Zusammenfassung
Helge Kminek verfolgt in seinem Beitrag die Frage, wie und mit welchen Inhalten Lehrerbildung im Fach Ethik/Philosophie gestaltet sein sollte und ist ebenfalls der Auffassung, dass diese neben einer guten fachlichen Ausbildung Anteile empirischer Unterrichtsforschung enthalten sollte. Dabei will er den Schwerpunkt auf kasuistische Fallarbeit legen. Unter Rückgriff auf Oevermann und Helsper argumentiert der Autor für einen strukturtheoretischen Ansatz in der Ausbildung von Philosophie- und Ethiklehrerinnen und -lehrern, den er gegen einen kompetenzorientierten Ansatz in Stellung bringen will. Zu den Aufgaben philosophiedidaktischer Anteile im Lehramtsstudium gehöre es in dieser Perspektive, anhand von Fallstudien die den unterrichtlichen Situationen inhärenten Strukturkonflikte aufzudecken, sie den angehenden Lehrkräften transparent zu machen und diese so zu reflektierterem unterrichtlichem Handeln anzuleiten.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Hier wie im gesamten Beitrag wird der geschlechtsneutrale Gattungsbegriff genutzt. Es sind immer alle Formen des Geschlechts eingeschlossen. Da die Ethik eine Teildisziplin der Philosophie ist, sind dann, wenn im Beitrag von Philosophieunterricht, Philosophiedidaktik usw. gesprochen wird, auch der Ethikunterricht, die Ethikdidaktik usw. immer mit gemeint. Es wird von Philosophielehrerbildung und nicht von Philosophielehrerausbildung gesprochen, weil es in diesem Beitrag Fragen der Philosophielehrerbildung an Universitäten verhandelt werden. Die Begrifflichkeit Ausbildung scheint dem Verfasser für das Referendariat angemessener. Eine offene, in dem Beitrag nicht verhandelte Frage ist, ob eine Ausbildung im Referendariat – vor dem gegenwärtigen Stand der philosophiedidaktischen Theoriebildung – sachlich angemessen ist. Es wird hier von Lehrerinnen und Lehrern und nicht von Kolleginnen und Kollegen gesprochen, um klar zu unterscheiden zwischen Kolleginnen- und Kollegen im und außerhalb des Schuldienstes.
- 2.
Das in Klammern gesetzte „schulische“ soll in Erinnerung rufen, dass es noch andere Orte der philosophischen Bildung gibt. Der Begriff Unterrichten wird in diesem Aufsatz sehr weit gefasst. Hier ist auch die außerschulische philosophische Bildung mitzudenken, beispielsweise eine mögliche philosophische Menschenrechtsbildung – im Unterschied zur Politischen und Historischen Bildung – in Gedenkstätten, auch wenn es sich hierbei um ein Desiderat der Philosophiedidaktik handelt.
- 3.
Folgender Gedanke liegt möglicherweise außerhalb einer gemeinsamen Ausgangsbasis: Dass die Frage, ob der Unterricht für die Schüler auch ein Ort des Glücks sein könnte, nicht mehr diskutiert wird, sondern überwiegend – von den opportunistischen quantitativ-forschenden Meinungsmachern – nach dem Output der Fabrik Schule gefragt wird, wäre Ausgangspunkt einer sozialphilosophischen Zeitdiagnostik.
- 4.
Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass die Studierenden die fachlichen Inhalte so sehr vermissen, dass sie verspüren, sie hätten nichts zu vermitteln, wenn sie sich die fachwissenschaftlichen Inhalte nicht im Selbststudium aneigneten und dann entsprechend ein Selbststudium organisieren und absolvieren. Unwahrscheinlich ist, dass die Mehrheit der Studierenden ein entsprechendes Selbststudium absolviert, allein schon deshalb, weil die Studienordnungen einen solchen Umfang haben und einen solchen Druck erzeugen, dass die Zeit für ein Selbststudium deutlich eingeschränkt ist. Hinzukommt der allgemeine gesellschaftliche Wandel, der die Erwartung schürt, dass die Studierenden das Studium innerhalb der Regelstudienzeit abschließen.
- 5.
Ob dies gar dazu führen sollte, dass die Lehrer nur noch ein einziges Fach unterrichten, also hier lediglich Philosophie oder Ethik, und dementsprechend auch nur ein Fach studieren, ist eine weiterführende Frage, die hier nur angerissen werden kann.
- 6.
Das ist auch nicht verwunderlich, sondern vor dem Hintergrund des Handlungsdruckes äußerst nachvollziehbar. Der Verfasser beansprucht nicht, es besser zu können.
- 7.
Beide Folgerungen gelten im Prinzip auch für die Fortbildung der Philosophielehrer.
- 8.
Siehe www.apaek.de.
- 9.
Das heißt, die universitäre Philosophiedidaktik muss ihre Theorieentwicklung mit guten Gründen der Praxis gegenüber ausweisen können.
Literatur
Fend, H. 2002. Mikro- und Makrofaktoren eines Angebot-Nutzungsmodells von Schulleistungen. Gasteditorial. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 16 (3/4): 141–149.
