Zusammenfassung
Der Expressionismus war weder eine rein literarische Bewegung noch eine wesentlich von der Literatur vorbereitete Epoche des künstlerischen Traditionsbruchs. Die neue »Formfrage«[1] und Dasneue Programm [2], nicht zuletzt das epochale Schlagwort selbst kamen zunächst in der avantgardistischen Malerei auf (s. den Abschnitt »Frühe Proklamationen zur ›jüngsten Kunst‹ und zum ›Expressionismus‹ «). Vor allem die Malerei, aber auch Plastik, Musik, Film und Architektur [3] dieser Zeit lassen zugleich eine allgemeine Konvergenz der Künste erkennen, an der die Literatur zunehmenden Anteil hatte. So klar aber die Kooperation der Schriftsteller und Künstler zur Signatur des Expressionismus gehört, so schwierig bleibt es, identische Strukturen in allen Künsten über programmatische Analogien und thematische Parallelen hinaus nachzuweisen oder gar eine ›Semiotik‹ des typisch Expressionistischen in Wort und Bild, Ton und Farbe aufzuzeigen. [4] Ohne Zweifel aber fühlten sich die Künstler gemeinsamen Kriterien der Kulturkritik, des utopisch-ideologischen Denkens und des anti-ästhetischen sowie des anti-traditionellen Normbruchs verpflichtet. [5] Nicht von ungefähr stammt das interpretationstheoretische Postulat »wechselseitiger Erhellung von Poesie und bildender Kunst« [6] aus eben dieser Epoche. Oskar Walzel, der sich damals aktuell mit den Problemen der expressionistischen Ästhetik auseinandersetzte, führte diesen Terminus Anfang 1917 in die Debatte ein. [7]
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Notizen
Vgl. Wassily Kandinsky: Über die Formfrage. In: Der Blaue Reiter. Hrsg. von K. u. Franz Marc. — München: Piper & Co. Verlag 1912, S. 74–102.
Zur Konvergenz zwischen Dichtung und Malerei vgl. Brigitte Kühl-Wiese: Georg Trakl — der blaue Reiter. Form- und Farbstrukturen in Dichtung und Malerei des Expressionismus. Münster 1963
Ronald Salter: Georg Heyms Lyrik, Ein Vergleich von Wortkunst und Bildkunst. München 1972;
Karl Ludwig Schneider: Zerbrochene Formen. Wort und Bildim Expressionismus. — Hamburg 1967;
Zum Gesamtkunstwerk vgl. Richard W. Sheppard: Kandinskys Abstract Drama Der gelbe Klang: An Interpretation. In: Forum for Modern Languages Studies 11 (1975), S. 165–176.
Oskar Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste. In: Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters. — Berlin-Neubabelsberg: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion mbH 1923 (Handbuch der Literaturwissenschaft), S. 265–281.
Oskar Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. — Berlin 1917 (Philosophische Vorträge der Kant-Gesellschaft, Nr. 15).
Ludwig Meidner: Im Nacken das Sternemeer. Rufe eines Malers. — Leipzig u. München: Kurt Wolff 1918, S. 75.
Kurt Schwitters: Merz. In: Ararat 2. Jg. (1921), S. 2–9. Zit; zit. nach Paul Pörtner (Hrsg.): Literatur-Revolution. M. 2, S. 540–541, Zitat S. 540.
Rolf Lauckner: Von den Forderungen an eine neue Oper. In: Frau im Stein. Drama für Musik. — Berlin: Erich Reiss 1918, S. 73–90.
Fritz Steiner: Das Theater und der Expressionismus. In: Die deutsche Bühne 12. Jg. (1920), H. 17, 19. April, S. 309–312, Zitat S. 309.
Siehe Richard Wagner: Das Kunstwerk der Zukunft. — Leipzig: Wigand 1850; Oper und Drama. — Ebd. 1852.
Hugo Ball: Das Münchner Künstler theater (Eine prinzipielle Beleuchtung). In: Phöbus 1. Jg. (1914), 2. Heft (Mai), S. 68–74, Zitat S. 73.
Walter Gropius: Idee und Aufbau des staatlichen Bauhauses. In: Staatliches Bauhaus in Weimar 1919–1923. Hrsg. Das staatliche Bauhaus in Weimar und Karl Nierendorf in Köln. — Weimar u. München 1923, S. 7–18, Zitat S. 9.
