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Dichterlesungen nach dem Zweiten Weltkrieg

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Geschichte der literarischen Vortragskunst
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Zusammenfassung

Literarische Vortragskunst erlebte in den zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Blütezeit, als Teil eines Reformprojekts, mit dem Sprache, literarische Kultur und Bildung erneuert werden sollten. Vortragsformate wie Dichterlesung, Schauspielerrezitation, schulisches Hersagen von Gedichten und Laienrezitation konnten sich schnell wieder etablieren, und neue Vortragsformate wie szenische und musikalische Lesungen, Marathonlesungen epischer Texte sowie Gruppen- und Wettbewerbslesungen kamen hinzu. Ein dichtes Netz von Literaturhäusern, Akademien, Buchläden, Galerien und Vortragsbühnen bildete die institutionelle Grundlage dafür. Dank der Medien Rundfunk und Fernsehen und durch Tonträger wie Langspielplatte und Kompaktkassette erhielt literarische Vortragskunst eine so noch nicht gekannte massenwirksame Verbreitung und Resonanz. Am Beispiel von Gottfried Benn, Paul Celan und Ingeborg Bachmann sowie den Lese-Ritualen der Gruppe 47 werden diese Entwicklungen im Einzelnen dargestellt. Allerdings stießen Dichterlesungen in den kulturrevolutionär bewegten Zeiten der 1960er-Jahre auch auf Widerstände, nicht zufällig entstand hier das literarische Happening als neues Vortragsformat.

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Notes

  1. 1.

    Wilhelm Lehmann: „Dichterlesung“, in: Merkur 1 (1947/48), S. 472–475, wiederabgedruckt in: Wilhelm Lehmann: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 7: Essays II, hg. Wolfgang Menzel nach Vorarbeiten von Reinhard Tgahrt. Stuttgart 2009, S. 158.

  2. 2.

    Uwe Johnson: Begleitumstände. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt 1980, S. 436.

  3. 3.

    Einige Hinweise bei Edgar Lersch: „Buch und Literatur im Hörfunkprogramm der Landesrundfunkanstalten“, in: Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950–1960, hg. Monika Estermann und Edgar Lersch. Wiesbaden 1999, S. 58–80.

  4. 4.

    Hans-Ulrich Wagner: Günter Eich und der Rundfunk. Essay und Dokumentation. Potsdam 1999; Ellen Marga Schmidt: „Ingeborg Bachmann in Ton- und Bildaufzeichnungen“, in: Ingeborg Bachmann: Werke, hg. von Christine Koschel, Inge von Weibenbaum und Clemens Münster, Bd. 4: Essays, Reden, Vermischte Schriften, Anhang. München 1978, S. 427–528; Florian Reinartz: Das digitale Medienarchiv der Günter Grass Stiftung Bremen. Oberhausen 2010 (sowie die Online-Datenbank der Ton-Bibliographie http://webdatenbank.grass-medienarchiv.de/content/index.xml); Siegfried Lenz: Der Schriftsteller und die Medien. Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte 2, hg. Peter von Rüden und Hans-Ulrich Wagner. Hamburg 2004 (Publikationen der Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland an der Universität Hamburg, www.nwdr.geschichte.de).

  5. 5.

    Vgl. Julia Karnahl: „Ein Pol zwischen Ost und West (Wolff’s Bücherei)“, in: Roland Berbig (Hg.): Stille Post. Inoffizielle Schriftstellerkontakte zwischen West und Ost. Von Christa Wolf über Günter Grass bis Wolf Biermann. Berlin 2005, S. 116–126; vgl. Stefan Hansen: „Begegnungen unter dem Dach der Kirche (Literaturtagungen in der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg)“, in: ebd., S. 100–115.

  6. 6.

    Uwe Johnson machte dafür rückblickend die Politisierung des Kulturlebens durch die radikale Studentenbewegung verantwortlich. Diese habe danach gestrebt, „die Literatur als ein Instrument ihres Aktivismus zu vereinnahmen, […] nach dem Verlust einer politischen Kampfposition nach der anderen“. Johnson: Begleitumstände, S. 436.

  7. 7.

    Das gilt übrigens auch für die Literatur im französischen Radio nach 1945, vgl. Céline Pardo: La Poésie hors du livre (1945–1965). Le Poème à l’ère de la radio et du disque. Paris 2015.

  8. 8.

    Vgl. Rühr: „Geschichte und Materialität des Hörbuchs“, in: Häusermann, Janz-Peschke und Rühr: Das Hörbuch, S. 77 f.; Hans-Ulrich Wagner: „Das Medium wandelt sich, die Autoren bleiben. Neubeginn und Kontinuität rundfunkerfahrener Schriftsteller (1930–1960)“, in: Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950–1960, hg. Monika Estermann und Edgar Lersch. Wiesbaden 1999, S. 201–229. Wagner konzentriert sich besonders auf Günter Eich.

  9. 9.

    Beispiele dafür sind Peter Huchel beim Berliner Rundfunk, DDR, 1945–1949, Alfred Andersch und Helmut Heißenbüttel beim Hessischen Rundfunk, Frankfurt bzw. Süddeutschen Rundfunk, Stuttgart. Andersch engagierte 1955 Hans Magnus Enzensberger als Redaktionsassistenten.

  10. 10.

    Vgl. Helmut Böttiger: Elefantenrunden. Walter Höllerer und die Erfindung des Literaturbetriebs. Berlin 2005, S. 123–143. Höllerer wurde zum großen Ideengeber und Anreger des Berliner Kulturlebens. Im Winter 1964/65 veranstaltete er in der Akademie der Künste sieben Abende zum Thema „Modernes Theater auf kleinen Bühnen“, die live im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens übertragen wurden.

  11. 11.

    Zuvor schon hatte Höllerer Lesereihen zeitgenössischer Autoren an der Technischen Universität organisiert, etwa eine Veranstaltungsreihe Literatur im technischen Zeitalter (Wintersemester 1959/60), wo an fünf Abenden Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Walter Jens, Hans Bender, Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson aus eigenen Werken lasen. Im folgenden Wintersemester 1960/61 schlossen sich Lesungen an acht Abenden an – allesamt gut besucht und von der regionalen und überregionalen Presse aufmerksam wahrgenommen. Ebd., S. 125 f.

  12. 12.

    Helmut Böttiger: Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb. München 2012, S. 284–287, hier: S. 287; vgl. ders.: Elefantenrunde, S. 123–142; Roland Berbig und Vanessa Brandes: „‚Ich begrüsse Ilse Aichinger und Günther Eich‘ – Höllerers Hörsaal-Lesereihe 1959/60. Ein Beitrag zur Typologie der Dichterlesung“, in: Achim Geisenhanslüke und Michael Peter Hehl (Hg.): Poetik im technischen Zeitalter. Walter Höllerer und die Entstehung des modernen Literaturbetriebs. Bielefeld 2013, S. 65–96. Allerdings beließ es Höllerer in einigen Fällen, wie etwa bei der Lesung von Ingeborg Bachmann, bei einer Begrüßung und verzichtete auf Fragen nach dem Vortrag.

  13. 13.

    „Wo früher einmal die Hausandacht ihren Platz hatte, der Abendsegen und das Nachgebet, da wird zum Anlaß für Andacht und Besinnung nun die holde Kunst. Dichtung als Erbauung, der Poet als Ersatzmann für den Seelsorger – das ist eine alte Geschichte, und ein fortwährendes Problem. […] Die Dichterlesung auf unserem Bildschirm – so weit, wie man auf den ersten Blick annehmen sollte, ist sie gar nicht entfernt von einer Hausandacht vor dem Fernsehgerät.“ Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, S. 21 f.

  14. 14.

    Daniel Lenz und Eric Pütz: „Das Gedicht unter Dampf halten. Thomas Kling“, in: dies. (Hg.): LebensBeschreibungen. Zwanzig Gespräche mit Schriftstellern. München 2000, S. 172–182, hier: S. 172.

  15. 15.

    „Die Angst vor dem Banalen: man stellt Blumen auf den Tisch, um Gedichte vorzulesen, und einen Kerzenleuchter, man zieht die Vorhänge, Verdunkelung des Bewußtseins; der Dichter ist vielleicht mit dem Flugzeug gekommen, mindestens mit einem Wagen, aber die Gedichte, die er vorzulesen hat, möchten dem Geräusch eines fernen Motors nicht standhalten; nicht weil wir seine Wörter schlechter vernehmen, sondern weil wir dann allzu deutlich merken, daß er gar nicht die Welt dichtet, die uns und ihn umstellt. Wie will der mich versetzen? Oder wir stellen das Radio an; nach einem halben Satz weiß man: Poesie! Denn so spricht kein Mensch, der etwas Ernstes mitzuteilen hat. Das einzige Gefühl, das sein Singsang in mir erzeugt: Der macht sich etwas vor, Ehrfurcht zum Beispiel, weil er ein paar gereimte Zeilen sieht, und dann gibt er nicht einmal zu, daß es ihn selber nicht erreicht, ja, er fühlt es offenbar selber, daß etwas nicht stimmt, darum macht er Singsang, um mein Bewußtsein einzulullen, und das Ärgerliche daran, daß er von mir verlangt, ich solle mich jetzt ebenfalls verstellen, nur damit ich mich für musisch halten darf.“ Frisch: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, Bd. 2, S. 541.

  16. 16.

    Die Verfemung von Ernst Jünger war bezeichnend für die stark moralisierenden und politisierenden Tendenzen der deutschen Literaturkritik, während dieser Autor in Frankreich aufgrund der literarischen Qualitäten seiner Texte hoch geschätzt wurde. Ein anderes Beispiel ist die negative Rezeption von Peter Hacks in der Bundesrepublik, nachdem er die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR begrüßt hatte.

