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Von verblichenen Fotos und ratternden Projektoren – Zur Anti-Dokumentarästhetik in Christian Krachts Imperium

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Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 3))

Zusammenfassung

Christian Krachts Ästhetik wird kaum mit dem Schlagwort des Dokumentarischen in Verbindung gebracht. Doch gerade der Roman Imperium zeigt, dass Kracht Bezüge auf dokumentarische Medien wie Fotografie oder Film in den Text einbaut, dabei aber ihren dokumentarischen Charakter ad absurdum führt. Damit stellt er nicht nur jeden Weltbezug seines Romans infrage, sondern thematisiert zugleich die spezifischen Eigenschaften der Literatur. Dieser Beitrag verwendet daher den Begriff des Dokumentarischen als ein Kontrastmittel, das die spezifische Negierung jeden Weltbezugs in Imperium sichtbar macht. Der Fokus liegt dabei zunächst auf der Fotografie und der Art und Weise, wie in Imperium historische Dokumente – ein Foto des historischen August Engelhardt dient als Beispiel – literarisiert werden. Im Anschluss wird die Reflektion des Mediums Film, die der Text an verschiedenen Stellen anbietet, genauer ins Auge gefasst. In beiden Fällen zeigt Imperium, dass ein einfacher Bezug auf die Realität in beiden Medien nur Fiktion ist.

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Notes

  1. 1.

    Christian Kracht: Imperium. Köln 2012, 31 (im Folgenden als „I“ mit Seitenzahl im Haupttext nachgewiesen).

  2. 2.

    Isabelle Stauffer/Björn Weyand: „Zum Figureninventar von Krachts Romanen“. In: Text + Kritik 216: Christian Kracht. Hg. von Christoph Kleinschmidt. München 2017, 54–66, hier 57.

  3. 3.

    Vgl. dazu auch die Worte des Kolonialbeamten Hahl, der kurz vor dieser Szene ein politisch-philosophisches Gespräch mit der Bemerkung abbricht, „man müsse jetzt, wenn die Herren [Engelhardt und dessen Mitstreiter Lützow – C.S.] erlaubten, zurück zur Realität finden“ (I, 173).

  4. 4.

    Johannes Birgfeld: „Südseephantasien. Christian Krachts Imperium und sein Beitrag zur Poetik des deutschsprachigen Romans der Gegenwart“. In: Wirkendes Wort 62/3 (2012), 457–77, hier 477.

  5. 5.

    Nicole Weber: „Kein Außen mehr. Krachts Imperium (2012), die Ästhetik des Verschwindens und Hardts und Negris Empire (2000)“. In: Matthias N. Lorenz/Christine Riniker (Hg.): Christian Kracht revisited: Irritation und Rezeption. Berlin 2018, 471–503, hier 488. Den Begriff der Ironiespirale übernimmt sie dabei aus den Gesprächen des Bandes Tristesse Royale, an dem Kracht beteiligt war. Vgl. vor allem den 3. Teil in Joachim Bessing/Christian Kracht/Eckhardt Nickel u. a.: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett. Berlin 1999.

  6. 6.

    Eckhard Schumacher: „Differenz und Wiederholung. Christian Krachts Imperium“. In: Hubert Winkels (Hg.): Christian Kracht trifft Wilhelm Raabe. Die Diskussion um „Imperium“ und der Wilhelm Raabe-Literaturpreis. Berlin 2013, 129–146, hier 146.

  7. 7.

    Georg Diez: „Die Methode Kracht“. In: Der Spiegel 7/2012, 100–103.

  8. 8.

    Ebd., 103.

  9. 9.

    Thomas Assheuer: „Ironie? Lachhaft“. In: Die Zeit 9/2012.

  10. 10.

    Schumacher: „Differenz und Wiederholung“ (wie Anm. 6), 146.

  11. 11.

    So etwa als Teil eines Artikels auf Spiegel Online: Manuel Opitz: „Der Herr der Kokosnüsse“. In: Spiegel Online (05.03.2018): http://www.spiegel.de/einestages/aussteiger-august-engelhardt-der-herr-der-kokosnuesse-a-1195030.html (25.01.2019).

  12. 12.

    Vgl. Hubert Fichte: „Mein Freund Herodot (mit Exkurs)“. In: Ders.: Schwarze Stadt. Glossen. Frankfurt a. M. 1990, 327–367, hier 353. Ich wähle Fichtes Ausdruck nicht nur deshalb, weil Kracht diesen in seiner Frankfurter Poetikvorlesung als wichtigen Einfluss nannte, sondern auch aufgrund des von Fichte beschriebenen Projekts Herodots, das mehr zu sein versuche „als eine Anhäufung von Beispielen für den Geschichtsunterricht“, vielmehr auch eine „poetische Dimension“ enthalte (ebd., 341). Genau diese Schnittstelle zwischen Welt und Wort steht hier ja zur Debatte.

  13. 13.

    Fiktion deshalb, weil die reale Aufnahme zu einem viel früheren Zeitpunkt gemacht worden ist, als der Text behauptet: Der historische Max Lützow starb 1905, während die Szene der Verwerfung zwischen Engelhardt und Lützow, der sich die Beschreibung des Fotos anschließt, kurz vor dem 1. Weltkrieg angesetzt ist. Solche fiktionalen Verschiebungen von historischen Bezugnahmen haben im Roman System (vgl. etwa Birgfeld: „Südseephantasien“ (wie Anm. 4), 69–70), sind also gerade Teil jenes Schreibverfahrens, dessen letzte Konsequenz die „Auflösung der Bedeutung“ ist (Weber: „Kein Außen mehr“ (wie Anm. 5), 488).