Theodor Haubach: Expressionismus. Ein Querschnitt durch die künstlerische Bewegung unserer Tage. In: Deutsche Kunst und Dekoration 45. Jg. (1919/20), Oktober–März, S. 13–19, Zitat S. 13.
Eugène Delacroix (1798–1863), französischer Maler der Romantik. Vgl. E. Delacroix: Mein Tagebuch (Bibliothek ausgewählter Kunstschriftsteller, Bd. 2) — Berlin 1903.
Henrik Ibsen: Gengangere. Et familje drama itre akter. Kopenhagen 1881. Dt. Übers.: Gespenster. Ein Familiendrama in drei Akten. Übers, von W. Borch. — Leipzig [1884].
Diesen Epochenbegriff expliziert z. B. Herbert Kraft: Kunst und Wirklichkeit im Expressionismus. Mit einer Dokumentation zu Carl Einstein. — Bebenhausen 1977.
So etwa die kunstideologische Kritik von Georg Lukács: Größe und Verfall des Expressionismus. In: Internationale Literatur 4 (1934), S. 153–173. Neuerdings wiederabgedr. In: Hans Gerd Rotzer (Hrsg.): Begriffsbestimmung des literarischen Expressionismus, S. 19–66; ders.: Es geht um den Realismus. In: Das Wort 6 (1938), S. 112–138. Wiederabgedr. In Hans-Jürgen Schmitt (Hrsg.): Die Expressionismusdebatte, S. 192–230.
Kurt Gerstenberg: Abstraktionismus. In: Der Weg 1. Jg. (1919), H. 1, Januar, S. 6.
Carl Einstein: Zu Paul Claudel. In: Die weißen Blätter 1. Jg. (1914), H. 3, S. 289–297. Zit. nach: Gesammelte Werke, S. 62–72, hier S. 63. Vgl. auch weitere für diskursive Abstraktion im Expressionismus typische Texte Einsteins wie z. B.: Totalität I, II. In: Die Aktion 4. Jg. (1914), Nr. 16, 18. April, Sp. 345–347 bzw. Nr. 22, 30. Mai, Sp. 476–478.
Paul Fechter: Der Expressionismus. — München: Delphin-Verlag 1914, S. 24.
Theodor Däubler: Simultanität. In: Die weißen Blätter 3. Jg. (1916), 1. Quartal (Januar/März), S. 108–121. Däublers Autobiographische Fragmente Wir wollen nicht verweilen (Dresden-Hellerau: Hellerauer-Verlag 1915) galten als literarisches Modell des schriftstellerischen Simultanismus.
Hanns Johst: Carl Einsteins Negerplastik. In: Die Aktion 5. Jg. (1915), Nr. 37/38, 18. September. Sp.
Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. — Diss. Bern 1907. München: R. Piper & Co, Verlag 1908.
Vgl. bes. André Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Dt. von Ruth Henry. — Reinbek b. Hamburg 1968.
Samuel Lublinski: Der Ausgang der Moderne. Ein Buch der Opposition. — Dresden: Carl Reissner 1909. Neu hrsg. von Gotthart Wunberg (Ausgewählte Schriften, Bd. 2). — Tübingen 1976.
Georg Simmel: Philosophie des Geldes. Leipzig: Duncker & Humblot 1900. Berlin 61958.
Gekürzter Passus aus K. Hiller: Philosophie des Ziels. In: Das Ziel. Aufrufe zu tätigem Geist. Hrsg. von K. H. — München und Berlin: Georg Müller Verlag 1916, S. 187–217.
Zu diesem Doppelaspekt der Epoche vgl. Wolfgang Rothe: Der Expressionismus, Theologische, soziologische und anthropologische Aspekte einer Literatur. Frankfurt a. M. 1977, bes. S. 13 ff.
Hermann Sinsheimer: Das neue Pathos auf der Bühne. In: Das Reich 2. Jg. (1917), 3. Buch, S. 478–494, Zitat S. 490f.
Zur Dokumentation des religiösen und mystischen Moments der expressionistischen Dichtung vgl. Dok. 63; Hanns Braun: Das Religiöseund die jüngste Dichtung. In: Derneue Merkur 3. Jg. (1919/20), S. 600–610;
Friedrich Muckermann: Von der Mystik des Expressionismus. In: Gral 15. Jg. (1921), S. 194–203;
Franz Herwig: Das religiöse Gefühl in der zeitgenössischen Dichtung. In: Gral 16. Jg. (1921), S. 194–201, 244–248, 360–363;
Wilhelm Knevels: Expressionismus und Religion. Gezeigt an der neuesten deutschen expressionistischen Lyrik. — Tübingen: Mohr 1927 (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 123).
