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Erzählen im historiographischen Diskurs

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Wirklichkeitserzählungen

Zusammenfassung

Die narratologische Diskussion über historiographisches Erzählen orientiert sich in der Regel an dessen Gemeinsamkeiten mit und Differenzen zum fiktionalen Erzählen. Es scheint damit zuerst einmal so, als würde historiographisches Erzählen durch die Leitdifferenz Fakt/Fiktion bzw. wahr/unwahr bestimmt.2 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die Unterscheidung textstrukturell darauf richten kann, wie Fakten oder Fiktionen dargestellt werden, oder pragmatisch darauf, was als Fakt und was als Fiktion angesehen wird. Historiographisches Erzählen ist am pragmatischen Anspruch erkennbar, auf eine außertextuelle vergangene Welt zu referieren und nicht eine eigenständige fiktionale Welt zu erschaffen. Es besteht ein Wahrhaftigkeitspakt3 zwischen Autor und Leser: Der Leser geht davon aus, dass der Historiker nach bestem Wissen und Gewissen historische Wirklichkeit darzustellen versucht. Im Rahmen der pragmatischen Unterscheidung ist es zuerst einmal nicht grundlegend, ob erst im Akt des historiographischen Erzählens Geschichte entsteht — die Vergangenheit benötigt Erzählen, um zur Geschichte zu werden4 –, sondern ob eine ›Äquivalenzbeziehung‹ zwischen Text und einer außerhalb des Textes befindlichen Wirklichkeit angenommen werden kann.5 Im weitesten Sinne ist die historiographische Erzählung also nach der in der Einleitung dieses Bandes vorgenommenen Differenzierung zwischen deskriptiver, normativer oder voraussagender Erzählung eine deskriptive Erzählung.6

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Kommentierte Auswahlbibliographie

  • Carrard, Philippe: Poetics of the New History. French Historical Discourse from Braudel to Chartier, Baltimore/London 1992. — Untersucht Texte der französischen Annales und verwandter kulturgeschichtlicher Traditionen auf ihre Makro- und insbesondere Mikrostrukturen hinsichtlich von narrativen, tropologischen, poetischen und rhetorischen Darstellungsmitteln, u.a. zu emplotment, Stimme und Perspektive; Fokus auf einen großen Textkorpus, weniger close reading einzelner Texte.

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  • Doležel, Lubomír: »Fictional and Historical Narrative. Meeting the Postmodern Challenge«, in: David Herman (Hg.): Narratologies. New Perspectives on Narrative Analysis, Columbus 1999, S. 247–273. — Der Aufsatz entwickelt eine Terminologie möglicher Welten für fiktionale und historische Welten und Leerstellen und ihre jeweilige poetische Schöpfungskraft; vertritt eine pragmatische Unterscheidung zwischen historiographischem und fiktionalem Erzählen (historischer Wahrhaftigkeitsanspruch); diskutiert verschiedene hybride Welten wie gefälschte und kontrafaktische Geschichte.

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  • Fulda, Daniel: »Why and How ›History‹ Depends on Readerly Narrativization with the Wehrmachts Exhibition as an Example«, in: Jan Christoph Meister (Hg.): Narratology beyond Literary Criticism, Berlin/New York 2005, S. 173–194. — Ein Aufsatz, der nach einer theoretischen Einführung, das »Erlesen« des Vergangenen mithilfe von neueren Ansätzen der kognitiven Narratologie (cognitive turn) in den Vordergrund rückt; thematisiert die Bedeutung von historischer Erfahrung und Kontextualisierung.

