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Variationen über einen unverfügbaren Text. Christian Krachts Frankfurter Poetikvorlesungen

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Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 3))

Zusammenfassung

Als Christian Kracht in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen davon berichtete, als Jugendlicher missbraucht worden zu sein, war das deutsche Feuilleton in Aufruhr. Gerade von Kracht hatte man eine solche autobiographische Selbsterkundung nicht erwartet. Aber wie immer hat Kracht doppelte Böden eingezogen: Die Vorlesungen werden in diesem Beitrag hinsichtlich ihrer medialen und werkpolitischen Strategien analysiert. Sowohl Krachts Zeichenentzug – die Vorlesungen sind nicht veröffentlicht oder aufgezeichnet worden – als auch die Selbstlektüre aus dem Geiste der Missbrauchserzählung sind Teil einer Auseinandersetzung mit den formalen und diskursiven Eigenschaften der Gattung. Krachts Frankfurter Auftritte sind daher Meta-Poetikvorlesungen, die sich als Geste der Werkherrschaft im Vollzug selbst reflektieren.

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Notes

  1. 1.

    Nils Lehnert: „Refus aus Kalkül?! Zu Christian Krachts Fernsehauftritten.“ In: Ders./Stefan Greif/Anna Carina Meywirth (Hg.): Popkultur und Fernsehen. Historische und ästhetische Berührungspunkte. Bielefeld 2015, 133–166, hier 152.

  2. 2.

    Ijoma Mangold: „‚Das hast du dir eingebildet‘“. In: Die Zeit vom 24.05.2018, 35.

  3. 3.

    Roman Bucheli: „Der Schriftsteller Christian Kracht ist als Kind sexuell missbraucht worden“. In: NZZ online (17.05.2018): https://www.nzz.ch/feuilleton/der-schriftsteller-christian-kracht-ist-als-kind-sexuell-missbraucht-worden-ld.1386509 (22.12.2018).

  4. 4.

    Mangold: „‚Das hast du dir eingebildet‘“ (wie Anm. 2).

  5. 5.

    Eckhard Schumacher: „Omnipräsentes Verschwinden. Christian Kracht im Netz“. In: Johannes Birgfeld/Claude D. Conter (Hg.): Christian Kracht. Zu Leben und Werk. Köln 2009, 187–203.

  6. 6.

    Vgl. zum Begriff des Klartextes: Nikolaus Wegmann: „Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klartexts“. In: Jürgen Fohrmann/Harro Müller (Hg.): Systemtheorie der Literatur. München 1996, 345–365.

  7. 7.

    Vgl. Schumacher: „Omnipräsentes Verschwinden“ (wie Anm. 5).

  8. 8.

    Vgl. dazu auch für die paratextuelle Rahmung von Die Toten: Christine Riniker: „‚Die Ironie verdampft ungehört‘. Implizite Poetik in Christian Krachts ‚Die Toten‘ (2016)“. In: Matthias N. Lorenz/Christine Riniker (Hg.): Christian Kracht revisited. Irritation und Rezeption. Berlin 2018, 71–120.

  9. 9.

    Vgl. Susanne Gmür: „Für Kracht ist alles nur ein Spiel“. In: Süddeutsche Zeitung (08.03.2012): https://www.sueddeutsche.de/kultur/christian-kracht-liest-in-zuerich-kein-kommentar-1.1304027 (22.12.2018).

  10. 10.

    Auch Pressefotos mussten vor Beginn der Vorlesungen geschossen werden, während Kracht in einer Simulation des Kommenden für die Fotografen so tat, als ob er bereits aus seinem Manuskript läse. Auch wenn Kracht damit kein ganz striktes „Bilderverbot“ durchsetzt, das er in einem FAS-Interview von 2001 in Bezug auf den Talibanführer Mullah Omar, der jegliche Fotografie von sich verbietet, als „selbst auferlegtes Verschwinden“ feierte (Edo Reents/Volker Weidermann: „‚Ich möchte ein Bilderverbot haben‘“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 30.09.2001, 27–29), behält er doch die Kontrolle über die Art der Fotos und seine Erscheinung auf ihnen: So zeigen alle aus dem Vorlesungskontext veröffentlichten Fotos Kracht im grünen Parka und mit Schal am Vortragspult. Es ist ein ganz bestimmtes Bild, in Pose, Kleidung und Ort genau kalkuliert, das Kracht an seine Poetikvorlesungen anheftet.

