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Hölderlin-Rezitationen im 20. Jahrhundert

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Geschichte der literarischen Vortragskunst
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Zusammenfassung

Lesungen von Hölderlins Werken gehören – neben Schiller- und Goethe-Lesungen – zu den anspruchsvollsten Aufgaben literarischer Vortragskunst im 20. Jahrhundert. Die Wiederentdeckung seiner Lyrik vor dem Ersten Weltkrieg war von Versuchen einer Wiederbelebung einer ihr angemessenen rhythmischen Rezitation begleitet. Richtungsweisend war dabei der Hölderlin-Herausgeber Norbert von Hellingrath, der Anregungen des George-Kreises aufnahm. Seine Überlegungen zur harten Fügung vor allem in Hölderlins vaterländischen Gesängen und zu einer entsprechenden Rezitationsweise machten Schule unter Germanisten, Sprecherziehern und selbst bei einem Laien-Rezitator wie Martin Heidegger. Die Potenziale dieser Anregungen scheinen auch heute noch nicht aufgebraucht zu sein, auch wenn man damit nicht der Illusion einer historischen Vortragspraxis verfallen darf. Eine Analyse der vortragsästhetischen Vorgaben von Brod und Wein kann dies zeigen. Ein abschließender Seitenblick fällt auf die Hölderlin-Vertonungen im 20. Jahrhundert, an denen ablesbar ist, wie die musikalische Deklamation durch den Filter der Vortragskunst gebrochen wurde.

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Notes

  1. 1.

    Wüllner las Passagen aus Hölderlins Tod des Empedokles erst nach 1914 öffentlich vor. Vgl. Ludwig: Ludwig Wüllner, S. 218. Offenbar war die Schauspielerin und Leiterin der Düsseldorfer Theaterakademie Louise Dumont die Erste, die Hölderlin im Jahr 1905 öffentlich rezitierte.

  2. 2.

    Martin Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. Frankfurt 41971 [1944], S. 34.

  3. 3.

    Ludwig Hardt nahm sieben Hölderlin-Gedichte in sein Vortragsbuch (Hamburg 1924) auf, darunter Hälfte des Lebens und Die Linien des Lebens. Vgl. den Bericht des Berliner Tageblatt vom 5. Februar 1924 über eine Lesung, bei der Hardt Hölderlin neben Goethe und anderen Dichtern öffentlich rezitierte (Hölderlin-Archiv Stuttgart).

  4. 4.

    Die ersten erhalten gebliebenen Schallplattenaufnahmen hatten eine überwiegend sprecherzieherische Funktion, sie dienten als Anschauungsbeispiele für den Deutschunterricht an Gymnasien und für den Bereich Deutsch als Fremdsprache. So lasen der Sprecherzieher Friedrichkarl Roedemeyer Abbitte für die Carl Lindström AG (1925), der Schauspieler Wolfgang Hoffmann-Harnisch Das Ahnenbild (1928) und die Sprecherzieherin Vilma Mönckeberg-Kollmar An den Äther (Berliner Lautarchiv, 1929). Der renommierte Schauspieler Friedrich Kayßler rezitierte das von Hölderlin übersetzte Chorlied Ungeheuer ist viel aus Sophokles’ Antigone im Jahr 1932 im Rundfunk und auf Schellackplatte. Weitere erhalten gebliebene Aufnahmen auf Schellackplatten sind: Roderich Arndt mit Hyperions Schicksalslied (1935), Ewald Balser mit Der Jüngling an die klugen Ratgeber (1939), Georg Eilert mit Der Tod fürs Vaterland (1939) und Ernst Stimmel mit Hyperions Schicksalslied (1940), Informationen nach Walter Roller (Hg.): Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1888–1932. Potsdam 1998; Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1933–1935. Potsdam 2000; Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1936–1938. Potsdam 2002; Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1939–1940. Berlin 2006.

  5. 5.

    Friedrichkarl Roedemeyer: Vom Wesen des Sprech-Chores. Augsburg 1926, S. 63.

  6. 6.

    Adolf Johannesson: Leitfaden für Sprechchöre. Berlin 11927, S. 42 f.

  7. 7.

    Die Reichsführung der Hitler-Jugend ließ 1600 Exemplare der Hölderlin-Sammlung Gebot und Erfüllung. Aussprüche, Gedanken, Weisheiten (hg. Hartfrid Voss. Ebenhausen 1937) an die Dienststellen im Reich verteilen. Diese Sammlung sollte bis 1944 eine Auflage von 70.000 Exemplaren erreichen.

  8. 8.

    Vgl. die Dokumentation von Zeitungsartikeln im Stuttgarter Hölderlin-Archiv.

  9. 9.

    Tonaufnahme im Stuttgarter Hölderlin-Archiv. Die an der Ostfront Gefallenen, so Goebbels, hätten als Männer und Helden „das stolzeste und tapferste Leben [geführt], das ein Sohn des Vaterlandes führen kann, und krönten es mit dem heroischsten Abschluß, mit dem man es überhaupt zu Ende zu bringen vermag“.

  10. 10.

    Der Sprechwissenschaftler Hellmut Geißner hat 1965 Hölderlin-Rezitationen auf Sprechschallplatte von den Schauspielern Rolf Henniger , Will Quadflieg , Heinz Schimmelpfennig und Mathias Wieman miteinander verglichen und dabei die Beobachtung gemacht, dass sie bei allen Unterschieden darin übereinstimmen, dass sie allesamt eine eigentümliche Unkenntnis der metrisch-rhythmischen Strukturen der Gedichte verraten: „Ob Ode, Elegie oder Hymne – die strengen Formen, die nach einem ‚gesetzlichen Kalkül‘ gebaut sind – sie werden von den Sprechern verfehlt. […] Auch hier wird nur nach Eindrücken gesprochen und (im allgemeinen) nur nach Eindrücken geurteilt; aber diese gefühlsmäßige Stimmigkeit ist kein zuverlässiges Kriterium. Auch für die Sprechkunst gilt es, den ‚Kalkül‘ der Texte aufzuspüren, wenn Willkür ausgeschaltet, wenn Sprechkunst als Sprechkunst begründet sein soll.“ Geißner: Schallplattenanalysen, S. 164 f. Zur Diskussion der Hölderlin-Rezitationen auf Sprechschallplatte im Bereich der Sprecherziehung vgl. Rudolf Rösener: „Verse von Band und Platte“, in: Sprechen – Hören – Verstehen. Tonträger und sprachliche Kommunikation, hg. Hellmut Geißner und Wilhelm L. Höffe. Wuppertal u. a. 1968, S. 118–126; ders.: „Gesprochene Dichtung heute“, in: Wilhelm Höffe: Gesprochene Dichtung – heute? Zur Theorie und Praxis ästhetischer Kommunikation. Kastellaun 1979, S. 93–101; Irmgard Weithase: Sprachwerke – Sprechhandlungen. Über den sprecherischen Nachvollzug von Dichtungen. Köln und Wien 1980, S. 121–128 (zu An die Parzen); Christel Hohberg: „Zur Sprechgestalt literarischer Texte“, in: Wilhelm Höffe: Gesprochene Dichtung – heute?, S. 103–143 (S. 115–122 zu Hälfte des Lebens); Marie-Hedi Kaulhausen: Das gesprochene Gedicht und seine Gestalt. Göttingen 21959, S. 155–159 (zu Die Heimat); Christian Winkler: Gesprochene Dichtung. Textdeutung und Sprechanweisung. Düsseldorf 1958, S. 152–158 und 171–178 (Abendphantasie).

  11. 11.

    Bekanntlich verstörte Schiller schon die Ohren seiner Mannheimer Zuhörer durch einen „hochtrabenden Ton“ und die „verwünschte Art, wie er alles deklamirt“, nicht zuletzt durch seine „schwäbische Aussprache“. Max Hecker und Julius Petersen (Hg.): Schillers Persönlichkeit. Urtheile der Zeitgenossen und Documente, Teil 1. Weimar 1904, S. 226.

  12. 12.

    Rudolf Magenau erinnerte sich: „Wir versammelten uns nehmlich wöchentlich einmal, des donnerstages bei einem Becher Weins oder Bier, und da mußte jeder ein Gedicht sr. Muße vorlesen, das er den Tag zuvor jedem der Gesellschaft schriftlich übergeben hatte. Frei zu urtheilen war jedem erlaubt, ja es war erste Pflicht. Zu diesem Ende war ein eigenes Buch bereit, in welches die Gedichte, wenn sie gesichtet waren, eingeschrieben wurden. Mit jeder Woche wurde von uns dreien einer zum Aldermanne gewählt. Dieser durfte den zwei andern, sich selbst nicht vergessend, ein Thema zu einer ästhetischen Abhandlung anweisen, u. vorschlagen, welche alsdenn bei der nächsten Sizzung abgelesen werden mußte, zb. über Sprache, Purismus derselben, Schönheit, Würde, Popularität, u.s.w. […] Nicht selten laßen wir auch ganze Werke gemeinschaftlich, und beurtheilten sie.“ Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. 7/1, hg. Friedrich Beissner. Stuttgart 1968, S. 395.

  13. 13.

    Friedrich Hölderlin: Fragment von Hyperion, in: Sämtliche Werke und Briefe, hg. Jochen Schmidt, Bd. 2. Frankfurt 1994, S. 192. Ich zitiere Hölderlins Texte im Folgenden nach dieser Ausgabe – mit einer Ausnahme: den Titel seiner Elegie Brod und Wein, siehe unten Anmerkung 151.

  14. 14.

    Hans Joachim Kreutzer: „Tönende Ordnung der Welt. Über die Musik in Hölderlins Lyrik“, in: ders.: Obertöne: Literatur und Musik. Neun Abhandlungen über das Zusammenspiel der Künste. Würzburg 1994, S. 67–102, bes. S. 71–81.

  15. 15.

    Wilhelm Waiblinger: Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn, nach der Marbacher Handschrift herausgegeben und erläutert von Adolf Beck. Marbach 1951, S. 15.

  16. 16.

    „Hölderlin unterhält sich mit Fortepiano Spiel und zuweilen auch mit Deklamiren, oft auch mit Zeichnen“, notierte der Tischlermeister Zimmer. Zitiert nach Kreuzer: „Tönende Ordnung der Welt. Über die Musik in Hölderlins Lyrik“, S. 80.

