Zusammenfassung
Die in Hagedorns erster Fabdsammlung, dem Versuch in poetischen Fabeln und Erçehlungen, wie allgemein in den Titeln der Fabelsammlungen des 18. Jahrhunderts auftauchende Doppelformel „Fabeln und Erzählungen“ läßt sich, wie die oben angeführte kurze Skizze der Geschichte des Terminus ‚Fabe‘ zeigt, zum einen auf die Etymologie von ‚fabula‘ zurückfuhren: Das lateinische Etymon ‚fabula‘ meint ‚Erzählung‘, das mit ihm verwandte ‚fari‘ ‚sprechen‘. Zum anderen gibt es inhaltliche Gründe, die eine Unterscheidung zwischen Fabeln und Erzählungen sinnvoll erscheinen lassen. In der von Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier herausgegebenen Moralischen Wochenschrift Der Gesellige wird die aesopische Fabel unterteilt in Fabeln und Erzählungen; als Unterscheidungskriterien werden folgende genannt:
Die äsopische Fabel theilet sich ein, in die eigentliche Fabel und in Erzehlungen. Es ist dem Fabeldichter erlaubt, Menschen aufzuführen, und in ihnen lehrreiche Handlungen beyzulegen; es sey nun, daß sie wirklich geschehen sind, oder blos haben geschehen können. In dem ersten Fall müssen sie unbekant seyn, denn dem Leser ist es gleichviel, ob sie wirklich geschehen sind oder nicht. Da solche menschliche Fabeln das Wunderbare verlieren, und höchst wahrscheinlich sind: so nähern sie sich der Geschichte, und überkommen deswegen den Namen der Erzehlung. Geschichte, die im Reich der Thiere bleiben, und also nie wirklich werden, sind ganz und gar erdichtet, und haben keine andere als die poetische Wahrscheinlichkeit, da die Erzehlungen nur die philosophische und physikalische Wahrscheinlichkeit besitzen.1
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Literatur
Der Gesellige. Eine moralische Wochenschrift, hrsg. v. Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier, Halle 1749, neu hrsg. v. Wolfgang Martens, Hildesheim, Zürich/New York 1987, Teil 3, S. 266.
Martens, Wolfgang: Hochmut kommt vor dem Fall. Zu Gellerts Fabel ,Das Pferd und die Bremse’. In: Richter, Karl (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen, Bd. 2: Aufklärung und Sturm und Drang, Stuttgart 1983, S. 163–178, hier S. 175.
Vgl. Gellert, Christian Fürchtegptt: Fabeln und Erzählungen, Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. Siegfried Scheibe, Tübingen 1966, S. 20ff.
Vgl. dazu Aufklärung, Erläuterungen zu deutschen Literatur, hrsg. v. einem Autorenkollektiv, Berlin 1971, S. 192f.
Vgl. Homer: Odyssee, griechisch u. deutsch, übertragen v. Anton Weiher, mit Urtext, Anhang und Registern, Einführung von A. Heubeck, München/Zürich 101994, X, 135–571.
Vgl. Waldis, Burkhard: Esopus von Burkhard Waldis, hrsg. v. H. Kurz, 2 Bde., Deutsche Bibliothek II, Leipzig 1862, S. 209ff.
Vgl. Bonaventura des Périers: Contes, hrsg. v. P. L. Jacob, Paris 1929, S. 69ff.
Vgl. dazu Grotegut, Eugène K.: Friedrich von Hagedorn’s „Seifensieder“ and Freedom. In: Monatshefte für Deutschen Unterricht, Deutsche Sprache und Literatur, Volume LH, March (1960), Number 3, S. 113–120, hier S. 113. Der Gedanke, daß Reichtum nicht zu Ruhm und Ehre beitrage, sondern im Gegenteil als etwas Schlechtes anzusehen ist, findet sich als solcher auch bei Phaedrus in Reich zu sein taugt nicht (vgl. dazu Phaedrus, a.a.O., S. 89): „Die Schätze sind mit Recht dem guten Mann verhaßt, / Weil stets das Geld den höchsten Schmuck, die Ehr’ betrügt. / Ob seiner Tüchtigkeit im Himmel aufgenommen, / Begrüßte Herkules der Reihe nach die Götter, / Die sich als Gratulanten ihm genähert hatten. / Als auch der Gott des Reichtums kam, der Sohn des Glücks, / Wandt’ er die Augen ab. Zeus fragte nach dem Grunde. / Er sprach: ,Ich hasse ihn, weil er ein Freund der Bösen, / Und weil er mit dem Geld alle Welt verdirbt’.“
Vgl. dazu auch: Schiller, Friedrich: Wallensteins Lager, Bibliothek Deutscher Klassiker, Schillers Werke in fünf Bänden, hrsg. v. den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten Der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar, Berlin/Weimar 171984, Elfter Auftritt, S. 48: „Erster Kürassier: Schad um die Leut! Sind sonst wackre Brüder./Erster Jäger: Aber das denkt wie ein Seifensieder.“
Vgl. dazu Schönbeck, Gerhard: Der locus amoenus von Homer bis Horaz, Diss., Heidelberg 1962.
