Zusammenfassung
Die Auseinandersetzung mit Poesie erwies sich für die Anfange der modernen Linguistik als außerordentlich fruchtbar. Besonders die Entwicklung der Phonem-Theorie stand mit der Analyse von poetischen Texten in einem engen Zusammenhang. Dabei können die Geschichte der Phonologie und bestimmte Schreibweisen in der poetischen Avantgarde auf einem gemeinsamen Hintergrund mediengeschichtlicher Ausdifferenzierung gesehen werden. Die Entwicklung technischer Medien hat eine Problematik in der Relation zwischen Sprachlaut und Schriftzeichen hervorgebracht, welche die Funktion von Schrift als phono/graphischem Medium relativierte. Während die Phonem-Theorie aber Schriftaspekte poetischer Texte als sekundär aus dem Zentrum ihres Interesses ausgrenzen mußte, blieb die Heterogenität des sprachlichen Zeichens fur die avantgardistische Poesie weiterhin konstitutiv und wurde von den Autoren in poetologischen Stellungnahmen thematisiert. Eine Rekonstruktion der Affinitäten und Divergenzen von wissenschaftlichem Diskurs und poetischer Schreibweise kann zweierlei leisten. Zum einen soll in der Konfrontation von Phonem-Theorie und avantgardistischer Poesie das Paradigma einer Lyrik als gesprochenes Wort auf seine wissenschaftsgeschichtlichen Prämissen hin untersucht werden. Zum anderen lassen sich die Ergebnisse phonologisch orientierter Lyrik-Analysen mit dem für moderne Lyrik strukturbildenden Prozeß des Schreibens vermitteln.
Sehen Sie, gnädiger Herr, ein Komma! (Hölderlin, VII. 3, Nr. 499, S. 66)
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Literatur
Jakobson, 1979, S. 113–115, erläutert den Begriff La uttextur (sound texture) am Beispiel des Gedichts »The Raven« von E. A. Poe (SW, 1981, III, S. 44–46).
Jakobson, 1921, S. 29, zitiert das Manifest: Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack. In der Übersetzung von Urban lautet die Stelle: „das Wetterleuchten der Neuen Vorwärtsschreitenden Schönheit des Selbstzweck- (selbsthaften) Wortes“, in: Mittelstadt, 1988, S. 24.
Jakobson/Pomorska, 1982, S. 52. Vgl. Jakobson/Waugh, 1986, S. 195–256: Der Zauber der Sprachlaute.
Vgl. Greber, 1994, S. 93–144 zu „Gramma“ — Buchstabe und Laut, dort S. 93–95.
Jakobson/Lévi-Strauss, 1972, S. 184–201 : »Les Chats« von Charles Baudelaire (SW, 1981, IIL S. 447–464).
Zu den Begriffen Phonetik/Phonolozie vgl. Jakobson/Halle, 1974, S. 54ff.
Posner, 1972, S. 202 – 242: Strukturalismus in der Gedichtinterpretation. Ebd., S. 222. Zur Darstellung und Kritik der Anordnung von Äquivalenzen nach symmetrischen Mustern in den Poesie-Analysen Jakobsons vgl. auch Culler, 1975, S. 55–74.
Jakobson, 1974, S. 261–278: Das letzte »Spleen«-Gedicht aus »Les Fleurs du Mal« unter dem Mikroskop (SW, 1981, III, S. 465–481). Text: Baudelaire, 1975, S. 74/75.
Vgl. Jakobson/Waugh, 1986, S. 243/244 zu Saussures poétique phonisante aus heutiger Sicht.
Derrida, 1983, S. 55. Saussure, 1967, S. 28. Frz.: ders., 1962, S. 45: „L’objet linguistique n’est pas défini par la combinaison du mot écrit et du mot parlé; ce dernier constitue à lui seul cet obiet.“
Lotman, 1975, S. 103. Lotman nennt Majakowskijs Poem »150 000 000« als
Lotman, 1975, S. 107, Anm. 4, weist z.B. auf folgenden Aufsatz von Wentzlaff-Eggebert hin: Drucktypenwechsel Ein Grenzphänomen der Sprachtheorie im Dienste der Leseforschung, in: Lili 15 (1974), Jg. 4, S. 28–49. Vgl. auch Vachek, 1976, S. 112–120 u. 121–126.
Derrida, 1990, о. S. (1. Textseite). Frz.: ders.: „Je suis une dictée, prononce lapoésie, apprends moi par coeur“. Zu Gadamer vgl. Kapitel IV. 2.
Vgl. Hocke, 1961, S. 7–68: Der magische Buchstabe.
Zum Begriff dissémination vgl. В. Menke, in: Lexikon literaturtheoretischer Werke, hrsg. v. Renner/Habekost, 1995, S. 106: „»Dissémination« benennt (mit dem disparaten etymologischen Hof des Wortes) die »primäre« uneinholbare Zerstreuung und damit die irreduzible Polysemie des Textes, die in den Horizont des einen Sinns nicht wieder eingestellt werden kann.“
Bußmann, 1983 (Lexikon der Sprachwissenschaft), S. 24, unter dem Stichwort Alphabet. „Das Englische verfugt über 26, das Deutsche über 28, das Französische
Anna Blume. Gesprochen von Kurt Schwitters. Schallplatte des Süddeutschen Rundfunks. Frankfurt/M. am 5. 5. 1932. Auch: An Anna Blume. — Die Sonate in Urlauten. London, Lords Gallery, 1958 (im Bestand des Literaturarchivs Marbach).
Benjamin 1972, IV. 1, S. 480. Walter Benjamin äußerte, Mallarmé habe zum erstenmal im »Coup de dés« „die graphische Spannung des Inserates ins Schriftbild verarbeitet“.
Kurt Schwitters Almanach, 1987, S. 11, hrsg. v. Erlhoff/Stadtmüller.
Barthes, 1973, S. 98. Frz.: ders., 1994, S. 1528/1529: Le Plaisir du Text. „Eu égard aux sons de la langue, l’écriture à haute voix n’est pas phonologique, mais phonétique; son objectif n’est pas la clarté des messages, le théâtre des émotions; ce qu’elle cherche (dans une perspective de jouissance), ce sont les incidents pulsionnels, c’est le langage tapissé de peau, un texte où l’on puisse entendre le grain du gosier, la patine des consonnes, la volupté des voyelles, toute une stéréophonie de la chair profonde: l’articulation du corps, de la langue, non celle du sens, du langage.“
Hocke, 1961, S. 24. Der Arbeit von Hocke über den Manierismus in der europäischen Literatur läßt sich entnehmen, daß die symmetrisch angeordneten Positionen der Inschrift zur Verschlüsselung tabulärer Lesarten genutzt wurden. Vgl. auch Ernst, 1991, S. 429–459.
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Schenk, K. (2000). Linguistische Poetik und poetische Avantgarde. In: Medienpoesie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04317-7_3
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