Martin Buber: Bewegung. Aus einem Brief an einen Holländer. In: Der neue Merkur 1. Jg. (1914/15), Bd. 2 (Oktober–März), S. 489–492, Zitat S. 490.
Margarete Susman: Expressionismus. 1918. In: Die Masken. Blätter des Düsseldorfer Schauspielhauses 14. Jg. (1918/19), S. 93–96. Zit. nach: Paul Raabe (Hrsg.): Expressionismus. Der Kampf um eine literarische Bewegung, S. 153–157, Zitat S. 156 f.
Oskar Kanehl: Wider die Ästhetik. In: Wiecker Bote 1. Jg. (1914), H. 11/12 (Juli), S. 12–15, hier S. 14 f.
Walter Muschg: Von Trakl zu Brecht. Dichterdes Expressionismus. München 1961, S. 44.
Kurt Hiller: Gedenkrede [auf Ernst Wilhelm Lotz]. In: Die neue Rundschau 26. Jg. (1915), Bd. 1, S. 561.
Auguste Rodin: Natur und Kunst. In: Das bunte Buch. Leipzig: Kurt Wolff 1914, S. 55–75, Zitat S. 55 f.
Kurt Singer: Das Häßliche im Drama. In: Die Schaubühne 5. Jg. (1909), Nr. 11, 18. März, S. 297–300u. Nr. 12, 25. März, S. 325–330, hier S. 330.
Bertold Viertel: Neue Kunst und die Kritik. In: Der Strom 1. Jg. (1911), Nr. 2 (Mai), S. 37–41, Zitat S. 39 f.
Hermann Hölzke: Das Häßliche in der modernen deutschen Literatur. Eine kritische Studie. Braunschweig u. Leipzig: Verlag von Richard Sattler 1902, S. 4.
Ernst Blass: Georg Heyw. In: Die Aktion 2. Jg. (1912), Nr. 28, 10. Juli, Sp. 882–885, Zitat Sp. 883.
Hans Friedrich: Gedichtbände. In: Janus 1. Jg. (1912), 1. April-H., Nr. 15, S. 358–359, Zitat S. 358 f.
Ludwig Bäumer: Lovis Corinths Aufruf an die Jugend, für die deutsche Kunst Eine Entgegnung. In: Die Aktion 4. Jg. (1914), Nr. 8, 21. Februar, Sp. 161–162, Zitat Sp. 162.
Otto Flake: Das Unanständigeinder Kunst. In: März 7. Jg. (1913), H. 1, 11. Januar, S. 87–88, Zitat S. 88.
Vgl. Michael Stark: Impertinenter Expressionismus. Hugo Kerstens Revolte. Nachwort zu: Impertinenter Expressionismus. Texte von Hugo Kersten. Stuttgart 1980, S. 137–164.
Jakob van Hoddis: Doktor Hackers Ende. In: Die neue Kunst 1. Jg. (1913/14), Bd. 1, H. 1, S. 78. Wiederabgedr. in: J. v. H.: Weltende. Gesammelte Dichtungen. Hrsg. von Paul Pörtner. Zürich 1958, S. 80.
Anselm Ruest (d. i. Ernst Samuel): Ein Vorleseabend. In: Die Aktion 1. Jg. (1911), Nr. 42, 4. Dezember, Sp. 1328–1329, hier Sp. 1328. Bericht vom Auftritt S. Friedlaenders bei einem Leseabend des Alfred Richard Meyer Verlags im Berliner Architektenhaus.
Karl Scheffler: Vom Wesen des Grotesken. In: Gesammelte Essays. Leipzig: Insel-Verlag 1912, S. 78–98. Zit. nach: Ludwig Rohner (Hrsg.): Deutsche Essays. Prosa aus zwei Jahrhunderten. Bd. 4: Neueredeutsche Essays I. München 1972, S. 245–262, Zitat S. 246 f.
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Anz, T., Stark, M. (1982). Postulate der Neuen Kunst. In: Anz, T., Stark, M. (eds) Expressionismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04408-2_16
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