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Begegnungen mit Kunst und Schmetterlingen: The Lover von Kristina Buch

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  • First Online:
Animal Encounters

Part of the book series: Cultural Animal Studies ((CAS,volume 4))

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Zusammenfassung

Die Arbeit The Lover von Kristina Buch stellte das Herzstück der documenta 13 im Jahr 2012 dar: Die Installation in Form eines Gartens war mitten auf dem zentralen Friedrichsplatz ausgestellt. Insgesamt 3000 Tagfalter zog die Künstlerin im Verlauf der Ausstellung auf und setzte sie in dem Garten aus, dessen Pflanzenauswahl ideal an die Schmetterlinge angepasst war. Nicht nur kunstwissenschaftliche Überlegungen stößt ihr Einsatz lebendiger Tiere als Kunstmaterial an, sondern auch Besonderheiten einer Begegnung lassen sich daran ableiten. Buchs Aufbau der Garteninstallation nahm die Bedürfnisse der Schmetterlinge ernst und überließ es den Schmetterlingen sich auch aus dem Kunstwerk heraus zu bewegen. Nicht nur waren die Schmetterlinge damit ästhetische Akteure, sondern auch frei darin Betrachter/innen zu begegnen oder ihnen auszuweichen. In dieser „Lebensgeste“, wie Buch die Kunstform nennt, werden Fürsorge, Empathie und Neugierde zu den Bedingungen einer Begegnung zwischen verschiedenen Tieren und einer Kunsterfahrung gleichermaßen.

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Notes

  1. 1.

    Dieser Platz – eine große, freie Fläche vor dem Fridericianum – liegt genau zwischen der documenta-Halle, der St. Elisabeth Kirche und dem Naturhistorischen Museum in Kassel und ist damit ein zentraler Platz jeder documenta.

  2. 2.

    Dass Hirst im Jahr 2003 der größte Importeur von Schmetterlingen in Großbritannien war, verdeutlicht den Einfluss seiner Arbeit zumindest in zahlenmäßiger Hinsicht. Für den riesenhaften Verbrauch von Schmetterlingen für die Kunst lässt sich in Anbetracht dieser Massenlogik eine ähnliche Beobachtung wie schon für den Einsatz von lebendigen Tieren für Experimente machen, namentlich die Feststellung einer Verbrauchsorientierung, in der das Ziel – hier wissenschaftliche Erkenntnis, dort ästhetische Innovation – jeglichen Verbrauch von lebendiger Materie zu rechtfertigen scheint und darüber hinaus auch zu einem Demonstrationsmittel von Wissen und Macht genutzt wird. Es ist außerdem bekannt, dass er seine Schmetterlinge nur von nachhaltig wirtschaftenden Schmetterlingsfarmen bezieht (Aloi, Animal Studies 20).

  3. 3.

    Hierzu nutzt sie die noch in den Kokons reifenden Puppen und verändert die Flügel mittels einer heißen Nadel, ein Vorgehen, das sie von Experimenten aus der Entwicklungsbiologie übernommen hat. Wenn die Schmetterlinge letztlich schlüpfen, weisen die Flügel unterschiedliche Muster auf. Sie nutzt hierfür zwei afrikanische Schmetterlingsspezies, die sehr distinkte Augen und Färbungen auf ihren Flügeln aufweisen und denen sie durch die heiße Nadel neue Muster hinzufügt (Stracey 498).

  4. 4.

    Auch wenn de Menezes betont, dass diese Intervention die Schmetterlinge nicht verletzt, haben Entomologen Kritik aufgrund der Tatsache geäußert, dass bereits Puppen als empfindsame Wesen betrachtet werden können und die Flügel von Schmetterlingen Blutbahnen und Atmungsbahnen beinhalten, also komplexe und schmerzempfindliche Bereiche seien (Aloi, Art 79).

  5. 5.

    Zahlen über den Verbrauch von Schmetterlingen in dieser Ausstellung wurden nicht veröffentlicht, es ist aber davon auszugehen, dass ihr Überleben durch die Überwachung im Vergleich zu In and Out of Love wahrscheinlicher war. Ein paradigmatisches Beispiel des Klimaeinflusses auf Schmetterlinge war etwa 2012 beobachtbar, als die Monarchfalter ihre jährlichen Wanderungen unerwartet abänderten und tausenderweise starben. Dies nutzte etwa Barbara Kingsolver als literarische Vorlage für ihr Buch, das eine Milieustudie mit einem umweltaktivistischen Anliegen verbindet (2012).

  6. 6.

