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Einleitung

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Fiktion des Anfangs
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Die Frage, wie Kunst — »allein durch die An, wie sie ihr Material strukturiert« — Wirkliches bespricht und modelliert, bewegt die vorliegende Arbeit. Ihr Ausgangspunkt sind jene Veränderungen in der Wahrnehmung und Deutung des kindlichen Lebensalters, die durch soziokulturelle Prozesse und die explosionsartige, interdisziplinäre Diskursivierung von Kindheit in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ermöglicht wurden.2 Sie folgt den Spuren, die dieser vielschichtige Perspektivenwechsel auf das Kind in fiktionalen Texten hinterlassen hat. Diesen Spuren soll über die Analyse verschiedener Formen der Thematisierung und der ästhetischen Integration von Kindheit nachgegangen werden.3 Eine zentrale Voraussetzung meiner Arbeit ist, daß literarische Texte über die Art und Weise, wie sie Kindheit im Rahmen von Lebensentwürfen thematisieren und erzählen, nicht nur auf vorhandene Vorstellungsmuster reagieren, sondern kraft ihrer ästhetischen Konstitution auch das Potential haben, diese zu bereichern. Die Funktion erzählter Kindheit für den Text als strukturiertes Gewebe betrachte ich als signifikant für die Wahrnehmung und Interpretation des kindlichen Lebensalters.4

»Niemand bezweifelt, daß die Kunst eine Art ist, ein bestimmtes Material zu strukturieren (wobei unter dem Begriff Material die Persönlichkeit des Künstlers, die Geschichte, eine Sprache, eine Tradition, ein spezifisches Thema, eine formale Hypothese, eine ideologische Welt fällt): stets angezweifelt aber wird die Behauptung, daß die Kunst über die Welt reden und auf die geschichtliche Situation, aus der sie entsteht, reagieren, sie interpretieren, beurteilen, Entwürfe von ihr machen könne, allein durch die Art, wie sie das Material strukturiert, […].«

Umberto Eco1

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Notizen

  1. Umberto Eco: Das offene Kunstwerk (1962). 6. Aufl., Frankfurt a. Main 1993, S. 20.

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  2. Ästhetische Integration verstehe ich im Sinne von Roland Barthes: Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen. In: Das semiologische Abenteuer (1985). Frankfurt a. Main 1988, S. 102–143, hier S. 107. Von einem Ebenenmodell des literarischen Textes ausgehend, lassen sich zwei Typen von Beziehungen definieren: distributioneile, wenn die Relationen auf ein und derselben Ebene liegen, integrative, wenn sie von einer Ebene zur anderen übergreifen. Um Sinn zu erfassen, ist es notwendig, »die horizontalen Verkettungen des Erzähl-›Fadens‹ auf eine implizit vertikale Achse [zu] projizieren«. Das heißt, nicht nur von einem Wort zum anderen zu lesen und metonymische Relata zu aktualisieren, sondern auch von einer Ebene zur anderen und so metaphorische Relata zu erfassen, mit anderen Worten, im Lektüreprozeß Isotopien zu aktualisieren. Der Isotopie-Begriff geht auf die strukturale Semantik von Greimas zurück und meint generell die Aktualisierung von Sinnebenen im Leseprozeß durch Verknüpfung metaphorischer Relata. Die Frage nach der ästhetischen Integration erzählter Kindheit zielt also auf den Grad ihrer metaphorischen Vernetzung mit dem Textganzen und auf den Effekt der Sernantisie-rung der Kindheit, der dadurch im Lektüreprozeß entsteht. Diese Verknüpfung von Textsegmenten reagiert zwar auf Textstimuli, unterliegt jedoch immer der Interpretation, was besonders pointiert Umberto Eco herausgestellt hat. So entsteht im Lektüreprozeß eine Dialektik zwischen Freiheit und Determination.

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  3. Vgl. zum Isotopiebegriff Umberto Eco: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten (1977). München 1990, S. 114f., zur Dialektik S. 143, 149, 232. — Zum Effekt der Semantisierung durch Überstrukturierung vgl.

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  4. Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. 2. Aufl. München 1986, S. 38–43. In einem literarischen Text entsteht durch ästhetische Integration gegenüber der Alltagssprache mit ihren konventionalisierten lexikalischen Wortbedeutungen ein System eigener Denotate, vgl. ebenda S. 76. Eco spricht in demselben Zusammenhang von einem »Ideolekt« des ästhetischen Textes.

