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Frank Witzel pp 169–198Cite as

Die RAF, in C-Dur erzählt. Zur Transzendierung von RAF-Narrativen in Frank Witzels Die Erfindung

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Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 4))

Zusammenfassung

Der Artikel widmet sich der Form und Funktion der über den Titel prominenten RAF-Narrativierung im Sinnzusammenhang des Romans. Gezeigt wird, dass die Faktur von Die Erfindung insgesamt auf einen gleichermaßen traditionsreichen wie vielgestaltigen RAF-Diskurs reagiert, an den er anknüpft, indem er ihn zitiert, variiert und letztlich überbietet. Rekonstruiert wird dieses Ineinander von Norm und Abweichung bzw. Überbietung qua Transzendierung in drei Schritten: Zunächst werden die groben Linien des vorgängigen RAF-Diskurses nachgezogen, um dann in einem zweiten Argumentationsschritt deren Kontur in Die Erfindung erkennen zu können, im spezifischen Verhältnis von Nachbildung und Überbietung; untergliedert ist dieser Hauptteil des Aufsatzes in Auseinandersetzungen mit den Aspekten der Fiktionalität, der Narration, der Ikonografie sowie der Reaktualisierung der Frühromantik. Von diesen Befunden aus wird schließlich ein Schlaglicht darauf geworfen, welche ‚Erfindungen‘ der Erfindung in Witzels Werkbiographie noch folgten.

I sat down to write a simple story

Which maybe in the end became a song

The words have all been writ by one before me

We’re taking turns in trying to pass them on.

Oh, we’re taking turns in trying to pass them on.

Procol Harum, Pilgrims Progress

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Notes

  1. 1.

    Genauer müsste es heißen, dass Arnim Dahl der bekannte Stuntman war. Bei Frank Witzel wird er konsequent als Armin Dahl geführt, was schwerlich eine Unachtsamkeit des Autors ist, sondern sich im Sinnzusammenhang des Romans eher als Zeichen der Fiktionalisierung von Realgeschichte verstehen lässt.

  2. 2.

    Alle vorangehenden Zitate: Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Berlin 2015, 571–575 (im Folgenden als „Erfindung“ mit Seitenzahl im Fließtext nachgewiesen).

  3. 3.

    Nicole Henneberg: „Lebenskrisen in Zeiten des Umbruchs“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.09.2015.

  4. 4.

    Fokke Joel: „Reibe deine Seele“. In: Die Zeit, 21.05.2015: https://www.zeit.de/kultur/literatur/2015-06/erfindung-raf-teenager-frank-witzel (01.01.2019).

  5. 5.

    Thomas Andre: „Die alte Bundesrepublik als Irrenanstalt“. In: Der Spiegel, 12.10.2015: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/deutscher-buchpreis-fuer-frank-witzel-die-alte-bundesrepublik-als-irrenanstalt-a-1057453.html (01.01.2019).

  6. 6.

    Alban Nikolai Herbst: „Die aller Welten unschlüssigste“. In: Volltext, Juli 2015.

  7. 7.

    Rupert Weinzierl: Fight the Power! Eine Geheimgeschichte der Popkultur und die Formierung neuer Substreams. Wien 2002, 58.

  8. 8.

    Deutsch Amerikanische Freundschaft: „Kinderzimmer“. Auf: Fünfzehn neue DAF-Lieder. Berlin: Superstar/Universal 2003. Vgl. hierzu Christian Jäger: „Die ‚härteste Band von allen‘. Terrorismus in der gegenwärtigen Literatur und Populärkultur“. In: Matteo Galli/Heinz-Peter Preusser (Hg.): Mythos Terrorismus. Vom Deutschen Herbst zum 11. September. Heidelberg 2006, 117–127.

  9. 9.

    Siehe hierzu ausführlich Christoph Jürgensen: „Geliebter Feind. Literarische (Re-)Konstruktionen des ‚Deutschen Herbstes‘ 1977“. In: Christer Petersen/Jeanne Riou (Hg.): Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien. Bd. 3: Terror. Kiel 2008, 221–258.

  10. 10.

    Friedrich Christian Delius: Himmelfahrt eines Staatsfeindes. Reinbek bei Hamburg 1992, 438.

  11. 11.

    Ebd., 437.

  12. 12.

    Ebd., 457.

  13. 13.

    Ebd., 442.

  14. 14.

    Ebd., 498 f.

  15. 15.

    Ebd., 630.

  16. 16.

    Ebd., 508.

  17. 17.

    Ebd., 435; Hervorh. im Orig.

  18. 18.

    Leander Scholz: Rosenfest. München/Wien 2001, 121.

  19. 19.

    Jäger: „Die ‚härteste Band von allen‘“ (wie Anm. 8), 119.

  20. 20.

    Gleich der erste Satz weist jeden Gedanken an ein realistisches Szenario zurück und setzt den Roman vielmehr ins Zeichen des Märchens: „Als Hänsel gefangengenommen wurde, ging Gretel ins Kaufhaus, um sich eine rote Bluse zu kaufen. Als Gretel an der Kasse gefangengenommen wurde, sagte sie zu den Häschern, was für ein Glück, und sie gab die Bluse zurück.“ Scholz: Rosenfest (wie Anm. 18), 7, Hervorh. im Orig.