    Schmetterlinge, kann man mit Blick auf die naturwissenschaftlichen wie auch kunstwissenschaftlichen Einsatzfelder festhalten, sind Generatoren von menschlicher Erkenntnis. Ihr Verbrauch in großen Mengen für die Kunst ist dabei kein Ausnahmefall, wie ein Blick auf naturwissenschaftliche Sammlungen zeigt. In der Staatssammlung in München lagern etwa 10 Mio. Schmetterlinge. An der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft lässt sich die ästhetische Praxis der Künstlerin Maria Sibylla Merian beschreiben, die die Entwicklungen der modernen Entomologie durch ihre künstlerische Forschung und ihre Zeichnungen um 1700 vorantrieb, etwa durch ihr Buch Metamorphosis insectorum Surinamensium, in dem sie ihre Erkenntnisse über den Lebenszyklus von Insekten in Suriname 1705 veröffentlichte. Ihr Erkenntnisgewinn durch Schmetterlinge war einerseits ästhetisch motiviert, prägte aber andererseits auch die wissenschaftliche Kategorisierung der Tiere und demonstriert den wichtigen Status von Schmetterlingen für beide Bereiche (Merian et al.).

  7. 7.

    Die komplette Materialliste lautet wie folgt: „‚Der Liebende‘, Gerüststrukturen, Erde, Pflanzen, Tagfalter, ein Ritual entsteht, ohne dass es geplant ist. Der Wind, die Möglichkeit zur Freiheit. Eine Ungewissheit und Hoffnung, ein Abgrund des weiten Offenen. Das Ephemere und das vermeintlich Vergebliche, ein Anfang, aber kein Ende.“ Übersetzung aus dem Englischen von Helga Meister (37).

  8. 8.

    Insbesondere mit der Sinnlichkeit des Windes operierte auch eine andere Arbeit der documenta 13. Für sein Werk I Need Some Meaning I Can Memorize (The Invisible Pull) leerte Ryan Gander die Ausstellungsräume im Erdgeschoss des Fridericianums völlig. Ein Luftzug, der durch die leeren Räume wehte, war das Kunstwerk, das man spüren musste, um es zu erfahren (Weiss 74).

  9. 9.

    Wobei natürlich die Pflanzen ebenso wie die Tiere nicht gänzlich der Kontrolle der Künstlerin unterstehen. Auf die Wuchsrichtung der Pflanzen etwa hat die Künstlerin nur bedingt Einfluss.

  10. 10.

    Fraglich ist allerdings, wie viele Betrachter/innen die Schmetterlinge tatsächlich gesehen haben. Die Möglichkeit, dass Buch niemals Schmetterlinge ausgesetzt hat, sondern nur eine Geschichte von einer Schmetterlingsaufzucht erzählt hat, wird an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden, wäre aber in Anbetracht der Bedeutung von Fiktionalität in ihrem Werk für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Buchs Oeuvre von Interesse.

  11. 11.

    Beuys hatte 7000 Basaltsäulen keilförmig vor dem Friedericianum auf dem Friedrichsplatz aufschichten lassen. Bis zur darauffolgenden documenta 8 im Jahr 1987 sollten alle Steinsäulen in der Stadt verteilt werden. Dies geschah, indem jede Säule innerhalb des folgenden fünf Jahre einer frisch gepflanzten Eiche in Kassel beigegeben und neben ihr vertikal aufgerichtet wurde. Die Säulen waren für je 500 DM käuflich zu erwerben. Für eine Beschreibung der Aktion und eine Analyse aus materialästhetischer Perspektive (Wagner 179).

  12. 12.

    Basalt ist aufgrund seiner spröden Struktur fast nicht zu bearbeiten und fand daher anders als beispielsweise Marmor kaum Einsatz als künstlerisches Material für die Herstellung von Skulpturen. Beuys’ Nutzung des Basalts als künstlerisches Material kann daher als äußerst ungewöhnliche Wahl verstanden werden, die nicht nur dessen materielle Eigenschaften, sondern auch seine verschiedenen historischen und symbolischen Ebenen miteinbezieht und sie für sein Kunstverständnis fruchtbar machte (Wagner 180).

  13. 13.

    Eine Vitrine mit den Hüllen sowie eine Fotoserie der Installation kauften später das Museum Kunstpalast in Düsseldorf durch die Sparkassenstiftung. Sie sind auch die einzigen materiellen Artefakte der Installation, die übrigblieben – sieht man von den ausgesetzten, aber nicht mehr identifizierbaren Schmetterlingen einmal ab (Meister 38).

  14. 14.