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  5. Vgl. Umberto Eco: Semio-tik. Entwurf einer Theorie der Zeichen (1976). 2. korr., Aufl. München 1991, S. 362. Versteht man Kultur als ein Phänomen, das sich über einen semiotischen Zugang erschließen läßt, so kann davon ausgegangen werden, daß literarische Texte an der Bereicherung der »kulturellen Einheiten« Kind — Kindheit mitarbeiten. Vgl. ebenda, S. 52ff.

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  6. Die Begriffe der Dialogizität (Rede-, Stimmen- und Sprachenvielfalt) versus Monologi-zität (vereinheitlichte Sprache und Rede, Einstimmigkeit) gehen auf Michail Bachtin zurück, vgl. Die Ästhetik des Wortes. Hrsg. v. Rainer Grübel. Frankfurt a. Main 1979. Sie wurden zur Entwicklung theoretischer Konzepte der Intertextualität, zur Bezeichnung des Wechsel- und Zusammenspiels zwischen Texten aufgegriffen, umgedeutet und weitergeführt. So von Julia Kristeva, auf die der universale Begriff der Intertextualität — jeder Text ist Intertext — zurückgeht: Julia Kristeva: le mot, le dialogue, le roman. In: Dies.: Sémeiotiké. Recherches pour une sémanalyse. Extraits. Paris 1969, S. 85

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  7. oder von Ulrich Broich und Manfred Pfister (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985. Broich/Pfister führen — in Ergänzung zum universalen Begriff Kristevas — einen begrenzteren Intertextualitätsbegriff ein, mit dem Zweck seiner Operationalisierbarkeit für die Textanalyse, vgl. S. 1–30. Meine Textanalysen, die von Intertextualität als markierter Texteigenschaft ausgehen, basieren auf letzterem Konzept, das an Ort und Stelle im jeweiligen Kapitel mitgeführt wird. Vgl. Jean Paul-Teil: Kapitel 1.2 und Stifter-Teil, einleitend zu Kapitel III und Kapitel III.3.

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  8. Zu den Begriffen Konzept bzw. Konzeptualisierung vgl. Karlheinz Stierle: Was heißt Rezeption bei fiktionalen Texten? In: Poetica, 7. Bd., Jg. 1975, S. 345–387. Stierle folgend begreife ich Konzepte als Instrumente der Organisation und Kommunikation von Erfahrung. Fiktion hat nach Stierle die Möglichkeit, Konzepte zu präsentieren, zu pro-blematisieren oder noch vorkonzeptuelle Erfahrungen in möglichen konzeptuellen Hinsichten zu thematisieren, S. 363f. Aus der Perspektive des Rezipienten könne sie dadurch auch eine heuristische Funktion übernehmen, S. 369. Fiktion könne zur Darstellung der Organisationsmöglichkeiten von Erfahrungskomplexen werden, S. 375. Die Begriffe »Modell« und »Konzept« werden in meiner Arbeit synonym gebraucht, was auch die Begriff sverwendung von Stierle nahelegt, vgl. S. 368f. und 374. Seine Argumentation läßt sich an jene Lotmans anschließen, für den die modellbildende Qualität der Literatur im Zentrum seiner theoretischen Überlegungen steht. Lotman, Struktur, S. 29f.

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  9. Der Begriff des Anderen der Vernunft leitet sich von Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. (1972). 12. Aufl. Frankfurt a. Main 1996, her. Dort bezog er sich auf den Wahnsinn als das Andere der Vernunft. Foucault versteht die Herausbildung abendländischer Vernunft als Prozeß der Ausgrenzung, der das Andere zum Schweigen bringt. In der Rezeption wurde der Begriff auf alles ausgedehnt, was unter dem Leitbild der Vernunft und der Wertvorstellung von Normalität zum Gegenstand der Ausgrenzung wurde.

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  10. Vgl. die umfassende Darstellung von Henry F. Ellenberger: Die Entdeckung des Unbewußten. 2 Bde. Stuttgart, Wien, Bern 1973

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  11. sowie Ludger Lütkehaus: »Dieses wahre innere Afrika«. Texte zur Entdeckung des Unbewußten vor Freud. Frankfurt a. Main 1989, S. 11.

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  12. Sigmund Freud: Studien über Hysterie: Fräulein Elisabeth von R.… In: Ders.: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Erster Band: Werke aus den Jahren 1892–1899. London 1952, S. 196–251, hier S. 227.