  17. 17.

    Gottfried Benn: Briefe an F. W. Oelze 1945–1949. Wiesbaden und München 1979, S. 154.

  18. 18.

    Gottfried Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, hg. Dieter Wellershoff. Wiesbaden 1960–1968, Bd. 4, S. 1092 f.

  19. 19.

    Ebd., Bd. 4, S. 1093 f.

  20. 20.

    Obgleich auch dieser Aspekt existiert: „Linien anlegen, / sie weiterführen / nach Rankengesetz – / Ranken sprühen“, heißt es in Statische Gedichte, ebd., Bd. 1, S. 236.

  21. 21.

    Ebd., Bd. 7, S. 1823.

  22. 22.

    Gottfried Benn: Das Hörwerk 1928–1956. Lyrik, Prosa, Essays, Vorträge, Hörspiele, Interviews, Rundfunkdiskussionen, hg. Robert Galitz, Kurt Kreiler und Martin Weinmann, Frankfurt 2004. Der Titel dieser Edition ist insofern irreführend, als einige in Rundfunkarchiven erhaltene und teilpublizierte Mitschnitte vor 1933 nicht in dieser Edition erfasst sind. Vgl. eine vollständige Liste bei Thomas Doktor und Carla Spies: Gottfried Benn – Rainald Goetz. Medium Literatur zwischen Pathologie und Poetologie. Opladen 1997, S. 264–270. Auf ein anderes Problem dieser Edition hat Andreas Meier hingewiesen: Es werden hier „nicht nur die angekündigten akustischen Glättungen von Knister- und Knackgeräuschen vorgenommen“, sondern einige Lesungen auch bereinigt, so wird etwa ein kleiner Stolperer bei der Lesung von Teils-teils geschnitten, bei Minute 54 findet sich eine Lücke. Meier stellt zu Recht die Frage, ob die Tonaufzeichnungen von Autorenlesungen nicht zu den Überlieferungsträgern bei kritischen Werkausgaben zu zählen sind, der Textbegriff mithin über den Buchstaben hinaus auf die Tondokumente zu öffnen sei. Vgl. Meier: „Akustische Lesarten. Zum editionsphilologischen Umgang mit (Autoren-)Hörbüchern“, in: Text – Material – Medium, S. 278 f.

  23. 23.

    Vgl. etwa die Äußerung von Jan Philipp Reemtsma im Begleitheft zu der Audio-CD Arno Schmidt gelesen, vorgelesen, gehört von Jan Philipp Reemtsma, BMG 1999, S. 3.

  24. 24.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, S. 1093.

  25. 25.

    Diese Differenzierung nach Vortragsgattungen und Vortragsweisen findet sich auch in einem vom SFB-Fernsehen aufgezeichneten Gespräch mit Thilo Koch aus dem Jahr 1956, https://www.youtube.com/watch?v=c6R4w3YaDQc (Zugriff am 19. September 2017). Als er zum Ende des Gesprächs sich anschickt, das Gedicht Wer allein ist vorzulesen, setzt Benn demonstrativ die Brille auf und liest sein Gedicht, das er doch gewiss auch auswendig hätte rezitieren können, aus dem Buch ab. Deutlicher hätte er die vortragsästhetische Differenz gegenüber dem vorangegangenen Gespräch nicht markieren können.

  26. 26.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 1, S. 135. Benn hat dieses Gedicht 1950 für den SFB und ein zweites Mal 1956 im Rahmen des vom Fernsehen aufgezeichneten Gesprächs mit Thilo Koch gelesen.

  27. 27.

    Leo L. Matthias, in: Almanach des S. Fischer Verlags. Das 27. Jahr. Berlin 1913, S. 256, zitiert nach: Holger Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. Stuttgart 2007, S. 65.

  28. 28.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, S. 1151.

  29. 29.

    Ebd., Bd. 6, S. 1444.

  30. 30.

    Klaus Weimar: „Lesen: zu sich selbst sprechen in fremdem Namen“, in: Heinrich Bosse und Ursula Renner (Hg.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg 1999, S. 49–62, hier: S. 55.

  31. 31.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, S. 1076.

  32. 32.

    Ebd., Bd. 1, S. 345.

  33. 33.

    Zitiert nach Tgahrt (Hg.): Dichter Lesen, Bd. 2, S. 304.

  34. 34.

    Thilo Koch: „Gottfried Benn und der Rundfunk“, in: Benn: Das Hörwerk, S. 57 f.

  35. 35.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 6, S. 1592.

  36. 36.

    Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin 2007, S. 19–33, hier: S. 24.

  37. 37.

    Günther Klemm über einen Auftritt vermutlich in Wuppertal, zitiert nach Hof: Benn, S. 258.

  38. 38.

    „Wenige Wochen vor seinem Tod las Benn 1956 für den NWDR sein Gedicht ‚Teils-teils‘ ein. Auch hier fällt im Vergleich mit dem gedruckten Text in der fünften Zeile der dritten Strophe für ‚Hotelqualitäten in Frankfurt‘ ein kleiner Stolperer auf. Offensichtlich erwog Benn für einen Bruchteil eine mit H beginnende Variante zu Frankfurt, die sich zu den ‚Hotelqualitäten‘ alliterierend verhalten sollte. Doch Benn kehrte mit einer akustischen Sofortkorrektur zur Erfassung ‚Frankfurt‘ zurück.“ Meier: „Akustische Lesarten. Zum editionsphilologischen Umgang mit (Autoren-)Hörbüchern“, S. 277.

  39. 39.

    Koch: „Gottfried Benn und der Rundfunk“, S. 58. Die entsprechende Passage „… selbst auf den fifth Avenuen …“ stammt aus Benns Gedicht Reisen.

  40. 40.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 5, S. 1404.

  41. 41.

    Brief Benns an Hans Paeschke vom 13. Juni 1954, zitiert nach: Thedel von Wallmoden: „Eine Hymne der Ambivalenz. Gottfried Benns spätes Gedicht ‚Teils-Teils‘“, in: Die Lyrik der fünfziger Jahre, hg. von Günter Häntzschel, in: Treibhaus – Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre, Bd. 13. München 2017, S. 37–46, hier: S. 40.

  42. 42.

    Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter. Hamburg 1957, S. 67.

  43. 43.

    http://www.dra.de/rundfunkgeschichte/schriftsteller/autoren.php?buchst=B&aname=Gottfried%20Benn (Zugriff am 8. April 2017); Doktor und Spies: Gottfried Benn – Rainald Goetz, S. 264–265.

  44. 44.

    Zitiert nach Joachim Dyck: Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929–1949. Göttingen 2006, S. 33.

  45. 45.

    Ebd., S. 31.

  46. 46.

    Harry Schreck: „Gottfried Benn … In der Akademie der Künste“, in: BZ am Mittag, 27. März 1930, abgedruckt in Hof: Benn, S. 135.

  47. 47.

    Klaus Mann an Benn im November 1931 nach der Uraufführung von Paul Hindemiths Oratorium Das Unaufhörliche in der Berliner Funk-Stunde, Benn sprach dort eine Einleitung, zitiert nach ebd., S. 139.

  48. 48.

    Ebd., S. 122.

  49. 49.

    Die Literarische Welt, 24. Januar 1930, zitiert nach Dyck: Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929–1949, S. 30 f.

  50. 50.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 4, S. 973. Bei dem Zitat handelt es sich um eine Maxime aus einem Roman von Joseph Conrad.

  51. 51.

    Zitiert nach Hof: Benn, S. 68.

  52. 52.

    Benn an Börries von Münchhausen am 12. April 1934, zitiert nach ebd., S. 164.

  53. 53.

    Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, KSA, Bd. 5, S. 191 (Nr. 247). Vgl. Schöne: Säkularisation als sprachbildende Kraft, S. 225–267.

  54. 54.

    Benn: Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 5, S. 1405.

  55. 55.

    Ebd., Bd. 1, S. 249 f. In seiner Lesung im SFB 1951 liest Benn „Gehirnanlage“ statt „Gehirnlage“. Wenn dies denn ein Versprecher ist, so ist es ein kongenialer, indem er das genetisch Determinierte gegenüber dem bloßen Bewusstseinszustand hervorhebt. Der Vers „Die wenigen, die was davon erkannt“ ist natürlich eine Anspielung auf Fausts Religionsdialog mit Wagner (Faust I, V. 590).

  56. 56.

    Ebd., Bd. 4, S. 1074.

  57. 57.

    Ebd., Bd. 3, S. 779.

  58. 58.

    „Der glühende Fluß, und dann der Schlag auf das Rohr, ein Atem – und dann die zerbrechlichen Wände, von nichts besponnen als Schatten und Licht“ (ebd., Bd. 5, S. 1413).

  59. 59.

    Ebd., Bd. 1, S. 208.

  60. 60.

    Ebd., Bd. 6, S. 1450.

  61. 61.

    Was die sogenannte Motor-Theory-of-Speech-Perception der neurowissenschaftlichen Linguistik inzwischen auch experimentell bestätigt hat.

  62. 62.

    Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900, S. 252.

  63. 63.