  17. 17.

    Abgangszeugnis Hölderlins vom Tübinger Stift, in: Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 3, S. 618.

  18. 18.

    Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, in: KSA, Bd. 5, S. 191 (Nr. 247).

  19. 19.

    Wie dies Johann Gottfried Herder in anderem Zusammenhang einmal formulierte, in: „Homer, ein Günstling der Zeit“, in: Werke, Bd. 8, S. 95. Nach Herder war die beste Deklamation von Hexametern eine solche, „die seine Füße am meisten verbirgt, und nur alsdenn hören läßt, wenn sie die Materie unterstützen.“ Johann Gottfried Herder: „Über die neuere deutsche Literatur I“, in: Werke, Bd. 1, S. 202.

  20. 20.

    Karlheinz Stierle: „Die Friedensfeier. Sprache und Fest im revolutionären und nachrevolutionären Frankreich und bei Hölderlin“, in: Walter Haug und Rainer Warning (Hg.): Das Fest (Poetik und Hermeneutik 14). München 1989, S. 481–525, hier: S. 490 und 500.

  21. 21.

    Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 341 f.

  22. 22.

    Stierle: „Die Friedensfeier“, S. 500.

  23. 23.

    Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 66.

  24. 24.

    Etwa die Apostrophe eines „Auftraggebers als angesprochenem [Gast-]Freund, der Polisgemeinde als seinem Publikum und der Jugend als Chor“, vgl. Thomas Poiss: „Hölderlins Pindar-Übersetzung. Voraussetzungen und Konsequenzen“, in: Martin Harsmeier u. a. (Hg.): Übersetzung antiker Literatur. Funktionen und Konzeptionen im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin und New York 2008, S. 189–205, hier: S. 199. Für Hölderlin blieb am Ende wohl nur die Hoffnung, dass bei künftigen Volksfesten „mein einsam Lied / Mit Euch zum Freudenchore“ erklingen werde, wie Empedokles sagt. Der Tod des Empedokles, 1. Fassung, Vers 1479 f., in: Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 339.

  25. 25.

    Wolfram Groddeck: Hölderlins Elegie „Brod und Wein“ oder „Die Nacht“. Frankfurt und Basel 2012, S. 58.

  26. 26.

    Vgl. Henning Bothe: „Ein Zeichen sind wir, deutungslos“. Die Rezeption Hölderlins von ihren Anfängen bis zu Stefan George. Stuttgart 1992.

  27. 27.

    Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache, in: Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 12, hg. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt 1985, S. 172.

  28. 28.

    Vgl. Ute Oelmann: „Hölderlins Wiederkehr“, in: Hölderlin-Entdeckungen. Studien zur Rezeption, hg. von Ute Oelmann. Stuttgart 2008, S. 11–29.

  29. 29.

    Vgl. Heinrich Kaulen: „Der unbestechliche Philologe. Zum Gedächtnis Norbert von Hellingraths (1888–1916)“, in: Hölderlin-Jahrbuch 27 (1990/91), S. 182–209; Bruno Pieger: „Norbert von Hellingrath und die Entdeckung des späten Hölderlin“, in: Valérie Lawitschka (Hg.): Hölderlin: Philosophie und Dichtung. Tübingen 2001, S. 131–156; Jürgen Brokoff, Joachim Jacob und Marcel Lepper (Hg.): Norbert von Hellingrath und die Ästhetik der europäischen Moderne. Göttingen 2014.

  30. 30.

    „Das sybillinische buch lang in den truhen verschlossen weil niemand es lesen konnte wird nun der allgemeinheit zugeführt und den erstaunten blicken eröffnet sich eine unbekannte welt des geheimnisses und der verkündigung“ („Lobrede“, 1914). Stefan George: „Hölderlin“, in: Tage und Taten. Gesamtausgabe, Bd. 17. Berlin 1933, S. 69. Hellingrath konnte selbst nur drei Bände herausbringen: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe unter Mitarbeit von Friedrich Seebaß besorgt durch Norbert von Hellingrath. Bd. 1: Jugendgedichte und Briefe 1784–1794. München und Leipzig 1913; Bd. 4: Gedichte 1800–1806. Berlin 1916 (hiervon existiert eine auf 100 Exemplare beschränkte, bereits 1914 erschienene Sonderausgabe, die George , Rilke und wohl auch Trakl bekannt war); Bd. 5: Übersetzungen und Briefe 1800–1806. München und Leipzig 1913.

  31. 31.

    Deren Autorität wurde wiederum in den 1970er-Jahren von der Hölderlin-Ausgabe Dietrich E. Sattlers angefochten.

  32. 32.

    Vgl. seine Aufzeichnung vom 17. August 1908, in: Norbert von Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, hg. Ludwig von Pigenot. München 2. verm. Aufl. 1944 [1936], S. 200.

  33. 33.

    Zu den Beziehungen zwischen Hellingrath und Rilke vgl. Klaus E. Bohnenkamp (Hg.): Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath: Briefe und Dokumente. Göttingen 2008. Hellingraths Vortrag über Hölderlins Wahnsinn (am 27. Februar 1915) wohnte unter anderem Rilke bei, zusammen mit seiner Freundin Lou Albert-Lasard , die meinte, Hellingrath sei von seinem Gegenstand so „durchglüht“ gewesen, „daß wir uns des Eindrucks nicht erwehren konnten, es sei dieser außerordentliche Kopf der des jungen Hölderlin selbst“. Marie von Hellingrath an Rainer Maria Rilke am 21. Februar 1915, zitiert nach ebd. S. 147.

  34. 34.

    Vgl. Raulff: Kreis ohne Meister, S. 253 ff. George setzte mit dem Gedicht Norbert (Das neue Reich, S. 117) dem im Krieg vor Verdun Gefallenen ein Denkmal: „Du eher mönch geneigt auf seinem buche …“. Vgl. Hellingraths eigene Schilderung einer seiner Begegnungen mit George gegenüber seiner Braut Imma von Ehrenfels am 22. Dezember 1913, in: Pieger: „Norbert von Hellingrath und die Entdeckung des späten Hölderlin“, S. 145 f.; Ute Oelmann: „Hellingrath und der George-Kreis“, in: Brokoff, Jacob und Lepper (Hg.): Norbert von Hellingrath und die Ästhetik der europäischen Moderne, S. 147–160.

  35. 35.

    Gerade diese Solidarität mit Motiven der George-Schule wurde Hellingrath von germanistischen Fachgenossen angekreidet, wie von seinem schärfsten Opponenten Franz Zinkernagel , der selbst eine Hölderlin-Ausgabe im Insel-Verlag herausgebracht hatte, vgl. Franz Zinkernagel: „Rezension der Historisch-Kritischen Ausgabe“, in: Euphorion 21 (1914), S. 356–363. Verführt durch George gebe Hellingrath „dem Gefühlsgehalt des Lautes, des Rhythmus, der Sprachmelodie“ den Vorzug vor aller „Gedankenkunst“ (S. 359).

  36. 36.

    Friedrich Hölderlin: Hölderlins Pindar-Übertragungen, hg. Norbert von Hellingrath. Berlin 1910.

  37. 37.

    Zur Rezeption dieser von Hellingrath angestoßenen Hölderlin-Rezeption im George-Kreis vgl. Boehringer: Mein Bild von Stefan George, S. 141 f.; vgl. Achim Aurnhammer: „Stefan George und Hölderlin“, in: Euphorion 81 (1987), S. 81–99.

  38. 38.

    Hellingrath: „Hölderlin und die Deutschen“, in: Hölderlin-Vermächtnis, S. 123–154, hier: S. 124 f. Zur Frage der Datierung von Hellingraths beiden Hölderlin-Vorträgen vgl. den Kommentar von Klaus E. Bohnenkamp in: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 136.

  39. 39.

    Vgl. Karl Wolfskehl: „Die Blätter für die Kunst und die neuste Literatur“, in: Die Blätter für die Kunst (1910), S. 14 f.

  40. 40.

    Vgl. Karlauf: Stefan George, S. 410.

  41. 41.

    Hugo von Hofmannsthal: „Wiener Brief (4.)“, in: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze, Bd. 2, S. 487–490. Ursprünglich war dieser Text für die amerikanische Literaturzeitschrift The Dial 75 (1923) geschrieben worden.

  42. 42.

    Vgl. Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 219.

  43. 43.

    So nach einer Erinnerung von Edgar Salin : Um Stefan George. Erinnerung und Zeugnis. München 21954 [1948], S. 21. George soll Hellingrath – nach Salins Darstellung – einmal auf verschiedene Stellen seiner Abschriften der späten Gesänge aufmerksam gemacht haben, bei denen er die Richtigkeit der Übertragung anzweifelte. Er habe gesagt: „Lautes Lesen gibt Ihnen mehr Gewähr für die richtige Abschrift als das lange Entziffern.“ Worauf Hellingrath erwiderte, dass er diesem Rat schon immer gefolgt sei.

  44. 44.

    Vgl. Brief von Imma von Bodmershof an Martin Heidegger am 17. April 1963, in: Martin Heidegger und Imma von Bodmershof: Briefwechsel 1959–1976, hg. Bruno Pieger. Stuttgart 2000, S. 38.

  45. 45.

    Rilke berichtete einmal von einer solchen Hölderlin-Lesung Hellingraths – von „dieser sternhaften hohen Gegenwart hölderlinscher Worte“. Rilke an Maria Hellingrath, 26. Oktober 1914, zitiert nach Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 115.

  46. 46.

    Karl Alexander von Müller: Aus Gärten der Vergangenheit. Erinnerungen 1882–1914. Stuttgart 1951, S. 500, zitiert nach ebd., S. 114.

  47. 47.

    Salin: Um Stefan George, S. 115 f.

  48. 48.

    Vgl. Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945. Berlin 2009, S. 257–306.

  49. 49.

    Zitiert nach Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 137.

  50. 50.

    Martynkewicz: Salon Deutschland, S. 297.

  51. 51.

    Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 127 und 131 f.

  52. 52.

    Hellingrath: „Hölderlin und die Deutschen“, S. 126 f.; vgl. Boehringer: „Über Hersagen von Gedichten“, in: Kleine Schriften S. 5.

  53. 53.

    „Vorrede zum 4. Band der Historisch-Kritischen Ausgabe“, zitiert nach: Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 107.

  54. 54.

