Zusammenfassung
Makabre Todesszenen, morbide Genüsse perverser Liebe, lustvolle Grausamkeiten und empfindsame Morde — daß das imaginative Potential des Bösen und des Häßlichen spätestens in den romantischen Welten der Vampire und femmes fatales, der Geister und Gespenster, der Teufel und Verbrecher, der Erotomanen und verdorbenen Mönche sich auslebt, hat Mario Praz bereits 1930 in seiner Studie La carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica gezeigt.1 Das Buch, zu seiner Zeit geschmäht, wurde unterdessen zum Standardwerk: Allerorten folgte man Praz’ aufmüpfigem Fingerzeig auf die „schwarze Romantik“ und ihrer Typologie „im Zeichen des göttlichen Marquis [de Sade]“. Für die deutsche Literatur hat man sich gewöhnlich verständigt, E.T.A. Hoflmann — den Autor, der einst unter dem Namen „Gespenster-Hoflmann“ bekannt war, — zu nennen, wenn aufe Nächtliche am Romantischen die Rede kommt. Daß dies zurecht geschieht, darüber belehrt zuallererst der inhaltsästhetische Blick, der mühelos die Hoflmann’schen Sujets des Unheimlichen — Doppelgänger, Automaten, Gespenster, Magier und Wahnsinnige zum Panoptikum einer Schauerästhetik summiert. Darüber hinaus mag man gar eine rezeptionsgeschichtliche Abhängigkeit zwischen Hoflmann und Sade annehmen, sollte jener — wie man verschiedentlich vermutet hat2 — tatsächlich der Autor der berüchtigten Schwester Monika (1815) sein; denn bei dieser „erotisch-psychisch-physisch-philanthropischen Urkunde des säkularisierten Klosters X. in S…“ handelt es sich um eine grell-obszöne Sade-Parodie.
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Notizen
Deutsch Mario Praz: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik. München 41994. (=dtv. 4375.)
So Rudolf Frank: Nachwort. In: Schwester Monika. E.T.A. Hoflmann zugeschrieben. Nachdruck des Privatdruckes von 1910 nach der Ausg. von 1815 bei Kuhn in Posen. Hamburg 1965. S. 319–335.
Vgl. hierzu Claudio Magris: E.T.A. Hoflmann e la „Schwester Monika“. In: Paolo Chiarini. Miscellanea di studi in onore di Bonaventura. Bd. 2. Roma 1969. S. 379 – 393.
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg. von Ernst Beutler. München 1976. S. 332.
Gespräch mit Boisserée, 4. Mai 1811: Goethes Gespräche. 1. Teil. In: Johann Wolfgang Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. von Ernst Beutler. Bd. 22. Zürich 21964. S. 628.
Brief an Zelter, 30. Okt. 1808: Goethes Briefe. Textkritisch durchges. und mit Anm. vers, von Bodo Morawe. In: Goethes Briefe und Briefe an Goethe. Hamburger Ausgabe in 6 Bd.en. Hg. von Karl Robert Mandelkow. Bd. 3: 1805 – 1821. München 31988. S. 92f.
Günther Blamberger: Das Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineflabile? Studien zur Literaturgeschichte der Kreativität zwischen Goethezeit und Moderne. Stuttgart 1991. S. 112–114.
Zum Thema: Wulf Segebrecht: E.T.A. Hoflmanns Auflassung von Richteramt und Dichterberuf. Mit unbekannten Zeugnissen aus Hoflmanns juristischer Tätigkeit. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 11 (1967) 62 – 138.
Johann Wolfgang Goethe: Tag- und Jahreshefte 1805. In: 10 Goethes Werke. Hg. von Erich Trunz. Bd. X: Autobiographische Schriften. 2. Bd. Hamburg 31963. S. 429 – 528. Hier: S. 490.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I — III. In: ders.: Werke. Auf der Grundlage der „Werke“ von 1832 – 1845 neu editerte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 13 – 15. Frankfurt a. M. 1986. Hier: Bd. 13. S. 289. — Im folgenden verweisen gerade Zahlen jeweils auf den Bd., kursive auf die Seitenzahl in dieser Ausgabe.