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  13. Sigmund Freud: »Der Wahn und die Träume in Jensens ›Gradiva‹« (1907). In: Sigmund Freud. Studienausgabe. Hrsg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey und Ilse Grubrich-Simitis, in 10 Bänden mit Ergänzungsband. 11. korr. Aufl. Frankfurt a. Main 1989, Bd. X, S. 9–85, hier S. 14, 82. — Sarah Kofman weist darauf hin, daß Freud die Kunst in der »Traumdeutung« (1900) noch als Verständnismodell diente, während sich in »Jensens ›Gradiva‹« das Verhältnis umkehre. Die Psychoanalyse werde nun zum Verständnismodell der Kunst. Diesbezüglich nehme diese Schrift eine »Scharnierstelle« im Freudschen Werk ein, dem Kunstwerk werde von nun an ein anderer Status zugeschrieben. Es werde vom paradigmatischen Modell zum Gegenstand der Analyse; vgl. Kofman, Kindheit der Kunst, S. 75. Zur ambivalenten Haltung Freuds gegenüber der Kunst, die zwischen Verehrung und Dekonstruktion schwankt, vgl. ebenda, S. 39,72.

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  14. Grundlegend für einen solchen Perspektiven Wechsel waren Arbeiten mit diskursanalytischem Ansatz, die den Blick auf kulturelle und diskursive Voraussetzungen der Psychoanalyse schärften, vgl. vor allem die wegweisenden Arbeiten von Friedrich Kittler: »Das Phantom unseres Ichs« und die Literaturpsychologie. E. T. A. Hoffmann — Freud — Lacan. In: Friedrich A. Kittler und Horst Turk (Hrsg.): Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik. Frankfurt a. Main 1977, S. 139–166. — Ders.: Über die Sozialisation Wilhelm Meisters. In: Gerhard Kaiser und Friedrich A. Kittler: Dichtung als Sozialisationsspiel. Studien zu Goethe und Gottfried Keller. Göttingen 1978, S. 13–124. — Ders.: Dichter — Mutter — Kind. München 1991. — Zu nennen sind hier auch Rainhart Meyer-Kalkus: Werthers Krankheit zum Tode. Pathologie und Familie in der Empfindsamkeit. In: Turk/Kittler, Urszenen, S. 76–138.

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  15. — Diesem Ansatz folgt auch die für meine Fragestellung wichtige Arbeit von Stephan K. Schindler: Das Subjekt als Kind. Die Erfindung der Kindheit im Roman des 18. Jahrhunderts. Berlin 1994. Schindler geht vom gleichzeitigen Erscheinen des bürgerlichen Subjektbegriffs und der kleinfamilialen Kindheit im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts aus und untersucht, wie der literarische Diskurs Subjektkonstitution und Kindheit miteinander verbindet, vgl. S. 11. Dabei versteht er Literatur als Diskurs unter Diskursen, als ein Ort, wo sich verschiedene Diskurse treffen, überkreuzen, bürgerliche Subjektkonstitution nicht nur propagiert, sondern auch durchkreuzt und als Konstruktion entlarvt wird (Lektüren mit Lacan). Die Inszenierung des Subjekts und seine Subversion liest er an Autobiographie und autobiographischem Roman (Jung-Stilling, Bräker und Moritz) ab, vgl. vor allem S. 31–38. — Diese diskursanalytischen Arbeiten haben ein tendenziell dezentriertes Verhältnis zum literarischen Text. Sie stellen seine diskursive Vernetzung ins Zentrum. Literatur beteiligt sich auf ihre Weise an der diskursiven Produktion des Gegenstandes Kind.

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  16. — Grundlegend für einen Perspektiven Wechsel war auch die Arbeit von Rudolf Kreis: Die verborgene Ge-schichte des Kindes in der deutschen Literatur. Deutschunterricht als Psychohistorie. Stuttgart 1980. Literatur wird von ihm als alternativer Raum verstanden, in dem sich die »Geschichte der Besiegten« artikuliere, und zwar als »Herausschriften« der von den Autoren in ihrer Kindheit erlebten »Einschriften«. Diese Einschriften richteten sich nach kollektiven Kindheitsschemata, die dem historischen Prozeß unterworfen seien. Problematisch ist hier vor allem die methodische Ausrichtung der Arbeit an der Psychohistorie, vgl. S. 6, was allerdings durch eine starke sozialgeschichtliche Orientierung relativiert wird. Denn die Psychohistorie deutet dieVeränderung der Haltung der Erwachsenen gegenüber dem Kind als autonomen psychischen Wandel, der unabhängig von historischen Prozessen abläuft. Er beruht nach ihrem wichtigen Exponenten Lloyd deMause auf der durch die Konfrontation mit den Kindern veranlaßten Regression der Eltern in die eigene Kindheit. Dadurch würde von Generation zu Generation eine bessere Einfühlung in das Kind erreicht. Die Geschichte der Kindheit zeige sich als immer enger und empathischer werdende Beziehung zum Kind, wobei diese Evolution nicht in allen Generationssträngen mit dem gleichen Tempo verlaufe. Eine äußerst spekulative Annahme, die von seiten der Sozialgeschichte zu Recht heftig kritisiert wurde.

