Zusammenfassung
“Romantik” ist ein Begriff, mit dem die Geschichtswissenschaft nicht arbeitet. In der politischen Ideengeschichte wird er zwar — wenn auch nicht unbestritten — verwendet, für eine auf die Sozialgeschichte und Politik der Zeit ausgerichtete Forschung scheint er jedoch nicht relevant zu sein. Er trifft offensichtlich keine unverwechselbare Gesamttendenz der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit Deutschlands um 1800, sondern allein eine Entwicklung im Bereich von Literatur, Kunst und Wissenschaft. Damit teilt er das Schicksal anderer Stil- und Epochenbegriffe, nur im Rahmen der Kunst- und Geisteswissenschaft gebräuchlich zu sein und für eine Sozialgeschichte z. B. keine prägende Bedeutung zu haben. Zu fragen bleibt jedoch — und dazu sollen die folgenden Überlegungen beitragen -, wieweit eine solche Eingrenzung in der Sache selbst und wieweit sie in einer mangelnden Kooperation zwischen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften begründet ist.
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Notizen
In diesem Zusammenhang ist an zwei bereits vorliegende Ansätze zu erinnern: Karl Mannheim, “Das konservative Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politisch-historischen Denkens in Deutschland” (1927), jetzt in: ders., Wissenssoziologie (1970), S. 408–508, speziell 423 ff, und
Henri Brunschwig, Société et romantisme en Prusse au XVIIIe siècle (1973, zuerst 1947, jetzt auch dt. 1976). Die deutsche Romantik hat demnach schon früh zu soziologischen Untersuchungen herausgefordert. Was aber stand in Wege, daß diese qualitativ beachtlichen Ansätze bis heute von den zuständigen Wissenschaften kaum rezipiert und weitergeführt wurden?
Vgl zur vereinsgeschichtlichen Seite dieses sozialen Wandlungsprozesses Thomas Nipperdey, “Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert,” in: Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert (1972), S. 1–44.
Zur Problematik des Begriffs und seiner Geschichte der informative Überblick von Ernst Behler, Die europäische Romantik (1972), S. 7–42.
Die Reaktivierung der romantisch-restaurativen Staatstheorien durch den Kreis um Othmar Spann hat sich nachhaltig- nicht zuletzt auch durch die von Spann herausgegebene Quellenedition (“Die Herdflamme”) — auf unser Bild von der politischen Theorie der Romantik ausgewirkt. Charakteristisch etwa: Jacques Droz, Le romantisme allemand et l’Etat (1966).
An Warnungen vor einer solch einseitigen Festlegung der Romantik hat es seit Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. Aufl. (1925), S. 14ff. und 33–49 nicht gefehlt. Bekanntlich hat jedoch Schmitts okkasionalistische Interpretation des politischen Verhaltens der Romantiker selbst wiederum einem neokonservativen Verständnis vorgearbeitet.
Vgl. die Herausarbeitung dieser Merkmale bei Paul Kluckhohn, Persönlichkeit und Gemeinschaft. Studien zu Staatsauffassung der deutschen Romantik (1925), S. 20ff.,
und die schöne Zusammenfassung von Rudolf Stadelmann, “Die Romantik und die Geschichte,” in Romantik, hrsg. Theodor Steinbüchel (1948), S. 153 ff. Unübertroffen in diesem Zusammenhang auch die Charakterisierungen des gesellschaftlich-politischen Verhaltens der Romantiker durch Carl Schmitt, S. 33ff. und 96ff.
Schleiermacher, II, 135. Zum Frauenbild der deutschen Romantik fehlt es an einer befriedigenden Untersuchung. Vgl. Paul Kluckhohn, Die Auffassungen der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik (1966). Eine solche Untersuchung müßte angesichts der neuen Interessen und Fragestellungen, mit der die Sozialgeschichte der Frauen heute angegangen wird, neu ansetzen. Sie hätte sich vor allem mit dem heute vorherrschenden Interpretationsmodell auseinanderzusetzen, das in der Zeit um 1800 eine Wendung zur Unterdrückung der Frauen im Rahmen des Wandels der bürgerlichen Familienstruktur sieht. Vgl. dazu charakteristisch (ohne Berücksichtigung der Romantik !)
Barbara Duden, “Das schöne Eigentum. Zur Herausbildung des bürgerlichen Frauenbildes an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert,” Kursbuch, 47 (1977), 125–140.
Vgl. dazu etwa Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat (1962), S. 58–141 und Jacques Droz, S. 143–225. Es bleibt jedoch anzumerken, daß die Interpretation des romantischen Anteils am frühen deutschen Nationalismus bis heute durch eine Reihe von Vorurteilen verstellt ist.
Exemplarisch dafür etwa: G. Vermeil, “Deutsche Romantik und Nationalismus,” in Europa und der Nationalismus (1950), S. 67–83.
