Zusammenfassung
Die Jahre beim Variete haben sowohl Hugo Ball als auch Emmy Hennings später so gut wie unterschlagen. Der Wechsel von einem Leben in der Bohème zu einem Leben in der Abgeschiedenheit schließt eine Anknüpfung aus, und doch fallt die Abkehr besonders rigoros aus, denn beide wollen von ihrer Vergangenheit als Kabarettisten eigentlich nichts mehr wissen. Religiosität und Tingeltangel scheinen in der Tat unvereinbar, kaum denkbar ist eine größere Kluft als die zwischen katholischer Gläubigkeit und kabarettistischer Unterhaltung. In den Erinnerungen wird der Bruch betont und bildet der Hinweis auf Zusammenhänge eine Seltenheit. Daß solche dennoch existieren, gesteht Emmy Hennings aber offen zu: „Oftmals habe ich gedacht: wie gut, daß es Tingeltangels in der Welt gibt, ohne diese wäre das ‚Byzantinische Christentum‘ nicht geschrieben worden. Der Urgott und die Himmelsleiter, die Dionysische Hierarchie und auch der Lobgesang der Hirten, nicht umhin kann ich das strahlend-helle Buch in Balls dunkelste Zeit zurückzuführen. Das Verlangen nach Zucht und Ordnung entstand unter dem Tumult dieser Zeit.“1
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Literatur
Vgl. Hans-Peter Bayerdörfer, Überbrettl und Überdrama. Zum Verhältnis von literarischem Kabarett und Experimentierbühne, in: Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter, hrsg. von Hans-Peter Bayerdörfer/Karl Otto Conrady/ Helmut Schanze, Tübingen 1978, S. 324–325
Über die bürgerlichen Wertvorstellungen seiner Mutter beklagt sich Ball gegenüber seiner Schwester, dennoch läßt sich dem Brief vom Dez. 1916 seine Betroffenheit deutlich entnehmen. Vgl. Hugo Ball und Emmy Hennings, Damals in Zürich, Zürich 1978, S. 117–121
Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt a. M. 1988, S. 189–190
Reinhard Kloos/Thomas Reuter, Körperbilder. Menschenoraamente in Revuetheater und Revuefilm, Frankfurt a. M. 1980, S. 17
Vgl. Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurt a. M. 1977, S. 54
Hugo Ball, Flametti oder vom Dandysmus der Armen, Frankfurt a. M. 1989, S. 23
Vgl. Arnold Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Frankfurt a. M./ Wien/Zürich 1970, S. 953–954
Vgl. Joachim Kühn, Ein deutscher Futurist. Die Futurismusrezeption Hugo Balls, in: Hugo-Ball-Almanach, 3. Folge, Pirmasens 1979, S. 89–92, 103; und: Peter Demetz, Worte in Freiheit. Der italienische Futurismus und die deutsche literarische Avantgarde 1912–1934, München 1990, darin: Futurismus, Dada, Christentum: Hugo Ball, S. 90–113
Vgl. Umbro Apollonio, Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909–1918, Köln 1972, darin: F.T. Marinetti, Das Variete (1913), S. 170–177
Hugo Ball, Kandinsky, in: Burkhard Schlichting (Hrsg.), Hugo Ball. Der Künstler und die Zeitkrankheit Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M. 1984, S. 43
Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Bern 1952, S. 5 (Einf.)
Vgl. Jürgen Henningsen, Theorie des Kabaretts, Ratingen 1967, S. 19–21
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Süllwold, E. (1999). Varieté — Ort der Täuschung und Ent-täuschung. In: Das gezeichnete und ausgezeichnete Subjekt. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04309-2_3
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