Zusammenfassung
Der Keller. Eine Entziehung erschien 1976 im Salzburger Residenz Verlag als zweiter Teil der autobiographischen Schriften von Thomas Bernhard. Der Keller schließt an die Schilderung schulischer Erfahrungen in Die Ursache an und nimmt seinen Ausgang im Entschluss des Protagonisten, das Gymnasium zu verlassen und eine Ausbildung in einem Gemischtwarenladen in der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung zu absolvieren. Der Text persifliert im Konzept der ›Entziehung‹ die häufig nach dem Muster einer fortschreitenden Erziehung und Entwicklung gestaltete traditionelle Autobiographie. Bernhard liefert Erinnerungsfetzen, nicht den durchgehend gestalteten Entwurf einer biographischen Entwicklung. In Der Keller werden die Erfahrungen während der Kaufmannsausbildung dabei leitmotivisch als eine Entwicklung in die »Gegenrichtung« beschrieben, also als eine Abgrenzung vom schulischen und kirchlichen Bildungskanon. Der Lebensmittelhändler Podlaha vermittelt dem Protagonisten die »Gegenwart als Realität« (W 10, 173), erschließt dem jungen Bernhard eine alltägliche Lebenswirklichkeit. Für den Protagonisten stellt der Keller einen Ort der »Lebensfreude« (161) dar, der ihm hilft, die desaströsen Erfahrungen aus dem Gymnasium zu überwinden, der Keller wird zum »Lebensmittel« (150). Die Konstruktion ist freilich von Antithesen und Paradoxien durchzogen, denn obwohl die Ausbildung als positive Erfahrung geschildert wird, erscheint die Scherzhauserfeldsiedlung selbst als »Schreckensviertel« (127) und »Menschenvorhölle« (134).
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Literatur
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Kramer, O. (2018). 31 Der Keller. Eine Entziehung. In: Huber, M., Mittermayer, M. (eds) Bernhard-Handbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05292-6_33
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