Zusammenfassung
Die Form des Sonetts war seit 1945 deutlichen konjunkturellen Schwankungen unterworfen. Dabei verläuft die Häufigkeitskurve keineswegs kontinuierlich nach unten, sondern steuert derzeit ein neues Rekordhoch an. Eine Recherche in der Deutschen Bibliothek Frankfurt/M. ergab für den Zeitraum von zwanzig Jahren 1978 bis 1997 die Zahl von 134 über Titel nachweisbarer Sonettsammlungen in Erstveröffentlichungen, mehr als doppelt so viel wie in den zwei Jahrzehnten von 1958 bis 1977 mit 62 Sonettsammlungen. Es ist mithin eine ähnliche Häufigkeit wie im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Sonett-Hochkonjunktur festzustellen. 1946 bis 1955 waren 67 Einträge zu verzeichnen, davon allein 48 im Jahrfünft 1946 bis 1950. Die durchschnittliche Jahresfrequenz fällt also von fast 10 unmittelbar nach Kriegsende auf etwa 3 in den sechziger und frühen siebziger Jahren, um seit den späten Siebzigern wieder auf etwa 7 zu steigen. Die Zahl von 33 Titeln im Jahrfünft 1993 bis 1997 belegt, daß die Entwicklung anhält. Wir erleben also ein Zeitalter erneuerter ‚Sonettenwut‘.
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Literatur
Vgl. Cornelia Jungrichter: Ideologie und Tradition. Studien zur nationalsozialistischen Sonettdichtung. Bonn 1979, S. 186–198;
Jungrichter zeigt die Fortführung der NS-Sonettistik in personeller Kontinuität bei Gerhard Schuhmann (Gerhard Schumann: Die große Prüfung. Neue Gedichte. Mannheim 1953), der auch anderen rechtsextremen Autoren in seinem Hohenstaufen-Verlag eine Plattform bietet.
Seine eigene Sonettproduktion hat er noch in den achtziger Jahren mit einem Sonettenkranz ‚Das Wort Sonettenkranz. Josef Weinheber gewidmet‘ fortgesetzt (Gerhard Schumann: Herbstliche Ernte. Gedichte. Berg u. Bodman 1986, S. 113–126). Als Beispiel für den nachwachsenden Neofaschismus untersucht Jungrichter Texte aus dem Band von Wolfdietrich Panther: Es hängt mein eigner nackter Leib zerteilt am Kreuz der Welt. 36 Sonette. München 1976.
Gérard Irnhof: Le sonnet, une autre forme de résistance. In: CÉGerm 25 (1993), S. 165–174, hier S. 166.
De profundis. Deutsche Lyrik in dieser Zeit. Eine Anthologie aus zwölf Jahren. Hg. v. Gunter Groll. München 1946.
Robert Hampel: Morschansker Sonette. Hungerlyrik 1945. Wien 1977, S. 2 (Vorwort von Fritz Stüber).
Wilhelm Tidemann: Sonette eines Deutschen. Bremen u. Hannover 1946, S. 9, 10 u. 26.
Christine Ständer: Sinnzeichen. Sonette. Warendorf/Westf. 1946, S. 5 u. 48.
Johannes R. Becher: Wiedergeburt. Buch der Sonette. Leipzig 1947, S. 38f.; vgl. ‚An die Dichter des ersten dreißigjährigen Krieges‘ und ‚Wir Dichter des zweiten dreißigjährigen Krieges‘ (S. 68f.).
Hans von Hülsen: Gerichtstag. Sonette aus dieser Zeit. Mit einem Geleitwort von Joseph Gregor. Hamburg 1947, S. 7f.
Vgl. Wolfgang Petzet: Die Sonette des Satans. Starnberg 1947; 12 der 14 Sonette beginnen mit „Der Satan [Hitler] spricht“.
Martin Beheim-Schwarzenbach: Führer sehen Dich an. Sonette und Porträts. Worms 1975, S. 17; Lizenz der Ausgabe Hilversum u. Selva 1973, der ersten Veröffentlichung nach einem Privatdruck London 1941.
Reinhold Schneider: Gesammelte Werke. Hg. v. Edwin Maria Landau. Bd. 5. Lyrik. Hg. v. Christoph Pereis. Frankfurt/M. 1981, S. 178.
