Zusammenfassung
Martha Craven Nussbaum ist von allen in dieser Untersuchung behandelten Autoren die mit Abstand jüngste. 1947 geboren, gehört sie als einzige zur Nachkriegsgeneration. Damit verfügt sie über einen Erfahrungshorizont, der sich generationsspezifisch von jenem der vor dem Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg Geborenen unterscheidet. Ihr Zugang zu Aristoteles ist von praktischen Fragen und politischen Problemen bewegt, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts virulent geworden sind. Dies zeigt sich wohl am deutlichsten an der Tatsache, daß Nussbaum von 1986 bis 1993 ein Forschungsprojekt der Vereinten Nationen leitete, welches Konzepte zur Messung der Lebensqualität in Entwicklungsländern erarbeiten sollte. Ihre Ergebnisse hatten nachhaltigen Einfluß auf den jährlich erstellten United Nations Development Report. Nussbaum selbst entwarf das Programm einer »Aristotelian Social Democracy« und wurde damit weit über akademische Kreise hinaus bekannt. Inzwischen liegen die entsprechenden Texte auch in deutscher Übersetzung vor, was die Rezeption weiter befördern dürfte.121 Die Frage, was an Nussbaums Entwurf aristotelisch oder »neoaristotelisch« sein könnte, spielte bislang keine herausgehobene Rolle. In dieser Untersuchung wird sie selbstverständlich ausführlich beleuchtet werden. Gleichwohl ist es dafür nötig, etwas weiter auszuholen, um die philosophische Entwicklung Nussbaums und die darin liegenden, das politische Konzept beeinflussenden Spannungen besser nachvollziehen zu können. Deshalb steht hier das gesamte philosophische Werk der Amerikanerin zur Verhandlung, was durchaus im Sinne der Fragestellung ist, da dieses Werk von Anfang an um Aristoteles kreist. Es wird sich herausstellen, daß gerade die frühen, in Deutschland weniger bekannten Arbeiten Nussbaums ein gedankliches Potential enthalten, welches ihre politischen Schriften nicht nur nicht auszuschöpfen vermögen, sondern streckenweise sogar negieren.
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Anmerkungen
Flawed Crystals: James’s The Golden Bowl and Literature as Moral Philosophy (1983, 125–147);
»Finely Aware and Richly Responsible«: Literature and the Moral Imagination (1987, 148–167);
Perceptive Equilibrium: Literary Theory and Ethical Theory (1989, 168–194);
Perception and Revolution: The Princess Casamassima and the Political Imagination (1990, 195–219);
David A. Crocker: Functioning and Capability. The Foundations of Sen’s and Nussbaum’s Development Ethic, in: Political Theory 30 (1992), 584–612.
Vgl. Patrick Gardiner: Professor Nussbaum on The Golden Bowl, in: New Literary History 15 (1983), 179–184;
Richard Wollheim: Flawed Crystals: James’s The Golden Bowl and the Plausibility of Literature as Moral Philosophy, in: New Literary History 15 (1983), 185–191.
Critical Notice of Martha C. Nussbaum: The Fragility of Goodness, in: Canadian Journal of Philosophy 18 (1988), 812f.
Shame, Separateness, and Political Unity: Aristotle’s Criticism of Plato, in: Essays on Aristotle’s Ethics, hg. von Amélie O. Rorty, Berkeley 1980, 411–415.
Christopher Bobonich: A Response to Martha Nussbaum, in: Modern Philology 90 (1993), Supplement, S79f.
David L. Gitomer: Social Justice and ›Virtuous Roots‹, in: Modern Philology 90 (1993), Supplement, S93–101.
Vgl. die kritischen Hinweise von Susan Wolf: Comments on Nussbaum, in: Women, Culture and Development. A Study of Human Capabilities, hg. von Martha Nussbaum u. Jonathan Glover, New York 1995, 110.
Vgl. die ausführliche Argumentation von David Charles: Comments on M. Nussbaum, in: Aristoteles’ »Politik«. Akten des XI. Symposium Aristotelicum, hg. von Günther Patzig, Göttingen 1990, 187–201.
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Gutschker, T. (2002). Martha Craven Nussbaum — Die Fragilität des guten Lebens. In: Aristotelische Diskurse. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05252-0_12
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