Zusammenfassung
In seinem Beitrag „Paul Natorp über das Verhältnis von Philosophie und Psychologie“ stellt Henning Peucker im Ausgang von Hegel und in seiner Gegenüberstellung zu Kant erst einmal die unterschiedlichen Aufgaben von Philosophie und Wissenschaft heraus. Denn während die Wissenschaften um Objektivierung, immer exaktere Gegenstandsbestimmungen bemüht sind, fällt der Philosophie die Aufgabe zu, nach den Möglichkeiten solcher Erkenntnisse zu fragen und diese zu sichern. Von dieser Unterscheidung aus wendet sich Peucker der Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Psychologie zu. Gleichsam stellt er die Frage nach dem der Psychologie eigentümlichen Charakter und ihrem Gegenstand. Dieser Charakter gründet sich darauf, dass sich das Subjekt nach Natorp nicht wie andere Gegenstände objektivieren lässt. Was aber, so fragt Peucker, kann dann als Gegenstand der Psychologie gelten. Um dieser Frage nachzugehen, weist Peucker auf die drei Momente hin, welche das „Faktum des bewussten Erlebens“ ausmachen, nämlich das erlebende Subjekt, der erlebte Gegenstand und das Verhältnis beider zueinander. Dabei stellt Peucker heraus, dass allein der Inhalt für eine psychologische Untersuchung geeignet ist. Anders allerdings als in den Wissenschaften geht es in der Psychologie nicht um Objektivierung desselben, sondern um eine in entgegengesetzter Richtung ablaufende Subjektivierung, verstanden als Rekonstruktion der kategorialen Voraussetzungen einer jeweiligen Objektivierung.
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Notes
- 1.
- 2.
Köhnke (1986) hat den zunehmenden Einfluss von neukantianisch geprägten Philosophen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfassend untersucht.
- 3.
Natorp (1980).
- 4.
- 5.
Natorp (2008), S. 23.
- 6.
Ebd.
- 7.
Der nicht erreichbare Endpunkt der objektiv gerichteten Gegenstandserkenntnis hätte gemäß Natorp die „Gestalt einer abstrakten Weltformel, aus der alles Einzelgeschehen bis zum letzten zurück ableitbar […] wäre“. Natorp (1912), S. 224.
- 8.
Natorp (2008), S. 38.
- 9.
Mit diesem Verständnis ist natürlich eine klare Abgrenzung von Kants Verständnis der Logik gegeben, dem gemäß diese Disziplin seit Aristoteles keine Fortschritte gemacht hat.
- 10.
Natorp (2008), S. 36.
- 11.
Natorps Allgemeine Psychologie nimmt nicht nur im Untertitel die zentralen Gliederungspunkte aus der früheren Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode von 1888 wieder auf, sondern wiederholt auch in inhaltlicher Hinsicht mehrfach explizit Formulierungen und Gedanken aus der früheren Schrift.
- 12.
Natorp (1980).
- 13.
Natorp (1912), S. 8.
- 14.
- 15.
- 16.
Natorp (1912), 190 f. Zu Natorps direkter Kritik an Diltheys Idee einer beschreibenden Psychologie vgl. ebd. S. 290 ff.
- 17.
- 18.
Natorp (1888), 13. Vgl. ebd. S. 11: „Das Ich, als allgemeiner Beziehungspunkt zu allen bewussten Inhalten, kann selbst nicht Inhalt des Bewusstseins werden, da es vielmehr Allem, was Inhalt sein kann, schlechthin gegenübersteht. […] Das Ich lässt sich nicht zum Gegenstand machen, weil es vielmehr allem Gegenstand gegenüber dasjenige ist, dem etwas Gegenstand ist.“
- 19.
Vgl. Natorp (1888), S. 14 f.
- 20.
Vgl. zu dieser seit den Arbeiten von Dieter Henrich und Ulrich Potthast viel diskutierten Problematik des Selbstbewusstseins exemplarisch Manfred Frank (1991).
- 21.
Natorp (1912), S. 60.
- 22.
Vgl. Natorp (2008), S. 131 f.
- 23.
Natorp (2008), S. 131.
- 24.
Natorp (2008), S. 134.
- 25.
Natorp (1912), S. 202.
- 26.
Methodisch erinnert Natorps Methode der regressiven Rekonstruktion von subjektiven Erkenntnisgehalten aus vollzogenen Objektivierungen an Husserls Methode des „Abbaus“ von höherstufigen Sinnelementen durch ein gezieltes Außer-Geltung-Setzen von diesen.
- 27.
Natorp (1912), S. 196.
- 28.
Natorp (1912), S. 197.
- 29.
Vgl. Natorp (1912), S. 209.
- 30.
Vgl. Natorp (1912), S. 241.
- 31.
Ebd. S. 248.
- 32.
Ebd. S. 241.
- 33.
Natorp (1912), S. VII.
- 34.
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Peucker, H. (2019). Paul Natorp über das Verhältnis von Philosophie und Psychologie. In: Kessel, T. (eds) Philosophische Psychologie um 1900. Abhandlungen zur Philosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05092-2_9
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