Johannes R. Becher: Gesammelte Werke. Hg. v. Johannes-R.-Becher-Archiv der Akademie der Künste der DDR. Bd. 6. Gedichte 1949–1958. Berlin u. Weimar 1973, S. 330.
In: J. R. Becher: Sternbilder auf Erden. Berlin-Ost 1955; s. Schindelbeck (1988), S. 140–145; zum Einfluß etwa auf Karl Mickeis ‚Deutsche Frau 46‘ s. ebd., S. 145f.
Jakob Klaesi: Huldigung. Ausgewählte Sonette. Zürich 1947, S. 68; vgl. S. 67; der Text entstammt einer Gruppe von 14 ‚Parodien‘.
Jesse Thoor: Die Sonette und Lieder. Hg. v. Alfred Marnau. Heidelberg u. Darmstadt 1956, S. 79.
Peter Huchel: Ausgewählte Gedichte. Frankfurt/M. 1973, S. 60.
Stephan Hermlin: Gedichte und Nachdichtungen. Berlin u. Weimar 1990, S. 115f.
Günter Kunert: Erinnerungen an einen Planeten. Gedichte aus fünfzehn Jahren. München 1963, S. 60;
Volker von Törne: Im Lande Vogelfrei. Gesammelte Gedichte. Berlin 1981, S. 81–88; vgl. Schlütter (1976), S. 215 u. 212f.
Heiner Müller: Gedichte. Berlin 1992, S. 63; ähnlich verhält es sich mit dem Sonett ‚Über Chamissos Gedicht »Die alte Waschfrau«‘ (ebd., S. 19); dem ‚Stellasonett‘ eng verwandt ist Yaak Karsunkes ‚simples sonett auf Torquato Tasso‘, in: Y. K.: reden & ausreden. Neununddreißig Gedichte. Berlin 1969, S. 40.
In: Lesebuch. Deutsche Literatur der sechziger Jahre. Hg. v. Klaus Wagenbach. Berlin 1972, S. 81; vgl. Schlütter (1976), S. 218 u. Schindelbeck (1988), S. 161–163.
Frank Geerk: Notwehr. 77 Gedichte 1968–1974. Köln 1975.
Ernst Jandl: übung mit buben. serienfuss. wischen möchten. Poetische Werke Bd. 6. Hg. v. Klaus Siblewski. München 1997, S. 91.
Gerhard Rühm: Gesammelte Gedichte und visuelle Texte. Reinbek 1970, S. 297–313; vgl. Schlütter (1976), S. 218–220.
Raymond Queneau: Cent mille milliards de poèmes. Paris 1961; von Ludwig Harig ins Deutsche übertragen bzw. im Deutschen nachgestaltet: Raymond Queneau: Hunderttausend Milliarden Gedichte. Frankfurt/M. 1984.
Peter Pabisch: So nette Gedichte. In: Litfass 47 (1989), S. 79–86, S. 86.
Robert Gernhardt: Gedichte 1954–94. Zürich 1996, S. 116f.
Wolf Wondratschek: Die Einsamkeit der Männer. Mexikanische Sonette (Lowry-Lieder). Zürich 1983, S. 15.
Vgl. Michael R. Spiller: The Development of the Sonnet. An Introduction. London 1992, S. 41: „it is one of the very few literary forms that can represent both the fragmentary, immediate nature of real experience (each poem is separate) and also the continuous nature of selfhood (the poems form a sequence).“
Enid Gajek: Ich lebe noch hier unten. Lakonische Sonette. In: Literatur im technischen Zeitalter 25 (1985), S. 87–91, S. 88.
Heinz Mitlacher: Moderne Sonettgestaltung. Borna u. Leipzig 1932, S. 1.
Eines der wenigen Beispiele, das denn auch eher locker im Ton und unprätentiös gehalten ist: Elfriede Eckardt-Skalberg: Erlebnisse Casanovas in Sonetten. Hamburg-Hamm 1964. Vor solchen eher harmlosen Erzeugnissen heben sich umso deutlicher Texte wie Ingeborg Bachmanns ‚Römisches Nachtbild‘ und die Sonette mit erotischen Themen von Karl Mickel oder Rainer Kirsch ab.
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Böhn, A. (1999). Kleine Geschichte des deutschsprachigen Sonetts seit 1945. In: Das zeitgenössische deutschsprachige Sonett. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04313-9_2
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