Schlegel, Johann Adolf: Von dem eigentlichen Gegenstande der Schäferpoesie. In: Batteux, Charles: Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz. Aus dem Französischen übersetzt, und mit einem Anhange einiger eignen Abhandlungen versehen, 2. verbesserte und vermehrte Auflage, Leipzig 1759, S. 460–517, hier S. 489.
Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, mit einem Nachwort v. Alfred Baeumler, Stuttgart 81976, Kao. 8, S. 82f.
Vgl. dazu Grimm, Gunter E.: Erfahrung, Deutung und Darstellung der Natur in der Lyrik. In: Wessels, Hans-Friedrich (Hrsg.): Aufklärung. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch, Königstein/Ts. 1984, S. 217f.
Geliert, Christian Fürchtegott: Fabeln und Erzählungen, Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. Siegfried Scheibe, Tübingen 1966, S. 112ff.
Vgl. Martial (M. Valerius Martialis): Epigrammaton libri, hrsg. v. L. Friedländer, Leipzig 1868, 10, 81.
Thyrsis ist ebenfalls ein typischer Hirtenname, beispielsweise taucht er im ersten Idyll Theokrits, das den Titel Thyrsis trägt, auf. Dort besingt Thyrsis die Leiden des Hirten Daphnis, der sich der Liebe verweigert hatte und deshalb von Aphrodite bestraft wurde. Sie gab ihm ein unstillbares Liebesverlangen ein, an dem Daphnis schließlich zugrundeging. Vgl. dazu Theokrit: Gedichte, griechisch-deutsch, hrsg. v. F. P. Fritz, Zürich 1970, 1, S. 6–17.
Ovid (Publius Ovidius Naso): Ars amatoria, Remedia Amoris, lateinisch-deutsch, hrsg. u. übersetzt v. Niklas Holzberg, München/Zürich 31991, III, 539ff.
Vgl. dazu Catull: Gedichte, lateinisch/deutsch, hrsg. v. Werner Eisenhut, München/Zürich 91986, 2, 1ff. u. 3, 3ff.
Vgl. dazu Longos: Hirtengeschichten von Daphnis und Chloe, griechisch/deutsch, hrsg. v. Otto Schönberger, Bedin 1980, III, 14.
Petriconi, Hellmuth: Das neue Arkadien. In: Europäische Bukolik und Georgik, hrsg. v. Klaus Garber, S. 181–201, Darmstadt 1976, S. 189.
Erbe, Michael: Epoche—Sozialgeschichtlicher Abriß. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3, hrsg. v. H. Steinhagen, Hamburg 1985, S. 18–31, hier S. 26f.
Vgl. dazu Ovid (Publius Ovidius Naso): Fasti—Festkalender, lateinisch-deutsch, auf der Grundlage der Ausgabe von Wolfgang Gerlach neu übersetzt und hrsg. von Niklas Holzberg München/Zürich 1995, V, 195ff.
Vgl. dazu auch Moormann, Eric M. / Uitterhove, Wilfried: Lexikon der antiken Gestalten. Mit ihrem Fortleben in Kunst, Dichtung und Musik, Stuttgart 1995, S. 275.
Vgl dazu Vergil: Aeneis, lateinisch/deutsch, in Zusammenarbeit mit Maria Götte hrsg. u. übersetzt v. Johannes Götte, mit einem Nachwort v. Bernhard Kytzler, München/Zürich 71988, 4. Buch.