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  17. Vgl. Lloyd deMause: Evolution der Kindheit. In: Ders. (Hrsg.): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit (1974). 8. Aufl., Frankfurt a. Main 1994, S. 12–111, hier S. 14f.

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  18. Vgl. dazu Lotman: Die Kunst als modellbildendes System (Thesen). In: Jurij M. Lotman: Kunst als Sprache. Untersuchungen zum Zeichencharakter von Literatur und Kunst. Leipzig 1981, S. 67–88, hier S. 84. — Vgl. auch Ecos analoge Reflexionen zum Kunstwerk als »epistemologische Metapher«, in: Das offene Kunstwerk, S. 160f., oder zum Begriff der »möglichen Welten« im Bereich der Textsemiotik, in: Lector, S. 154–219, die in diese Richtung zielen. »Mögliche Welten« sind demnach kulturelle Gebilde, die aber nicht in der Enzyklopädie, im kulturellen Wissensschatz des Lesers, enthalten sein müssen. Eine »mögliche Welt« kann nach Eco in der Literatur wie im wissenschaftlichen Bereich über die konkreten Erfahrungsmöglichkeiten hinaus gehen, zugleich gründet sie auf diesen Erfahrungen; vgl. hierzu Lector, vor allem S. 190ff.

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  19. Karin Hausen: Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen. Hrsg. v. Werner Conze. Stuttgart 1976, S. 363–401.

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  20. Roland Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch 5. Hrsg. v. Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt a. Main 1966, S. 190–196, vgl. besonders S. 191f. Nach Roland Barthes beleuchtet die strukturalistische Tätigkeit jenen spezifisch menschlichen Prozeß, durch den die Menschen den Dingen Bedeutung geben. Dabei ist der Gedanke zentral, daß weniger versucht wird, den Objekten Bedeutungen zuzuweisen, als vielmehr zu erkennen, durch welche funktionelle Eigenschaften des Objekts Bedeutungen überhaupt erst möglich gemacht werden.

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  21. Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17), Studienausgabe Bd. I, S. 516: »Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.«- Seine geheime Sehnsucht und Analysestrategie erinnert nach Marianne Schuller tatsächlich an das Gattungsmuster des Bildungsromans, was sich, wie schon Ellenberger feststellte, an seinen Krankengeschichten ablesen läßt. Schuller, Literatur und Psychoanalyse, S. 50.

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  22. Vgl. exemplarisch: Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion. In: Ders.: Schriften I–III Hrsg. v. Norbert Haas und Hans-Joachim Metzger. 3. korr. Aufl. Weinheim, Berlin 1994, Schriften I, S. 61–70. — Ders.: Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud. In: Schriften II, S. 15–55. Dem Element der Fiktion im Freudschen Text, und seiner diesbezüglichen Selbstreflexion ist auch Kofman nachgegangen, vgl. Die Kindheit der Kunst, S. 87.

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  23. Nach Georges Snyders hat Rousseau weniger eine originale Leistung als eine großartige Synthese vollbracht, indem er zwischen den traditionellen Ideen des 17. Jahrhunderts und den neuen pädagogischen Ideen des 18. Jahrhunderts der Enzyklopädisten (Exponent Diderot) und Philosophen (z. B. Voltaire) in Frankreich vermittelte. Snyders betont, daß die Chronologie der Veröffentlichungen nicht alles aussagt. Gewisse Ideen lagen in der Luft und wurden debattiert, bevor die entsprechenden Veröffentlichungen vorlagen: z. B. En-zyclopédie 1751–72, Louis-René la Chalotais: »Essais d’ éducation nationale« 1763; Louis Bernard Guyton de Morveau: »Mémoire sur l’ éducation publique« 1764; Rolland d’ Erceville: »Compte rendu« 1770.