Fend, H. 2008. Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. Wiesbaden: VS Verlag.
Helmke, A. 2009. Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität erfassen, bewerten, verbessern. Stuttgart: Klett.
Kminek, H. 2018. Philosophie und Philosophieren im Unterricht. Empirische Erschließung einer widersprüchlichen Praxis. Opladen: Budrich.
Kminek, H. 2020. Zur „Philosophiedidaktik der Praxis“ und ihren Grundlagen. In Philosophische Bildung und Didaktik – Dimensionen, Vermittlungen, Perspektiven, Hrsg. C. Thein. Wiesbaden: VS Verlag (im Erscheinen)
Pollmanns, M., C. Leser, H. Kminek, S. Kabel, und R. Hünig. 2017. Professionalisierung durch kasuistisch ausgerichtete Schulpraktische Studien? Analysen studentischer Fallarbeit. In Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien. Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte-Begleitformate, Hrsg. U. Fraefel und A. Seel, 179–194. Münster: Waxmann.
Twardella, J. 2015. Pädagogische Kasuistik. Fallstudien zu grundlegenden Fragen des Unterrichts. Opladen: Budrich.
Weinert, F.E. 2001. Vergleichende Leistungsmessung in Schulen. Eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In Leistungsmessungen in Schulen, Hrsg. F.E. Weinert, 17–32. Weinheim: Beltz.
Weiterführende Literatur
Baumert, J., und M. Kunter. 2006. Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9 (4): 469–520.
Böhme, J. 2008. Qualitative Schulforschung auf Konsolidierungskurs: interdisziplinäre Spannungen und Herausforderungen. In Handbuch der Schulforschung, Hrsg. W. Helsper und J. Böhme, 125–155. Wiesbaden: VS Verlag.
Combe, A., und W. Helsper. 1996. Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Freud, S. 1999. Die endliche und die unendliche Analyse. In Schriften zur Behandlungstechnik, Studienausgabe. Ergänzungsband, 3 Aufl, Hrsg. S. Freud, 351–392. S. Fischer: Frankfurt a. M.
Friebertshäuser, B., Hrsg. 2013. Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim: Beltz-Juventa.
Geier, T., und M. Pollmanns, Hrsg. 2015. Was ist Unterricht? Zur Konstitution einer pädagogischen Form. Wiesbaden: Springer VS.
Gruschka, A. 1985. Von Spranger zu Oevermann. Über die Determination des Textverstehens durch hermeneutische Methode und zur Frage des Fortschritts innerhalb der interpretativen Verfahren der Erziehungswissenschaft. Zeitschrift für Pädagogik 31 (1): 77–95.
Gruschka, A. 2002. Didaktik – das Kreuz mit der Vermittlung. Elf Einsprüche gegen den didaktischen Betrieb. Wetzlar: Büchse der Pandora.
Gruschka, A. 2005. Auf dem Weg zu einer Theorie des Unterrichtens: Die widersprüchliche Einheit von Erziehung, Didaktik und Bildung in der allgemeinbildenden Schule. Vorstudie. Frankfurt a. M.: Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.
Gruschka, A. 2008. Präsentieren als neue Unterrichtsform. Die pädagogische Eigenlogik einer Methode. Opladen: Budrich.
Gruschka, A. 2009. Erkenntnis in und durch Unterricht. Empirische Studien zur Bedeutung der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie für die Didaktik. Wetzlar: Büchse der Pandora.
Gruschka, A. 2010. An den Grenzen des Unterrichts. Opladen: Budrich.
Gruschka, A. 2011. Pädagogische Forschung als Erforschung der Pädagogik. Eine Grundlegung. Opladen: Budrich.
Gruschka, A. 2013. Unterrichten – eine pädagogische Theorie auf empirischer Basis. Opladen: Budrich.
Helsper, W. 1996. Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pädagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit. In Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Hrsg. A. Combe und W. Helsper, 521–569. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Helsper, W. 2001. Antinomien des Lehrerhandelns. Anfragen an die Bildungsgangdidaktik. In Bildungsgangdidaktik. Perspektiven für Fachunterricht und Lehrerbildung, Hrsg. U. Hericks, J. Keuffer, H.C. Kräft, und I. Kunze, 83–103. Opladen: Leske und Budrich.
Helsper, W. 2004. Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit – ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln. In Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung, Hrsg. B. Koch-Priewe, F.-U. Kolbe, und J. Wildt, 49–98. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Helsper, W. 2007. Eine Antwort auf Jürgen Baumerts und Mareike Kunters Kritik am strukturtheoretischen Professionsansatz. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10 (4): 567–579.
Helsper, W. 2014. Lehrerprofessionalität – der strukturtheoretische Professionsansatz zum Lehrberuf. In Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, Hrsg. E. Terhart, H. Bennewitz, und M. Rothland, 216–240. Münster: Waxmann.
Helsper, W., und J. Böhme, Hrsg. 2008. Handbuch der Schulforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Helsper, W., und M. Hummrich. 2008. Arbeitsbündnis, Schulkultur und Milieu – Reflexionen zu Grundlagen schulischer Bildungsprozesse. In Paradoxien in der Reform der Schule. Ergebnisse qualitativer Sozialforschung, Hrsg. G. Breidenstein und F. Schütze, 43–72. Wiesbaden: VS Verlag.