Theodor Verweyen nimmt in seinem Aufsatz ,Die Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko?’ eine ästhetik-theoretische Grundlegung der Hallenser Anakreonuk vor, indem er das Interesse Gleims sowie der anderen Anakreontiker an Baumgarten verdeutlicht, das sich an dem gemeinsamen Ziel festmachen läßt, die Sinnlichkeit als Thema und Prinzip der Kunst zu begreifen. Vgl. dazu Verweyen, Theodor Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? Zur ästhetik-theoretischen Grundlegung und funktionsgeschichtiichen Rechtfertigung der deutschen Anakreontik. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift, Neue Folge, Bd. 25, 1975, S. 276–306.
Vgl dazu Schweizer, Hans Rudolf: Ästhetik als Philosophie der sinnlichen Erkenntnis. Eine Interpretation der ‚Aesthetica’ A. G. Baumgartens mit teilweiser Wiedergabe des lateinischen Textes und deutscher Übersetzung, Basel/Stuttgart 1973, S. 17.
Cassirer, Ernst: Freiheit und Form, Berlin 1922, S. 122.
Cassirer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 31973, S. 471.
Vgl. dazu Hesiod: Theogonie. Werke und Tage, griechisch u. deutsch, hrsg. u. übersetzt v. Albert von Schimding, mit einer Einführung u. einem Register v. Ernst Günther Schmidt, München 1991, Werke und Tage, 202–212.
Vgl. dazu Herodot: Historien, griechisch u. deutsch, hrsg. v. Josef Feix, München/Zürich 41988, I, 141.
Vgl. dazu Pindar: Siegesgesänge, übersetzt v. C. F. Schnitzer, Stuttgart 1860, Vierter pythischer Siegesgesang, 181ff. Vgl. dazu auch Der Kleine Pauly, a.a.O., Bd. 1, Sp. 930.
Blumenberg, Hans: Nachdenklichkeit. Rede anläßlich der Verleihung des Sigmund-Freud-Preises. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1980, II Lieferung, Heidelberg 1981, S. 59f.
Gellert, Christian Fürchtegott: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe, hrsg. v. Bernd Witte, Bd. V: Poetologische und Moralische Abhandlungen. Autobiographisches, hrsg. v. Werner Jung, John F. Reynolds, Bernd Witte, Berlin/New York 1994, S. 43.
Vgl. dazu Speckenbach, Klaus: Die Fabel von der Fabel. Zur Überlieferungsgeschichte der Fabel von Hahn und Perle. In: Frühmittelalterliche Studien, hrsg. v. Karl Hauck, 12. Bd, Berlin/New York 1978, S. 178–229, hier S. 179f.
Vgl dazu Prior, Matthew: The Literary Works of Matthew Prior, hrsg. v. H. Bunker Wright u. Monroe K. Spears, Bd. I/II, Oxford 1959, Bd. I, S. 202–207, 1–52.
Vgl. dazu Rick, Leo: Ovids Metamorphosen in der englischen Renaissance, Diss., Münster 1915, S. 41. Vgl. dazu auch Curtius, a.a.O., S. 163 u. 532ff.
Vgl. Lukian: Sämtliche Werke. Nach der Übersetzung von C. M. Wieland bearbeitet und ergänzt v. Hanns Floerke, Bd. I/II, Berlin 21992, Bd. II, S. 31–33.
Vgl. dazu Swift, Jonathan: The Poems of Jonathan Swift, hrsg. v. Harold Williams, Bd. I-III, Oxford 21958, Bd. I, S. 88–95.
Vgl. dazu Homer, Odyssee, a.a.O., 11, 298ff. u. Euripides: Ausgewählte Tragödien in 2 Bänden, griechisch-deutsch, übersetzt v. Ernst Buschor, hrsg. v. Bernhard Zimmermann, Düsseldorf/Zürich 1996, Bd. I: Helena, 17ff.
Anger, Alfred: Deutsche Rokoko-Dichtung—Ein Forschungsbericht, Teil 1/2. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 36, 1962, S. 430–479 u. S. 614–648, hier S. 636.
Sauer, August (Hrsg.): Freundschaftliche Lieder von Jakob Immanuel Pyra und S. G. Lange, Heilbronn 1885, S. 38. Vgl. dazu Beller, a.a.O., S. 100.
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Bardt, U. (1999). „Versuche in der Kunst zu erzehlen oder freie Nachahmungen der Alten und Neuern“ — Vorindividuelle Erzählstruktur oder produktive Rezeption? Eine Interpretation der Fabeldichtung Hagedorns. In: Literarische Wahlverwandtschaften und poetische Metamorphosen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04315-3_7
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