  14. 14.

    Vgl. Thomas von Steinaecker: Literarische Foto-Texte. Zur Funktion der Fotografien in den Texten Rolf Dieter Brinkmanns, Alexander Kluges und W.G. Sebalds. Bielefeld 2007.

  15. 15.

    Peter Weiss: „Notizen zum dokumentarischen Theater“. In: Ders. (Hg.): Rapporte 2, Frankfurt a. M. 1971, 91–104, hier 94.

  16. 16.

    Ähnlich äußert sich auch Alexander Kluge, der das „‚kritische‘ Interesse“ des Dokumentarfilms betont, dieses allerdings viel komplexer begreift als manche frühen Dokumentarliteraten: „Die realistische Methode und das sogenannte ‚Filmische‘“ (1975)“. In: Ders. (Hg.): In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Texte zu Kino, Film, Politik. Berlin 1999, 114–122, hier 116–117.

  17. 17.

    Weiss: „Notizen“ (wie Anm. 15), 97.

  18. 18.

    So Lukács, paraphrasiert in Hans Christoph Buch: „Postscriptum. Über Dokumentarliteratur und sozialistischen Realismus“. In: Ders. (Hg.): Kritische Wälder: Essays, Kritiken Glossen. Reinbek bei Hamburg 1972, 85–88, hier 85.

  19. 19.

    Hito Steyerl: Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld. Wien 2008, 10.

  20. 20.

    Ebd., 7.

  21. 21.

    Dass Buchgestaltung und Bildpolitik zum Verständnis des Werks immens wichtig sind, zeigen die Beiträge von Christine Riniker und Ronald Röttel in diesem Band.

  22. 22.

    Der ist auf keiner der deutschsprachigen Buchausgaben in irgendeiner Weise abgebildet; das fragliche Foto wurde allerdings für das Cover der norwegischen Ausgabe verwendet. Vgl. Christian Kracht: Offizielle Website: https://www.christiankracht.com (25.01.2019).

  23. 23.

    Im Sinne Michail Bachtins kann man Imperium durchaus als einen Roman bezeichnen, der durch die zahlreichen Intertexte ein Musterbeispiel der Heteroglossie darstellt; und das gilt nicht nur für die Rede der ganz unterschiedlichen (Sub)-Kulturen angehörenden Figuren, sondern auch für die Erzählerstimme des Romans. Tom Kindt hat darauf hingewiesen, dass man bei Imperium gar nicht von einem Erzähler sprechen könne; der Ausdruck „Erzählstrom“ fasse die narrative Technik des Romans viel besser, da dessen Erzählstimme sich durch „ein Nebeneinander von Stimmen, Sichtweisen, Haltungen und Tönen“ auszeichne, die aber „aufgrund ihrer Uneinheitlichkeit oder sogar Widersprüchlichkeit letztlich nicht die Vorstellung einer Erzählerfigur“ begründen könne. Tom Kindt: „Ein Zahnrad greift nicht mehr ins andere…“. In: Lorenz/Riniker (Hg.): Christian Kracht revisited (wie Anm. 5), 455–470, hier 467. Vgl. auch Michail M. Bachtin: „Discourse in the Novel“. In: Ders.: The Dialogical Imagination. Austin, TX 1984, 259–422. Aus Gründen der Einfachheit werde ich dennoch weiter von ‚dem Erzähler‘ sprechen.

  24. 24.

    Ein vor einigen Jahren im angelsächsischen Raum erschienener Sammelband früher deutscher Filmtheorie und -kritik ist daher auch passend als The Promise of Cinema betitelt. Vgl. Anton Kaes/Michael Cowan/Nicholas Baer (Hg.): The Promise of Cinema. German Film Theory 1907–1933. Oakland 2016.

  25. 25.

    Ludwig Brauner: „Kinematographische Archive“. In: Der Kinematograph. Organ für die gesamte Projektionskunst 97 (1908), 1–2, hier 1.

  26. 26.

    Ebd., 1–2.

  27. 27.

    Vgl. den Beitrag dazu in diesem Band.

  28. 28.

    Axel Honneth: „Sozialphilosophie“. In: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Hamburg 1999, 1188.

  29. 29.

    Kluge: „Die realistische Methode“ (wie Anm. 16), 120–121.

  30. 30.

    Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter. Berlin 1986, 180. Kittlers Verdikt, Medien seien über Ästhetik immer schon hinaus (ebd., 10), wird durch deren literarische Subsumption in Imperium jedoch radikal infrage gestellt.

  31. 31.

    David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art. An Introduction. New York 2010, 236–268.

  32. 32.

    Immanuel Nover: „Diskurse des Extremen. Autorschaft als Skandal“. In: Text + Kritik 216 (wie Anm. 2), 26–33, hier 27.

  33. 33.

    Letztere Möglichkeit spielen vor allem Birgfeld und, an dessen Befunde anknüpfend und sie erweiternd, Weber in ihren Beiträgen durch. Vgl. Birgfeld: „Südseephantasien“ (wie Anm. 4), 468–469, sowie Weber: „Kein Außen mehr“ (wie Anm. 5), 485–487.

  34. 34.

    Für Hinweise und konstruktive Kritik danke ich Heinz Drügh, Thomas Hecken, Susanne Komfort-Hein, Richard Langston und Niels Werber.

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Schmitz, C. (2019). Von verblichenen Fotos und ratternden Projektoren – Zur Anti-Dokumentarästhetik in Christian Krachts Imperium. In: Komfort-Hein, S., Drügh, H. (eds) Christian Krachts Ästhetik. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 3. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04729-8_12

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-04728-1

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