Zusammenfassung
„Auf die Postille gebückt zur Seite des wärmenden Ofens und — immer noch den Kuchengeruch des Lebens in der Nase?…Siebenzig Jahre nun und — für das Alter immer noch merkwürdig gut auf den Beinen“ (BA 20, 204). Eine Reminiszenz an Johann Heinrich Voß’ Gedicht „Der siebzigste Geburtstag“ untermalt das Jubiläumsfest in Wilhelm Raabes letztem Text, „Altershausen“.1 Dabei durchkreuzen sich autobiographische Elemente — Raabe feierte 1901 seinen siebzigsten Geburtstag — und literarisches Verweisspiel auf eine eigentümliche Weise. Hartnäckig hatte der Autor die Bitte um Veröffentlichung biographischer Details zeitlebens zurückgewiesen und nannte statt dessen seine Werke den eigentlichen Erlebnisraum, dem alles Wichtige zu entnehmen sei. „Leben“ konstituiert sich für den Autor offenbar im Modus der Fiktion2 und so ist es nicht verwunderlich, daß sich hinter den wenigen biographischen Andeutungen bisweilen Zitate (oder hier: Selbstzitate) verbergen, die nichtsdestoweniger Aufschluß über Raabes erzählerisches Verfahren geben.
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Anmerkungen
„Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens,/Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk/Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare, geziert war:/[…]/ Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke;/[…]/Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag“ Johann Heinrich Voß: Der siebzigste Geburtstag. In: ders.: Luise. Ein ländliches Gedicht. Idyllen. Hg. von Karl Goedeke. Leipzig 1869. S. 164. Raabe verwendete die 1825 zuletzt umgearbeitete Fassung, vgl. unten, Kap. VIII, 3. S. 338–342.
Matthias Claudius: Asmus omnia sua secum portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten. Hg. von Jost Perfahl u. a.. München 1968. S. 221. Vgl. die wörtlichen Übernahmen bei Raabe BA 1, 12. Mit der Nennung von Claudius’ „Herbstling“ hat Raabe einen Teil seiner schriftstellerischen Projekte benannt. Ein komplementärer Abschnitt sollte folgen. Die „Chronik“ war durch das Allerlei der Textsorten und ihre chronologische Offenheit so konzipiert, daß sie hätte fongesetzt werden können. Sie endete am „1. Mai“, umfaßt ungefähr die düstere, winterliche Jahreszeit. Mit Raabes zweitem Roman „Ein Frühling“ war ein Pendant im Titel angedeutet, Aufbau und Inhalt aber nicht mehr analog zum Erstlingswerk realisiert worden.
Hans Christian Andersen: Bilderbuch ohne Bilder. Wiesbaden 1955. S. 5.
Tieck pflegte zu Jean Paul ein freundliches, ja freundschaftliches Verhältnis, wie Briefen und Berichten von Zeitzeugen zu entnehmen ist, und war bestens mit dem Werk des Bayreuthers vertraut. Uwe Schweikert bietet die bislang umfassendste Beschreibung des Verhältnisses beider Autoren zueinander, vgl. ders.: Jean Paul und Tieck. Mit einem ungedruckten Brief Tiecks an Jean Paul. In: JbJPG 1973. S. 23–78. Den Auslöser bildete die „Unsichtbare Loge“, die Tieck bis ins hohe Alter für „eines von dessen trefflichsten Büchern“ hielt (ebd. S. 60). Des weiteren vgl. Klaus Günzel: König der Romantik. Das Leben des Dichters Ludwig Tieck in Briefen, Selbstzeugnissen und Berichten. Berlin 21986. S. 365f. Tieck war außerdem Schüler von Karl Philipp Moritz an der Berliner Universität, und Moritz war es, dem Jean Paul das Manuskript der „Unsichtbaren Loge“ am 7. Juni 1792 mit der Bitte um Unterstützung bei der Suche nach einem Verleger zusandte.
Jean Paul: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften begründet von Eduard Berend. II. Abteilung. Nachlaß. Band 6. Dichtungen, Merkblätter, Studienhefte, Schriften zur Biographie, Libri legendi. Hg. von Götz Müller unter Mitarbeit von Janina Knab. Weimar 1996. S. 577. (Im folgenden abgekürzt „Werke“ mit entsprechender Abteilungs-, Band- und Seitenangabe).
Vgl. auch Götz Müller: Mehrfache Kodierung bei Jean Paul. In: JbJPG 1991/92. S. 67–91.
Vgl. dazu Hans Robert Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Teil 2. Kapitel E: Rousseaus „Nouvelle Héloïse“ und Goethes „Werther“ im Horizontwandel zwischen französischer Aufklärung und deutschem Idealismus. Frankfurt/M. 1991. S. 585–653.
Michel Foucault: Was ist ein Autor?. In: ders.: Schriften zur Literatur. Frankfurt/M. u. a. 1979. S. 7–31. Hier: S. 12.
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Zeller, C. (1999). Der 15. November. In: Allegorien des Erzählens. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04311-5_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04311-5_4
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