seiten die Fähigkeit zur richtigen Dechiffrierung der Zeichen voraus. Fehlen diese Grundlagen, kommt es zwischen denen, die in einer Allegorie Gedanken gebündelt haben, und denen, die diese Gedanken entschlüsseln sollen, allenfalls zu einem Partialverständnis des Gemeinten. Die Verstehbarkeit resultiert nicht aus den Allegorien selbst, sondern entweder aus einem genauen Vorverständnis oder aus einer zumindest teilweisen Erklärung, der interpretatio allegorica, die ihnen zugeordnet sein muß. Implizite Allegorien ohne Erläuterung können unter Umständen aufgrund integrierter Merkmale oder des jeweiligen Kontextes als sinnfällige Begriffsverdeutlichungen erkannt werden, doch sind bei ihnen ebenso leicht Interpretationen denkbar, die sich von den Vorstellungen ihrer Urheber entfernen, wie Projektionen, über deren tatsächliche Relevanz keine sicheren Feststellungen möglich sind. Die Homer-Allegorese z.B. mußte sich mangels expliziter Aussagen über die Absicht des Epenverfassers, Abstraktionen durch sprachliche Bilder zu erklären, auf hermeneutische Projektionen beschränken, die letztlich mehr über die Denkweise der antiken Philosophenschulen als über die Vorstellungswelt und das Vorgehen Homers aussagen. Ähnliches gilt für die allegorische Schriftendeutung, deren Prämisse, daß den Büchern Alten und Neuen Testaments nicht nur die Aussagen ihres Literalsinns, sondern eine Vielzahl zusätzlicher spiritualer Bedeutungen entnommen werden könnten, zwar theologisch, nicht aber kommunikationstheoretisch beweisbar ist, weil auch in diesem Bereich zuverlässige Aussagen über die Intentionalität der Texte fehlen. Richtiges Allegorieverständnis setzt die Einsicht in das Wollen der Allegorieverfasser oder -gestalter voraus.
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Anmerkungen
Vgl. Leopold Schmidt: Rot und Blau. Zur Symbolik eines Farbenpaares, in: Ders.: Volksglaube und Volksbrauch, Berlin 1966, S. 89–99.
Vgl. Moser, S. 578–604: Die paraliturgische Anpassung. — Karl Horak: Wochentagslieder aus Münnichwies, Karpathenland (Reichenberg) 4, 1931, S. 62–66.
Mt. 7, 16–20. — Is. 33, 12.-Nah. 1, 10.-Vgl. J. B. Pitra: Spicilegium Solesmense, Paris 1852–58, II, S. 368–370.
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Moser, DR. (1979). Sinnbildsprache und Verstehenshorizont. In: Haug, W. (eds) Formen und Funktionen der Allegorie. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05550-7_25
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05550-7_25
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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