    „Vorrede zum 5. Band der Historisch-Kritischen Werk-Ausgabe“, zitiert nach: ebd., S. 113. Hellingraths Kritiker Zinkernagel konnte in solchen Ratschlägen nur „naiv anmaßende Anweisungen“ erblicken („Rezension der Historisch-Kritischen Ausgabe“, in: Euphorion 21, S. 359).

  55. 55.

    Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 114.

  56. 56.

    Norbert von Hellingrath: „Kommentar zu den ‚Anmerkungen zum Ödipus‘“, in: Hölderlin: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 357.

  57. 57.

    Norbert von Hellingrath: Brief an Wilhelm Böhm vom 13. November 1910, in: „Norbert Hellingraths Briefwechsel mit Wilhelm Böhm, mitgeteilt von Alfred Kelletat“, in: Hölderlin-Jahrbuch 15/16 (1967/68), S. 277–303, hier: S. 295.

  58. 58.

    Hellingrath: Pindarübertragungen von Hölderlin, S. 2–6. Vgl. Dionysios von Halikarnass: De compositione verborum. Seinem Freund Hermann Hergt legte Hellingrath die Lektüre dieses Textes, besonders von Kapitel XXII ff., ans Herz, vgl. Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 48.

  59. 59.

    „Im syntaktischen derselbe gegensatz: dort das einfachste und schmiegsamste / hier erstaunlichere satzgefüge: anakoluthe / bald prädicatlos hingestellte worte / in deren kürze ein satz zusammengedrängt ist / bald weitgespannte perioden / die zwei drei mal neu einsetzen und dann noch überraschend abbrechen; nur niemals die widerstandslose folge des logischen zusammenhangs / stets voll jähen wechsel in der construction und im widerstreit mit den perioden der metrik. […] hier gilt es die übliche aneinanderlehnung der worte zu stören.“ Hellingrath: Pindarübertragungen von Hölderlin, S. 2–6.

  60. 60.

    Ebd., S. 4 und 6.

  61. 61.

    Vgl. Jürgen Brokoff: „Der ‚Hunneneinbruch in die civilisierte literarhistorie‘. Vor einhundert Jahren schrieb Norbert von Hellingrath seine Dissertation über Hölderlin“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. April 2010; ders: „Norbert von Hellingraths Ästhetik der harten Wortfügung und die Kunsttheorie der europäischen Avantgarde“, in: Brokoff, Jacob und Lepper (Hg.): Norbert von Hellingrath und die Ästhetik der europäischen Moderne, S. 51–70; Aage A. Hansen-Löve: „Ein zu Hellingrath hinzugedachtes Russland der Dichter“, in: ebd., S. 33–50.

  62. 62.

    Vgl. den von Paul Valéry kolportierten Ausspruch von Stéphane Mallarmé : „Ce n’est point avec des idées, mon cher Degas, que l’on fait des vers. C’est avec des mots.“ Paul Valéry: „Poésie et pensée abstraite“, in: Œuvres, Bd. 1, hg. Jean Hytier. Paris 1965, S. 1324.

  63. 63.

    Hellingrath: Pindarübertragungen von Hölderlin, S. 11. Hofmannsthal sollte Hellingraths Typologie widersprechen, indem er den Unterschied zwischen harter (oder wie er sagte „rauher“) und glatter Fügung im Hinblick auf Goethes und Hölderlins Dichtungen relativierte: „Die ‚glatte‘ und ‚rauhe‘ Fügung vermögen in dieser Region [der Sprachkunst] kaum mehr unterschieden zu werden, alles was dem Bereich der poetischen Rhetorik angehört, bleibt weit zurück.“ Hugo von Hofmannsthal: „Wert und Ehre deutscher Sprache“, in: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze, Bd. 3, S. 130.

  64. 64.

    Hellingrath: Pindarübertragungen von Hölderlin, S. 3. An diese Charakterisierung wird Heidegger in seiner Freiburger Hölderlin-Vorlesung im Winter 1934/35 anknüpfen, um sie seinsgeschichtlich aufzuladen.

  65. 65.

    Entsprechende Überlegungen zum Unterschied zwischen den metrisch-rhythmischen Systemen hat der griechisch-deutsche Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades in den 1950er-Jahren entwickelt. Mit dem Verschwinden des Quantitätsrhythmus aus der griechischen Sprache schon in hellenistischer Zeit und dem Gebrauch einer Akzentrhythmik verschwand nach seiner Auffassung die maskenhafte Starrheit des griechischen „Klangleibs“, womit eine grundlegende Veränderung als Voraussetzung für die moderne Vortragskunst eintrat, vgl. Georgiades: Musik und Rhythmus bei den Griechen, S. 50. Kennzeichnender Stilzug der modernen Schwergewichtsrhythmik ist nach Georgiades eine „dynamische Haltung“ mit Spannungen und Lösungen, vgl. Thrasybulos Georgiades: Der griechische Rhythmus. Musik, Reigen, Vers und Sprache. Hamburg 1949, S. 27 f.

  66. 66.

    Norbert von Hellingrath: Brief an Wilhelm Böhm vom 13. November 1910, in: „Norbert Hellingraths Briefwechsel mit Wilhelm Böhm, mitgeteilt von Alfred Kelletat“, in: Hölderlin-Jahrbuch 15/16, S. 295. Am Beispiel einer späten freirhythmischen Hymne wie Patmos könnte man zeigen, wie Hölderlin durch den Gebrauch von rhythmischen Formeln wie dem Adoneus (– ‿‿ – ‿) in den Verskadenzen repetitive Bewegungs-Pattern hörbar macht.

  67. 67.

    Vgl. Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 73–125.

  68. 68.

    Wilhelm Waiblinger: Phaeton, Bd. 2. Stuttgart 1823, S. 153–156, dazu: Rudolf Blümel: „Ein unbekanntes Gedicht von Hölderlin?“, in: Das Reich 2 (1918), S. 630–638. Hellingraths Nachfolger Friedrich Seebaß, der den 6. Band der Kritischen Ausgabe besorgte, formte Waiblingers Prosa in Verse um, und zwar, wie er selbst schreibt, „auf Grund eines genauesten Studiums von Hölderlins rhythmischen Formen dieser Periode“. Auch wenn man heute zugesteht, dass Waiblingers Prosafassung vermutlich auf schriftliche Entwürfe von Hölderlin zurückgeht, so steht man Versuchen, diese Verse wiederherzustellen, skeptisch gegenüber, vgl. Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 202.

  69. 69.

    Vgl. Martynkewicz: Salon Deutschland, S. 298. Vgl. dazu Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 88–94.

  70. 70.

    Ottmar Rutz: „Über einige Echtheitsfragen bei Hölderlin“, in: Euphorion 20 (1913), S. 428–435.

  71. 71.

    Vgl. Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 200.

  72. 72.

    Hellingrath: Hölderlin-Vermächtnis, S. 54 f.

  73. 73.

    Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 202.

  74. 74.

    „Eduard Sievers , der verehrte Meister der Phonetik bemerkt, daß jede Wortfolge, die irgendwann irgend ein Mensch hervorgebracht, am deutlichsten freilich gebundene oder sonst rhythmisch gehobene Rede, in sich selbst, in den toten Buchstaben, in denen sie überliefert ist, ein Gesetz trägt, das den achtsamen Leser zwingt – mag er den Sinn verstehen oder nicht – eine bestimmte Tonlage und Klangart der Stimme zum Vortrag anzuwenden.“ Norbert von Hellingrath: „Wort und Leib“, in: Münchner Neueste Nachrichten, 13. Juni 1912.

  75. 75.

    Ebd.

  76. 76.

    Bohnenkamp: Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 200.

  77. 77.

    Stefan George und Karl Wolfskehl (Hg.): Das Jahrhundert Goethes. Deutsche Dichtung, Bd. 3. Berlin 21910, S. 38.

  78. 78.

    Ein Empfänger dieser Platte, Hermann Himstedt (Wiesbaden) beschrieb gegenüber Boehringer am 21. Februar 1971 seinen Höreindruck: „Eine besondere Lesart, aufs neue und hier noch wirklicher als bei Hölderlin: die dadurch förmlich greifbar gebändigte Dynamik der Dichtung, außerdem die durch diese Vortragsweise entstehende gleichsam dritte Dimension der Sprache, welche die Gleichnisse des Dichters unerhört ins Plastische verwandelt; endlich verschlägt es einem sogleich die eigene Sprache, so daß man vorerst nichts dazu sagen, sondern es nur erst in sich weiterklingen lassen kann, bis man die Hallen und Gewölbe erst fühlt und dann sieht, in denen diese Strahlkraft aus Osterlicht und Mittelmeer atmet.“ Stefan George-Archiv.

  79. 79.

    Stefan George-Archiv.

  80. 80.

    Gadamer mag solche „Spannungen“ in der Aneignung Hölderlins durch George und seine Schule im Auge gehabt haben, als er schrieb: „Es ist das Melos des Chorals, das der Georgeschen Sprachgebärde den Charakter eines liturgischen Tuns gibt.“ Demgegenüber seien Hölderlins lyrische Formen durch einen „protestantisch-meditativen Zug“ gekennzeichnet. Vgl. Hans-Georg Gadamer: „Hölderlin und George“, in: Gesammelte Werke, Bd. 9: Ästhetik und Poetik, Bd. 2: Hermeneutik im Verzug. Tübingen 1993, S. 229–244, hier: S. 236.

  81. 81.

    Vgl. Hans-Georg Gadamer: „Hölderlin und George“; Brokoff, Jacob und Lepper (Hg.): Norbert von Hellingrath und die Ästhetik der europäischen Moderne.

  82. 82.

    Vgl. zu Benjamins Hellingrath-Rezeption Uwe Steiner: Die Geburt der Kritik aus dem Geiste der Kunst. Untersuchungen zum Begriff der Kritik in den frühen Schriften Walter Benjamins. Würzburg 1989, S. 91–167; zu Carl Schmitt vgl. Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Frankfurt 2000, S. 111–113.

  83. 83.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, in: Gesamtausgabe, Abt. 2, Bd. 39, S. 9.

  84. 84.

    Bohnenkamp (Hg.): Rainer Maria Rilke und Norbert von Hellingrath, S. 186; vgl. Heidegger und von Bodmershof: Briefwechsel 1959–1976, S. 16 f.; Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache, S. 172.