Keller-Schneider, M. 2016. Entwicklung der Wahrnehmung und Bearbeitung beruflicher An-forderungen in Praxisphasen mit zunehmend komplexer werdenden Anforderungen. In Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien, Hrsg. J. Košinár, S. Leineweber, und E. Schmid, 155–172. Münster: Waxmann.
Kminek, H. 2017. Zur grundlegenden Begründung einer empirisch gewendeten Philosophiedidaktik. In Zwischen Präskription und Deskription – Zum Selbstverständnis der Philosophiedidaktik, Hrsg. H. Kminek, R. Torkler, und C. Thein, 13–28. Opladen: Budrich.
Košinár, J., E. Schmid, und N. Diebold. 2016. Anforderungswahrnehmung und -bearbeitung in den berufspraktischen Studien. Rekonstruktion typisierter Relationen von Orientierungen Studierender. In Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien, Hrsg. J. Košinár, S. Leineweber, und E. Schmid, 139–154. Münster: Waxmann.
Martens, E. 2013. Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik. Hannover: Siebert.
Oevermann, U. 1983. Zur Sache. Die Bedeutung von Adornos methodologischem Selbstverständnis für die Begründung einer materialen soziologischen Strukturanalyse. In Adorno-Konferenz 1983. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 460, Hrsg. L. von Friedeburg und J. Habermas, 234–289. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Oevermann, U. 1993. Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität. Zugleich eine Kritik der Tiefenhermeneutik. In „Wirklichkeit“ im Deutungsprozeß, Hrsg. T. Jung und S. Müller-Doohm, 106–189. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Oevermann, U. 1996. Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Hrsg. A. Combe und W. Helsper, 70–182. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Oevermann, U. 2000. Die Methode der Fallrekonstruktion in der Grundlagenforschung sowie der klinischen und pädagogischen Praxis. In Die Fallrekonstruktion. Sinnverstehen in der sozialwissenschaftlichen Forschung, Hrsg. K. Kraimer, 58–157. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Oevermann, U. 2002. Klinische Soziologie auf der Basis der Methode der objektiven Hermeneutik – Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung. http://www.ihsk.de/publikationen/Ulrich_Oevermann-Manifest_der_objektiv_hermeneutischen_Sozialforschung.pdf. Zugegriffen: 12. Feb. 2018.
Oevermann, U. 2005. Wissenschaft als Beruf. die hochschule 14 (1): 15–51.
Oevermann, U. 2008. Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule. In Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule, Hrsg. W. Helsper, S. Busse, M. Hummrich, und R.-T. Kramer, 55–77. Wiesbaden: VS Verlag.
Ohlhaver, F. 2009. Der Lehrer „riskiert die Zügel des Unterrichts aus der Hand zu geben, da er sich nun auf die Thematik der Schüler einläßt“. Typische Praxen von Lehramtsstudenten in fallrekonstruktiver pädagogischer Kasuistik. Pädagogische Korrespondenz 39:21–45.
Pfister, J. 2010. Fachdidaktik Philosophie. Bern: Haupt.
Rohbeck, J. 2010. Didaktik der Philosophie und Ethik. Dresden: Thelem.
Schlag, S., und V. Hartung-Beck. 2016. Lerntagebücher im Praxissemester der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Reflexionsfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen des Praxissemesters. In Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien, Hrsg. J. Košinár, S. Leineweber, und E. Schmid, 221–235. Münster: Waxmann.
Steenblock, V. 2007. Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophiedidaktik und Handbuch: praktische Philosophie. Berlin: LIT.
Terhart, E. 2001. Lehrerberuf und Lehrerbildung. Forschungsbefunde, Problemanalysen, Reformkonzepte. Weinheim: Beltz.
Terhart, E. 2011. Lehrerberuf und Professionalität: Gewandeltes Begriffsverständnis – Neue Herausforderungen. In Pädagogische Professionalität. Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 57, Hrsg. W. Helsper, und R. Tippelt, 202–224. Weinheim: Beltz.
Terhart, E., H. Bennewitz, und M. Rothland, Hrsg. 2011. Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. Münster: Waxmann.
Weber, M. 2011. Wissenschaft als Beruf. Berlin: Duncker & Humblot.
Wernet, A. 2006. Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. Wiesbaden: VS Verlag.
Wernet, A. 2011. „Mein erstes Zeugnis“. Zur Methode der Objektiven Hermeneutik und ihrer Bedeutung für die Rekonstruktion pädagogischer Handlungsprobleme. http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/wpcontent/uploads/2010/07/wernet_objektive_hermeneutik.pdf. Zugegriffen: 12. Feb. 2018.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2020 Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Kminek, H. (2020). Zur Lehre der Philosophiedidaktik aus der Sicht der „Philosophiedidaktik der Praxis“. In: Torkler, R. (eds) Fachlichkeit und Fachdidaktik. Ethik und Bildung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05173-8_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05173-8_6
Published:
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-05172-1
Online ISBN: 978-3-476-05173-8
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)