  11. 11.

    Vgl. Anne Backhaus: „‚Ich hörte, wie er hinter mir die Hose öffnete‘“. In: Spiegel Online (16.05.2018): http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/christian-kracht-spricht-an-der-uni-frankfurt-ueber-seinen-missbrauch-a-1207975.html (22.12.2018).

  12. 12.

    Natürlich bleiben die Zitate durch digitale Speichertechniken, wie z. B. Screenshots des unredigierten Beitrags weiter in Zirkulation, sind also potenziell verfügbar – in diesem Zusammenhang geht es mir aber vor allem darum, wie Krachts Vorgehen bezüglich der werkpolitischen Strategie einzuschätzen ist. Nach einem Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts darf der Spiegel die Zitate inzwischen wieder anzeigen.

  13. 13.

    Sowohl die Welt als auch der Spiegel griffen für ihre Headline auf den in der Vorlesung geäußerten Satz „Ich hörte, wie er hinter mir die Hose öffnete“ zurück. Vgl. Backhaus: „‚Ich hörte, wie er hinter mir die Hose öffnete‘“ (wie Anm. 11) sowie Jan Küveler: „Ich hörte, wie er hinter mir die Hose öffnete“. In: Die Welt online (16.05.2018): https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/plus176420154/Christian-Kracht-offenbart-er-sei-als-Kind-missbraucht-worden.html? (22.12.2018).

  14. 14.

    Michael Friscolanti: „How a Royal gift exposed sexual abuse at an elite canadien school“. In: Macleans (12.10.2017): https://www.macleans.ca/news/canada/how-a-royal-gift-exposed-sexual-abuse-at-an-elite-canadian-school/ (22.12.2018).

  15. 15.

    Vgl. Gundela Hachmann: „Poeta doctus docens. Poetikvorlesungen als Inszenierung von Bildung“. In: Sabine Kyora (Hg.): Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld 2014, 137–155, hier 150. Vgl. dazu auch Thomas Wegmann: Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850–2000. Göttingen 2011.

  16. 16.

    Robert Leucht/Magnus Wieland (Hg.): Dichterdarsteller. Fallstudien zur biographischen Legende des Autors im 20. und 21. Jahrhundert. Göttingen 2016.

  17. 17.

    Die Verknüpfung von Werk und Autor*in ist als Ergebnis einer bestimmten Relationierung von Zeichen anzusehen und als Phänomen sowohl auf der Produktions- als auch auf der Rezeptionsebene angesiedelt.

  18. 18.

    Thomas Wegmann: „‚Es stimmt ja immer zugleich alles und nichts‘. Zur Theorie des Autors und zum Tod als Gegenstand in Interviews: Müller, Bernhard, Derrida“. In: The Germanic Review: Literature, Culture, Theory 91/1 (2016), 7–24, hier 23.

  19. 19.

    Vgl. Monika Schmitz-Emans: „Reflexionen über Präsenz. Poetikvorlesungen als Experimente mit dem Ich und mit der Zeit“. In: Dies./Claudia Schmitt/Christian Winterhalter (Hg.): Komparatistik als Humanwissenschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Schmeling. Würzburg 2008, 377–386, hier besonders 378.

  20. 20.

    Eva-Maria Bertschy: „Der Autor ist anwesend. Zur poetologischen Bedeutung des leiblichen Autors bei den Auftritten der Autorengruppe ‚Bern ist überall‘“. In: Matthias Schaffrick/Marcus Willand (Hg.): Theorien und Praktiken der Autorschaft. Berlin u. a. 2014, 519–540, hier 530–531.

  21. 21.