  85. 85.

    Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, in: Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 4, S. 152.

  86. 86.

    Heidegger: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910–1976, in: Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 16, S. 749. Auch die Textauszüge bestimmte Heidegger im Vorhinein, ebd.; vgl. Elfriede Heideggers Brief an Imma von Bodmershof vom 18. Juni 1976, in: Heidegger und von Bodmershof: Briefwechsel 1959–1976, S. 152–155.

  87. 87.

    Vgl. auch Heideggers Brief an Imma von Bodmershof vom 10. Dezember 1966, ebd., S. 84 f. Vgl. auch den Brief an Imma von Bodmershof vom 12. Juli 1975, ebd., S. 132–134.

  88. 88.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 221 f.

  89. 89.

    Aus: „‚Aber in Hütten wohnet der Mensch‘, Prosafragment“, in: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe unter Mitarbeit von Friedrich Seebaß besorgt durch Norbert von Hellingrath, Bd. 4: Gedichte 1800–1806. Berlin 1943, S. 246 [1916].

  90. 90.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 70.

  91. 91.

    Vgl. Iris Buchheim: „Heidegger. Hölderlin als ‚Geschick‘“ in: Hölderlin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. Johann Kreuzer. Stuttgart und Weimar 2002, S. 432–438.

  92. 92.

    Vgl. Max Kommerells Brief an Heidegger vom 29. Juli 1942, in: Max Kommerell: Briefe und Aufzeichnungen 1919–1944, hg. Inge Jens. Olten und Freiburg 1967, S. 396–402, hier: S. 399.

  93. 93.

    Vgl. Norbert von Hellingrath: „Zwei Vorträge: Hölderlin und die Deutschen; Hölderlins Wahnsinn“, in: Hölderlin-Vermächtnis, S. 116–184.

  94. 94.

    Hellingrath: „Hölderlin und die Deutschen“, ebd., S. 132, und „Vorrede zu Band I der Historisch-Kritischen Ausgabe“, ebd., S. 106.

  95. 95.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 28, 31 und 29.

  96. 96.

    Ebd., S. 30 f.

  97. 97.

    Vgl. Heidegger: Gedachtes, in: Gesamtausgabe, Abt. 3, Bd. 81, S. 137.

  98. 98.

    Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 238. Diese Verse verwendete auch George als Motto für sein Hyperion-Gedicht in Das neue Reich: „Dem sehnenden war der wink genug. Und winke sind von alters her die sprache der götter.“ George: Das neue Reich, S. 12.

  99. 99.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 32.

  100. 100.

    Ebd., S. 33 und 31.

  101. 101.

    Dieter Henrich hat diese Eskamotierung der Subjektivität aus Hölderlins Dichtungen scharf zurückgewiesen, vgl. Dieter Henrich: Der Gang des Andenkens. Beobachtungen und Gedanken zu Hölderlins Gedicht. Stuttgart 1986, S. 190 f.

  102. 102.

    Vgl. Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 100.

  103. 103.

    Ebd., S. 14 f.

  104. 104.

    Ebd., S. 40. Vgl. Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 855. Vgl. in gleichem Sinne auch Hölderlins Aphorismus zu den Inversionen, ebd., S. 519.

  105. 105.

    Ebd., S. 46, 45 und 47.

  106. 106.

    Hellingrath: „Hölderlins Pindar-Übertragungen“, in: Hölderlin-Vermächtnis, S. 19–95, hier: S. 30.

  107. 107.

    Ohne es an dieser Stelle auszusprechen, rekurriert Heidegger dabei auch auf eigene Erfahrungen mit Hölderlins Dichtungen bei der ersten Begegnung vor dem Ersten Weltkrieg. Heidegger: Unterwegs zur Sprache, S. 172.

  108. 108.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 19. Heidegger beruft sich dabei auf Hölderlins eigene Überlegungen, etwa zum Gesang im Leben und Sterben der Völker, vgl. Hölderlin: Werke und Gesammelte Briefe, Bd. 3, S. 522, zitiert in: Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 20.

  109. 109.

    Ebd., S. 144.

  110. 110.

    Ebd., S. 16 und 46.

  111. 111.

    Nach Gadamer kann man Hölderlins Verse nicht in der Manier der George-Schule laut „hersagen“, sondern nur still für sich „hinsagen“, vgl. Gadamer: „Hölderlin und George“, S. 236.

  112. 112.

    Vgl. Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 203. „Sagen und Sagen ist nicht dasselbe. Ein Gedicht nachsprechen und sogar auswendig hersagen können, heißt noch nicht, die Dichtung dichterisch mitsagen. So werden wir gut daran tun, das Gedicht ‚Germanien‘ noch einmal und noch öfter zu sagen.“ Ebd., S. 42.

  113. 113.

    Ebd., S. 200. „Ils ont des oreilles pour ne point entendre“, so formulierte der Psychoanalytiker Jacques Lacan , der Heideggers Logos-Aufsatz übersetzte, und verband diesen Gedanken mit Freuds Konzeption der Verdrängung des Unbewussten und der Paranoia, vgl. Jacques Lacan: Le Séminaire, Livre III. Les Psychoses 1955–1956, hg. Jacques-Alain Miller. Paris 1981, S. 128. Eine ähnliche Formel findet sich bereits bei Proust : À la recherche du temps perdu, Bd. 3, S. 775 und 784.

  114. 114.

    Heidegger: „Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘“, S. 199 und 201 f.

  115. 115.

    Ebd., S. 202 und 203.

  116. 116.

    Ebd., S. 101.

  117. 117.

    Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, S. 66. Scheinbar kann sich Heidegger dabei auf Hölderlin selbst beziehen, auf Verse wie: „Viel hat von Morgen an, / Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander, / Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.“ „Friedensfeier“ (Verse 91–94), in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 341. Doch handelt es sich in der Friedensfeier eher um egalitäre Feiertagschöre im Sinne eines utopischen Liebesfests.

  118. 118.

    In seinem aus dem Nachlass publizierten Dialog Das abendländische Gespräch (1946/48) ist Heidegger in dieser Orientierung am Modell der katholischen Messe noch einen Schritt weiter gegangen, vgl. Martin Heidegger: „Das abendländische Gespräch (1946/48)“, in: Zu Hölderlin. Griechenlandreisen, in: Gesamtausgabe, Abt. 3, Bd. 75, S. 65 und 81.

  119. 119.

    Heidegger: Unterwegs zur Sprache, S. 34.

  120. 120.

    Die Gestaltung der Schutzhülle der Schallplatte entspricht den bibliophilen Ansprüchen, die für literarische Sprechschallplatten im Neske-Verlag üblich waren. Anfang der 1960er-Jahre wurden hier auch Lyrik-Lesungen deutschsprachiger Autoren, unter anderem von Paul Celan , Ingeborg Bachmann und Helmut Heißenbüttel , veröffentlicht.

  121. 121.

    Der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt gratulierte Günther Neske zu diesem Unternehmen und schrieb: „Stellen Sie sich vor, was es für uns heute bedeuten könnte, wenn wir die Stimme Platos hätten, oder was würden wir darum geben, wenn wir Kant , Hegel oder Nietzsche sprechen hören könnten.“ Zitiert nach Günther Neske: „Nachwort des Herausgebers“, in: Erinnerung an Martin Heidegger. Pfullingen 1977, S. 293–302, hier: S. 300 f.

  122. 122.

    Der gesprochene Text weicht leicht von dem gedruckten ab, vgl. „Vorwort zur Lesung von Hölderlins Gedichten“, in: Heidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, S. 195–198.

  123. 123.

    Für seine Lesungen legte Heidegger jeweils die im 4. Band von Hellingraths Historisch-Kritischer Ausgabe dargebotenen Texte zugrunde.

  124. 124.

    Vgl. Bernhard Böschenstein: „Hölderlin als Gegenstimme zu Heidegger“, in: Geschichte der Germanistik. Mitteilungen 41/42 (2012), S. 52–61.

  125. 125.

    Heidegger thematisierte das Phänomen des Tonfalls bereits in § 34 von Sein und Zeit: „Der sprachliche Index der zur Rede gehörenden Bekundung des befindlichen In-Seins liegt im Tonfall, der Modulation, im Tempo der Rede, ‚in der Art des Sprechens‘.“ Martin Heidegger: Sein und Zeit. Gesamtausgabe, Bd. 2, S. 216. Mit einem der nächsten Sätze bewegte sich Heidegger schon in die Nähe seines späteren Begriffs der „Grundstimmung“: „Die Mitteilung der existenzialen Möglichkeiten der Befindlichkeit, das heißt das Erschließen von Existenz, kann eigenes Ziel der ‚dichtenden‘ Rede werden.“ Vgl. David Wellbery: „Stimmung“, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 5. Stuttgart und Weimar 2003, S. 703–733, hier: S. 724–730.

  126. 126.

    Vgl. zum Bild einer durch Schnee verstimmten Glocke Kathleen Wright: „Gewaltsame Lektüre deutungsloser Zeichen. Heidegger liest Hölderlins ‚Andenken‘“, in: Aleida Assmann (Hg.): Texte und Lektüren. Perspektiven in der Literaturwissenschaft. Frankfurt 1996, S. 229–246, hier: S. 242 f.

  127. 127.

    Kommerell: Briefe und Aufzeichnungen 1919–1944, S. 378.

  128. 128.

    Alexander Kisslers Beschreibung einer Höredition mit Ansprachen und Reden von Heidegger lässt sich auch auf seine Hölderlin-Lesungen übertragen: „Zu hören ist Heidegger also zwischen seinem 62. und 79. Lebensjahr. Durchgehend hat die keineswegs tiefe Stimme einen fliehenden Zug, sie flattert an den Enden und bei den kurzen, hervorgestoßenen Adverbien, findet Halt im allemannisch-kehligen ‚r‘ und am wiederkehrend eingestreuten Gegenwartsbezug. Energisch wird die Stimme dann, die Laute kommen rascher: ‚Zuviel gehandelt und zu wenig gedacht‘ werde leider, der ‚Lärm der Apparate‘ mache die heutigen Menschen ‚zerstreut und weglos‘. Schnell liest Heidegger nicht. Litaneihaft trägt er vor, die Mittellage kaum verlassend, sehr weich in den Zischlauten, doch mit exakten Pausen und sehr klarer Artikulation: ein Fluss, der beharrlich fließt, nicht murmelt und nicht schäumt. In den singenden Sang mischen sich im Rathaus zu Meßkirch Schläge vom Kirchturm und brummende Autos und knatternde Mofas. Die Takte folgen prompt schneller aufeinander; sind die Störquellen verschwunden, beruhigt sich die Rede sofort. Heidegger war, wie er im Gespräch mit Richard Wisser bekräftigt, kein Gegner der Technik, wollte sie jedoch verstehen und wurde so zu deren Kritiker.“ Alexander Kissler: „Sprung ins Denken. Mit Umweg; Martin Heideggers Vorträge und Reden“, in: Süddeutsche Zeitung, 10. März 2010.

