Zusammenfassung
Gerade die sogenannte abendländische Philosophie schwebt, wie Mircea Eliade einmal festgestellt hat, in der Gefahr, provinziell zu werden, nämlich „indem sie sich eifersüchtig auf ihre eigene Tradition beschränkt und sich zum Beispiel um die Probleme und Lösungen des orientalischen Denkens nicht kümmert“ (Eliade 2007, S. 12). Der Blick auf Platon könnte dies korrigieren: erstens, weil er selbst sich über die Quellen seines Denkens in Ägypten und auch weiter östlich sehr bewusst war, zweitens, weil er so originell, eigenständig und zugleich vielgestaltig gedacht hat, dass hier auch für die Zukunft alles andere als die Verengung auf eine einheitlich dogmatische Denktradition, sondern vielmehr Anknüpfungsmöglichkeiten in alle Richtungen gegeben sind. Schon die fast tausendjährige Geschichte der platonischen Akademie von ihrer Gründung im Jahre 385 v. Chr. bis zu ihrem Verbot unter Justinian im Jahre 529 n. Chr. enthielt fast alle Optionen des philosophischen Denkens vom Rationalismus über die radikale Skepsis bis hin zum theologischen Neuplatonismus. Platons dialogische, die zentralen Ideen immer wieder durch Mythoserzählungen illustrierende Schreibform reflektiert kein festgelegtes Dogma, sondern den Prozess des Denkens selbst, wie er parallel auch in einer Vielzahl von anderen Kulturen vollzogen wurde, wenn auch – leider – durchweg weniger gründlich dokumentiert bzw. überliefert. Das gilt insbesondere gerade auch für die chronologisch entsprechenden Phasen der chinesischen und der indischen Kultur, zu denen wir dennoch immer wieder Vergleichslinien ziehen können.
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Reese-Schäfer, W. (2019). Fünf Modelle interkultureller Lektüre am Beispiel Platons. In: Ideengeschichte als Provokation. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04840-0_4
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