Zusammenfassung
„Border lives — the art of the present”: Folgt man der postkolonialen Theorie Homi Bhabhas, so kennzeichnet das Leben an der Grenze unser Fin de siècle in besonderem Maße; wir befinden uns „im Moment des Übergangs, wo Raum und Zeit sich kreuzen und komplexe Figuren von Differenz und Identität, Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen, Einschluß und Ausschluß erzeugen”.1 Globalisierung und Migration, die Erkundung virtueller Räume und die nicht zuletzt auf akademischer Ebene zu beobachtende Faszination durch sexuelle wie kulturelle Grenzüberschreitungen deuten darauf hin, daß wir in Zeiten leben, in denen Konzepte homogener Identität ausgedient haben.2 Ein Blick auf die politische Situation stimmt jedoch skeptisch, denn zugleich werden im Namen solch ,historisch überholter’ Konzepte wie „nationale Kultur” wieder Befreiungskämpfe geführt und Genozide geplant. Die neunziger Jahre erscheinen so in doppelter Weise als Jahrzehnt des Grenzlebens: als Zeit des Zerfalls von Identitäten an politischen Realitäten, wissenschaftlichen Entwicklungen und (post)modernen Wahrnehmungsweisen einerseits, ihrer Wieder- und Neuerrichtung andererseits. Die in den Geistes- und Kulturwissenschaften geführten Debatten um die identitätsverunsichernden Modelle beispielsweise des „Postkolonialismus”, „dekonstruktiven Feminismus” oder der queerness greifen angesichts dieser Doppelgesichtigkeit der Gegenwart oft zu kurz. Zu fragen wäre, wie die Gleichzeitigkeit und das Ineinander von Be- und Entgrenzungsprozessen in ihren verschiedenen politischen und kulturellen Formen analysiert und (um)gestaltet werden können.
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Notizen
Bhabha, Homi K.: The Location of Culture. London, New York 1994, S. 1. Meine Übers.
Vgl. Gebauer, Gunter u. Christoph Wulf: Mimesis. Kultur — Kunst — Gesellschaft. Reinbek 1992, S. 222.
Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. In: Werke, Bd. I Hg. v. Horst Günther. Frankfurt/M. 1981, S. 549–578, hier S. 551.
Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. 10. Aufl. Frankfurt/M. 1991, S. 383.
Herder, Johann Gottfried: Über den Ursprung der Sprache. In: ders.: Werke, Bd. II. Hg. v. Wolfgang Pross. München 1987, S. 251–399, hier S. 284.
Vgl. z. B. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750–1850. Frankfurt/M. 1991 und meine Studie Ortlosigkeit des Fremden. „Zigeunerinnen“ und „Zigeuner“ in der deutschsprachigen Literatur um 1800. Köln 1998.
Horkheimer, Max u. Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. In: Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften Bd. V. Frankfurt/M. 1987, S. 13–290, hier S. 210, 259.
Caillois, Roger: Le Mythe et l’homme. Paris 1994.
Vgl. Grosz, Elizabeth: Space, Time and Perversion. New York, London 1995, S. 187ff.
Irigaray, Luce: Das Geschlecht, das nicht eins ist. Berlin 1979, S. 78.
vgl. Butler, Judith: Bodies that Matter: On the Discursive Limits of Sex. New York, London 1993, S. 48.
Zur Inanspruchnahme des Weiblichen im Poststrukturalismus siehe Spivak, Gayatri: Verschiebung und der Diskurs der Frau. In: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika. Hg. v. Barbara Vinken. Frankfurt/M. 1992, S. 183–218;
Vgl. den Klappentext z. B. zu Tawada, Yoko: Talisman. Tübingen 1996.
Vgl. Said, Edward: Orientalism. New York 1979, S. 38ff., S. 73ff., S. 98ff.
Vgl. Schauwecker, Detlev: Der Fuji-san in der deutschen Literatur. In: Paul, Gregor (Hg.): Klischee und Wirklichkeit japanischer Kultur. Beiträge zur Literatur und Philosophie in Japan und zum Japanbild in der deutschsprachigen Literatur. Festschrift für Toshinori Kanokogi. Frankfurt/M. u.a. 1987, S. 99–124, hier S. 100.
Weigel, Sigrid: Transsibirische Metamorphosen. Laudatio auf Yoko Tawada zur Verleihung des Adalbert-von-Chamisso-Preises 1996. In: Rundbrief Frauen in der Literaturwissenschaft 49 (1996), S. 5f.
Benjamin, Walter: Über das mimetische Vermögen. In: ders.: Angelus Novus. Frankfurt/M. 1988, S. 96–99, S. 96.
Tawada, Yoko: Wo Europa anfängt. In: dies.: Wo Europa anfängt. Tübingen 1991, S. 65–87 (im folgenden im Text nachgewiesen);
Benjamin, Walter: Denkbilder. In: ders.: Gesammelte Schriften Bd. IV. 1. Hg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt/M. 1972, S. 305–438, hier S. 382.
Tschechow, Anton: Die drei Schwestern. Stuttgart 1985, vgl. beispielsweise S. 32f.
Vgl. Freud, Sigmund: Das Unheimliche (1919). In: ders.: Der Moses des Michelangelo. Schriften über Kunst und Künstler. Frankfurt/M. 1993, S. 135–172.
Tawada, Yoko: Talisman: literarische Essays. Tübingen 1996 (im folgenden im Text nachgewiesen). Erzähler ohne Seelen bezieht sich unter anderem auf Benjamins Der Erzähler (Anm. 56, S. 385–410).
Vgl. Barthes, Roland: Das Reich der Zeichen. Frankfurt/M. 1981, S. 13.
Vgl. Bhabha (Anm. 1), S. 81; für eine Kritik an Saids ‚essentialisierender‘ Repräsentation des Orientalismus vgl. Lowe, Lisa: Critical Terrains. French and British Orientalisms. Ithaca, London 1991.
Pelz, Annegret: Reisen durch die eigene Fremde. Reiseliteratur von Frauen als autogeographische Schriften. Köln 1993, S. 15.
Comelssen, Inse: Der Fall Japan. Kultur als Triebkraft wirtschaftlicher Entwicklung. Untersuchung zur ökonomischen Relevanz immatrieller Werte. Frankfurt/M. u.a. 1991, S. 33f.
Tawada, Yoko: Das Bad. Tübingen 1991.
Vgl. Fischer, Sabine:, Verschwinden ist schön’: Zu Yoko Tawadas Kurzroman, Das Bad’. In: Denn du tanzt auf einem Seil: Positionen deutschsprachiger Migrantinnenliteratur. Hg. v. ders. u. Mary McGowan. Tübingen 1997, S. 101–113.
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Breger, C. (1999). Mimikry als Grenzverwirrung. Parodistische Posen bei Yoko Tawada. In: Benthien, C., Krüger-Fürhoff, I.M. (eds) Über Grenzen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04301-6_8
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