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Das Spannungsverhältnis von ‚delectare‘ und ‚prodesse‘ in der Fabeltheorie

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Literarische Wahlverwandtschaften und poetische Metamorphosen
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Zusammenfassung

Das älteste aus der Antike überlieferte Zeugnis einer theoretischen Erörterung über die Fabel als literarische Gattung findet sich in der Rhetorik des Aristoteles.1 Die seit Aristoteles geltende Funktionsbestimmung der Gattung innerhalb der Rhetorik als wirkungsvolles Mittel persuasiver rhetorischer Strategie hat die Geschichte der Fabel und ihrer Theorie bis ins 18. Jahrhundert hinein nachhaltig geprägt. Im 20. Kapitel des zweiten Buches (1393a23-94a8) geht Aristoteles auf die beiden in einer Rede zur Beweisführung gebräuchlichen Beweismittel, das Beispiel (παράδειγμα) und das rhetorische Schlußverfahren (έυθύμημα), ein. Dabei unterscheidet er zwei Arten von Beispielen, die Erzählung eines historischen Ereignisses und die fiktio-nale Erzählung. Dem Typus der fiktionalen Erzählung ordnet er die beiden Erzählformen ‚Gleichnis’ (παρααλή) und ‚Fabel’ (λόγος) zu: „Es gibt aber zwei Arten von Beispielen: Die eine Art des Beispiels ist die, früher geschehene Taten zu berichten, die andere aber die, etwas Ähnliches zu erdichten. Von dieser letzten Art ist die eine Unterart das Gleichnis, die andere die Fabel wie die von Äsop […].“2 Um die Fabel als persuasive Strategie zu exemplifizieren, berichtet Aristoteles von dem Versuch des Chorlyrikers Stesichoros und des Fabelerzählers Aesop, eine politische Entscheidung ihres Demos Himera bzw. Samos zu beeinflussen, indem sie einen auf die jeweilige Situation passenden ‚όγος‘ vorgetragen hätten. Aristoteles bezeichnet die Fabel daher als geeignet für Volksreden.

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Bardt, U. (1999). Das Spannungsverhältnis von ‚delectare‘ und ‚prodesse‘ in der Fabeltheorie. In: Literarische Wahlverwandtschaften und poetische Metamorphosen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04315-3_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04315-3_4

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  • Print ISBN: 978-3-476-45222-1

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