Friedrich Ludwig Jahns Werke, hrsg. Carl Euler, Bd. 1 (1884), S. 314ff.
Vgl. Klaus Zieschang, Vom Schützenfest zum Volksfest. Die Entstehung des deutschen Turnfestes unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse von F.L. Jahn (Diss. phil. Würzburg 1973), S. 159ff. und 196ff.
E.M. Arndt, Ausgewählte Werke, hrsg. H. Meissner und R. Geerds, Bd. 12 (1912), S. 235 f. (= Geist der Zeit IV.)
Vgl. generell Talcott Parsons, Das System moderner Gesellschaften (1972), S. 37 ff., und speziell zur Entwicklung in Deutschland Thomas Nipperdey (Anm. 3) und
Otto Dann, “Die Anfänge politischer Vereinsbildung in Deutschland,” in Soziale Bewegung und politische Verfassung, Festschrift Werner Conze, hrsg. Ulrich Engelhardt u.a. (1976), S. 197–232.
Einen Überblick über die Freundschaftsgruppen der Romantiker gibt z. B. Clemens Heselhaus, “Die romantische Gruppe in Deutschland,” in Die Europäische Romantik (1972), S. 44 ff. Über eine deskriptive Aufzählung ist die Forschung jedoch noch nicht hinausgekommen. Es fehlt bis heute eine soziologische Analyse der Romantikergruppen nach den in der Sozialwissenschaft bereitstehenden Methoden und Fragestellungen.
Vgl. Wilhelm Flitner, August Wilhelm Hülsen und der Bund der Freien Männer (1913), S. 15 ff.
Vgl. Siegfried Sudhof, Von der Aufklärung zur Romantik. Die Geschichte des Kreises von Münster (1973) und
Hans Grassl, Aufbruch zur Romantik. Bayerns Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte 1765–1785 (1968), speziell S. 293 ff. Leider wird das reiche Material beider Studien nicht gruppensoziologisch ausgewertet.
Trotz häufiger Erwähnung fehlt bis heute eine befriedigende wissenschaftliche Analyse. Vgl. einführend Ingeborg Drewitz, Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter (1965), S. 23ff. und 52ff.
Immer noch instruktiv: Karl Hillebrand, Die Berliner Gesellschaft in den Jahren 1789 bis 1815 (1955), S. 78 ff.
Wichtigster Anhaltspunkt für die viel zitierte und kaum erforschte, von Adam Müller und Achim von Arnim im Januar 1811 gegründete Gesellschaft: Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (1901), S. 590ff. — Zum Reimerschen Kreis vgl. Dann, S. 212.
Vgl. F. Meinecke, Die deutschen Gesellschaften und der Hoffmannsche Bund (1891), S. 72f.
Vgl. im übrigen Herman Haupt, Karl Folien und die Gießener Schwarzen (1907).
Hierzu vor allem Hermann Heimpel, “Über Organisationsformen historischer Forschung,” Historische Zeitschrift, 189 (1959), 189 ff, und ders., “Geschichtsvereine einst und jetzt,” in Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert (1972), S. 46 ff.
Vgl den Überblick über die Frühphase der Burschenschaftsbewegung von Paul Wentzcke, Geschichte der deutschen Burschenschaft, Bd. 1 (1919).
Vgl. etwa H. Freudenthal, Vereine in Hamburg (1968), S. 71 ff., oder
S. Dauscher “Fürther Vereine zur Zeit der Restauration,” in Fürther Heimatblätter 18 (1968), 89 ff.
Gegen C. Heselhaus, S. 44, und viele andere Hochstilisierungen romantischer Freundschaftskreise und Gruppen. So auch gegen Klaus Lankheit, Das Freundschaftsbild der Romantik (1952), der S. 97 spezifische Merkmale der romantischen Freunschaftsbil-dung herausstellt, die er an früherer Stelle (vgl. ebd., S. 69 ff.) in gleicher Form für das 18. Jahrhundert nachweist. Grundlegend für die literarische Freundschaftsbildung im 18. Jahrhundert:
Wolfdietrich Rasch, Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts (1936), speziell S. 81 ff. zur gesellschaftlichen Interpretation des Freundschaftskultes.
Vgl. noch einmal Wilhelm Harnisch, S. 475ff.: “Wer Bruder ist, muß es ganz sein.” Die unbedingte und totale Aufopferung für den Bund schließt eine Gütergemeinschaft ein und mache einen Austritt unmöglich. Verheiratete Männer gelten deshalb als weniger geeignet. Zum romantisch eingefärbten Bundesbegriff auch Reinhart Koselleck “Bund,” in Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 (1972), S. 646.
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Dann, O. (1978). Gruppenbildung und gesellschaftliche Organisierung in der Epoche der deutschen Romantik. In: Brinkmann, R. (eds) Romantik in Deutschland. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04397-9_8
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