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  24. Vgl. Georges Snyders: Die große Wende der Pädagogik. Die Entdeckung des Kindes und die Revolution der Erziehung im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich (1965). Übertragen und eingerichtet von Ludwig Schmidts. Paderborn 1971, S. 305–318.

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  25. Jean Jacques Rousseau: Emile oder über die Erziehung. Herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Martin Rang. Unter Mitarbeit des Herausgebers aus dem Französischen übertragen von Eleonore Sckommodau. Stuttgart 1993, vgl. S. 116: »Ob mein Zögling zum Waffenhandwerk, zum Dienst an der Kirche oder zur Juristerei bestimmt ist — das ist mir ganz gleichgültig. Vor der Bestimmung der Eltern fordert ihn die Natur für das menschliche Leben. Leben ist der Beruf, den ich ihn lehren will. Aus meinen Händen entlassen, wird er — und ich bin damit einverstanden — weder Beamter noch Soldat, noch Priester, er wird in erster Linie Mensch sein«.

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  26. Theodor Ballauff und Klaus Schaller: Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung. Bd. IL Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Freiburg, München 1970, S. 310. John Locke beeinflußte nach Ballauff/Schaller Rousseau und das Erziehungsdenken des 18. Jahrhunderts entscheidend. Die Hoffnung auf die großen Möglichkeiten der Erziehung, die Abstimmung der Erziehung auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes und das psychologische Interesse verbinden ihn mit den Pädagogen des 18. Jahrhunderts, S. 311.

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  27. Ludwig Fertig: Zeitgeist und Erziehungskunst. Eine Einführung in die Kulturgeschichte der Erziehung in Deutschland von 1600–1900. Darmstadt 1984, S. 3. schichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München 1976; zu Rousseau S. 280–288.

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  28. Diese Metapher findet sich auch noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Campe, allerdings nicht im Sinn einer Beschriftung der Leere, sondern im Sinn der Bildsamkeit der Kinderseele. Vgl. dazu Siegfried Kümmerle: Bildsamkeit. Zur Genese einer pädagogisch-psychologischen Konzeption. Stuttgart 1977, S. 137. — Zum Erziehungsdenken der Aufklärung vgl. auch: Fertig, Zeitgeist und Erziehungskunst, S. 5,

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  29. sowie das ausführliche Vorwort in Hans Heino Ewers (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung. Eine Textsammlung. Stuttgart 1980, S. 15f., 18.

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  30. Vgl. dazu allgemein Ballauff/Schaller, Bildung und Erziehung, S. 338f. Ausführlicher zu den einzelnen Vertretern vgl. Ulrich Herrmann: Die Pädagogik der Philanthropen. In: Hans Scheuerl (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik. 2. überarb. Aufl., München 1991, S. 135–158.

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  31. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bd. (1939), Frankfurt a. Main 1976, hier Bd. I, Vorwort, S. LXXIV.

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  32. Dieter Richter: Das fremde Kind. Zur Entstehung der Kindheitsbilder des bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt a. Main 1987, S. 25. Richter untersucht vielfältige literarische und kulturhistorische Quellen und bietet ein reiches Panorama von Vorstellungen über das Kind um 1800. Er untersucht Veränderungen in der Kinderliteratur, den Diskurs über wilde Kinder, die Verbindung von Volkskultur-Kinder-Märchen als historisches Muster, den romantischen Blick auf Kindheit und den autobiographischen Blick auf das Kind am Beispiel von Jean Pauls »Selberlebensbeschreibung«.

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  33. Katharina Rutschky (Hrsg.): Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung. Frankfurt a. Main, Berlin 1988, hier Einleitung S. XVII und XXXII. Sie kritisiert an diesen Stellen eine Auffassung, die von der monumentalen Darstellung Ballauff/Schaller: Geschichte der Bildung und Erziehung, suggeriert wird. Der Begriff Figuration wurde von Elias eingeführt. Im Unterschied zu anderen soziologischen Begriffen reflektiert er das Interdependenzgeflecht von Individuen und Gesellschaft. Vgl. dazu Elias, Prozeß der Zivilisation, Bd. I, S. LXVII ff.

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  34. Philipp Ariès: Geschichte der Kindheit (1960). 11. Aufl., München 1994, S. 47f.

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  35. Zur Pädagogisierung vgl auch Ulrich Herrmann: Die Pädagogisierung des Kinder- und Jugendlebens in Deutschland. In: Jochen Martin, August Nitschke (Hrsg.): Sozialgeschichte der Kindheit. Freiburg i. Br., München 1986, S. 661–684.