  21. 21.

    Dabei greift der Roman übrigens, gleichsam ein Mythos zweiter Ordnung, auf die berühmten verwischten Bilder von Astrid Proll zurück. Astrid Proll: Hans und Grete: die RAF 67–77. Göttingen 1998.

  22. 22.

    In Baader (Regie: Christopher Roth. Deutschland 2002), der eine ähnliche popkulturelle Signatur aufweist, stirbt der ‚Titelheld‘ dann tatsächlich, und zwar in den Armen des von Vadim Glowna gespielten BKA-Chefs – so wie einige Jahre vorher Robert de Niro in Al Pacinos Armen gestorben war, in Michael Manns Heat (1995).

  23. 23.

    So Scholz im Interview in: Carsten Gansel/Norman Ächtler: „‚Das Spiel mit Namen und Fakten‘. Gespräch mit Leander Scholz über den Roman ‚Rosenfest‘“. In: Dies. (Hg.): Ikonographie des Terrors? Formen ästhetischer Erinnerung an den Terrorismus in der Bundesrepublik 1978–2008. Heidelberg 2010, 403–413, hier 406.

  24. 24.

    Frank Witzel: „Nenn nie ne Chiquita nur Banane“. In: Ders.: Stille Tage in Cliché. Hamburg 1978, 15–24, hier 15.

  25. 25.

    Ebd.

  26. 26.

    Ebd.

  27. 27.

    Ebd., 16.

  28. 28.

    Ebd.

  29. 29.

    Ebd.

  30. 30.

    Ebd.

  31. 31.

    Ebd., 17.

  32. 32.

    Ebd., 18.

  33. 33.

    Ebd., 19.

  34. 34.

    Ebd., 21 (Hervorh. im Orig.).

  35. 35.

    Ebd.

  36. 36.

    Ebd., 22 (Hervorh. im Orig.).

  37. 37.

    Ebd.

  38. 38.

    Ebd., 24.

  39. 39.

    Ebd. (Hervorh. im Orig.).

  40. 40.

    Peter Wapnewski: „Himmliches Vergnügen in r. Laudatio auf Peter Rühmkorf (1993)“. In: Büchner-Preis-Reden 1984–1994. Hg. v. d. Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Stuttgart 1994, 211–228, hier 212.

  41. 41.

    Frank Witzel: Über den Roman – hinaus. Heidelberg 2018, 76 (im Folgenden als „Poetik“ mit Seitenzahl im Haupttext zitiert).

  42. 42.

    Karl Marx: „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ [1852]. In: Ders./Friedrich Engels: Werke. Band 8. Berlin 1972, S. 115.

  43. 43.

    Im Original bei Marx steht dies natürlich ohne den Deklinationstippfehler.

  44. 44.

    Wolfgang Kaschuba: Einführung in die europäische Ethnologie. München 2012, 177.

  45. 45.

    Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Erweiterte Ausgabe. Frankfurt am Main 1962, S. 392. Im Original mit Hervorhebung.

  46. 46.

    Theodor W. Adorno/Walter Benjamin: Briefwechsel 1928–1940. Hg. v. Henri Lonitz. Frankfurt a. M. 1994, Bd. 1, 417.

  47. 47.

    Johann Kreuzer: „Das Gespräch mit Benjamin“. In: Richard Klein/Ders./Stefan Müller-Doohm (Hg.): Adorno Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 22019, 505–520, hier 517.

  48. 48.

    Der Roman weist auf vielfältige Art und Weise Strukturanalogien zur Erfindung auf. So wird bei der Schilderung des ‚Falles‘ des Ich-Erzählers z. B. mit der Fiktionalisierung wahrer Begebenheiten (er inszeniert sich etwa als Besitzer des verschollenen Bildes „Die gerechten Richter“ des Genter Altars) gespielt. Darüber hinaus lässt sich in dem Roman auch eine transzendierende Überbietung eines bloß ‚herkömmlichen‘ fiktionalen Erzählens etwa an folgender ‚Wahrheitstheorie‘ des Ich-Erzählers erkennen: „Sehen Sie ein Bekannter von mir pflegte die Menschen in drei Gruppen einzuteilen: die einen möchten lieber nichts zu verbergen haben als lügen müssen; die anderen möchten lieber lügen als nichts zu verbergen haben; und die dritten schließlich lieben das Lügen und das Verbergen gleichermaßen. […] Was tut’s übrigens? Bringen die Lügen einen nicht letzten Endes auf die Spur der Wahrheit? Und zielen meine Geschichten, die wahren so gut wie die unwahren, nicht alle auf den gleichen Effekt ab, haben sie nicht alle den gleichen Sinn? Was hat es da zu besagen, ob ich es erlebt oder erfunden habe, wenn sie doch in beiden Fällen für das bezeichnend sind, was ich war und was ich bin? Man durchschaut den Lügner manchmal besser als einen, der die Wahrheit spricht.“ Albert Camus: Der Fall [frz. 1956]. Frankfurt am Main 1963, 112.