    Franz Mon hat diese Konstellation präzise beschrieben, als er in einem Rückblick auf die 1950er-Jahre feststellte, dass „in den Jahren des Vergewisserns und Probierens Gottfried Benns Gedichte mit ihrer ungehemmten Enttabuisierung, dem Zugriff auf exklusive Wortschätze, der asyntaktisch montierten Zeilenführung, den riskantesten Endreimen, der Sensibilität für Buchstabenbedeutungen Anstöße und Modelle für das eigene Formulieren“ gegeben hätten. Doch: „Benns Poetik blieb mit ihrer ichredundanten Emphatik und dem verschatteten Pathos der Dichterwelt des ‚ergriffenen Daseins‘ verschwägert – Einstellungen, die der nüchternen Vorliebe für die Materialität der Wörter, dem Abschmelzen der Sinneuphorien und der Ichthematik zuwiderliefen.“ Franz Mon: „Die Poesie wird konkret. Die Anfänge des experimentellen Schreibens in den fünfziger Jahren (2009)“, in: Franz Mon: Sprache lebenslänglich. Gesammelte Essays, hg. Michael Lentz. Frankfurt 2016, S. 114–139, hier: S. 116 f.

  64. 64.

    Brecht: GKBFA, Bd. 15, S. 300.

  65. 65.

    Simon Karcher: Sachlichkeit und elegischer Ton. Die späte Lyrik von Gottfried Benn und Bertolt Brecht. Ein Vergleich. Würzburg 2006, S. 16.

  66. 66.

    GKBFA, Bd. 15, S. 300. Brechts Gedicht gehört der Gattung der „Selbststerbensbeschreibung“ oder „Autopathographie“ an, vgl. Werner Frick: „‚Der Schattenfürst in der Unterwelt‘. Heines Lyrik im Zeichen des Todes“, in: ders. (Hg.): Heinrich Heine. Neue Lektüren. Freiburg 2010, S. 255–296.

  67. 67.

    Als Beispiel sei hier nur das Treffen „Berlin und Weimar – Mai 1965. Internationales Schriftstellertreffen“ genannt, an dessen Organisation der Dichter Johannes Bobrowski beteiligt war. Vgl. Brief an Carl Amery vom 11. April 1965, in: Johannes Bobrowski: Briefe 1937–1965, Bd. 4, hg. Jochen Meyer. Göttingen 2017, S. 578.

  68. 68.

    Friedhelm Kröll: Gruppe 47. Stuttgart 1979, S. 29 f.; vgl. Böttiger: Die Gruppe 47, S. 53–56.

  69. 69.

    Hans Werner Richter: „Fünfzehn Jahre“, in: Almanach der Gruppe 47. 1947–1962, hg. Hans Werner Richter. Reinbek 1962, S. 12 f.

  70. 70.

    Barbara König: „Aus den Tagebüchern“, in: Toni Richter: Die Gruppe 47 in Bildern und Texten. Köln 1997, S. 37.

  71. 71.

    Richter: „Fünfzehn Jahre“, S. 12 f.

  72. 72.

    Böttiger: Die Gruppe 47, S. 98.

  73. 73.

    Marcel Reich-Ranicki: „Arbeitstagung und Modenschau“, in: Nichts als Literatur. Aufsätze und Anmerkungen. Stuttgart 1990, S. 116–122, hier: S. 119.

  74. 74.

    Böttiger: Die Gruppe 47, S. 124.

  75. 75.

    Doris Moser: „Feldspieler und Spielfelder. Vom Gewinnen und Verlieren beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb“, in: Markus Joch u. a. (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009, S. 189–203, hier: S. 201.

  76. 76.

    Vgl. Theo Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, in: Celan-Jahrbuch 7 (1997/98), S. 65–87, hier: S. 71 f.

  77. 77.

    Vgl. Martin Walsers Schilderung des Kritikerverhaltens bei den Treffen in Brief an einen ganz jungen Autor, in: Die Zeit, 13. April 1962, zitiert und paraphrasiert bei Böttiger: Die Gruppe 47, S. 267–272.

  78. 78.

    Vgl. Sonja Meyer: Die Gruppe 47 und der Buchmarkt der frühen Bundesrepublik. Wiesbaden 2013. Besonders auffällig waren die personellen Verbindungen zu den Verlagen durch schriftstellerisch tätige Lektoren, wie zum Beispiel Helmut Heißenbüttel bei Claassen, Horst Bienek bei DTV, Hans Bender bei Hanser, Rolf Schroers und Dieter Wellershoff bei Kiepenheuer & Witsch, Fritz Raddatz und Gerd Falkenberg bei Kindler, Elisabeth Borchers bei Luchterhand, Reinhard Baumgart bei Piper, Jürgen Becker , Hermann Peter Piwitt , Fritz Raddatz , Peter Rühmkorf und Wolfgang Weyrauch bei Rowohlt, Ilse Aichinger , Peter Härtling und Klaus Wagenbach bei S. Fischer, Walter Höllerer und Martin Walser bei Suhrkamp usw. (ebd., S. 191–193).

  79. 79.

    Vgl. Böttiger: Die Gruppe 47, S. 108 ff.

  80. 80.

    Ebd., S. 109. In den 1960er-Jahren wurden vereinzelt Rundfunkmitschnitte von den Gruppentagungen angefertigt, vgl. ebd., S. 167. Bei einer Tagung im Jahr 1963 wurden auch Filmaufnahmen gemacht.

  81. 81.

    Hans-Ulrich Wagner: „Celan-‚Sound‘ und Mäzenatentum. Paul Celan und die Gruppe 47 zu Besuch beim Nordwestdeutschen Rundfunk“, in: Die Lyrik der fünfziger Jahre, hg. von Günter Häntzschel, in: Treibhaus – Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre, Bd. 13. München 2017, S. 281–293, hier: S. 288 f.

  82. 82.

    Zitiert nach Böttiger: Die Gruppe 47, S. 392 f.

  83. 83.

    Ebd., S. 393 f.

  84. 84.

    Vgl. Norbert Christian Wolf: „Autonomie und/oder Aufmerksamkeit? Am Beispiel der medialen Erregungen um Peter Handke, mit einem Seitenblick auf Marcel Reich-Ranicki“, in: Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart, hg. Markus Joch, York-Gothart Mix und Norbert Christian Wolf. Tübingen 2009, S. 45–63, bes. S. 50–54.

  85. 85.

    Doktor und Spies: Gottfried Benn – Rainald Goetz, S. 87. Unseld soll bei den Tagungen der Gruppe 47 insgesamt circa 30 Autoren für seinen Verlag gewonnen haben.

  86. 86.

    Ebd.

  87. 87.

    Böttinger: Die Gruppe 47, S. 436.

  88. 88.

    Günter Grass: Mein Jahrhundert. Göttingen 1999, S. 278–288, hier: S. 279.

  89. 89.

    Vgl. Heinz Ludwig Arnold: Die Gruppe 47. Reinbek 2004, S. 74–77; Klaus Briegleb: „Ingeborg Bachmann, Paul Celan. Ihr (Nicht-)Ort in der Gruppe 47 (1952–1964/65). Eine Skizze“, in: Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Poetische Korrespondenzen. Vierzehn Beiträge, hg. Bernhard Böschenstein und Sigrid Weigel. Frankfurt 1997, S. 29–81; Theo Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, in: Celan-Jahrbuch; Cornelia Epping-Jäger: „‚Diese Stimme mußte angefochten werden.‘ Paul Celans Lesung vor der Gruppe 47 als Stimmereignis“, in: Berührungen. Komparatistische Perspektiven auf die frühe Nachkriegsliteratur, hg. Günter Butzer und Joachim Jacob. München 2012, S. 263–280; Hans-Ulrich Wagner: „Celan-‚Sound‘ und Mäzenatentum. Paul Celan und die Gruppe 47 zu Besuch beim Nordwestdeutschen Rundfunk“; Helmut Böttiger: „Alle Dichter sind Juden.“ Der Auftritt Paul Celans bei der Gruppe 47 im Mai 1952, Manuskript der Sendung im Deutschlandfunk Kultur am 21. Mai 2017 (http://www.deutschlandfunkkultur.de/literatur-feature-vom-21-5-2017, Zugriff am 20. Januar 2018). Vgl. Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. München 2017, S. 105–134.

  90. 90.

    Vgl. Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, S. 75 f.; Richters Postkarte an Celan mit einem knappen Einladungstext, den Bachmann ihm übermittelte in: Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann (Hg.): Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel. Frankfurt 2008, S. 49.

  91. 91.

    Ingeborg Bachmann an Paul Celan am 9. Mai 1952, in: ebd., S. 49.

  92. 92.

    Richter hatte Bachmann bei seinem Wien-Besuch durch Aichinger kennengelernt und hielt sich später zugute, sie entdeckt zu haben.

  93. 93.

    Bachmann erinnerte sich selbst in einer späteren Notiz an die qualvolle Situation ihres Auftritts, Ingeborg Bachmann: „Gruppe 47. Ein Entwurf“, in: Werke, Bd. 4, hg. Christine Koschel u. a. München 1978, S. 325.

  94. 94.

    Klaus Briegleb: Missachtung und Tabu. Eine Streitschrift über die Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47? Berlin 2003. Heinz Ludwig Arnold hat wahrscheinlich recht, wenn er zum Vorwurf des Antisemitismus in seiner Geschichte der Gruppe 47 meinte, dass deren Verhalten „vermutlich genauso latent antisemitisch“ wie das der meisten Deutschen damals war. Arnold: Die Gruppe 47, S. 74–77.

  95. 95.

    Bachmann an Celan am 10. September 1952, in: Badiou, Höller, Stoll und Wiedemann (Hg.): Herzzeit, S. 50.

  96. 96.

    Rolf Schroer: „Gruppe 47 und die deutsche Nachkriegsliteratur“, in: Merkur, Mai 1965, zitiert nach: Reinhard Lettau (Hg.): Die Gruppe 47. Bericht, Kritik, Polemik. Ein Handbuch. Neuwied und Berlin 1967, S. 384.

  97. 97.