    Das Kunstwerk endet in der Tat mit einem Punkt. In dieser Konzeptarbeit imitieren zwei Bilder jeweils ein Bild von Kasimir Malewitsch (das schwarze Quadrat) und von Barnett Newman (eine grau-rosafarbene Replik). Beide Künstler vereint, dass sie sich „auf abstrakte Weise mit Ikonenmalerei“ beschäftigten. Die Parallelisierung zwischen dem Küssen von Ikonenbildern und dem Küssen bzw. Ablecken der Bilder liefert eine zusätzliche Bedeutungsebene zwischen religiösen und säkularen Kunstwerken sowie der Frage nach dem Umgang und der Bewertung von Sichtbarem als Repräsentant für einen unsichtbaren Wert (Meister 40–41).

  15. 15.

    Die letzte Ausstellung, die bekanntermaßen Goliath zeigte, fand im MALBA in Buenos Aires statt. Dort hing nur noch das Titelschild der Arbeit zwischen den anderen Werken südamerikanischer Künstler/innen. Die Arbeit schien „in den südamerikanischen anthropo-theophagischen Bauch verschwunden zu sein, als sei die Arbeit wie ein heiliger Feind schlussendlich absorbiert worden, um das Fremde in radikal neue Formen des Eigenen zu anabolisieren“. Es ist noch nicht einmal sicher, dass die Werke überhaupt existieren. Die von ihnen veröffentlichten Fotos könnten ebenso gut inszeniert worden sein. Goliath war ihre Abschlussarbeit an der Kunstakademie Düsseldorf 2013, jedoch legte sie nicht die Bilder selbst, sondern lediglich drei journalistische Publikationen als Arbeit vor. Buchs Spiel mit Fiktion ist auch an einem anderen Werk gut erkennbar, Some at times cast light (Manche werfen, gießen, betonieren, verteilen manchmal Licht). Hierfür ließ sie 2015 „einen Platz durch Ratsbeschluss nach einer fiktiven Frau Grete-Penelope Mars benennen“ und installierte ein Straßenschild und eine Bronzebüste zur Erinnerung dieser fiktionalen Persönlichkeit. Auch Tiere kamen in diesem Werk vor: So setzte Buch Glühwürmchen aus, die zu für einen kurzen Zeitraum (d. h. Ende Juni, Anfang Juli) im Jahr leuchten. Neben feministischen Lesarten dieses Werkes – so der Geschichtlichkeit und Realität vom Bild der Frau in der Gesellschaft – sind auch Tiere, aber eben auch das Vermengen von Fiktion und Realität in Bezug auf das Bild der Frau, Interpretationsansätze bzw. Mittel von Buchs künstlerischer Arbeit (Meister 42).

  16. 16.

    „Inherent in the work is the fact that you cannot really contain or control it. You can’t own it. By nature it’s boundless and ephemeral.“ (Ricciardi), Übersetzung N.D.

  17. 17.

    Religiöse Bezüge in Buchs Arbeit liegen auch deswegen nahe, weil die Künstlerin vor ihrem Kunststudium Biologie und evangelische Theologie studiert hatte (Kunsthalle Bremerhaven).

  18. 18.

    Originalzitat: „I set parameters and between those parameters life can play and unfold itself in unexpected ways.“ (Buch)

  19. 19.

    „What we need to do when we are trying to empathize with very different others is to understand as best we can what the world seems, feels, smells, and looks like from their situated position.“ (Gruen 66), Übersetzung N.D.

  20. 20.

    Die korrekte Bezeichnung lautet: „Hessisches Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“.

  21. 21.

    Sie achtete auch auf die natürliche Schlupfzeit der Tiere und versetzte die ungeschlüpften Puppen im Kühlschrank in eine längere Winterruhe, bis der Kalender die ideale Jahreszeit anzeigte.

  22. 22.

    Dies zeigt sich unter anderem auch daran, dass auch Kristina Buch Tiere für ihre Arbeiten tötet, wie etwa bei ihrer Arbeit Sole Marie Sits (2013), in der sie einen Fisch in einer Ausstellung tötete und dann filetierte.

  23. 23.

    Etwa in ihrer Lebensgeste mit einem Hasen unter dem Titel Two Monks and a Rabbit or A Cosmic Hunger Based on and Dedicated to a Carrot (2013) oder auch ihre expansive Video und Textarbeit „One of the things that baffles me about you is that you remain unmurdered.“ (2013).

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Dreyer, N. (2019). Begegnungen mit Kunst und Schmetterlingen: The Lover von Kristina Buch. In: Böhm, A., Ullrich, J. (eds) Animal Encounters. Cultural Animal Studies, vol 4. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04939-1_13

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04939-1_13

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-04938-4

  • Online ISBN: 978-3-476-04939-1

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