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Humoristische Epiphanien

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Book cover Allegorien des Erzählens

Zusammenfassung

Obwohl Raabe „Stopfkuchen“ für sein „bestes Werk“ (BA 18, 427f) hielt, die öffentliche Kritik dem Buch ein positives Echo bereitete, vergingen 15 Jahre ehe eine zweite Auflage zustande kam. Daß sich das Publikum dem wohlwollenden Urteil nicht anschloß, wurde von Raabe vorausgesehen, sogar mitverschuldet. Allein der Untertitel — „eine See- und Mordgeschichte“ — spottete einer auf trivialen Lesestoff ausgerichteten Erwartungshaltung des Lesepublikums. Daß es sich — wie noch zu zeigen ist — bei den Substantiven „See“, „Mord“ und „Geschichte“ um Allegorien handelt, die jeweils auf einen psychologischen, in ihrer Summe poetologischen Nexus verweisen, blieb weitgehend unentdeckt.1

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Anmerkungen

  1. August Graf von Platen: Die verhängnisvolle Gabel. In: ders.: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe mit Einschluß des handschriftlichen Nachlasses. Hg. von Max Koch und Erich Petzet. Hildesheim 1969. [Faksimile der Ausgabe Leipzig 1910]. Bd. 10. Dramen und dramatischer Nachlaß. Zweiter Teil. Hg. von Max Koch. S. 11.

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  2. Z. B. Hubert Ohl: Eduards Heimkehr oder Le Vaillant und das Riesenfaultier. Zu Wilhelm Raabes „Stopfkuchen“. In: RinS. S. 247–278: „Der ‚Stopfkuchen‘ zeigt vielleicht am eindringlichsten, wie wenig es Raabe um eine vermeintliche ‚Unmittelbarkeit‘ der Darstellung geht: alles Erzählte verweist vielmehr ständig auf den jeweiligen Erzähler und ist von seinen Reflexionen durchsetzt“ (ebd. S. 252). Desgleichen Peter Detroy: Wilhelm Raabe. Der Humor als Gestaltungsprinzip im „Stopfkuchen“. Bonn 1970. [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd. 99]: „Im ‚Stopfkuchen‘ stellen diese Reflexionen [über das Erzählen, C. Z.] ein wesentliches konstitutives Element der Werkstruktur dar. Das Ich des Erzählers tritt schon in der ersten Zeile prononciert hervor und leitet die ständig wiederkehrenden Bemerkungen über die Entstehung des Manuskriptes ein“ (ebd. S. 23).

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  3. Ohl: Bild und Wirklichkeit. S. 21–36 und S. 99. Ohl deutet im Titel auf die Verbindung von Hegels Symboldefinition (Symbol = „Bild“) und der Realismuskonzeption („Wirklichkeit“) hin. In der Absicht, den „Realismus“ Raabes zu klären, hat Ulf Eisele: Der Dichter und sein Detektiv. Raabes „Stopfkuchen“ und die Frage des Realismus. Tübingen 1979, nicht bemerken können, daß die detektivische Vorgehensweise und Selbstentlarvung Eduards auf die Leser zielt, die der literarischen Fährte folgen — sie sind, durch das Entschlüsseln der Zitate, die eigentlichen „Detektive“. Wenn Eisele folgert, daß die „Wahrheit“, die der Text „ans Licht zu bringen behauptet, […] eine buchstäblich wirkliche“ sei, da sie als „Teil der Realität, als ein real existierendes Wirklichkeitselement“ (ebd. S. 26) erscheine, dann kann ihm in bezug auf Raabe keinesfalls zugestimmt werden. Die scheinbar abgebildete „Realität“ ist immer schon literarisch unterminiert, veranschaulicht bestenfalls ein implizites psychologisches Modell literarischer Produktivität. Auf jeden Fall entpuppt sich der Text als Konstrukt, dessen spezifisch poetischer Gehalt in der Reflexion seiner Spielregeln besteht.

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  4. Eckhardt Meyer-Krentler: Der Bürger als Freund. Ein sozialethisches Programm und seine Kritik in der neueren deutschen Erzählliteratur. München 1984. S. 266–275.

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  5. Lehrer: Der ausgegrabene Heinrich Schliemann. Zur Entschlüsselung zeitgeschichtlicher Anspielungen ist außerdem der Aufsatz von Philip J. Brewster zu nennen: Onkel Ketschwayo in Neuteutoburg. Zeitgeschichtliche Anspielungen in Raabes „Stopfkuchen“. In: JbRG 1983. S. 96–118.

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  6. Raabe kehre, so die These Eckhardt Meyer-Krentlers: Homerisches und wirkliches Blau. Wilhelm Raabe und sein Wetter. In: JbRG 1986. S. 50–82, die Wettermetaphorik um, die „seit der erlebnishaften Auffüllung der Wirklichkeit“ (ebd. S. 50) im 18. Jahrhundert stets äußeres Bild seelischer Bewegung gewesen sei. Den ironisierenden Schnitt vollziehe der Autor, indem er Schillers Gedicht „Der Spaziergang“, das den Wetterbezug auf die Verbindung der Gegenwart mit der antiken Vergangenheit anwende, durch stete Repetition ad absurdum führe. Eduards im Erzählvorgang gewonnene Einsicht in das Vergangene ist keinesfalls von einer „lächelnden“ Sonne beschienen — sie wird zur Bedrohung, das „schöne Wetter“ grundiert ein gegenteiliges seelisches Erleben. Sein Blick am Ende des Romans führt „kurz-scharf-angestrengt“ (BA 18, 206) hinaus in eine blendende, sengende Sonne.