    So von Günter Grass , der freilich selbst nicht bei der Sitzung dabei gewesen war, Böttiger: Die Gruppe 47, S. 148. Der Lyriker Peter Rühmkorf , der ebenfalls nicht an der Tagung in Niendorf 1952 teilgenommen hatte, wärmte solche Vorurteile in einem Beitrag zu einem 1962 von Richter herausgegebenen Sammelband Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz noch einmal auf und verschärfte sie sogar noch, indem er an Celans Gedichten einen „altgekannten Chiffrenreigen“ und die „Unfruchtbarkeit eines ins Extrem getriebenen Kunstprinzips“ bemängelte, darüber hinaus aber seine Vortragsweise aufs Korn nahm: „eine aufdringliche Feierlichkeit der Diktion und Stilisierung ins Würdevolle“, „pasteurisiertes Pathos“ und „kunstvolle Tonlosigkeit der Sprachmelodie“. Peter Rühmkorf: „Das lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen“, hier zitiert nach Peter Rühmkorf: Die Jahre die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen. Reinbek 1972, S. 102 und 99; zuerst in: Hans Werner Richter (Hg.): Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962. München, Wien und Basel 1962, S. 447–476.

  98. 98.

    Interview mit Walter Jens am 15. Oktober 1976 in Tübingen, zitiert nach Arnold: Die Gruppe 47, S. 76.

  99. 99.

    Hans Werner Richter: Mittendrin. Die Tagebücher 1966–1972, hg. Dominik Geppert. München 2012, S. 158.

  100. 100.

    Böttiger: Die Gruppe 47, S. 136 f. Im Mai 1962 kam es zu einer privaten Begegnung von Celan und Richter in Frankfurt, im Anschluss daran widmete Celan ihm sogar ein Exemplar seiner Übersetzungen von Gedichten Alexander Bloks .

  101. 101.

    Heinz Friedrich: „Die Gruppe 47“, in: Deutsche Kommentare (14. Juni 1952), zitiert nach: Lettau (Hg.): Die Gruppe 47, S. 78.

  102. 102.

    Richter: Die Gruppe 47 in Bildern und Texten, S. 49.

  103. 103.

    Ebd.

  104. 104.

    Milo Dor: Auf dem falschen Dampfer. Wien und Darmstadt 1988, S. 214.

  105. 105.

    Richter beschreibt Celan darüber hinaus als „schüchtern, sensibel, sich fremd fühlend, gestört vielleicht, ein Mann, der nicht lachen kann. Er ist, so scheint es mir, fast immer abwesend. Ich weiß nicht, ob er bei den Lesungen überhaupt zugehört hat. Vielleicht kann er nicht zuhören, weil er immer mit sich selbst beschäftigt ist. Mir ist, als nähme er mich auch nicht wahr. […] Aber [seine Gedichte] gefallen mir, sie berühren mich, obwohl ich die Abneigung gegen die Stimme nicht überwinden kann. Die Teilnehmer hören schweigend zu. Die Gedichte scheinen eine fast hypnotische Wirkung auf sie zu haben. In ihren Gesichtern sehe ich den Erfolg Paul Celans. Ist es ein anderer Klang, ein neuer Ton, der hier wirksam wird? Es gibt kaum kritische Stimmen nach der Lesung.“ Hans Werner Richter: „Wie entstand und was war die Gruppe 47“, in: Hans A. Neunzig (Hg.): Hans Werner Richter und die Gruppe 47. Berlin und Wien 1981, S. 27–110, hier: S. 70 f.

  106. 106.

    Über das Verhältnis seiner Generation zur deutschen Sprache schrieb er einmal: „Was bei allen ebenfalls unbemerkt zum Ausdruck kommt, ist die nur auf die Aussage zielende Sprache der ‚Landser‘, die Reduzierung der Sprache auf das Notwendige, eine Abkehr vom Leerlauf der schönen Worte und eine Hinwendung zu ihrem unmittelbaren Realitätsbezug. Sie haben es alle gelernt in der Masse des Volkes, in der sie gelebt haben, jahrelang, tagaus, tagein, in den Kompagnien, in den Kasernen, in den Lagern und Gefangenenlagern. Sie haben in dieser Zeit immer am Rande der menschlichen Existenz gelebt. Das hat sie mißtrauisch und hellhörig gemacht.“ Hans Werner Richter, zitiert nach Arnold: Die Gruppe 47, S. 39.

  107. 107.

    Paul Celan an Gisèle Celan-Lestrange am 31. Mai 1952, in: Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange: Briefwechsel, hg. Bertrand Badiou. Frankfurt 2001, Bd. 1, S. 21.

  108. 108.

    Celan bezieht sich hier auf das gerade in Paris erschienene Buch von André Malraux: Les Voix du silence. Paris 1952.

  109. 109.

    Celan und Celan-Lestrange: Briefwechsel, Bd. 1, S. 22.

  110. 110.

    In der aristokratischen und katholischen Familie von Gisèle Lestrange galt der staatenlose jüdische Schriftsteller ohnehin als Außenseiter. Dass er auch im Kreise deutscher Schriftstellerkollegen als Fremdling empfunden wurde, wäre wohl zu schwierig in diesem Brief zu vermitteln gewesen.

  111. 111.

    Hermann Lenz: „Erinnerungen an Paul Celan“, in: Werner Hamacher und Winfried Menninghaus (Hg.): Paul Celan. Frankfurt 1988, S. 315–318, hier: S. 316.

  112. 112.

    Paul Celan an Klaus Demus am 31. Mai 1952, in: Paul Celan und Klaus und Nani Demus: Briefwechsel, hg. Joachim Seng. Frankfurt 2009, S. 100. Celan warf Bachmann vor zuzulassen, dass sie von Richter und anderen gegen ihn selbst ausgespielt wurde: „Ihre Gedichte, nicht die meinen, blieben die gültigen, und sie ließ es sich, lächelnd vor Glück, gefallen, als die Dichterin angesprochen zu werden.“, ebd. Vgl. zu dieser Episode Ina Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken. Frankfurt 2017, S. 55–59.

  113. 113.

    Als Richter einige Jahre später einen Dissens mit Celan wegen der Veröffentlichung einiger seiner Gedichte hatte, brach seine ganze Wut über Celan ungefiltert heraus, er sprach von seinem „Ärger über das Pathos eines Gestörten“, zitiert nach Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, S. 81.

  114. 114.

    Brief an Heinrich Böll vom 8. April 1959, in: Paul Celan: Briefwechsel mit den rheinischen Freunden, hg. Barbara Wiedemann. Berlin 2011, S. 359 f.

  115. 115.

    Richters spätere Behauptung, Celan sei „durch die Gruppe 47 nach oben gekommen“ (zitiert nach Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, S. 85), ist allerdings nicht nur sachlich falsch, sondern auch anmaßend und erweist sich als Versuch, den späteren Ruhm Celans für sich und die Gruppe 47 zu beanspruchen.

  116. 116.

    Paul Celan an Gisèle Celan-Lestrange am 28. Mai 1952, in: Briefwechsel, S. 19.

  117. 117.

    Drei dieser Aufnahmen (Die Jahre von dir zu mir, Nachts, wenn das Pendel und Zähle die Mandeln) wurden wiederveröffentlicht in der Schallplatten-Anthologie Stimmen der Dichter. Eine tönende Anthologie. Zeitmagazin exklusiv, Schallplatten-Edition, Hamburg 1977. Eine Analyse dazu stammt von Hans-Ulrich Wagner: „Celan-‚Sound‘ und Mäzenatentum. Paul Celan und die Gruppe 47 zu Besuch beim Nordwestdeutschen Rundfunk“, S. 281–293. Wagner vergleicht die 1952 aufgenommenen Rezitationen mit jenen, die Celan 1963 für den Hessischen Rundfunk machte: „Der Vortrag von ‚Wasser und Feuer‘ in der Aufnahme von 1963 dauert 1 Minute und 44 Sekunden lang; 1952 benötigte Celan für dasselbe Gedicht 2 Minuten und 24 Sekunden. Doch nicht nur die Sprechgeschwindigkeit ist auffallend anders: 1952 artikulierte Celan überdeutlich. Zwar forcierte er den Wechsel von stark und schwach akzentuierten Silben, doch dies in einer sehr gleichmäßigen und monotonen Weise. Der Vortragende […] verfällt tatsächlich in einen regelrechten Singsang. Die Vortragskunst strebt einen hymnischen Ton an.“ Ebd., S. 292. Irritierenderweise suggeriert Wagner, es handele sich bei diesen Aufnahmen um „wieder aufgefundene“ (ebd., S. 281), also wohl zeitweise verloren gegangene. Allerdings muss er zugestehen, dass zwei Aufnahmen (Die Jahre von dir zu mir, Zähle die Mandeln) bereits in einem Feature Die Gruppe 47 von Heinz Ludwig Arnold (Hörverlag 2002) Verwendung fanden. Die drei auf der Schallplatten-Anthologie Stimmen der Dichter. Eine tönende Anthologie (1977) reproduzierten Aufnahmen waren ihm offenbar unbekannt.

  118. 118.

    Sonderbarerweise spricht Bachmann den ei-Diphthong ganz ähnlich aus. Wer imitierte hier wen? Ist diese gemeinsame Sprechweise als geheimes, ihnen selbst wahrscheinlich gar nicht bewusstes Schibboleth ihrer Liebesbeziehung zurückgeblieben?

  119. 119.