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  36. Ingeborg Weber-Kellermann: Der Kinder neue Kleider. Zweihundert Jahre deutsche Kindermoden in ihrer sozialen Zeichensetzung. Frankfurt a. Main 1985. Ein verschärftes Bewußtsein für kindgemäße Kleidung kam im Bürgertum am Ende des 18. Jahrhunderts auf (S. 24f.) und erreichte seinen Höhepunkt in der Biedermeierzeit bis 1835 (S. 54), danach ist eher wieder ein Rückschlag zu verzeichnen, Kinder durften ihre Spielfreudigkeit nicht mehr ausleben, sondern mußten sich wie kleine Erwachsene benehmen und wurden in der Gründerzeit zu Repräsentationszwecken eingespannt (vgl. z. B. S. 66f., 70, 78). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts mehren sich kritische Stimmen, aber erst die Reformbewegung um die Jahrhundertwende verhilft kindgemäßer Kinderkleidung zum Durchbruch.

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  37. Vgl. Alexander Demandt: Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken. München 1978, S. 62–72.

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  38. — Hans-Joachim Heiner: Das »Goldene Zeitalter« in der deutschen Romantik. Zur sozialpsychologischen Funktion eines Topos. In: ZfdPh, (91) 1972, H 2, S. 206–234. — Zur Idealisierung des Kindes in der Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. auch Gerhard Schaub: le Génie Enfant. Die Kategorie des Kindlichen bei Clemens Brentano. Berlin 1973, hier die Einleitung S. 1–26.

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  39. — Yvonne-Patricia Alefeld: Göttliche Kinder. Die Kindheitsideologie in der Romantik. Paderborn, München, Wien, Zürich 1996. — Da eine entsprechende Sakralisie-rung des Kindes bei Jean Paul eine zentrale Rolle spielt, vgl. dazu ausführlicher das Kapitel I.1 des Jean-Paul-Teils dieser Arbeit.

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  40. Der ständisch orientierte Familienbegriff umfaßte den Hausherrn, seine Ehefrau, die Kinder und das Gesinde als erwerbswirtschaftliche Zweckgemeinschaft, die alle Bereiche von Arbeit, Konsum, Erziehung und Gottesdienst teilte und gegenüber der Obrigkeit offen war, das heißt ihrer Kontrolle oblag. Der bürgerliche Familienbegriff umfaßt Vater, Mutter und Kinder unter Ausschluß des Gesindes als Konsumgemeinschaft, die sich gegenüber der Obrigkeit streng abschließt. Die Kontrollfunktion obliegt hier dem Mann und Vater.Vgl. Stichwort »Familie« in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart 1975, Bd. II, S. 253–301, vgl. dazu vor allem S. 266–299.

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  41. —Vgl. dazu auch: Ingeborg Weber-Kellermann: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. Frankfurt a. Main 1974, S. 15f, S. 76.

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  42. — Zur bürgerlichen Mentalität vgl. Reinhard Sieder: Sozialgeschichte der Familie. Frankfurt a. Main 1987, S. 125–145 sowie auch Rosenbaum, Familie, S. 258–267.

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  43. Zur wirtschaftlichen und politischen Rückständigkeit des Bürgertums in Deutschland vgl. Hans-Friedrich Wessels: Grundstrukturen, Phasen und Probleme der Aufklärung in Deutschland. In: Ders. (Hrsg.): Aufklärung. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch. Königstein Ts. 1984, S. 12; umso wichtiger wird die Literatur als Instrument zur Verbreitung aufklärerischer Ideen, S. 16. Auf die zentrale Rolle der öffentlichen Diskurse in der deutschen Aufklärung weist auch Peter Pütz hin, während die tatsächlichen Veränderungen (Demokratisierung, Industrialisierung etc.) erst im 19. und 20. Jahrhundert zum Durchbruch gelangten: »Je weniger von den Freiheitsvorstellungen realisiert oder im damaligen Deutschland realisierbar ist, umso wichtiger und sozialgeschichtlich ertragreicher werden Wissenschaften und Künste, teils in kompensierender, teils in antizipierender Funktion. Die Literaturgeschichte der Aufklärung ist nicht nur ein Teil der Sozialgeschichte, sondern die deutsche Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts manifestiert sich in der Literaturgeschichte.« Peter Pütz: Die deutsche Aufklärung. 2. unv. Auflage, Darmstadt 1979, S. 154.