  129. 129.

    Besuchern wie Kommerell konnte Heideggers Stimme in den 1940er-Jahren durchaus ein anderes Gesicht zuwenden: „Er unterhielt sich mit der etwas dünnen, nicht tiefen, aber weichen und klangvollen Stimme, die besonders wenn sie sich in Murmeln verschleiert, etwas Menschenfängerisches hat, mit mir über allerlei.“ Max Kommerell: „An Erika [Aufzeichnungen eines Besuchs in Todtnauberg, August 1941]“, in: Kommerell: Briefe und Aufzeichnungen 1919–1944, S. 377–384, hier: S. 383.

  130. 130.

    Unverkennbar ist freilich eine gewisse Neigung Heideggers, Satzschlüsse innerhalb der Verse durch Pausen zu markieren, die länger sind als die Pausen an Versschlüssen – wenn man will eine Tendenz zur Prosaisierung der Verse.

  131. 131.

    Vgl. Hellingrath: „Vorrede zum 4. Band der Historisch-Kritischen Ausgabe“, zitiert nach: Hölderlin-Vermächtnis, S. 107.

  132. 132.

    Allerdings dürfte Heidegger Boehringers Aufnahme nicht gekannt haben. Diese wurde erst 1964 auf Schallplatte gepresst und an ausgewählte Empfänger des George-Kreises versandt, zu denen Heidegger nicht gehörte.

  133. 133.

    Etwa in Die Friedensfeier liest Heidegger: „Bald sind Gesang wir aber“, während es bei Hölderlin heißt: „Bald sind wir aber Gesang“ (Vers 93). In Vers 13 von Heimkunft lässt er die Verbphrase „und schaut“ einfach aus usw.

  134. 134.

    „Eine Erörterung des Gedichtes kann vor allem nie das Hören der Dichtungen ersetzen, nicht einmal leiten. Die denkende Erörterung kann das Hören höchstens fragwürdig und im günstigsten Fall besinnlicher machen.“ Martin Heidegger: „Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht“, in: Unterwegs zur Sprache, S. 31–78, hier: S. 35. Anlässlich eines Vortrags, in dessen Zentrum Georges Gedicht Das Wort (aus Das neue Reich) stand, sagte Heidegger: „Damit wir diesem Denkwürdigen, wie es sich dem Dichten zusagt, auf eine gemäße Weise nach- und vordenken, überlassen wir alles jetzt Gesagte einer Vergessenheit. Wir hören das Gedicht. Wir werden jetzt noch nachdenklicher im Hinblick auf die Möglichkeit, daß wir uns im Hören um so leichter verhören, je einfacher das Gedicht in der Weise des Liedes singt.“ Martin Heidegger: „Das Wort [1958]“, in: Unterwegs zur Sprache, S. 207–225, hier: S. 225.

  135. 135.

    Heideggers Brief an Imma von Bodmershof vom 10. Dezember 1966, in: Heidegger und von Bodmershof: Briefwechsel 1959–1976, S. 84 f.

  136. 136.

    Zitiert nach Wright: „Gewaltsame Lektüre deutungsloser Zeichen. Heidegger liest Hölderlins ‚Andenken‘“, in: Assmann (Hg.): Texte und Lektüren, S. 229.

  137. 137.

    Der Hölderlin-Herausgeber Friedrich Beißner hat sich auch als Rezitator für Hölderlin eingesetzt, sechs seiner Rezitationen sind auf einer 1966 von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft vertriebenen Schallplatte (Friedrich Hölderlin: Ausgewählte Gedichte) veröffentlicht worden (Das Schicksal, Lebenslauf, Dichterberuf, Die Wanderung, Stuttgart und Friedensfeier). Überraschenderweise ignorieren diese Lesungen viele metrisch-rhythmische Vorgaben, etwa wenn sie Verse mit Enjambements (wie in Dichterberuf) oder freirhythmische Verse (wie in Die Wanderung) grundsätzlich in Prosa auflösen und damit die Versgestalt zerstören.

  138. 138.

    Vgl. das Porträt bei Geißner: Wege und Irrwege der Sprecherziehung, S. 237–247.

  139. 139.

    Unter anderem diskutierte sie zusammen mit Ernst Hardt und Fritz Worm über Vortragskunst im Radio (WERAG Köln am 15. Juli 1929). Hier äußerte sie die Hoffnung, dass Rundfunk und Schallplatte mit „ihrer erbarmungslosen Sachlichkeit“ eines Tages dazu beitragen werden, dass ein schauspielerisches Dichtungssprechen, das den Text durch „illustrierende Betonungen“ und willkürliche Akzentuierungen zu verlebendigen glaubt, obsolet wird. Vgl. Theresia Wittenbrink (Hg.): Schriftsteller vor dem Mikrophon, S. 282.

  140. 140.

    Mündliche Mitteilung von Ingrid Strohschneider-Kohrs (München).

  141. 141.

    Davon liegt ein von der Hölderlin-Gesellschaft (Tübingen) auf Schallplatte veröffentlichter Mitschnitt vor.

  142. 142.

    Vgl. Vilma Mönckeberg: „Dichtung als Klanggestalt“, in: Rufer und Hörer. Monatshefte für den Rundfunk 4 (1933), S. 168–170.

  143. 143.

    Vilma Mönckeberg: Der Klangleib der Dichtung. Hamburg 1946, S. 7 f. (einige Sätze daraus werden im Begleittext der Schallplatte der Hölderlin-Gesellschaft zitiert).

  144. 144.

    Vgl. dazu auch Mönckeberg-Kollmar: „Chorisches Sprechen“, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 213 (1925).

  145. 145.

    Einen ähnlichen Ansatz wie Mönckeberg-Kollmar verfolgte der Sprecherzieher Friedrichkarl Roedemeyer , der 1925 für die Carl Lindström AG Hölderlins Kurzgedicht Abbitte einsprach. Diese Aufnahme – die älteste uns erhalten gebliebene Aufnahme einer Hölderlin-Rezitation – verfolgte primär didaktische Absichten, sie war für die Deutschlehrerausbildung, den gymnasialen Deutschunterricht und den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache für Ausländer und im Ausland produziert. Roedemeyer kannte als Germanist Hellingraths Vortragsempfehlungen. Seine Aufnahme ist ein Beispiel für den Übersprung der Rezitationspraktiken von Hellingrath und dem George-Kreis in die akademische Sprecherziehung. Roedemeyer versagt sich alle Dramatisierungen und emotionalen Ausdeutungen und liest die Verse in elegisch-monotonem Ton. Doch unterlaufen ihm dabei – abgesehen von einem Lesefehler im dritten Vers – eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten, indem er etwa Betonungen gegen das asklepiadeische Versmaß setzt und das Metrum in leiernd klingende Jamben auflöst. Seine rhythmische Rezitation wird dem eigenen Anspruch nicht gerecht.

  146. 146.

    Theodor W. Adorno an Vilma Mönckeberg-Kollmar am 10. Juni 1963, in: Begleittext der Schallplatte Vilma Mönckeberg-Kollmar: Hölderlin: Der Archipelagus.

  147. 147.

    Was er dann in einer unabgeschlossenen, nur in Fragmenten vorliegenden Theorie der musikalischen Reproduktion (hg. Henri Lonitz. Frankfurt 2001) auch getan hat. Hier ist er allerdings ebenso wenig auf die literarische Vortragskunst eingegangen wie in seinem Aufsatz zu Hölderlins später Lyrik, vgl. Theodor W. Adorno: „Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins“, in: Noten zur Literatur. Gesammelte Schriften, Bd. 11. Frankfurt 1974, S. 447–491.

  148. 148.

    Theodor W. Adorno an Vilma Mönckeberg-Kollmar am 10. Juni 1963.

  149. 149.

    Mönckeberg-Kollmar: Der Klangleib der Dichtung, S. 21 f. Die beiden Verse stammen aus Hölderlins alkäischer Ode Des Morgens, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 219.

  150. 150.

    Mönckeberg-Kollmar trifft sich im Übrigen mit Hölderlins eigenen Überlegungen zu dem, „was man im Sylbenmaße Zäsur heißt, das reine Wort, die gegenrhythmische Unterbrechung“. In der Tragödie bedarf es nach Hölderlin solcher Unterbrechungen, um die „rhythmische Aufeinanderfolge der Vorstellungen“ zu stauen und nicht mehr allein den „Wechsel der Vorstellung, sondern die Vorstellung selber“ zur Erscheinung zu bringen. „Dadurch wird die Aufeinanderfolge des Kalkuls, und der Rhythmus geteilt, und bezieht sich, in seinen zweien Hälften so aufeinander, daß sie, als gleichwiegend, erscheinen.“ Hölderlin: „Anmerkungen zu Oedipus“, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 850. Ist dieses hier für die rhythmische Makrostruktur einer ganzen Tragödie entwickelte Modell nicht ursprünglich aus den rhythmischen Mikrostrukturen von Versen abgeleitet worden? Eine gegenrhythmische Zäsur unterbricht nicht nur die reißende Folge der Vorstellungen, sodass die Gewichte der durch sie getrennten Teile in ein gegenüber dem Gleichmaß des Metrums verändertes Gleichgewicht gebracht werden, sondern provoziert die Reflexion auf die Vorstellung selbst.

  151. 151.

    Ich zitiere den Titel der Elegie im Folgenden nach Hölderlins Schreibweise im Homburger Folioheft.

  152. 152.