    Bernhard Fetz: „Biographisches Erzählen zwischen Wahrheit und Lüge, Inszenierung und Authentizität.“ In: Christian Klein (Hg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien. Stuttgart u. a. 2009, 54–60, hier 58. Vgl. auch Schmitz-Emans: „Reflexionen über Präsenz“ (wie Anm. 19).

  22. 22.

    Wegmann: „‚Es stimmt ja immer zugleich alles und nichts‘“ (wie Anm. 18), 23.

  23. 23.

    Je nachdem, ob die Hinweise auf Raum und Zeit des Vortrags eher getilgt oder herausgestellt werden, kann auch der Vorlesungstext im Buch stärker oder schwächer an die Aufführungssituation rückgebunden sein.

  24. 24.

    Claudia Dürr: „Dabeisein ändert alles? Die Aufregung um Christian Krachts Poetikvorlesung in der Mediennachlese“. In: Geschichte der Gegenwart (15.07.2018): https://geschichtedergegenwart.ch/dabeisein-aendert-alles/ (22.12.2018).

  25. 25.

    Insofern nimmt die Beschreibung der Körperlichkeit und der performativen Gestaltung des Vortrags in der Berichterstattung breiten Raum ein, etwa wenn Felix Stephan schreibt: „Die Offenbarung muss ihn einige Überwindung gekostet haben, mehrmals blieb die Stimme in Tränen stecken“ (Felix Stephan: „Leiden und Werk“. In: Süddeutsche Zeitung online (16.05.2018): https://www.sueddeutsche.de/kultur/christian-kracht-in-frankfurt-leiden-und-werk-1.3981865 (22.12.2018).) – die bleibende Gravitas solcher Zeilen ergibt sich aus ihrer Unüberprüfbarkeit.

  26. 26.

    Steffen Martus: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin u. a. 2007, 20.

  27. 27.

    Mark-Georg Dehrmann: Studierte Dichter. Zum Spannungsverhältnis von Dichtung und philologisch-historischen Wissenschaften im 19. Jahrhundert. Berlin u. a. 2015, 13.

  28. 28.

    Kai Sina/Carlos Spoerhase (Hg.): Nachlassbewusstsein. Literatur, Archiv, Philologie 1750–2000. Göttingen 2017.

  29. 29.

    Vgl. grundlegend Martus: Werkpolitik (wie Anm. 26).

  30. 30.

    Vgl. Alexander M. Fischer: Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Heidelberg 2015. Vgl. auch Dirk Niefanger: „Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur“. In: Johannes G. Pankau (Hg.): Pop, Pop, Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Bremen u. a. 2004, 85–101.

  31. 31.

    Vgl. Riniker: „‚Die Ironie verdampft ungehört‘“ (wie Anm. 8).

  32. 32.

    Vgl. z. B. Jutta Weiser: „‚Fiktion streng realer Ereignisse und Fakten‘ – Tendenzen der literarischen Autofiktion von ‚Fils‘ (1977) bis ‚Hoppe‘ (2012)“. In: Monika Fludernik/Nicole Falkenhayner/Julia Steiner (Hg.): Faktuales und fiktionales Erzählen: Interdisziplinäre Perspektiven. Würzburg 2015, 159–180.

  33. 33.

    Matthias N. Lorenz: „‚Schreiben ist dubioser als Schädel auskochen‘. Eine Berner Bibliografie zum Werk Christian Krachts“. In: Ders. (Hg.): Christian Kracht. Werkverzeichnis und kommentierte Bibliografie der Forschung. Bielefeld 2014, 7–18, hier 7.

  34. 34.

    Vgl. Johannes Birgfeld/Innokentij Kreknin: „[Art.] Christian Kracht“. In: Heinz Arnold Ludwig (Hg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München 2013.

  35. 35.

    Vgl. (auch für die folgenden Beobachtungen) Riniker: „‚Die Ironie verdampft ungehört‘“ (wie Anm. 8), u. a. 73.

  36. 36.