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  44. In der Entwicklung nach Freud hat der Ödipuskomplex seine zentrale Stellung eingebüßt, dagegen erlangte die präödipale Phase besondere Aufmerksamkeit (Melanie Klein, Anna Freud). Während Freud die Entstehung des Über-Ich auf die Überwindung des Ödipuskomplexes zurückführte, wird nach der jüngeren Auffassung häufig der Schluß gezogen, daß sich dieses unabhängig davon entwickle und im Gegenteil der Verlauf des Ödipuskomplexes durch das Gewissen beeinflußt werde. Die Eifersuchtsproblematik verschiebt sich vom familiären Dreieck Freuds auf die dyadische Mutter-Kind-Beziehung. Dadurch verliert der Ödipuskomplex seine zentrale Stellung und zeigt sich mehr als Bestandteil einer Totalstruktur. Auch der von Freud angenommene universale Charakter des Ödipuskomplexes wurde immer wieder angezweifelt und durch ethnologische Arbeiten erfolgreich in Frage gestellt, besonders durch jene von Bronislaw Malinowski: Mutterrechtliche Familie und Ödipuskomplex. In: Imago 10 (1924), S. 228–277 und Ders.: Geschlechtstrieb und Verdrängung bei den Primitiven. Reinbek bei Hamburg 1962. Auf der Basis der ethnologischen Forschung wird heute allgemein angenommen, daß der Ödipuskomplex — wie ihn Freud beschreibt — kein universelles Phänomen ist, sondern in unserer westlichen, monogam patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaft kulturell produ-ziert wird. Vgl. dazu Lacan, Familie, Schriften III, S. 41–100 sowie Oertli: Rivalität und Eifersucht, S. 91–130,241.

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  45. Zur Umkehrung des Verhältnisses von Bewußtem und Unbewußtem vgl. Freud, Traumdeutung, S. 573. — Zur Identifizierung von Unbewußtem und Infantilem, vgl. z. B. auch ders.: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909), Studienausgabe, Bd. VII, S. 51. Eine Identifizierung, die nach J. L. Laplanche und J.-B. Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. 10. Aufl., Frankfurt a. Main 1991, nicht unproblematisch ist, vgl. S. 564.

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  46. Moritz: Sprache in psychologischer Hinsicht, Magazin, Bd. I, H 1, S. 105. Vgl. dazu auch das Nachwort von Anke Bennholdt-Thomsen und Alfredo Guzzoni, Bd. 10, S. 22. -Zur Präfiguration der Psychoanalyse bei Moritz, vgl. auch Hartmut Raguse: Karl Philipp Moritz’ Reflexionen über früheste Kindheitserinnerungen. In: Annelies Häcki Buhofer (Hrsg.): Karl Philipp Moritz. Literaturwissenschaftliche, linguistische und psychologische Lektüren. Tübingen, Basel 1994, S. 37–54.

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  47. Moritz, Magazin, Bd. I, H 3, S. 74f. Vgl. dazu auch Werner Obermeit: »Das unsichtbare Ding, das Seele heißt.« Die Entdeckung der Psyche im bürgerlichen Zeitalter. Frankfurt a. Main 1980, S. 75.

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  48. Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774. Mit einem Nachwort von Eberhard Lämmert. Stuttgart 1965, vgl. vor allem S. 381–92. Die Fülle der Verweise auf den »Agathon« zeigen die Bedeutung, die dieser Roman für den »Versuch« von Blanckenburg hat, vgl. Stellennachweise, S. 538f.

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  49. Karl Morgenstern: Über das Wesen des Bildungsromans (1820). In: Rolf Selbmann (Hrsg.): Zur Geschichte des deutschen Bildungsromans. Darmstadt 1988, S. 55–72, hier S. 60. Vgl. dazu auch Kittler, Über die Sozialisation Wilhelm Meisters, S. 14f.

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  50. Martin Stern: Literarische Kindheiten. In: Raymond Battegay/Udo Rauchfleisch (Hrsg.): Das Kind in seiner Welt. Göttingen 1991, S. 124–133, hier S. 127f. — Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Klaus-Detlef Müller: Zum Formen- und Funktionswandel der Autobiographie. In: Wessels, Aufklärung, S. 137–159.