    So Arnold Littmann in seinem Buch über Sprechschallplatten: „Auch Wiemans auf Zurückhaltung gestimmte Sprachgebärde kann den dichterischen Hymnus der Rhythmen Hölderlins nicht ausmessen. Hölderlin ist kein Epiker oder Märchenerzähler. Der Ton des nach innen gerichteten Sprechers ist nicht der Ton, der Hölderlins Sprache zu tragen vermag.“ Arnold Littmann: Die deutschen Sprechplatten. München 1963, S. 73.

  153. 153.

    Vgl. auch Geißner: Schallplattenanalysen, S. 153–165, bes., S. 162. In einer späteren, übrigens ausdrucksvollen Lesung von Hölderlins Elegie (wohl Anfang der 1960er-Jahre) schaltet Wieman Ausschnitte aus den letzten beiden Strophen der zweiten Fassung des Gedichts (Menons Klagen um Diotima) ein, um im Schluss-Distichon noch einmal zur ersten Fassung zurückzukehren. Solche Collagen der literarischen Vorlagen waren für diese Rezitatorengeneration offenbar nichts Ungewöhnliches, man vergleiche damit nur einmal die vielgerühmte Lesung von Thomas Manns Joseph-Roman durch Gert Westphal aus den 1960er-Jahren, die aufgrund ihrer zahlreichen Kürzungen und frei erfundenen Überleitungen einer Bearbeitung gleichkommt.

  154. 154.

    Eher aus Flüchtigkeit scheint er dagegen in der vierten Strophe im vorletzten Distichon eine Formel wie „so weit es geht“ auszulassen, wodurch der Rhythmus ins Stolpern gerät.

  155. 155.

    Wo das Metrum im allerletzten Distichon der letzten Strophe etwa den Akzent auf „Títan“ fordert, spricht er „Titán“ und stört damit das Rallentando Maestoso, mit dem das Gedicht schließt. Dass Wieman die rhythmische Ordnung dieser Verse zerstört, haben Rudolf Rösener und Hellmut Geißner bereits in den 1960er-Jahren moniert. Vgl. Rösener: „Verse von Band und Platte“, in: Sprechen – Hören – Verstehen, S. 121 f. Rösener macht auf falsche Betonungen im zweiten Vers („Und mit Fackeln geschmückt, / rauschen die Wagen hinweg“) aufmerksam, wo Wieman durch die besondere Betonung von „Fackeln“ und „Wagen“ die Spannungseinheit des Verses und die Einheit des Bildes zerstört. Vgl. Geißner: Schallplattenanalysen, S. 162.

  156. 156.

    Brief an Neuffer vom 12. November 1798, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 3, S. 316 f. Vgl. dazu Martin Vöhler: „Danken möchte’ ich, aber wofür?“ Zur Tradition und Komposition von Hölderlins Hymnik. München 1997, S. 193.

  157. 157.

    Insofern müsste auch die Aussage von Quadfliegs Laudator Gert Mattenklott eingeschränkt werden, er deute Schauspiel und Rezitation aus der Sprachform der Dichtung. Vgl. Gert Mattenklott: „Laudatio auf Will Quadflieg, Preisträger der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache 1987“, in: Jahrbuch der Henning-Kaufmann-Stiftung 1987/88, hg. Ulrich Knoop und Heinz-Günter Schmitz. Marburg 1991, S. 19–29, hier: S. 23.

  158. 158.

    Der Schriftsteller Botho Strauß hat in einer Laudatio auf Ganz gesagt: „Empedokles zu spielen, Hölderlin zu sprechen gehört gewiß zu den authentischen Verkörperungen, die Bruno Ganz in seiner Karriere geleistet hat. Die Trockenheit und Härte seiner Diktion, das semantische, den Sinn austastende Sprechen hat er am Hölderlinschen Vers noch strenger geübt. Und der Einsatz gestischer Mittel wurde noch sparsamer gehalten, um alle Kraft in die Verlautbarung, in das Wort zu legen.“ Botho Strauß: „Der Fürstreiter. Über Bruno Ganz, den Träger des Iffland-Rings (1996)“, in: Botho Strauß: Der Gebärdensammler. Texte zum Theater, hg. Thomas Oberender. Frankfurt 1999, S. 46–49, hier: S. 47 f.

  159. 159.

    Das Cover der Sprechschallplatte zeigt denn auch übermalte und überklebte Handschrift-Umschriften aus der Hölderlin-Ausgabe von Dietrich E. Sattler .

  160. 160.

    Der Literaturkritiker Jochen Hieber beobachtete, dass Ganz „bewußt eine elegische Sprechweise [wählt], ein Ton mithin, der stets gedämpft erscheint, ins Piano zurückgenommen, und der das Pathos des Gedichteten demzufolge nie ans nur Ausgesprochene, ans bloß Aufgesagte verraten will. Ernst und leise kommen die Wörter daher, gesprochen von einem, den sie innerlich bewegen und der es zugleich für vermessen hält, davon ungebrochene, unmittelbare Kunde zu geben.“ Allerdings ist diese Verhaltenheit auch ein Stein des Anstoßes von Hiebers Kritik: „Wann immer aber die Verse Weltentwürfe versuchen, verweigert ihnen der Rezitator den fälligen Ton-Tribut. Weshalb? Vielleicht, weil Pathos unserer Zeit so wenig gemäß und mithin nur schwer auszudrücken ist.“ Jochen Hieber: „Fernhintreffende Sprüche. Angst vor dem Pathos: Bruno Ganz liest Hölderlin-Gedichte“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Dezember 1984. Die Literaturkritikerin Beatrice von Matt kam zum gegenteiligen Schluss: „Von Parlando also, wie man die Hölderlin-Lesungen von Bruno Ganz charakterisiert hat, kaum eine Spur, nur eben das Pathos ist versteckter, moderner könnte man sagen, gestörter wohl auch.“ Beatrice von Matt: „Wie immer das Jahr kalt und gesangslos ist. Bruno Ganz spricht Hölderlin“, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. Januar 1985.

  161. 161.

    Wieder war es Botho Strauß , der Ganz’ Stimme am besten beschrieb: „Die Stimme, die ich höre, ist unmelodiös, spröde, zuweilen kieselhaft und schneidend, bekommt schnell etwas Wehrhaftes und Drohendes, wie der ganze Kerl, so wortführend, wortversessen, wortgeplagt existiert. […] Dieser Schauspieler hat noch nie über einen Satz hinweggesprochen. Er mag ihn zerreißen, nuscheln, brüllen, jammern oder von sich schieben: Er wird ihn jedoch nie unter Sinn und Wert verschleudern und unbesonnen passieren lassen.“ Botho Strauß: „Der Fürstreiter. Über Bruno Ganz, den Träger des Iffland-Rings (1996)“, in: Der Gebärdensammler, S. 46.

  162. 162.

    Martin Heidegger: „Logos“, in: Vorträge und Aufsätze, in: Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 7, S. 231.

  163. 163.

    Den vom Metrum zwingend gebotenen Akzent auf „Títan“ verschiebt Ganz auf „Titán“ (ein Echo von Wiemans Lapsus), und bei einem Pentameter wie „Und die Brunnen / Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet“ überliest er den Hebungsprall zwischen „frisch“ und „rauschen“ und macht dagegen nach „rauschen“ einen Einschnitt durch einen Zwischenatmer, wodurch er die rhythmische Einheit des Pentameters zerstört. Dieses Innehalten nach dem vierten Daktylus des Pentameters hat sonderbarerweise Methode. Auch im Vers „Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf“ macht er nach „traurig“ einen Zwischenatmer, der den Schluss dieser Strophe rhythmisch ins Wanken bringt. Ähnlich in der dritten Strophe, wo er im Vers „Dorther kommt und zurück deutet der kommende Gott“ den Einschnitt nach „deutet“ setzt, nicht nach „zurück“. Damit werden natürlich auch formsemantische Zusammenhänge verwischt.

  164. 164.

    Rösener: „Verse von Band und Platte“, in: Sprechen – Hören – Verstehen, S. 125. Wie fragwürdig diese Sachkenntnisse freilich sind, kann man am Hör-Conrady studieren, dessen Aufnahmen offenbar in Gegenwart des Germanisten Karl Otto Conrady gemacht wurden, was – im Falle von Jürgen Holtz’ Hölderlin-Rezitation (Die Nacht) – freilich nicht zu einem rhythmisch angemessenen Vortrag geführt hat. Bei einem Pentameter wie „vielleicht, daß / Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann“ legt er den Einschnitt nicht bei dem Hebungsprall von „spielt / oder“, sondern erst nach „oder“, erlaubt sich überhaupt an vielen Stellen nach Gutdünken längere prosaähnliche Pauseneinschnitte.

  165. 165.

    Der Musikwissenschaftler Heinz-Klaus Metzger ging aber wohl zu weit, als er Bargs Rezitationsweise mit den strukturellen Interpretationsverfahren der Schönberg -Schule verglich: „Doch schnell wird man des nüchternen, harten, sachlichen Zugs ihrer Sprechweise inne, der davon rührt, daß sie ganz im Sinne der allerdings die Wiedergabe von Musik visierenden Theorie Rudolf Kolischs nicht ‚interpretiert‘, sondern ‚aufführt‘, was Analyse voraussetzt und so etwas wie eine Röntgenaufnahme des Werks zum Ergebnis hat. Daß in solch objektivierter, aller subjektiven Zutat barer Lesung jedes Wort inwendig glüht, ist der Effekt geglückter Ineinssetzung von Ausdruck und Konstruktion, Syntax und irregulärem Zeilenfall, Lautfolge und Semantik.“ Heinz-Klaus Metzger: „Zeit zum Hören“, in: Die Zeit 9 (1997).

  166. 166.

    Etwa mit Hölderlin. Solo für drei Stimmen im Berliner Hebbel-Theater im Februar 1993, vgl. Sybill Mahlke: „Vereinigung in einem Himmelsgesang. Auftakt des Hölderlin-Zyklus: Edith Clever im Hebbel-Theater“, in: Der Tagesspiegel, 27. Februar 1993.

  167. 167.

    Wolfgang Behrens: „Die Aussprache des Ungeschriebenen“, in: Nachtkritik (2009), https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3038:mnemosyne-mit-hoelderlins-spaeten-hymnen-zieht-edith-clever-in-der-agora-alle-register&catid=42&Itemid=100476 (Zugriff am 13. Oktober 2011).

  168. 168.