  49. 49.

    Pierre Bourdieu: „Eine Klasse für andere“ [frz. 1977]. In: Ders.: Der Tote packt den Lebenden. Hamburg 1999, 130–141. Anders, als die Art der Mottizitierung nahelegen könnte, stellt sich Bourdieu in seinem Essay gerade gegen die Instrumentalisierung „retrospektiver Indignation“ für eine „Rechtfertigung der Gegenwart“, da diese immer nur dazu diene, „den letzten Stand der Herrschaftsinstitutionen zu legitimieren“ (ebd., 134). Vielmehr geht es Bourdieu darum, die damit verbundene spezifische Form der (Klassen-)Entfremdung und Ausbeutung deutlich zu machen: „Kurz, der Herrschende ist derjenige, dem es gelingt, die Normen seiner eigenen Wahrnehmung durchzusetzen, wahrgenommen zu werden, wie er sich selbst wahrnimmt, sich seine eigene Objektivierung anzueignen, indem er seine objektive Wahrheit auf seine subjektive Intention reduziert. Im Gegensatz dazu besteht eine der fundamentalen Dimensionen der Entfremdung darin, daß die Beherrschten mit einer objektiven Wahrheit ihrer Klasse rechnen müssen, die sie nicht selbst hervorgebracht haben, mit dieser Klasse für andere, die ihnen als eine Essenz, ein Schicksal, fatum, d. h. mit der Macht dessen auferlegt ist, was mit Autorität gesagt wird.“ Ebd., 137. Hervorh. im Orig.

  50. 50.

    Ebd., 131.

  51. 51.

    Ebd., 132.

  52. 52.

    Gérard Genette: Die Erzählung. Stuttgart/Paderborn 32010, 144. Genette spricht von „eingeschobene[r] Narration“, Matías Martínez und Michael Scheffel von „eingeschobene[m] Erzählen“. Vgl. Matías Martínez/Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 102016, 78.

  53. 53.

    In seiner Heidelberger Poetikvorlesung bindet Witzel diesen Aspekt erneut an seine Poetik der Transzendierung als einer Poetik der Lücke bzw. des Prozesshaften und des in Bewegung-Bleibens an: „Die Antwort nämlich verhindert eine Transzendierung, die von der gestellten Frage ausgelöst werden kann, da sie das direktive Element des Sprechakts auflöst und damit den von der Frage ausgelösten Prozess, den Sprung zwischen zwei Ebenen, nämlich der Formulierung einer Möglichkeit zur Antwort und der Antwort selbst, beendet. Es geht aber darum, dass die in der Frage angelegte Aufforderung erhalten bleibt, dass wir also im Sprung bleiben, denn wir sind losgesprungen, weil wir ein Ziel anstreben, um zu merken, dass sich das Ziel im Sprung selbst findet, da wir narrativ das implizite Gedächtnis genauso wenig erreichen wie den Zustand der Transzendenz“ (Poetik, 81).

  54. 54.

    Henneberg: „Lebenskrisen“ (wie Anm. 3).

  55. 55.

    Gerhard Kaiser: Literarische Romantik. Stuttgart/Göttingen 2010, 25.

  56. 56.

    Bei Schmitt heißt es: „Der Feind ist unsre eigne Frage als Gestalt. Der Feind entsteht daraus, daß ich mir seiner bewußt werde; ich erzeuge ihn wie Gott Vater den Gott Sohn. Ich denke meinen Feind, also sind wir nicht zwei, sondern Eins oder Einer. Denken feindet, Feinde denken – ergo existant qualitate qua hostes.“ Zit. n. Joachim Schickel: Gespräche mit Carl Schmitt. Berlin 1993, 71.

  57. 57.

    Philipp Felsch/Frank Witzel: BRD Noir. Berlin 2016, 127–128.

  58. 58.

    Dieter M. Gräf: Falsches Rot: Gedichte und Fotografien. Berlin 2018.

  59. 59.

    Literaturhaus Stuttgart (Hg.): Falsches Rot. Zeitung zur Ausstellung. 24.10.2018–31.01.2019.

  60. 60.

    Frank Witzel: „Stammheim Top Ten“. In: Falsches Rot (wie Anm. 59), 8.

  61. 61.

    Zumeist zugeschrieben wird der Satz Holger Meins, der ihn in einem Brief vom 5. Juni 1974 formuliert. Zit. n. Pieter H. Bakker Schut (Hg.): Das Info: Briefe der Gefangenen aus der RAF 1973–1977. Kiel 1987, 66.

  62. 62.

    Frank Witzel: „Ein Traumgesicht“. In: Falsches Rot (wie Anm. 59), 12.

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Jürgensen, C., Weixler, A. (2019). Die RAF, in C-Dur erzählt. Zur Transzendierung von RAF-Narrativen in Frank Witzels Die Erfindung. In: Detken, A., Kaiser, G. (eds) Frank Witzel. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 4. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04882-0_10

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-04881-3

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