Friedrich Schlegel: Athenäum-Fragmente. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. von Ernst Behler. Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken (1796 – 1801). Hg. und eingel. von Hans Eichner. Paderborn, München, Wien 1967. Hier: S. 207.
Suren Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode und Anderes. Hg. von Hermann Diem und Walter Rest. Köln, Ölten 1956. S. 601.
Vgl. dazu Karl Heinz Bohrer: Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins. Frankfurt a. M. 1981. (=es. 1058).
Friedrich Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie. In: ders.: Studien des klassischen Altertums. Eingeleitet und hg. von Ernst Behler. Paderborn, München, Wien 1979. (=Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 1. Bd., 1. Abt.) S. 217 – 367.
Vgl. dazu Ernst Behler: Natur und Kunst in der fröhromantischen Theorie des Schönen. In: Athenäum 2 (1992) 7 – 32.
Werner Jung: Schöner Schein der Häßlichkeit oder Häßlichkeit des schönen Scheins. Ästhetik und Geschichtsphilosophie im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1987. (=Monographien zur philosophischen Forschung. 244.)
Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Mit einem Vorwort zum Neudruck von Wolmart Henckmann. Darmstadt 1973. (Originalausg. Königsberg 1853.) S. 304.
Grundlegend sind: Uwe Japp: Das serapiontische Prinzip. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Text + Kritik. Sonderbd. 20: E.T.A. Hoffinann. München 1992. S. 63 – 75.
Lothar Köhn: Vieldeutige Welt. Studien zur Struktur der Erzählungen E.T.A. Hoffinanns und zur Entwicklung seines Werkes. Tübingen 1966. S. 118 – 138.
Widf Segebrecht: Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk E.T.A. Hoffinanns. Stuttgart 1967. S. 133 – 141 u. 185 – 195.
E.T.A. Hoffmann: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. 8 Bde. Berlin, Weimar 1994. Hier: Bd. 4, S. 64 – 66.
Vgl. hierzu Georg Reuchlein: Bürgerliche Gesellschaft, Psychiatrie und Literatur. Zur Entwicklung der Wahnsinnsthematik in der deutschen Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. München 1986. S. 222 – 365.
Peter von Matt: Die gemalte Geliebte. Zur Problematik von Einbildungskraft und Selbsterkenntnis im erzählenden Werk E.T.A. Hoffinanns. In: GRM N.F. 21 (1971) 395 – 412. Hier: S. 395f.
Sigmund Freud: Das Unheimliche. In: ders.: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Unter Mitwirkung von Marie Bonaparte hg. von Anna Freud. Bd. 12. Frankfurt a. M. 61986 (11947). S. 227–268.
Vgl. Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik, 1750 – 1945. 2 Bd.e. Darmstadt 21988. Hier: Bd. 2: Von der Romantik bis zum Ende des Dritten Reichs. S. 19–33.
Ernst Beutler: Nachwort. In: Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. Stuttgart 1984. S. 148 – 154. Hier: S. 148.
Vgl. Silvio Vietta: Literarische Phantasie: Theorie und Geschichte. Barock und Aufldärung. Stuttgart 1986. Bes. S. 211 – 269.
Karl Philipp Moritz: Anton Reiser. In: ders.: Werke. Hg. von Horst Günther. Bd. 1: Autobiographische und poetische Schriften. Frankfurt a. M. 1981. S. 33 – 399. Hier: S. 95.
Vgl. Nicolas Malebranche: Recherche de la vérité: où l’on traite de la nature de l’esprit de l’homme et de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences. Paris 1674. In: Oeuvres de Malebranche. Éd. par Geneviève Rodis-Lewis. Tome 1–3. Paris 1962 – 1964. (=Bibliothèque des textes philosophiques.)