    Kreknin spricht in diesem Zusammenhang von „Modus der Kookkurenz“, in dem sich Autor und Figur bei Kracht befinden. Vgl. Innokentij Kreknin: „Selbstreferenz und die Struktur des Unbehagens der ‚Methode Kracht‘. Zu einem Wandel der Poetik in ‚Imperium‘ und ‚Die Toten‘“. In: Lorenz/Riniker (Hg.): Christian Kracht revisited (wie Anm. 8), 35–69, hier 50–51.

  37. 37.

    Vgl. ebd., 50–53.

  38. 38.

    Vgl. ebd., 41–42.

  39. 39.

    Christoph Amend/Stephan Lebert: „Christian Kracht im Gespräch: Der schlechteste Journalist von allen“. In: Der Tagesspiegel, Berlin (01.07.2000): https://www.tagesspiegel.de/kultur/christian-kracht-im-gespraech-der-schlechteste-journalist-von-allen/151028.html (22.12.2018).

  40. 40.

    ARD: „Denis Scheck spricht mit Christian Kracht über dessen Buch Imperium“, druckfrisch (26.03.2012): https://www.youtube.com/watch?v=cjewDAQdoB0 (22.12.2018), 06:51–06:56.

  41. 41.

    Vgl. Kreknin: „Selbstreferenz“ (wie Anm. 36), 54 u. 41–42.

  42. 42.

    Vgl. Hubert Winkels: „Vorwort“. In: Ders. (Hg.): Christian Kracht trifft Wilhelm Raabe. Die Diskussion um ‚Imperium‘ und der Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2012. Berlin 2013, 7–17, hier 14.

  43. 43.

    Thomas Lindemann: „Christian Kracht und die nackte Angst“. In: Die Welt (13.10.2008): https://www.welt.de/kultur/article2559767/Christian-Kracht-und-die-nackte-Angst.html (22.12.2018).

  44. 44.

    Amend/Lebert: „Christian Kracht im Gespräch“ (wie Anm. 39).

  45. 45.

    Eine solche gegenläufige Ansicht findet sich bei Lorenz: „‚Schreiben ist dubioser als Schädel auskochen‘“ (wie Anm. 33), 16: „Ist Kracht also entgegen dem landläufigen Bild ein auf subtile Weise zutiefst moralischer Autor?“.

  46. 46.

    Vgl. Lehnert: „Refus aus Kalkül?!“ (wie Anm. 1), 153.

  47. 47.

    Vgl. zu dieser Strategie auch Schumacher: „Omnipräsentes Verschwinden“ (wie Anm. 5).

  48. 48.

    Lorenz: „‚Schreiben ist dubioser als Schädel auskochen‘“ (wie Anm. 33), 9.

  49. 49.

    Kevin Kempke/Miriam Zeh: „Blitz und Donner – Christian Krachts Frankfurter Poetikvorlesungen als werkbiographische Zäsur“, In: Merkur-Blog (16.05.2018): https://www.merkur-zeitschrift.de/2018/05/16/blitz-und-donner-christian-krachts-frankfurter-poetikvorlesungen-als-werkbiographische-zaesur/ (22.12.2018) sowie Dies.: „Der Autor ist anwesend – Ein Abschlussbericht zu Christian Krachts Frankfurt Poetikvorlesungen“ (23.05.2018). In: Merkur-Blog: https://www.merkur-zeitschrift.de/2018/05/23/der-autor-ist-anwesend-ein-abschlussbericht-zur-christian-krachts-frankfurter-poetikvorlesungen/ (22.12.2018).

  50. 50.

    Vgl. z. B. Carlos Spoerhase: „Literaturwissenschaft und Gegenwartsliteratur“. In: Merkur 776 (1/2014), 15–24.

  51. 51.

    Martus: Werkpolitik (wie Anm. 26), 2.

  52. 52.

    Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Köln 2008, 55.

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Kempke, K. (2019). Variationen über einen unverfügbaren Text. Christian Krachts Frankfurter Poetikvorlesungen. In: Komfort-Hein, S., Drügh, H. (eds) Christian Krachts Ästhetik. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 3. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04729-8_20

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04729-8_20

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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