    Immerhin konnte ein Zuhörer, der die Lesung miterlebt hatte, schreiben: „Zornestrunken überkommen einen die Sätze, wer eben noch andächtig zusammengekauert saß, wird nun von solchem Furor in die Senkrechte geblasen. Großartig. Überwältigend. Eine solche Anrufung hat man lange nicht vernommen.“ Behrens: „Die Aussprache des Ungeschriebenen“. Man könnte sich hier allerdings auch an eine hellsichtige Äußerung eines Widersachers des Empedokles erinnern, wenn er dessen vergebliches Missionieren unter den Agrigentern schildert: „Doch rächend äffte leeren Widerhalls / Genug denn auch aus toter Brust den Seher“. Friedrich Hölderlin: Empedokles, 2. Fassung, Vers 78 ff., in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 364. Und in Hyperion heißt es: „[…] und hohe Worte, wenn sie nicht in hohen Herzen widertönen, sind, wie ein sterbend Blatt, das in den Kot herunterrauscht“ (ebd., S. 36).

  169. 169.

    Ich schließe hier an einen historisch reflektierten Werkbegriff an, wie ihn Albrecht Wellmer (Versuch über Musik und Sprache) entfaltet hat.

  170. 170.

    Eine solche rhythmische Rezitation hat der Schauspieler, Rezitator und Schriftsteller Hanns Zischler zwischen 2011 und 2018 entwickelt und bei der Jahrestagung der Hölderlin-Gesellschaft am 9. Juni 2018 in Tübingen vorgestellt. Die folgenden Überlegungen sind im Kontext mit der Vorbereitung dieser Lesungen entstanden.

  171. 171.

    Emil Petzold: Hölderlins Brot und Wein. Ein exegetischer Versuch, 1896, neu herausgegeben von Friedrich Beißner. Darmstadt 1967; Wolfram Groddeck: Hölderlins „Elegie Brod und Wein“ oder „Die Nacht“. Frankfurt und Basel 2012.

  172. 172.

    Vgl. Kelletat: „Zum Problem der antiken Metren im Deutschen“, in: Der Deutschunterricht, bes. S. 54 ff.; Hans-Heinrich Hellmuth und Joachim Schröder (Hg.): Die Lehre von der Nachahmung der antiken Versmaße im Deutschen. In Quellenschriften des 18. und 19. Jahrhunderts. München 1976. Vgl. Boris Previšić: Hölderlins Rhythmus. Ein Handbuch. Frankfurt und Basel 2008.

  173. 173.

    Kelletat: „Zum Problem der antiken Metren im Deutschen“, S. 58 f.

  174. 174.

    Schon Klopstock wies auf diese Möglichkeit hin: „Die Länge hatte, selbst nach der Meinung der Alten, einen gewissen Nachdruck. (Ja sogar etwas Großes, das, wenn man den Perioden damit anfange, die Zuhörer sogleich erschüttre, und sie, wenn man ihn damit ende, in eben dieser starken Empfindung verlasse. […])“. Friedrich Klopstock: „Über den deutschen Hexameter“, in: Friedrich Gottlieb Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften, hg. Winfried Menninghaus. Frankfurt 1989, S. 90.

  175. 175.

    So die Fassung der Reinschrift im Homburger Folioheft.

  176. 176.

    Tatsächlich wurde dieser Satz mit einem Punkt abgegrenzt, als die erste Strophe der Elegie unter dem Titel Die Nacht erstmals im Musenalmanach für das Jahr 1807 publiziert wurde. Doch dies war ein Eingriff des Herausgebers Leo von Seckendorf , vgl. Groddeck: Hölderlins Elegie „Brod und Wein“, S. 49.

  177. 177.

    Schiller hat diese Strukturmerkmale mithilfe eines Muster-Distichons beschrieben, das – wie jede anspruchsvolle Poesie – eben das hörbar macht, wovon es handelt: „Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule. / Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.“

  178. 178.

    Allerdings finden sich Fälle, wo das Kunstmittel in einer Weise eingesetzt wird, die als weniger gelungen erscheint. Ist die formsemantische Funktion in Vers 20 („Weiß von wannen und was / einem geschiehet von ihr“) sofort einsichtig, so erscheinen die Betonungen auf den Endsilben von schwachen Wörtern wie „einzigém“ in Vers 58 („Wahrlich zu einzigem / Brauche vor Alters gebaut!“) und von „herrlichén“ in Vers 96 („Richten in herrlichen / Ordnungen Völker sich auf“) wie Verlegenheitslösungen; ähnlich problematisch ein Vers wie „Sohn, der Syrier, / unter die Schatten herab“ (156).

  179. 179.

    Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie“, in: Aufsätze zur Linguistik und Poetik, hg. Wolfgang Raible. Frankfurt und Wien 1979, S. 254.

  180. 180.

    Hölderlin: „Anmerkungen zum Oedipus“, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 849. Vgl. Schrumpf: Sprechzeiten, S. 109 ff.

  181. 181.

    Ebd., S. 850 und 849.

  182. 182.

    Boris Previšić deutet diese metrische Abweichung allerdings nicht als Versehen, sondern als einen formalen Einbruch, durch den neue Inhalte erzeugt werden. Vgl. Previšić: Hölderlins Rhythmus, S. 234.

  183. 183.

    So auch im 7. und 13. Vers der 2. Strophe. Hingegen variiert Hölderlin die Satzanfangsstellung des „aber“ auf kunstvolle Weise in der 4., 5., 6. und 7. Strophe, um in der 9. und letzten Strophe die letzte Distichon-Triade wieder damit beginnen zu lassen.

  184. 184.

    Doch hat er dabei, wie Jürgen Link plausibel gemacht hat, wohl eher etwas den Tongeschlechtern Dur und Moll Analoges im Auge. Vgl. Jürgen Link: Hölderlin-Rousseau. Inventive Rückkehr. Opladen 1999, S. 104 ff.

  185. 185.

    Hier könnte ein Ton angebracht sein, wie ihn die Dramenfigur Panthea von Empedokles beschreibt: „Und aus sich selber wächst / In steigendem Vergnügen die Begeisterung / Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpfrischen / Entzückens wie ein Funke, der Gedanke springt“ (1. Fassung, Vers 78 ff.).

  186. 186.

    Vgl. Groddeck: Hölderlins Elegie „Brod und Wein“, S. 23.

  187. 187.

    Heidegger: Gesprochene „Vorbemerkung“ zur Sprechschallplatte mit Hölderlin-Lesungen.

  188. 188.

    Wie seine Anmerkungen zum Oedipus und zu Antigonä zeigen, hat Hölderlin den Makrorhythmen seiner Dichtwerke größte Aufmerksamkeit geschenkt. Vgl. Hölderlin: „Anmerkungen zum Oedipus“, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 850.

  189. 189.

    Martin Vöhler: „Hölderlins Longin-Rezeption“, in: Jahrbuch der Hölderlin-Gesellschaft 28 (1992/93), S. 170. Vgl. Hölderlin: Hyperion, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 92.

  190. 190.

    Alfred Brendel: „Nachtrag zur ‚Werktreue‘“, in: Nachdenken über Musik. München 61982, S. 33.

  191. 191.

    „Son et sens“, wie Paul Valéry sagt, in: „De la diction des vers“, in: „Pièces sur l’art“, in: Œuvres, Bd. 2, hg. Jean Hytier. Paris 1960, S. 1253–1259, hier: S. 1256.

  192. 192.

    Um in die verschachtelten Sinnstufen des Textes einzudringen, bedarf es gewiss eines guten Verständnisses von Hölderlins Versen, wobei die philologisch-historischen Kommentare der jüngsten Ausgaben hilfreich sind. Gerade in Zeiten, wo die griechischen Mythologica, Geographica und geschichtlichen Zusammenhänge sowie die intertextuellen Bezüge zur griechischen Literatur und Philosophie selbst den Gebildeten nicht mehr präsent sind, erweisen sich solche Hilfsmittel als unverzichtbar. (Und solche erhellenden Kommentare liegen ja vor, etwa durch Friedrich Beißner in der Großen Stuttgarter Ausgabe, durch Michael Knaupp in der Hanser-Ausgabe und durch Jochen Schmidt in seiner Ausgabe im Deutschen Klassiker-Verlag.) Allerdings macht man bei einer Elegie wie Brod und Wein die überraschende Erfahrung, dass man die Verse ein Stück weit auch ohne dieses historische Wissen verstehen kann. Was muss man denn in der dritten Strophe des Gedichts schon wissen von den geographischen Gegebenheiten des „Isthmos“, des „Parnaß“, der „delphischen Felsen“, der „Höhe Kithärons“ und des „Landes des Kadmos“ (Vers 48 ff.), um den „frohlockenden Wahnsinn“ zu verstehen, der den Sänger in diesem Augenblick der Evokation des „seligen Griechenlands“ ergreift? Der rhythmische Schwung enthusiastischen Sprechens trägt hier über alle Untiefen historischen (Un-)Wissens hinweg und schafft eine eigene, quasi musikalische Verständnisebene, auf der die Bedeutsamkeit der Töne und Rhythmen wichtiger wird als die präzise semantische Bedeutung geographischer Bezeichnungen. Dies entspricht einer generellen Erfahrung mit Kunstwerken der Vergangenheit, sei es von Bild-, sei es von, musikalischen Werken. Auch ohne dass wir erschöpfende Kenntnisse des in sie eingegangenen Wissens haben, können sie uns unmittelbar ansprechen. Ihre Vitalität scheint nicht davon abhängig zu sein, dass wir sie in allen ihren Zügen historisch genau kontextualisieren können, auch wenn uns ein solches Wissen einen unschätzbaren Mehrwert bieten kann.

  193. 193.

    Ein Beispiel dafür ist die Rezitation von Hölderlins Hymne an die Menschheit durch den Burgschauspieler Raoul Aslan zum Wiener Opernfest 1955 in der Staatsoper.

  194. 194.

    Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, hg. Jochen Schmidt. Frankfurt 1994, S. 356.

  195. 195.

