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„Das Wort der Stummen“: Sprechen und Schweigen in „jüdischer Lyrik“ in Deutschland nach 1933

  • Chapter
»…wortlos der Sprache mächtig«
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Zusammenfassung

Als 1933 Hitler und seine Partei in Deutschland die Macht übernehmen, verschlägt es einem der schärfsten und nur selten der Sprache verlegenen Satiriker in Wien das Wort. Das Ereignis des in 10zeiliger Versform erklärten Schweigens erregte die Gemüter. Zur Diskussion in einer nur selten zum wirklichen Gespräch führenden Debatte um den zum „Fall“ stilisierten schweigenden Intellektuellen Karl Kraus standen weit in die 20er und 30er Jahre zurückreichende Konzepte von Aufgaben, Funktions- und Wirkungsweisen der Literatur, Fragen nach Möglichkeiten literarischen Sprechens im Kampf gegen ein System, dessen totalitäre Ausrichtung mit einer unverzüglich einsetzenden Gleichschaltungspolitik das freie Wort endgültig aus seinem Machtbereich verabschiedet hatte. „Denn da dieses Blatt sie finden, werden sie mich ergreifen“, lautete anklagend eine Zeile aus dem Gedicht An die Gefangenen von der in Deutschland gebliebenen jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar. Texte offener Solidarisierung mit den verfolgten Leidensgenossen, wie sie konstituierend für Kolmars 1933 abgeschlossenen und erst Jahre nach dem 2. Weltkrieg veröffentlichten Gedichtzyklus Das Wort der Stummen waren, blieben vertraulichen Lesungen im engsten Freundeskreis vorbehalten, gefährdeten damals — weit eher als sie Wirkung erlangten — deren Verfasserin.

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Notizen

  1. Kurt Pinthus: Vorwort zur Anthologie Jüdische Lyrik der Zeit“, in: C.V.-Zeitung, Berlin, Nr. 15 vom 9.4.1936, 2. Beiblatt. Im Folgenden zitiert als: K. PINTHUS, Vorwort 1936.

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  2. Ilse Weiss: Warum?, in: Der Morgen. Monatsschrift der Juden in Deutschland. Berlin, 12. Jg. H.9, Dezember 1936, S.385.

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  3. In: Karl Wolfskehl: Die Stimme spricht. Schocken Verlag Berlin 1934, S. 37.

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  4. Vgl. Silvia Schlenstedt: Suche nach Halt in haltloser Lage, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, 4/1989, S. 737. Und Kurt Pinthus kündigte den Dichter in seinem Anthologievorwort an: Ludwig Meidner „… war schon vor 1933 in traditionstreues Judentum versunken, aus aufgerissener Brust hallt wie aus biblischen Tagen sein jeremiadischer Ruf.“ Meidners Gedicht „Ihr Tränen …“ verweist gleichzeitig auf interessante Parallelen im dichterischen und bildnerischen Schaffen dieses Künstlers: Meidner hatte bereits 1933/34 eine graphische Reihe frommer betender Juden des Ostens und Westens vorgelegt. Vgl. u.a. Ludwig Meidner „Betende Juden“ (Abb.) C.V.-Zeitung Nr.15, v. 12.4.1934, 2. Beiblatt.

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  5. Manfred Sturmann: Herkunft und Gesinnung. Erich Reiss Verlag, Berlin 1935, S. 8: „Nun sind wir Erbe, Kettenglied / In der langen Reihe der Ahnen geworden.“

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  6. In: Martin Buber: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden mit einer Einleitung von Robert Weltsch, Köln 1963 (hier zitiert nach: M. Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bd., hrsg. und eingel. v. Grete Schrader, Heidelberg 1972, Bd. III, S. 104f.

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  7. Hans-Georg Gadamer: Gedicht und Gespräch. Essays. Frankfurt/M. 1990, S. 176.

