Zusammenfassung
Von den skizzierten Strategien normativer Diskurse, den quasi ätiologisch, den therapeutisch-diätetisch und den diagnostisch argumentierenden, ist die Geschichte literarischer Normen zwischen Goethezeit und Gegenwart wesentlich mitgeprägt worden. Von »literarischen Normen« spreche ich dabei in einem doppelten Sinn. Zum einen sind damit die Normen gemeint, die von literarischen Texten als fraglos gültig vorausgesetzt sind oder ausdrücklich bestätigt, problematisiert, kritisiert oder durchgesetzt werden wollen, Normen vor allem, an denen das Verhalten literarischer Figuren orientiert ist und die der Text mit verschiedenen Mitteln bewertet. Zum anderen sind damit die Normen bezeichnet, die den literarischen Schreibakt (sowie jeden sozialen Umgang mit Literatur) selbst betreffen. [1] Mit Begriffen von Gesundheit und Krankheit wird zum einen in den fiktiven Welten der Texte über soziale Normen und Werte verhandelt, zum anderen gehen sie als Kategorien der Wertung in die realen Diskurse über diese Texte ein, in ästhetische Reflexionen, poetologische Regeln oder in die Praxis der Literaturkritik. Von literarisch vermittelten Normen sind solche, die sich als Erwartungen an die literarische Produktion eines Autors richten, analytisch zu unterscheiden. Es ist ein prinzipieller Unterschied, ob ein Autor mit der Strukturierung seines Textes bestimmte Verhaltensweisen seiner Figuren bewertet, indem er sie zum Beispiel als »krank« erscheinen läßt bzw. vorführt, daß sie krank machen, oder ob ein Literaturkritiker bestimmte Texte und ihre Autoren als »krank« abqualifiziert und vielleicht auch noch behauptet, daß die Gesundheit der Leser an ihnen Schaden nehmen könnte.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Rights and permissions
Copyright information
© 1989 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Anz, T. (1989). Gesundheit, Krankheit und literarische Norm: Max Nordaus »Entartung« als Paradigma pathologisierender Kunstkritik. In: Gesund oder krank?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04410-5_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04410-5_3
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00652-3
Online ISBN: 978-3-476-04410-5
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)