    Thrasybulos Georgiades: Schubert. Musik und Lyrik. Göttingen 1967, S. 30. Georgiades arbeitet den Unterschied von Hölderlins Brod und Wein gegenüber thematisch ähnlichen Gedichten wie Goethes Wanderers Nachtlied heraus. Beide Gedichte hätten ähnliche Vorstellungsgehalte, nämlich „Ruhe, Nacht, Stille, Gipfel des Hains, Bergeshöhen“. Doch Goethes Verse seien „wie ‚singend‘, warm, fließend, in Stimmung getaucht, ‚innig‘“. Dagegen Hölderlins Gedichte: „Wie gegenständlich, unbarmherzig nüchtern, wirklich – und dadurch doch wieder in sich glühend …!“ Ebd., S. 30 f. Georgiades unterstellt Hellingraths Begriff der harten Fügung auch Schuberts musikalischer Lyrik in seinen Goethe-Vertonungen.

  196. 196.

    Vgl. Musikalien und Tonträger zu Hölderlin 1806–1999, Internationale Hölderlin-Bibliographie, hg. vom Hölderlin-Archiv. Stuttgart 2000, S. 3–183.

  197. 197.

    Vgl. Karl Michael Komma: „Hölderlin und die Musik“, in: Hölderlin-Jahrbuch 7 (1953), S. 106 ff.; ders.: „Probleme der Hölderlin-Vertonung“, in: Hölderlin-Jahrbuch; Alfred Kelletat: „Bibliographie der Vertonungen von Dichtungen Hölderlins“, in: Hölderlin-Jahrbuch 7 (1953), S. 119 ff. und S. 136 ff.; Valérie Lawitschka: „Nachwirkungen in der Musik“, in: Hölderlin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. Johann Kreuzer. Stuttgart und Weimar 2002, S. 500–512; Jürgen Stolzenberg: „‚Subjektivität ist das Absolute nicht und nicht das Letzte‘. Hölderlin-Vertonungen nach 1945“, in: Friedrich Vollhardt (Hg.): Hölderlin in der Moderne. Kolloquium für Dieter Henrich zum 85. Geburtstag. Berlin 2014, S. 171–194.

  198. 198.

    Vgl. Rainer Nägele: „Vom Deuten und Missdeuten. Hölderlin und seine Komponisten“, in: Hölderlin-Entdeckungen. Studien zur Rezeption, hg. Ute Oelmann. Stuttgart 2008, S. 75–95.

  199. 199.

    Mündliche Mitteilung Helmut Lachenmanns im Januar 2011.

  200. 200.

    Vgl. Gerhard Schuhmacher: Geschichte und Möglichkeiten der Vertonung von Dichtungen Friedrich Hölderlins. Regensburg 1967, S. 85 ff.

  201. 201.

    Andreas Meyer: „Musikalische Lyrik im 20. Jahrhundert“, in: Hermann Danuser und Siegfried Mauser (Hg.): Musikalische Lyrik. Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 8,2, S. 225–318, hier: S. 258 f. Vgl. Claudia Albert: „Das schwierige Handwerk des Hoffens“. Hanns Eisler „Hollywooder Liederbuch“. Stuttgart 1991, S. 158. Allerdings liegen Welten zwischen Wolfgang Fortners von der Schönberg-Schule inspirierten Vier Gesängen nach Hölderlin (1933) und den neoromantischen Vertonungen von Hermann Reutter.

  202. 202.

    Ein Seitenstück dazu ist die Hölderlin-Rezeption bei dem Prager Komponisten Victor Ullmann , dessen Hölderlin-Lieder 1942/43 in Theresienstadt entstanden und dem Prager Dichter und Anthropologen Franz Baermann Steiner gewidmet sind: der Wanderer Hölderlin als Urbild der vertriebenen oder ermordeten europäischen Juden. Nicht zufällig sind es deutsche Juden in Großbritannien und den USA gewesen, die Hölderlin als Sänger des Exils entdeckt haben. Vgl. Ulrich von Loyen: Franz Baermann Steiner. Exil und Verwandlung. Zur Biografie eines deutschen Dichters und jüdischen Ethnologen. Bielefeld 2011, S. 295–303, hier: S. 298.

  203. 203.

    Meyer: „Musikalische Lyrik im 20. Jahrhundert“, S. 260.

  204. 204.

    Zitiert nach ebd.

  205. 205.

    Bertolt Brecht: „Notiz vom 6. November 1944“, in: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 27, S. 209. Vgl. Dümling: Laßt euch nicht verführen, S. 525.

  206. 206.

    Vgl. Dorothea Redepenning: „‚Indem die Sprache die Fäden zum Subjekt durchschneidet …‘ Aspekte der musikalischen Hölderlin-Rezeption zwischen 1960 und 1980“, in: Mnemosyne. Zeit und Gedächtnis in der europäischen Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts, hg. Dorothea Redepenning und Joachim Steinheuer. Saarbrücken 2006, S. 59–79, hier: S. 59 ff.

  207. 207.

    Vgl. Lawitschka: „Nachwirkungen in der Musik“, in: Hölderlin-Handbuch, S. 505–509.

  208. 208.

    Im Vorwort zu seiner Partitur schreibt Nono: „Die Fragmente, alle aus Gedichten von F. Hölderlin, […] in vielfältigen Augenblicken sind Gedanken schweigende ‚Gesänge‘ aus anderen Räumen, aus anderen Himmeln, um auf andere Weise die Möglichkeit wiederzuentdecken, nicht ‚Dass wir entschieden der Hoffnung das Lebewohl sagten‘ [ein Zitat aus einem Briefentwurf an Susette Gontard]. Die Ausführenden mögen sie ‚singen‘ ganz nach ihrem Selbstverständnis, nach dem Selbstverständnis von Klängen, die auf ‚die zarten Töne des innersten Lebens‘ hinstreben.“ Luigi Nono: Fragmente – Stille, An Diotima, per quartetto d’archi (1979–1980). Mailand 1997 (Vorwort).

  209. 209.

    Brief von Luigi Nono an Hans-Jürgen Nagel, zitiert nach Robert Spruytenburg: Das LaSalle-Quartett. Gespräche mit Walter Levin. München 2011, S. 271.

  210. 210.

    Ebd., S. 270.

  211. 211.

    Auch Luigi Nonos Prometeo. Tragedia dell’ascolto (1981/85) weist eine längere von zwei Frauenstimmen gesungene und elektronisch im Raum aufgefächerte Hölderlin-Episode auf, zugrunde liegen Hyperions Schicksalslied und Achill, vgl. Lydia Jeschke: Prometeo. Geschichtskonzeptionen in Luigi Nonos Hörtragödie. Stuttgart 1997, S. 212–243, hier: S. 230 f.

  212. 212.

    Bei der Uraufführung von Zenders Hölderlin-Lesen I am 8. Mai 1980 übernahm übrigens die Rezitatorin Felicitas Barg den Sprechpart.

  213. 213.

    Hans Zender: „Canto ergo sum“, in: Zender: „Ausgehend von Hölderlin“, in: Waches Hören. München 2014, S. 128–134, hier: S. 132.

  214. 214.

    Publiziert im Zyklus Gesänge op. 1 für Singstimme und Klavier (1968–1970). Rihm sollte Hälfte des Lebens 35 Jahre später noch einmal komponieren, im Rahmen seiner Drei Hölderlin-Gedichte für Sopran (oder Tenor) und Klavier (2004).

  215. 215.

    Wolfgang Rihm: ausgesprochen – Schriften und Gespräche, Bd. 2, hg. Ulrich Mosch. Winterthur 1997, S. 142. An anderer Stelle bezeichnet Rihm den Text seines Liedzyklus als „poröses Gebilde, als embryonale Ruine. Der Wind kann also musikalisierend hindurchblasen. Inspiration!“ Rihm: „Sprache als Anlaß für Musik“, in: ebd., S. 13–15, hier: S. 14. Reinhold Brinkmann hat Rihms Hölderlin-Fragmente auf überzeugende Weise als Beispiel „musikalischer Lyrik“ gedeutet, Reinhold Brinkmann: „Musikalische Lyrik oder die Realisation von Freiheit. Wolfgang Rihms ‚Hölderlin-Fragmente‘“, in: ders.: Vom Pfeifen und von alten Dampfmaschinen. Aufsätze zur Musik von Beethoven bis Rihm, Wien 2006, S. 273–298.

  216. 216.

    Darunter findet sich ein philosophisch hoch exponiertes Fragment, das auch György Kurtág vertonen wird: „Verwegner! möchtest von Angesicht zu Angesicht / die Seele sehn / Du gehest in Flammen unter.“ (22) Man mag darin ein Motiv der Todeslust und -angst erkennen, das in den Versen des aus Bordeaux heimkehrenden Hölderlins immer wieder auftaucht.

  217. 217.

    Rihm hat diesen Zyklus, dessen Klavierstimme er als Skizze oder Klavierauszug betrachtete, zum Orchesterlied-Zyklus ausgearbeitet und damit den theatralisch-performativen Charakter noch verstärkt.

  218. 218.

    Thomas Bösche: „György Kurtágs Spätwerk“, in: Begleitheft zur CD: György Kurtág: Signs, Games and Messages. Friedrich Hölderlin. Samuel Beckett. ECM, München 2002, S. 9–18, hier: S. 12.

  219. 219.

    Vgl. Roman Jakobson zusammen mit Grete Lübbe-Grothues: „Ein Blick auf die Aussicht von Hölderlin“, in: Roman Jakobson: Hölderlin. Klee. Brecht. Zur Wortkunst dreier Gedichte. Frankfurt 1976, S. 27–96.

  220. 220.

    Georgiades meinte, Goethe habe mit seinen Gedichten „Schuberts Liedkraft geweckt“. Georgiades: Schubert. Musik und Lyrik, S. 78. Und Schönberg bescheinigte Richard Dehmel in einem persönlichen Schreiben, dass dessen Gedichte auf seine musikalische Entwicklung „entscheidenden Einfluß“ ausgeübt hätten, vgl. Schönberg an Dehmel am 13. Dezember 1912, in: Richard Dehmel: Dichtungen, Briefe, Dokumente, hg. Johannes Schindler. Hamburg 1963, S. 234.

  221. 221.

    Johann Gottfried Herder: „Rezension von Klopstock’s Werken“, in: Herders Sämtliche Werke, hg. Bernhard Suphan, Bd. XX. Berlin 1880, S. 327–335, hier: S. 331.

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Meyer-Kalkus, R. (2020). Hölderlin-Rezitationen im 20. Jahrhundert. In: Geschichte der literarischen Vortragskunst. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04802-8_20

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