Michael Hißmann: Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Literatur in allen Theilen der Philosophie. Göttingen, Lemgo 1778. S. 168.
Vgl. dazu auch Peter J. Brenner: Die Krise der Selbstbehauptung. Subjekt und Wirklichkeit im Roman der Aufklärung. Tübingen 1981. (=Studien zur deutschen Literatur. 69.) Bes. S. 101 – 103.
Wilhelm Heinrich Wackenroder: Werke und Briefe. Hg. von Gerda Heinrich. München, Wien 1984. S. 383–385.
Vgl. Peter Gorsen: Das Prinzip Obszön. Kunst, Pornographie und Gesellschaft. Reinbek b. Hamburg 1969. (=rororo sexologie.)
Vgl. Otto Nipperdey: Wahnsinnsfiguren bei E.T.A. Hoffmann. Phil. Diss. Köln 1957. S. 74f.
Uwe Henrik Peters: Morbide Theorien zur seelischen Gesundheit. Einige Wurzeln der gegenwärtigen Psychiatrie bei E.T.A. Hoffmann. In: Amsterdamer Beitrage zw neueren Germanistik 34 (1991) 5 – 35. Hier: S. 16 – 27.
Horst Meixner: Romantischer Figuralismus. Kritische Studien zu Romanen von Arnim, Eichendorffund Hoffinann. Frankfurt a. M. 1971. S. 230.
Michael Lützeler (Hg): Romane und Erzählungen der deutschen Romantik. Neue Interpretationen. Stuttgart 1981.
Claudio Magris: Paris 1931: Lest Hoffinann nicht! („Die Elixiere des Teufels“). In: ders.: Die andere Vernunft. E.T.A. Hoffinann. Königstein/Ts. 1980. (=Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur. 1). S. 53 – 80. Hier: S. 66.
Manfred Momberger: Sonne und Punsch. Die Dissemination des romantischen Kunstbegrifis bei E.T.A. Hoffinann. München 1986. (=Literatur in der Gesellschaft. N.F. 9.)
Johannes Harnischfeger: Das Geheimnis der Identität. Zu E.T.A. Hoflmanns „Die Elixiere des Teufels“. In: MHG 36 (1990) 1 – 14.
Begriffsbildung nach Niels Werber: Literatur als System. Zur Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation. Opladen 1992. S. 124 ff.
Sir Walter Scott: On the Supernatural in Fictitious Composition, and Particularly on the Works of Ernest Theodore William Hoffmann. In: ders.: On Novelists and Fiction. Ed. by Joan Williams. London 1968. S. 312 – 353.
Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Erster Teil, Kap. 24. In: aers.: Werke, 1766 – 1769. Hg. von Wilfried Barner. Frankfurt a. M. 1990. (=Gotthold Ephraim Lessing: Werke in zwölf Bänden. Bd. 5,2.) S. 9ff.
Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Mit einem Vorwort zum Neudruck von Wolmart Henckmann. Darmstadt 1973. (Originalausg. Königsberg 1853.). S. 300f.
Tzvetan Todorov: Introduction à la Littérature fantastique. Paris 1970.
Roger Caillois: Au Coeur du phantastique. Paris 1965.
Ders.: Images, Images. Essais sur le rôle et les pouvoirs de l’imagination. Paris 1966. Pierre Georges Castex: Le Conte fantastique en France de Nodier à Maupassant. Paris 41971.
Lars Gustafsson: Über das Phantastische in der Literatur. In: Kursbuch 15 (1968) 104 – 116. Bes. S. 115.
Wolfgang Kayser: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg 1961. S. 199.
Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Mit einem Vorwort zum Neudruck von Wolmart Henckmann. Darmstadt 1973. (Originalausg. Königsberg 1853.). S. IVf.
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Hoffmann, E.T.A. (1998). Sinnlos — Haltlos — Häßlich? — Schwarze Romantik und Idealistische Kritik. In: Zur Ästhetik des Häßlichen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04293-4_2
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