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  8. Vgl. Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten. 3. Bd. Hrsg. von Grete Schaeder, Heidelberg 1972, Bd. 1, S. 106. Ernst Simon beschrieb den Grundgedanken Buberscher Aktivitäten im Deutschland der 30er Jahre, als den eines geistigen Widerstandes, und zwar nicht nur in dem schon erwähnten Sinne einer inneren Stärkung gegen die äußere Bedrohung, sondern auch in jenem anderen, daß bewußt zu einem Ziele hin erzogen werden sollte, welches dem damals in Deutschland herrschenden grundsätzlich entgegengesetzt war. (Ernst Simon: Aufbau im Untergang, S.31, zit. nach: SCHAEDER 1972, Bd. 1, 109.) Der Vorsatz bleibt von den Nationalsozialisten nicht unbemerkt. Buber erhält in diesen Jahren lediglich eine eingeschränkte Redeerlaubnis und wird mehrfach mit Redeverboten belegt. Vgl.: Geheimes Staatspolizeiamt an alle Staatspolizeistellen am 29.10.1935 und an Prof. M. Buber am 26(?).2.1935; BA-Koblenz R 58/276, S.29, 36.

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  9. Leo Hirsch: Palästina-Lyrik, in: Jüdische Rundschau Nr. 84, vom 18.10.1935, S. 6.

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  10. Bertha Badt-Strauss: Drei Gedichtbücher, in: Jüdische Rundschau Nr.70, vom 31.8.1934, S. 4.

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  11. Johanna Woltmann: Gertrud Kolmar. Leben und Werk. Göttingen 1995, S. 337. Weiter heißt es da: Gern hätte sie ihm geschrieben „‘Ihre anerkennenden Worte, …, ehren mich; aber es gibt doch hier in Deutschland noch viel bedeutendere jüdische Dichterinnen, als ich es bin …’ — Sie wissen selbst, daß ich so nicht schreiben kann, daß mein Wort nur eine Höflichkeitslüge gewesen wäre, und das zu denken tut mir sehr leid …“

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  12. Fritz Aronstein: Gedichte? — Gedichte!, in: Der Morgen, Berlin, März 1938, Jg. 13, H.12, S. 528.

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  13. Leo Hirsch: Palästina-Lyrik, in: Jüdische Rundschau Nr.84, vom 18.10.1935, S. 6.

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  14. Vgl. Otto Lorenz: Schweigen in der Dichtung: Hölderlin, Rilke — Celan. Göttingen 1989. Auf S.73 heißt es dort: „Wo immer die menschliche Erkenntnis an Grenzen zu stoßen meinte — vor der Transzendenz Gottes, vor dem Übermaß an persönlicher Erinnerung, vor der Last eines unfaßbaren Leids -, da trat an die Stelle einer benennenden und beschreibenden Rede ein von Ordnung stiftenden Urteilen freies, dennoch aber ‚beredtes‘ Schweigen.“ Und weiter auf S.74 schreibt Lorenz: „In sehr unterschiedlichen, meist religiös geprägten Kontexten findet sich das Motiv des Schweigens immer dann, wenn der Bezug des Menschen zum verborgenen Gott radikal zu bedenken, wenn eine Fülle von erinnerten Bildern zu ordnen oder die Last eines nicht zu bewältigenden Leids zu tragen ist.“

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  15. Vgl. u.a. Ruth Dinesen: Nelly Sachs. Eine Biographie. Frankfurt/M. 1992, S. 103–105.

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  16. Vgl. Erich Lichtenstein: Lyrik, in: Blätter der Jüdischen Buchvereinigung 3. Jg. H. 2, September 1936.

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  17. Martin Buber: Werke Bd. 3: Schriften zum Chassidismus. München, Heidelberg 1963, S. 353.

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  18. Walter Benjamin: Briefe 2 Bd. Hg. v. Gershom Scholem und Theodor W. Adorno, Bd. 1, Frankfurt/M. 1978, S. 127.

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Hartmut Eggert Janusz Golec

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Schoor, K. (1999). „Das Wort der Stummen“: Sprechen und Schweigen in „jüdischer Lyrik“ in Deutschland nach 1933. In: Eggert, H., Golec, J. (eds) »…wortlos der Sprache mächtig«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04302-3_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04302-3_8

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