    Herta Müller: „Zungenspäße und Büßerschnee. Wie Helmut Böttiger mich durch ‚Orte Paul Celans‘ führte“, in: Die Zeit, 6. Dezember 1996, S. 3, zitiert nach Buck: „Paul Celan und die Gruppe 47“, S. 83 f. Herta Müller fügte mit Blick auf Richter und seine Kollegen hinzu: „Daß sie nichts begreifen von einer deutschen Sprache, in der Wortspiele ‚Zungenspäße‘ genannt werden. So gebärdet sich das Deutschlanddeutsch als herrisches Zentrum.“ Toni Richter bestätigte dies, als sie in ihren Erinnerungen an die Niendorfer Tagung schrieb, dass die Kriegsheimkehrer unter den Gruppen-Mitgliedern nichts „von der Tradition der jüdisch-rumänischen Gedicht-Rezitation im rhythmisch hohen Ton gehört“ hätten. Richter: Die Gruppe 47 in Bildern und Texten, S. 49.

  120. 120.

    Edith Silbermann: „Erinnerungen an Paul in Czernowitz“, in: Amy-Diana Colin und Edith Silbermann (Hg.): Paul Celan – Edith Silbermann. Zeugnisse einer Freundschaft. Gedichte, Briefwechsel, Erinnerungen. München 2010, S. 32 und 28. Vgl. auch die Hinweise von Israel Chalfen auf den Lesekreis des jungen Celans, in dem er vor allem Rilke vorlas, Israel Chalfen: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend. Frankfurt 1979, S. 68–70. Cornelia Epping-Jäger nimmt diese Hinweise auf das familiäre und freundschaftliche Umfeld auf, wenn sie behauptet, dass in Celans Vortragsstimme „Spuren einer biographischen Zeichnung zum Ausdruck“ kämen, die auf diese Herkunftswelt verwiesen. Epping-Jäger: „‚Diese Stimme mußte angefochten werden.‘ Paul Celans Lesung vor der Gruppe 47 als Stimmereignis“, S. 276. Doch mit dieser These einer „indexikalisch von Erinnerung gezeichneten und an Erinnerung appellierenden Stimme“ (ebd., S. 280) ist die vortragsgeschichtliche Konstellation der Niendorfer Episode allein noch nicht erfasst.

  121. 121.

    Silbermann: „Erinnerungen an Paul in Czernowitz“, S. 46.

  122. 122.

    „Rumänische nationalistische Studenten hatten Moissi , der zu einem Gastspiel nach Czernowitz gekommen war, für einen Juden gehalten und das Theater gestürmt, um die Vorstellung zu unterbrechen; die jüdischen Fiakerkutscher, die herbeigeeilt waren, verprügelten die Studenten. Die Schlägerei wurde zum Anlass genommen, das deutschsprachige Theater zu schließen.“ Ebd., S. 46, Anm. 104.

  123. 123.

    Edith Silbermann: „Mythen in der Celan-Forschung“, in: ebd., S. 58 f. Edith Silbermann, eine Schauspielerin und Rezitatorin, hinterließ Lesungen von fünf Celan-Gedichten (Kenotaph, Espenbaum, Es war Erde in ihnen, Psalm und Tenebrae), die sie zu Celans 20. Todestag im Jahr 1990 aufnahm. Eines der Gedichte, Espenbaum, hat Silbermann mit einer einfachen elegischen Melodie vertont und selbst gesungen, während sie die vier anderen Gedichte rezitierte. Auffällig sind das durchweg langsame Tempo, die langen Pausen an Vers- und Strophenenden, der meditative Tonfall, die kluge sinnhafte Betonung sowie Anklänge an ein osteuropäisch gefärbtes Bildungsdeutsch mit einem perlenden r, das ganz leicht gerollt ist, einer klangvollen Aussprache der Vokale und der Betonung der Schlusssilben „-gen“ und „-ger“ etc. Vgl. die Audio-CD, die dem Sammelband Colin und Silbermann (Hg.): Paul Celan – Edith Silbermann beigegeben ist.

  124. 124.

    „Die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein. […] Es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten“, so hat Celan selbst bei der Entgegennahme des Bremer Literaturpreises 1958 sein Herkommen aus der Bukowina umschrieben. Paul Celan: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, hg. Beda Allemann und Stefan Reichert. Frankfurt 1983, S. 185.

  125. 125.

    Drach: Die Schallplatte im deutschkundlichen Unterricht, S. 41–51, hier: S. 44 und 46.

  126. 126.

    Ebd., S. 36 f. und 35.

  127. 127.

    Nach einer Äußerung von Ruth Klüger waren Rilkes Dichtungen für Celan eine Art von poetischem „Kindergarten“, in dem er seine dichterische Primärsozialisation erfuhr. Die Ablehnung, auf die Rilkes Poesie dann nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gestoßen sei, hätte indirekt auch Celan bei seinem Auftritt vor der Gruppe 47 zu spüren bekommen. Seine Gedichte könne man ebenso wenig wie die von Rilke „im Kahlschlagton vorlesen“. E-Mail-Mitteilung von Ruth Klüger an den Vf. am 15. Februar 2014. Hans-Georg Gadamer nahm Klügers These in gewisser Weise vorweg, als er zur Rilke-Rezeption schrieb: „Die ganzen Jahre des Dritten Reichs wirkte Rilke fast wie ein Dichter der Résistance, nicht zuletzt dadurch, daß der hochgetriebene Manierismus seines dichterischen Stils zu der sich uniformierenden Öffentlichkeit von damals einen extremen Kontrast bildete.“ Hans-Georg Gadamer: „Der Dichter Stefan George“, in: Gesammelte Werke, Bd. 9: Ästhetik und Poetik, Bd. 2, S. 215.

  128. 128.

    Celan: „Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen (1958)“, in: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, S. 185 f.

  129. 129.

    Wie Gerhart Baumann zu Recht über Celans Lesungen schrieb: „Unmittelbarer wohl als der gedruckte Text wird im gesprochenen hörbar, wie unerbittlich dieser Dichter das Unwesen mechanisch gedankenlosen Sprechens freilegt, wie er ungeachtet aller Widerstände das Wagnis auf sich nimmt, die Sprache sich wieder auf sich selbst besinnen zu lassen, die zahlreichen Stimmen zu Gehör zu bringen, die von weither kommen und weithin vordringen. Diese Vielstimmigkeit äußert sich in einem unbeirrbaren Sprachglauben, in einer Empfindlichkeit gegenüber dem leisesten, sogar gegenüber dem unhörbaren Mißbrauch.“ Gerhart Baumann: Klappentext zu der Sprechschallplatte: Paul Celan. Gedichte und Prosa. Frankfurt 1975. Vgl. Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, S. 146.

  130. 130.

    Celan: „Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen (1958)“, in: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, S. 186.

  131. 131.

    Vgl. Jean Firges: „Ein Satyrspiel? Kommentar zu Paul Celans Lesung in Bonn, 17. November 1958“, in: Celan-Jahrbuch 8 (2001/02), S. 331–333.

  132. 132.

    Paul Celan und Rudolf Hirsch: Briefwechsel, hg. Joachim Seng. Frankfurt 2004, S. 58. Firges spielt offenbar auf Verse aus Celans Gedicht Engführung an: „… die // Chöre, damals, die / Psalmen. Ho, ho- / sianna. // Also / stehen noch Tempel. Ein / Stern / hat wohl noch Licht. / Nichts, / nichts ist verloren. // Ho- / sianna.“ Vgl. „Kommentar zur Chronik“, in: Celan und Celan-Lestrange: Briefwechsel, Bd. 2, S. 432.

  133. 133.

    So der Herausgeber Joachim Seng mit einem Zitat aus einem Brief Celans an Walter Jens.

  134. 134.

    Firges: „Ein Satyrspiel? Kommentar zu Paul Celans Lesung in Bonn, 17. November 1958“, S. 332.

  135. 135.

    Brief an Rudolf Hirsch vom 4. Dezember 1958, in: Celan und Hirsch: Briefwechsel, S. 61.

  136. 136.

    Diese Lesungen werden in einer dem Briefwechsel Celans mit seiner Frau beigefügten Zeittafel dokumentiert. Am 20. Januar 1969 fertigte Celan selbst eine Liste mit den Namen jener Städte an, in denen er öffentlich vorgetragen hatte, „als eine Art Gedächtnisübung“: „Niendorf, Frankfurt, München, Düsseldorf, Bonn, Wuppertal, Hamburg, Hannover, Kiel, Tübingen, Stuttgart, Berlin, Freiburg, Zürich, Genf, Rom, Mailand, Eßlingen, Darmstadt, Würzburg, Braunschweig, Bremen“ (er übergeht Vaduz und Wien). Celan und Celan-Lestrange: Briefwechsel, Bd. 2, S. 485. Wie Barbara Wiedemann zu Recht bemerkte, fehlt in dieser Liste der Name Köln, obgleich er hier mehrfach in Rundfunk- und Fernsehstudios las – freilich nicht vor Publikum, vgl. Barbara Wiedemann: „Zwischen Pestkreuz und Bocklemünd – Paul Celan in Köln“, in: Celan-Jahrbuch 9 (2003–2005), S. 103–126, hier: S. 125.

  137. 137.

    Wiedemann: „Zwischen Pestkreuz und Bocklemünd – Paul Celan in Köln“, S. 120. Eine erste Fernsehaufnahme erfolgte durch den WDR in Köln am 17. September 1964, eine zweite durch den SFB in Berlin am 28. Dezember 1967.

  138. 138.

    Etwa bei seiner Lesung am 15. Oktober 1969 in Tel Aviv und seiner letzten Lesung in der Bundesrepublik im Rahmen der Jahrestagung der Hölderlin-Gesellschaft in Stuttgart am 21. März 1970, also nur wenige Wochen vor seinem Tod, vgl. Celan und Celan-Lestrange: Briefwechsel, Bd. 2, S. 489 und 491.

  139. 139.

