Zusammenfassung
In Stevensons Erzählung “The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde” unterscheidet sich der Doppelgänger in einer wichtigen Hinsicht von dem ‘klassischen’ Fall des Doppelgängers: es ist ausgeschlossen, daß Jekyll jemals seinem Doppelgänger Hyde begegnet. Jekyll kann nur entweder er selbst oder Hyde sein, niemals gleichzeitig beide. Die Droge, die den Wechsel zwischen den beiden Existenzweisen bewirkt, macht aus Jekyll keinen zweimal existierenden Menschen, sondern jemanden, der alternierend mal so, mal so ist. Das Doppelgängertum manifestiert sich hier nicht als rätselvolle Abnormität in der Differenzbeziehung zu anderen, sondern direkt als unheimliche Abnormität in der Identiätsbeziehung zu sich. Das Moment der Spaltung, das seit der Romantik häufig zumindest latent einen wichtigen Aspekt des Motivs ausmacht, tritt ganz in den Vordergrund. Wie eng das Phänomen einer alternierenden Persönlichkeit und das Phänomen der Verdopplung eines Menschen miteinander zusammenhängen können, führen Beispiele vor, in denen aus dem einen das andere hervorgeht (so ist beispielsweise in Theophile Gautiers Erzählung “Le chevalier double” (1840) der Protagonist zunächst ein alternierender Charakter, begegnet dann aber seiner anderen Persönlichkeit als zweitem Ritter, mit dem er einen Zweikampf zu bestehen hat). Offensichtlich hat Stevensons Erzählung wenig mit Doppelgängertexten der Plautus-Tradition zu tun, wo es häufig darum geht, durch einen Sosias den Glauben eines Menschen an seine Individualität zu foppen.
Stevensons Doppelwesen Jekyll/Hyde und die Verwerfung der Einheit des Ich bei Nietzsche und Mach • Multiple Persönlichkeit als Thema der Psychiatrie der 80er Jahre • “The terrible pleasures of a double life” in Bourgets “Disciple” und in Wildes “Dorian Gray”
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Notizen
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1884–Herbst 1885, S. 363.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1887–März 1888, S. 62.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1887–März 1888, S. 152.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1885–Herbst 1887, S. 160.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1884–Herbst 1885, S. 285.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1884–Herbst 1885, S. 364.
Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1884–Herbst 1885. S. 382.
Ernst Mach, Beiträge zur Analyse der Empfindungen, Jena 1886, S. 141; zit. nach: Wunberg, Der frühe Hofmannsthal, S. 36f.
Ernst Mach, Beiträge zur Analyse der Empfindungen, Jena 1886, S. 18, Anm. 12; zit. nach: Wunberg, Der frühe Hofmannsthal, S. 25.
Ellenberger führt als Beispiele an: Paul Bourget, L’Irréprochable (1883);
Jules Claretie, L’Obsession — Moi et l’autre (1908),
Charles Epheyre, Soeur Marthe (1889),
Léon Hennique, Minnie Brandon (1899),
William Mintorn, Le Somnambule (1880),
Paul Lindau, Der Andere (1893),
Marcel Prévost, Le jardin secret (1897) (Ellenberger, Histoire de la découverte de l’inconscient, S. 200f). Ähnlich wie Jekylls Doppelgänger sind in diesen heute vergessenen Romanen und Erzählungen die zweiten Personen, in die die Protagonisten — häufig ohne ein Bewußtsein davon zu haben — wechseln, häufig Wollüstlinge oder Verbrecher.
Hermann Bahr, Dialog vom Tragischen, Berlin 1904, S. 97, zit. nach. Wunberg, Der frühe Hofmannsthal, S. 26f.
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Forderer, C. (1999). Das Ich als Plural. In: Ich-Eklipsen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04303-0_8
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