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  • Jaeger, Stephan: »Multiperspektivisches Erzählen in der Geschichtsschreibung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Inszenierungen von Geschichte zwischen Roman und Wirklichkeit«, in: Vera Nünning/Ansgar Nünning (Hg.): Multiperspektivisches Erzählen. Zur Theorie und Geschichte der Perspektivenstruktur im englischen Roman des 18. bis 20. Jahrhunderts, Trier 2000, S. 323–346. — Der Aufsatz thematisiert Multiperspektivität in der neueren Geschichtsschreibung auf der Ebene der Geschichte (histoire) und des Diskurses und zeigt die Variationsbreite zwischen geschlossenen und offenen Perspektivenstrukturen. Multiperspektivität auf der Diskursebene öffnet die Bedeutung der Texte zum Leser und führt zu hybriden — zwischen Geschichtsschreibung und Roman angesiedelten — Texten.

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  • Munslow, Alun: Narrative and History, Basingstoke/New York 2007. — Erste systematische Einführung in die narratologische Analyse historischen Erzählens aus vornehmlich struktural-dekonstruktiver Perspektive mit vorwiegend angloamerikanischen Beispielen; baut auf Genettes Unterscheidung von Geschichte (content/story), Erzählung sowie dem Akt des Erzählens auf; entwickelt die Vorstellung eines Geschichtsraums (story space); starke Betonung der sprachlichen Gemachtheit von Geschichte zuungunsten des Referentialitätskriteriums; reflektiert neben dem historiographischen Text auch andere Formen historischen Erzählens; kommentierte Empfehlungen für weiteres Lesen; Glossar der wichtigsten theoretischen Begriffe.

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  • Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung [Temps et récit 1983–1985], 3 Bde., München 1988–1991. — Anthropologisch orientierte Studie zur Beziehung von Zeit und Erzählung; Bezug zu Konzepten von Mythos, Metapher und Verfabelung; verbindet strukturale Analyse und existentiale phänomenologische Sinngebung, um den Bezug zwischen Wirklichkeit und ästhetischer Erfahrung zu zeigen; entwickelt einen dreifachen Mimesisbegriff, wodurch das Schaffende von Geschichtsschreibung deutlich wird; Geschichtsschreibung besitze eine Spurenreferenz auf das empirisch Gewesene.

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  • Roberts, Geoffrey (Hg.): The History and Narrative Reader, London/New York 2001. — Sammlung von zwischen 1960 und 2000 veröffentlichten kanonischen Texten, vorwiegend aus dem englischsprachigen Raum zum Zusammenhang von Geschichte und Erzählung; Unterkapitel zu Erzählung und historischem Verstehen, menschlichem Handeln, historischem Realismus, dem linguistic turn, Struktur und historiographischer Praxis.

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  • Rüth, Axel: Erzählte Geschichte. Narrative Strukturen in der französischen Annales-Geschichtsschreibung, Berlin/New York 2005. — Auf das close reading von vier Texten der Annales-Geschichtsschreibung beschränkte Monographie, die gerade in Auseinandersetzung mit Carrard (siehe oben), präzise erzähltheoretische Erkenntnisse mit historiographischen Einsichten zu u.a. interner und externer Fokalisierung und zur historiographischen Collage aus Erzählungen in Geschichtsschreibung aufzeigt; besondere Betonung des Kriteriums der Überprüfbarkeit sowie eines die Erkenntnismethode des Historikers offenlegenden Transparenzprinzips, um Geschichtsschreibung und Literatur zu unterscheiden; theoretische Einleitung zu linguistic und narrative turns mit Fokus auf White, Ricœur und Barthes.

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  • White, Hayden: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore/London 1973. — Einschlägige Monographie, in der in Anlehnung an die typologische Poetik des Literaturwissenschaftlers Northrop Frye am Beispiel der realistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts eine schematische Typologie historiographischer Stile (mit besonderem Schwerpunkt auf dem emplotment) entwickelt wird. Metahistory wirkte als entscheidender Katalysator für den linguistic turn in der Geschichtswissenschaft und führte zu einer Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Geschichte und Literatur.

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Christian Klein Matías Martínez

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© 2009 Springer-Verlag GmbH Deutschland

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Jaeger, S. (2009). Erzählen im historiographischen Diskurs. In: Klein, C., Martínez, M. (eds) Wirklichkeitserzählungen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05228-5_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05228-5_5

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-02250-9

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