    Celan: „Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen (1958)“, in: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, S. 186. Im Übrigen darf man sich wohl an eine Passage aus Celans Gespräch im Gebirg (1959) erinnert fühlen: „… und wer spricht, Geschwisterkind, der redet zu niemand, der spricht, weil niemand ihn hört, niemand und Niemand, und dann sagt er, er und nicht sein Mund nicht seine Zunge, sagt er und nur er: Hörst du?“ Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, S. 171.

  140. 140.

    Paul Celan: „Der Meridian“, in: ebd., S. 189 und 197 f.

  141. 141.

    Ebd., S. 188.

  142. 142.

    Ellen Marga Schmidt: „Ingeborg Bachmann in Ton- und Bildaufzeichnungen“, in: Ingeborg Bachmann: Werke. München 1978, Bd. 4, S. 427–528.

  143. 143.

    Ein Geschäft mit Träumen (Wien 1952), Die Zikaden (Hamburg 1954), Der gute Gott von Manhattan (München und Hamburg 1959).

  144. 144.

    Vgl. Monika Albrecht und Dirk Göttsche (Hg.): Bachmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart und Weimar 2002; Oliver Simons und Elisabeth Wagner (Hg.): Bachmanns Medien. Berlin 2008.

  145. 145.

    Curt Hohoff: „Ingeborg Bachmann liest“, in: Süddeutsche Zeitung, 22. März 1956. Bewusst wird im Folgenden von Bachmanns Lesereisen abgesehen, die sie kreuz und quer durch die deutschsprachigen Länder und darüber hinaus führten und die eine eigene Untersuchung verdienten.

  146. 146.

    Böttiger: Die Gruppe 47, S. 149.

  147. 147.

    Ein Kollege am RWR-Radio in Wien, Jörg Mauthe , beschrieb sie als „kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach“. Zitiert nach Joseph McVeigh: „Nachwort“ in: Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie. Frankfurt 2011, S. 337–388, hier: S. 347.

  148. 148.

    „Inge hat eine so schöne silberne Stimme“, schrieb Celan an seinen Wiener Freund Klaus Demus , nachdem er von der enttäuschenden Begegnung mit ihr in Niendorf anlässlich des Treffens der Gruppe 47 im Mai 1952 berichtet hatte. Celan und Demus: Briefwechsel, S. 102. Wie als Echo auf die charakteristisch eindrückliche Persona ihrer Vortragsstimme schrieb ihr Celan aus Paris am 11. Januar 1958, nachdem er von einem geplanten öffentlichen Leseauftritt in Wien erfahren hatte: „Samstag / Du liest jetzt / Ich denk an Deine Stimme.“ Badiou, Höller, Stoll und Wiedemann (Hg.): Herzzeit, S. 83. Als ob diese Vortragsstimme gegenüber allem Vorgetragenen für ihn das Primäre gewesen wäre.

  149. 149.

    Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden“, in: Werke, Bd. 4, S. 277.

  150. 150.

    Bachmann hat selbst davon berichtet, dass sie bei ihrem ersten Auftritt vor der Gruppe 47 im Mai 1952 „vor Aufregung“ Erstickungsgefühle hatte, sodass ein anderer Schriftsteller ihre Gedichte „nochmals laut und deutlich“ vorlesen musste. Bachmann: „Gruppe 47. Ein Entwurf“, in: Werke, Bd. 4, S. 325. Richter hat seinerseits ihre ersten Auftritte vor der Gruppe so beschrieben: „Ihre Ohnmacht gleich nach der Lesung war nicht gespielt. Die innere Erregung war übermäßig geworden und hatte sie in die Ohnmacht getrieben. Sie las ihre Gedichte zum Schluß nicht mehr selbst, sie konnte es nicht, ihre Stimme wurde von Gedicht zu Gedicht immer leiser und versagte schließlich ganz. Dieser Vorgang wiederholte sich ein Jahr später in Mainz. Dort saß sie neben mir, las mit der gleichen stockenden, gehemmten und scheinbar immer wieder versagenden Stimme, und ihre Gedichte flatterten um sie herum. Die Blätter fielen lautlos zu Boden, lagen durcheinander auf dem Tisch, und manchmal warf sie ein Blatt so energisch beiseite, daß es in den Raum segelte. Ihre Lesung glich einem chaotischen Vorgang, wobei, so schien es mir, sie einerseits den Tränen nahe war und andererseits von einer unbestimmbaren Energie getrieben wurde, einer Energie, die nicht sichtbar, nicht erkennbar war.“ Hans Werner Richter: Im Etablissement der Schmetterlinge, S. 53, zitiert nach Böttiger: Die Gruppe 47, S. 152 f.

  151. 151.

    Als ihr Celan von seiner Lesung in der Bonner Universität am 17. November 1958 und von der antisemitischen Karikatur berichtete, die unter den Zuhörern kursierte, versuchte Bachmann ihn mit realpolitischen Argumenten zu beruhigen: Man wisse ja, dass solche antisemitisch gesonnenen Menschen in Deutschland nicht plötzlich alle verschwunden seien. „Es ist vielmehr die Frage, ob man, wenn man in einem Saal von Menschen, die man sich nicht aussuchen kann, hineingeht, bereit ist, trotzdem für die zu lesen, die zuhören wollen und sich der anderen schämen.“ Brief von Bachmann an Celan vom 10. Dezember 1958, in: Badiou, Höller, Stoll und Wiedemann (Hg.): Herzzeit, S. 99 f.

  152. 152.

    Folgt man einem varianztheoretischen Ansatz in den Sprachwissenschaften, so lassen sich Sprechweisen differenzieren nach sozialen Gruppen (Soziolekte), Individuen (Idiolekte), Sprachebenen (Hoch-, Standard-, Umgangs-, Alltagssprache, Slang etc.), Regionen (Dialekte, Regional- und Ortssprachen), funktionalen Aspekten (Amtssprache, Juristendeutsch, Wissenschaftssprache etc.), Entwicklungsstadien des Individuums (Babysprache, Jugendsprache, Erwachsenensprache) und historischen Epochen. Reinhard Fiehler, Birgit Barden, Mechthild Elstermann und Barbara Kraft: Eigenschaften gesprochener Sprache. Tübingen 2004, S. 137 f. Was in diesem Ansatz als Variation bzw. Varianten bezeichnet wird, firmiert in anderen sprachwissenschaftlichen Publikationen unter dem Begriff der Varietäten.

  153. 153.

    Ich danke Ina Hartwig (Frankfurt) ebenso wie Marion Lauschke (Berlin) und Ingvild Folkvord (Trondheim), die diese Überlegungen stimuliert haben. Vgl. Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann?, S. 59 f.; Marion Lauschke und Ingvild Folkvord: „The Materiality of the Body Speaking Its Mother Tongue. About Dialogues and Phenomena of Resonance“, in: International Journal for Dialogical Science 9.1 (Herbst 2015), S. 159–175.

  154. 154.

    Es lag wohl an ihrer mangelnden Routine, dass sie bei einem Wechsel des Metrums von Jamben zu Trochäen im Gedicht Dunkles zu sagen in der Lesung für den NWDR Hannover vom 4. Juni 1952 nicht den nötigen Atemdruck für die Eingangshebung aufbrachte. Mit wachsender Leseerfahrung sollte sie in dieser Hinsicht immer präziser werden.

  155. 155.

    Badiou, Höller, Stoll und Wiedemann (Hg.): Herzzeit, S. 267.

  156. 156.

    In diesem Sinne deutet Bachmann etwa Prousts Recherche du temps perdu als „Buch reiner Beziehungen, in dem jeder Satz und jede Stelle ein ‚Sesam öffne dich‘ ist und eine Tür in uns aufgehen läßt“. Ingeborg Bachmann: „Die Welt Marcel Prousts – Einblicke in ein Pandämonium“, in: Werke, Bd. 4, S. 178.

  157. 157.

    Dies gilt etwa für Bachmanns Lesung der Roman-Passagen über die Begegnung mit dem Arzt und früheren SS-Hauptsturmführer Dr. Kurt Körner in Kairo, bei der Franza diesen – in Identifikation mit seinen früheren KZ-Opern – um eine tödliche Spritze bittet, Lesung für den NDR Lübeck am 25. März 1966, auf CD wiederaufgelegt: Ingeborg Bachmann liest Todesarten, Der Hörverlag 2006, CD 4, Track 6–8. Vgl. Ingeborg Bachmann: „Todesarten“ -Projekt, Bd. 2: Das Buch Franza, bearbeitet von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. München und Zürich 1995, S. 297–314.

  158. 158.

    McVeigh: „Nachwort“, in: Bachmann: Die Radiofamilie, S. 337–388. Vgl. Bachmanns Briefe über ihre Radio-Erfahrungen an Paul Celan, in: Badiou, Höller, Stoll und Wiedemann (Hg.): Herzzeit, S. 37 (Brief vom 10. November 1951).

  159. 159.

    So zu Beginn von Bachmanns Lesung von An die Sonne (vermutlich im SFB Berlin am 19. November 1961), als sie von dem Ambiente und von Hintergrundgeräuschen in ihrer Konzentration gestört wird. Vgl. dazu Böttiger: Die Gruppe 47, S. 285 f.

  160. 160.

    Bachmann: Werke, Bd. 4, S. 498–506.

  161. 161.

    Eine der weitreichendsten Veränderungen betrifft das Gedicht Dunkles zu sagen. Die Autorin spricht in einer Lesung vom 4. Juni 1952 im NWDR Hannover einige zusätzliche hochexponierte Verse, die in die Druckfassung des Gedichts nicht aufgenommen wurden, vgl. ebd., S. 499.

  162. 162.