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  7. „Die zweite Welt Jean Pauls ist nicht das platonisierend vorgestellte Jenseits, zu dem die christliche Tradition es gemacht hat. Seine zweite Welt liegt ‚in‘ der hiesigen, sowenig sie ‚von dieser Welt‘ ist. Der Gedanke an sie tritt sehr häufig auf, man muß ihn von aller Verdinglichung — der dogmatisch-traditionellen wie der immanent-poetischen — reinhalten. Alle Gegenstände, alle Erlebnisse, alle Gefühle, die diese zweite Welt verbürgen, können nur den Charakter des Zeichens haben.“ Dorothee Sölle: Realisation. Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung nach der Aufklärung. Darmstadt, Neuwied. 1973. [Theologie und Politik. Bd. 6]. S. 278f.

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  8. Ich folge den Ausführungen von Gerhard Schulz: Jean Pauls „Siebenkäs“. In: Aspekte der Goethezeit. Hg. von Stanley A. Corngold u. a.. Göttingen 1977. S. 215–239, besonders S. 227–233.

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  9. Der Begriff „Experimentalnihilismus“ stammt von Schmidt-Biggemann: Maschine und Teufel. S. 258 und S. 274ff. Die für die Geschichte des Nihilismus maßgebliche Rolle Jean Pauls, der als erster vom „poetischen Nihilismus“ spricht (SW I/5, 31), beschreibt Dieter Arendt: Der „poetische Nihilismus“ in der Romantik. Studien zum Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit in der Frühromantik. 2 Bde. Tübingen 1972. [Studien zur deutschen Literatur. Bd. 29]. Besonders S. 44–50.

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  10. Carl Pietzcker: Einführung in die Psychoanalyse des literarischen Kunstwerks. Am Beispiel von Jean Pauls „Rede des toten Christus“. Würzburg 1983. S. 52f. Pietzckers detaillierte Interpretation dürfte die Möglichkeiten psychoanalytischer Deutungsmuster für die „Rede“ ausgelotet haben. Allzusehr wird dabei dem Kunstwerk Ersatzfunktion in bezug auf empirische Krisenbewältigung zugesprochen, weisen die detaillierten Einzelergebnisse einen biographischen Fokus auf, der zuweilen die Trennung zwischen Autor und Erzähler sowie Autor und erzählter Figur vermissen läßt (z. B. ebd. S. 19).

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  11. Daß es sich um einen Neologismus Jean Pauls handelt, bemerkt Albrecht Decke-Cornill: Vernichtung und Selbstbehauptung. Eine Untersuchung zur Selbstbewußtseinsproblematik bei Jean Paul. Würzburg 1987. [Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft. Bd. 24]. S. 21. Im sogenannten „Pestitzer Realblatt“ (zu finden im „Komischen Anhang zum Titan“, SW I/3, 839–844) hatte sich Siebenkäs im übrigen als Autor einer Abhandlung über „Die Doppeltgänger“ hervorgetan.

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  12. Inwieweit Siebenkäs/Leibgeber als gedoppelte, entfremdete Aspekte des Ich erscheinen, hat Alain Preaux: Das Doppelgängermotiv in Jean Pauls großen Romanen. In: JbJPG 1986. S. 97–121, nachgewiesen.

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  13. Dieter Hörhammer: Die Formation des literarischen Humors. Ein psychoanalytischer Beitrag zur bürgerlichen Subjektivität. München 1984. S. 30, terminiert die Gattung des humoristischen Romans auf die Zeit von der Mitte des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ohne aber auf die Fortsetzung der erzähltechnischen Tradition hinzuweisen.

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  14. Daß in den evolutionstheoretischen Konzepten des vergangenen Jahrhunderts, und nicht zuletzt bei Raabe selbst, die Petrefaktenkunde eine gewichtige Rolle spielte, veranschaulicht — ohne Jean Paul zur Kenntnis zu nehmen — Eberhard Rohse: „Transzendentale Menschenkunde“ im Zeichen des Affen. Raabes literarische Antworten auf die Darwinismusdebatte des 19. Jahrhunderts. In: JbRG 1988. S. 168–210. Besonders S. 190ff.

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  15. Eine andere, auf Immermann verweisende Interpretation schlagen Johannes Graf und Gunnar Kwisinski: Heinrich Schaumann, ein Lügenbaron? Zur Erzählstruktur in Raabes „Stopfkuchen“. In: JbRG 1992. S. 194–220, vor, wonach die Orientierung an Le Vaillant ein „naives Vertrauen“ (ebd. S. 207) in die erzählte Bedeutungsstruktur belege, während Stopfkuchen sozusagen den „tieferen“ Sinn verstehe. Von den Zitaten leiten die Verfasser die „Unglaubwürdigkeit“ des Erzählers ab. Daß die einseitige Festlegung auf einen singulären Subtext zu kurz greift, daß die Gegenüberstellung der Figuren aus realistisch-pragmatischer Perspektive (der Aufsatz orientiert sich an Eiseies Nachweis von Raabes Realismus’) nicht genügt, ging aus meinen Überlegungen bereits hervor.

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  16. Georg Lukács: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Form der großen Epik. Frankfurt/M. 131991 [erstmals 1920]. S. 32.

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Zeller, C. (1999). Humoristische Epiphanien. In: Allegorien des Erzählens. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04311-5_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04311-5_6

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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