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  51. Jean Jacques Rousseau: Bekenntnisse. In: Ders.: Bekenntnisse. Die Träumereien eines einsamen Spaziergängers. Übersetzt von Alfred Semerau und Dietrich Leube. Mit einer Einführung von Jean Starobinski sowie einem Nachwort und Anmerkungen von Christoph Kunze. München 1978, S. 9:

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  52. »Mag die Posaune des Jüngsten Gerichts wann immer erschallen, ich werde mit diesem Buch in der Hand mich vor den obersten Richter stellen. Ich werde laut sagen: ›»Sieh, so handelte ich, so dachte ich, so war ich!‹« 101 Klaus-Detlef Müller: Autobiographie und Roman. Studien zur literarischen Autobiographie der Goethezeit. Tübingen 1976, S. 53.

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  53. Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon. 1. Fassung. Stuttgart: reclam 1993. Vgl. Vorbericht, S. 5–11; Erstes Buch, Zweites Kapitel, S. 17; Fünftes Buch, Achtes Kapitel, vor allem S. 167 und 171.

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  54. Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. v. H. H. Houben. 25. Originalauflage, Wiesbaden 1959, S. 374f.: Gespräch vom 30. 3. 1831. Vgl. dazu auch den Brief Goethes an König Ludwig von Bayern vom 12. Januar 1830, wo Goethe sich im Zusammenhang mit seiner Autobiographie zu einer »Art von Fiction« bekennt. In: Goethes Briefe. Hamburger Ausgabe in 4 Bänden. Hrsg. v. Karl Robert Mandelkow unter Mitarbeit von Bodo Morawe. Hamburg 1962, Bd. 4, S. 363.

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  55. Der Begriff »Reflexionsmedium« stammt von Walter Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1920). In ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a. Main 1980, S. 7–122, hier S. 52, 56. — Der Begriff »Erfindung« ist dem Untertitel von Schindlers Studie entlehnt. Er verweist damit auf den Status der Kindheit um 1800, die damals zu einem diskursiven Ereignis in einem wissenschaftlichen und literarischen Feld wurde. — Der Diskurs des Unbewußten bewegt sich an den Rändern der offiziellen Diskurse der Medizin und der sich im 19. Jahrhundert akademisch etablierenden Psychologie. Für die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Einzelwissenschaft entfaltende und von der Philosophie loslösende Psychologie blieben die Reflexionen von Moritz folgenlos. Im Zeichen des Positivismus wendet sie sich der meßbaren, naturwissenschaftlichen Psychologie zu, die sich mit Wilhelm Wundt (1832–1920) als positivistische Psychiatrie akademisch etabliert. Gegenüber dem psychopathologischen Diskurs verschließt sie sich. So lehnt Johann Friedrich Herbart in seinem »Lehrbuch der Psychologie« von 1816 die Annahme einer psychische Entstehung von Geisteskrankheiten ab und akzeptiert nur körperliche Krankheiten als Erklärung. Zwar anerkennt er ein Unbewußtes, doch lasse sich darüber nur spekulieren. Das Bewußte wird für ihn zur zentralen Kategorie. Ebenso erging es den Therapieformen und Erkenntnissen der ersten dynamischen Psychiatrie, dem Mesmerismus und Magnetismus, die sich ebenfalls in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts formierte. Sie weckte ein breites Interesse, wurde jedoch von der offiziellen Medizin mit Skepsis betrachtet und für Scharlatanerie gehalten. Eine Ausnahmeerscheinung ist dagegen Gustav Theodor Fechner, der sich von der Psychophysik der Naturphilosophie zuwendet und das für Freud bedeutsame Werk verfaßt: »Über das Lustprinzip des Handelns« (1848). Ende des 19. Jahrhunderts mußten deshalb die erste dynamische Psychiatrie und die Psychologie des Unbewußten von der Medizin und der offiziellen Psychologie quasi neu entdeckt werden. Dagegen bricht der Diskurs seit seinem Höhepunkt in der Romantik weder in der Philosophie noch in der Literatur ab. Vgl. zu diesem Zusammenhang: Obermeit, Das unsichtbare Ding, das Seele heißt, S. 90, 127. — Ellenberger, Entdeckung des Unbewußten, S. 162; zu Spannungen zwischen der offiziellen Psychiatrie und erster dynamischer Psychiatrie (Mesmerismus), vgl. S. 342.

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  56. — Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Wilhelm Hehlmann: Geschichte der Psychologie. 2. durchgesehene Auflage. Stuttgart 1967, S. 237f.

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Mall-Grob, B. (1999). Einleitung. In: Fiktion des Anfangs. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04305-4_1

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