    Am schärfsten hat wohl ihr jüngerer Dichterkollege Thomas Kling geurteilt, als er Bachmann zwar eine große Prosa-Schriftstellerin, zugleich aber eine „kleine gehypte Dichterin“ nannte. Ihre Poesie sei „eine Kulissenschieberei, ein unelegantes Gewuchte von Bildern“. Thomas Kling: „Geschmacksurteile. Über Ingeborg Bachmanns Gedichte“, in: Botenstoffe, S. 182–185, hier: S. 184. Zu ihrem Erfolg als Lyrikerin bemerkte Kling nur trocken, dass „Anfang der 50er die Planstelle für die Poetessa (nur eine bitte!) im deutschsprachigen Raum neu zu besetzen“ gewesen sei, ebd., S. 182.

  163. 163.

    Ingeborg Bachmann: „Musik und Dichtung“, in: Werke, Bd. 4, S. 60 und 62. Vgl. Ingrid Strohschneider-Kohrs: Stimme und Sprache. Ingeborg Bachmanns Version des Undine-Themas. München 2003.

  164. 164.

    Dies war ein Gesichtspunkt der musikalischen Avantgarde der 1950er-Jahre, die im Serialismus versuchte, die Stimme in die musikalische Komposition wie ein Instrument zu integrieren.

  165. 165.

    Ingeborg Bachmann: „Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung“, in: Werke, Bd. 4, S. 217 und 218.

  166. 166.

    Ebd., S. 237: „Es ist das Wunder des Ich, daß es, wo immer es spricht, lebt; es kann nicht sterben – ob es geschlagen ist oder im Zweifel, ohne Glaubwürdigkeit und verstümmelt – dieses Ich ohne Gewähr! Und wenn keiner ihm glaubt, und wenn es sich selbst nicht glaubt, man muß ihm glauben, es muß sich glauben, sowie es einsetzt, sowie es zu Wort kommt, sich löst aus dem uniformen Chor, aus der schweigenden Versammlung, wer es auch sei, was es auch sei. Und es wird seinen Triumph haben, heute wie eh und je – als Platzhalter der menschlichen Stimme.“

  167. 167.

    In ihrem Gedicht Rede und Nachrede ruft das lyrische Ich die „Gunst aus Laut und Hauch“ als Beistand an, weil es weiß, wie sehr das dichterische „Wort“ ihrer „im Streit mit so viel Übel“ bedarf: „Komm, Gunst aus Laut und Hauch, / befestig diesen Mund, / wenn seine Schwachheit uns / entsetzt und hemmt.“ Werke, Bd. 1, S. 117. Einmal mehr: die Stimme als Garant dessen, was da aus einem unzuverlässigen und gehemmten Mund hervortritt. Die Affinität zu Celans in seiner Büchner-Preis-Rede vorgetragenen Konzeption, wonach die Sprache „etwas Personhaftes und Wahrnehmbares“ sein müsse, ist hier greifbar.

  168. 168.

    „Der Artist als Statthalter“, wie der exponierte Titel eines Rundfunkvortrags von Theodor W. Adorno 1953 lautete.

  169. 169.

    Johnson: Begleitumstände, S. 435. Immerhin rechtfertigte Johnson die Dichterlesung als eine „Chance“ für den Autor, „seinen Text ein letztes Mal zu überprüfen auf einen Bruch in den akustischen Schwingungen, verursacht durch ein irrtümlich eingesetztes Wort, und auf die Vollständigkeit des semantischen Netzes, das er hier emporhält und übergehen weiss in die Vorstellung der Zuhörer.“ Ebd., S. 436. Die Lesung vor Publikum diente Johnson also zur Kontrolle von Klanglichkeit, Rhythmizität und semantischer Kohärenz seiner Texte, die ihm von der „Echowand“ (Einar Schleef ) seiner Zuhörer zurückgeworfen wurden.

  170. 170.

    Klaus Podak: „Eine konkrete Dichterlesung. Franz Mon in der Stuttgarter Buchhandlung Niedlich“, in: Stuttgarter Zeitung, 14. April 1971 (DLA, Marbach).

  171. 171.

    „Vor der Dichterlesung: Verhöhnung. Peter Handke in der Technischen Universität Hannover“, dpa, Süddeutsche Zeitung, 10. Januar 1969 (DLA, Marbach). Ein anderer Bericht über diese Lesung in: Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg und Wien 1992, S. 124: „Mit einer ganz konventionellen Veranstaltung hatte bestimmt keiner gerechnet. Aber das, was dann wirklich geschah, hatten die wenigsten erwartet. Peter Handke stellte schlicht die Form der Dichterlesung auf den Kopf. Lächelnd, den sanften Blick hinter der Brille auf unendlich eingestellt, gab er bekannt, er werde die ersten Texte nicht selber lesen, er werde sie mit dem Bildwerfer an die Wand projizieren. Und während Musik aus den Lautsprechern quoll, bald Beat, bald Spirituals, bald brave Unterhaltungsklänge, schob Handke ins Projektionsgerät: ein Kreuzworträtsel, ein gedrucktes Fernsehprogramm, eine Mannschaftsaufstellung des 1. FC Nürnberg, einen Aufruf zur Protestdemonstration gegen das griechische Militärregime und anderes Gedrucktes mehr. Nach einer Viertelstunde brodelte es im Saal. Es gab Gelächter, dann mischte sich Ärger ein, viele fühlten sich gefoppt.“

  172. 172.

    Peter Haslinger beschreibt dies anschaulich: „Die Leute drängten sich in überfüllte Veranstaltungsräume, saßen auf Fensterbänken, lungerten auf dem Boden, quollen als Menschentrauben ums Rednerpult. Dann kam er, stürmisch erwartet von seinen Anhängern. Das ging so jahrelang von Termin zu Termin. Und die Tageszeitungen wirkten an diesem Ruhm erheblich mit, sie sprachen in wortschöpferischen Schlagzeilen von ‚Handke-Granaten‘ und ‚Handkemenge‘.“ Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers, S. 126 f. Freilich konnte es auch vorkommen, dass Handke die Termine seiner Lesungen schlicht vergaß und das wartende Publikum darüber im Ungewissen war, ob es sich hier nicht um eine neue, höchst ingeniöse Form der Publikumsbeschimpfung handelte, vgl. „Publikum wartete vergebens auf Peter Handke. Lesung einfach vergessen“, in: Ruhr Nachrichten, 18. Januar 1969 (DLA, Marbach).

  173. 173.

    Peter Handke: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“, in: Peter Handke: Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Hörspiel, Aufsätze. Frankfurt 1969, S. 272.

  174. 174.

    „Polizeibeschimpfung, Dichterverhaftung. In Graz: Peter Handke gerät mit der Obrigkeit in Konflikt“, in: Süddeutsche Zeitung, 11. Oktober 1971 (DLA, Marbach).

  175. 175.

    Zitiert nach Hubert Winkels: Einschnitte. Zur Literatur der 80er Jahre. Frankfurt 1991 [erw. Ausg. der Diss. Köln 1988], S. 234, Anm. 23.

  176. 176.

    Jochen Bonz: „Punk als Medium der Entäußerung in Rainald Goetz’ früher Prosa“, in: Text + Kritik 190 (2011), S. 4–16, hier: S. 5; Thomas Wegmann: „Stigma und Skandal oder ‚The Making of‘ Rainald Goetz“, in: Markus Joch u. a. (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009, S. 205–219; Innokentij Kreknin: Poetiken des Selbst. Identität, Autorschaft und Autofiktion. Am Beispiel von Rainald Goetz, Joachim Lottmann und Alban Nikolai Herbst. Berlin und Boston 2014, S. 37–184.

  177. 177.

    „Zunächst wird eine halbe Stunde gelesen, dann wird etwa gleich lang diskutiert. Zeitlich sind Text und Kritik gleichgestellt, und jedem Autor steht unabhängig vom Wert der eingesetzten Kapitalien (Reputation) theoretisch dieselbe Zeit zu. [Anmerkung: De facto überträgt 3sat vormittags bis zu den Mittagsnachrichten um 13 Uhr und abends bis 18 Uhr. Wird die Lese- und Diskussionszeit überschritten, steigt der Sender aus der Übertragung einfach aus – den letzten beißen die medialen Hunde.]“ Doris Moser: „Feldspieler und Spielfelder. Vom Gewinnen und Verlieren beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb“, in: Markus Joch u. a. (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009, S. 189–203, hier: S. 194.

  178. 178.

    Wie der Literaturhistoriker Winfried Barner schrieb: „Die alljährliche Diskussion um den Vergabemodus und einzelne Eklats (Proteste von Vorlesenden wie von Juroren), auch die Beschwörung einer ‚Krise‘ dieser Institution gehören – wie zu Zeiten der Gruppe 47 – zum ‚Stoff‘ des literarischen Lebens in den achtziger Jahren.“ Barner (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart, S. 807 f.

  179. 179.

    Petra Gropp: „‚Ich/Goetz/Raspe/Dichter‘. Medienästhetische Verkörperungsformen der Autorfigur Rainald Goetz“, in: Grimm und Schräft (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen, S. 231–247, hier: S. 243.

  180. 180.

    Rainald Goetz: „Subito“, in: Hirn. Frankfurt 22015 [1987], S. 9–21.

  181. 181.

    Rainald Goetz: Irre. Roman. Frankfurt 162015 [1983], S. 107 f.

  182. 182.

    Goetz: „Subito“, in: Hirn, S. 17.

  183. 183.

    Ebd., S. 20. Bemerkenswert sind übrigens in Text wie Vortrag die Anklänge an den Bayrischen Dialekt (etwa die doppelte Verneinung als Bekräftigung oder das „Ihr könnts“), die den Eindruck authentischen Sprechens durch lokale Bodenhaftung verstärken sollen.

  184. 184.

    Ebd., S. 16.

  185. 185.

    Gropp: „‚Ich/Goetz/Raspe/Dichter‘. Medienästhetische Verkörperungsformen der Autorfigur Rainald Goetz“, S. 241.

  186. 186.

    Nadja Geer: Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose. Göttingen 2012, S. 146.

  187. 187.

    Vgl. die Überlegungen von Eckhard Schumacher: „Adapted from a true story. Autorschaft und Authentizität in Rainald Goetz’ ‚Heute Morgen‘“, in: Text + Kritik 190 (2011), S. 77–88, hier: S. 80.

  188. 188.

    Vgl. zu dem von dem französischen Autor und Literaturwissenschaftler Serge Doubrovsky eingeführten Begriff der Autofiktion Martina Wagner-Egelhaaf in ihrer Einleitung zu: Auto(r)fiktion. Literarische Verfahren der Selbstkonstruktion. Bielefeld 2013, S. 9–12. Vgl. Philipp Müller und Kolja Schmidt: „Goetzendämmerung in Klagenfurt: Die Uraufführung der sezessionistischen Selbstpoetik von Rainald Goetz“, in: Ralph Köhnen (Hg.): Selbstpoetik 1800–2000. Ich-Identität als literarisches Zeichenrecycling. Frankfurt 2001, S. 251–270, hier: S. 266 f.

  189. 189.

    Benjamin von Stuckrad-Barre hat diese Attitüde von Goetz hellsichtig analysiert: „Die überspannten Auftritte des Rainald Goetz in jener Öffentlichkeit, die zu beobachten und zu sezieren und schließlich schriftlich zu vernichten ja immer sein Konzept und seine Bedingung jeglicher Teilnahme, wenn nicht Teilhabe war, immer mit Kinderfüllfederhalter und Oktavheft ausgerüstet, ja man muss wohl sagen: bewaffnet, diese öffentlichen Auftritte waren natürlich selbst auch Teil der Öffentlichkeit und also als solche zu bestaunen; wie ein Kind, das sich die Augen zuhält, schien Goetz nie so ganz klar zu sein, das auch er gesehen wird bei seinen Erkundungen.“ Benjamin von Stuckrad-Barre: „Rainald und ich. Wie gut wollen wir die Schriftsteller, die wir bewundern, wirklich kennen?“ In: Die Welt, 18. März 2017, S. 30 (DLA, Marbach).

  190. 190.

    Das maschinenschriftliche Manuskript von Wallraff ist reproduziert bei: Doktor und Spies: Gottfried Benn – Rainald Goetz, S. 73–109, hier: S. 92.

  191. 191.

    Ebd. S. 91.

  192. 192.

    Doktor und Spies neigen dazu, Goetz ’ Aktion als Widerstand eines einzelnen Künstlers gegen die ihn fremdbestimmende Medienwelt zu heroisieren, vgl. ebd., S. 98.

  193. 193.

    Vgl. ebd., S. 95.

  194. 194.

    Der im engeren Sinne literarische Skandal ist freilich noch älter, er beginnt in Deutschland im Sturm und Drang mit den Auseinandersetzungen um Goethes Prometheus und Werther sowie mit der Ossian-Debatte.

  195. 195.

    Georg Hensel: Glücks-Pfennige. Lustvolles Nachdenken über Theater, Literatur und Leben. Frankfurt und Leipzig 1995, S. 25 und 35 (darin das Kapitel „Skandale oder die Kunst der Provokation“, S. 23–43).

  196. 196.

    Thomas Bernhard: Alte Meister. Komödie. Frankfurt 1985, S. 223 f. Eine eher humorvolle Weise der Komisierung des Rituals der Dichterlesung wählte Loriot (alias Vicco von Bülow) mit der Satire Krawehl! Krawehl! in seinem Film Pappa ante portas (1991).

  197. 197.

    Thomas Kling: „Vorstellung eines neuen Mitglieds“, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 2001. Göttingen 2002, S. 91 f., hier: S. 91.

  198. 198.

    Zitiert nach Thomas Kling: „Peter Huchel Dankabstattung. ‚Die Wespen singen drüber wild‘“, in: Botenstoffe, S. 164–171, hier: S. 164 und 165.

  199. 199.

    Kling: Itinerar, S. 9.

  200. 200.

    Hanns Zischler: „Hörstücke, Sprechstücke“, in: Lothar Müller (Hg.): Stimmenzauber. Von Rezitatoren, Schauspielern, Dichtern und ihren Zuhörern. Göttingen 2009, S. 13–19, hier: S. 19. Schon Theodor Fontane , der kein Liebhaber des lauten Vorlesens war, hatte in einem Brief an Theodor Storm Argumente zugunsten des stillen Selbstlesens entfaltet, als er schrieb: „Mir ist aufgefallen, daß beim Selbstlesen die Arbeit einen ungleich bedeutenderen Eindruck macht als beim Hören. Es ist, als ob das Auge das volle Verständniß doch besser vermittle. Vielleicht liegt’s ganz einfach daran, daß man beim Lesen willkürlich verweilen und alles Schöne con amore zurechtlegen und vergegenwärtigen kann, während der Vorleser einem dazu nicht Zeit läßt und wie ein Dampfwagen über die schönsten Landschaften dahinjagt. Der alte Postwagen aber, der überall anhielt, stand nun mal von jeher mit der Poesie auf einem besseren Fuß als [unlesbar] die unsere Zeit beherrscht.“ Fontane an Storm am 11. April 1853, in: Theodor Storm – Theodor Fontane. Briefwechsel, S. 12. Die Möglichkeit, beim stillen Lesen verweilen zu können, vor- und zurückzublättern, besondere Stellen wiederholt zu lesen, darüber ins Nachdenken zu kommen usw. – all das sind Optionen einer stillen Lektüre, die bei einer Lesung verloren gehen. Dem einsamen Leser eröffnen sich andere Phantasiespielräume als dem Zuhörer.

  201. 201.

    Geitner: Die Sprache der Verstellung, S. 342. Bereits der Begründer der literarischen Vortragskunst als autonomer Kunstform im russischen Formalismus, Sergej I. Bernštejn , war der Auffassung, dass die Deklamation immer eine definitive Entscheidung zugunsten der einen Version gegenüber anderen Interpretationsmöglichkeiten voraussetzt, während die Rezeption eines Gedichts im Akt des stillen Lesens die Wahrnehmung divergierender Interpretationsmöglichkeiten erlaube – und zwar in Koexistenz und unaufgelöster Vielschichtigkeit. Vgl. Hansen-Löve: Der russische Formalismus, S. 335. Doch das hinderte Bernštejn nicht daran, das Sprechkunstwerk als eigene Kunstform anzuerkennen.

  202. 202.

    Oskar Pastior versuchte denn auch, in seinen letzten Lebensjahren sein lyrisches Gesamtwerk einzusprechen. Nachdem viele Aufnahmen zwischen 1969 und 1987 im Literarischen Colloquium Berlin und in verschiedenen Rundfunkanstalten gemacht worden waren, nahm er von 2002 bis 2006 im Studio AudioCue (Berlin) fast alle noch fehlenden Texte auf, unterstützt von seinem Verleger.

  203. 203.

    Dies galt zumal aus der Perspektive eines vom französischen Poststrukturalismus inspirierten Begriffs der „lecture“: „Sobald der Leser versucht, sich als eine Instanz zu etablieren, die sich gegenüber dem Werk behauptet und auf irgend eine Weise Macht über es ausübt, geht der Freiraum des zustimmenden Ja verloren, und der Leser wird zum Interpreten oder Kritiker. […] Die Person, sei es die des Autors oder des Lesers, hindert das Werk daran, sich zu manifestieren. Die Abhängigkeit des Werks von der Person wäre die Herrschaft der Person über das Werk. Lesen im Sinne von [Maurice] Blanchot ist nicht Bemächtigung. Dadurch unterscheidet es sich von fast allem, was sich im akademischen und journalistischen Literaturbetrieb als Lesen ausgibt.“ Hans-Jost Frey: Maurice Blanchot. Das Ende der Sprache schreiben. Basel und Weil 2007, S. 22 f. Zielt moderne Literatur seit Flaubert nicht auf solches vielschichtiges Lesen, das die unterschiedlichen Bedeutungsebenen ko-präsent hält? Der amerikanische Kunsthistoriker und Dichter Michael Fried hat solche Vielschichtigkeit des Rezeptions- bzw. Leseakts am Beispiel von Flauberts Madame Bovary als Kennzeichen moderner Literatur beschrieben, vgl. Michael Fried: Flaubert’s „Gueuloir“. On „Madame Bovary“ and „Salambô“. New Haven 2012, S. 32.

  204. 204.

    Vortragskunst ist in dieser Hinsicht mit dem Theater verwandt, das primär ein Theater einer bestimmten Sprach- und Kulturgemeinschaft ist. Doch kennt das Theater immerhin einen Transfer seiner visuellen Darbietungsformen, von der Bühnenkunst und den Kostümen bis hin zur Gestik und Mimik der Akteure. Solche interkulturellen Wechselbeziehungen blieben der Vortragskunst lange versagt, weil ihre Sprach-Gebundenheit eine Darbietung vor anderssprachigem Publikum unmöglich machte – abgesehen von vereinzelten Rezeptionen im Kontext des Fremdsprachenunterrichts. Eine Veränderung zeichnete sich erst seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts durch die vielsprachigen internationalen Poetry-Festivals ab.

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Meyer-Kalkus, R. (2020). Dichterlesungen nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Geschichte der literarischen Vortragskunst. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04802-8_27

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