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Annäherungsrhetorik zwischen Adenauer und Brandt — 1964 bis 1969

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Die Rhetorik der Deutschlandpolitik
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Zusammenfassung

„In einer politischen Weltlage, in der mit der endgültigen Lösung der deutschen Frage durch die Wiederherstellung der Lebenseinheit des deutschen Volkes nicht in einer Aktion auf kurzem Wege zu rechnen ist, ergibt sich für die Bundesregierung um so mehr die unabdingbare Pflicht, alles zu tun, was der inneren Stärkung und Festigung der Lebenskraft unserer Brüder und Schwestern in Mitteldeutschland dienen und nützen kann. Die Bundesregierung ist bereit, alle sich auf diesem Felde bietenden Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen, solange damit wirklich humanitäre und nicht durchsichtige politische Zwecke verfolgt werden.“282 So äußerte sich der Nachfolger Adenauers im Amt des Bundeskanzlers, der bisherige Wirtschaftsminister Prof. Dr. Ludwig Erhard am 17. Juni 1964. Seine Rede, die inhaltlich an jener anknüpfte, in der Franz-Josef Strauß 1962 eine „politische Offensive“ gefordert hatte,283 entwickelt die Deutschlandpolitik schon im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft weiter.284 Am 17. Juni 1968, auf den Tag vier Jahre später meinte der damalige Minister für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner: „Das Angebot des Bundeskanzlers, mit der Regierung drüben über ein gemeinsam zu entwerfendes und gemeinsam zu verwirklichendes Programm zu verhandeln, das unserem Yolk in der Zeit der Trennung doch wenigstens die Bürde der staatlichen Spaltung erleichtert, bleibt aufrechterhalten.”285

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Endnoten

  1. Rede von Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard am 17. Juni 1964 im Rahmen des Staatsaktes zum Tag der deutschen Einheit im Deutschen Bundestag. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.95, S.877–878, 19.06.1964.

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  2. Bulletin Nr.109 (1962), S.941–942. Über Franz Josef Strauß als Redner vgl. auch Hans Maier, Strauß als Rhetor, in: Zimmennann, Friedrich (Hrsg.), Anspruch und Leistung. Widmungen für Franz Josef Strauß, Stuttgart, 1980, S.265–266. Dort führt Maier (in einem Aufsatz, der mehr einer persönlichen Widmung, als einer wissenschaftlichen Untersuchung gleicht) aus: „Der Redestil von Strauß paßt sich der jeweiligen Thematik an. Er umspannt eine Fülle von Sprechweisen: von attischen, klassischgemäßigten bis zu asianischen, barock-affektiven Fonnen. Je nach Thema, Publikum und Atmosphäre vermag Franz Josef Strauß äußerst unterschiedliche Töne anzuschlagen; er wechselt von Dur zu Moll, springt abrupt vom Largo zum Stakkato. Der Redner Strauß vereinigt ein kräftiges Streben nach rationaler Klarheit der Argumente, nach logischer Gedankenfolge, nach einleuchtender Darbietung der Fakten, nach allgemeiner Verständlichkeit (perspicuitas) mit einem oft schier unstillbaren Drang nach emotionsgeladenen, barocken, hochexplosiven und plakativen Fonnulierungen. (…) in jedem Falle schadt Franz Josef Strauß eine spannungsgeladene Wechselbeziehung zwischen Publikum und Redner, die „Affektbrflcke“ klassischer Rhetorik.“

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  3. Auch wenn hier bereits der Eindruck einer Übereinstimmung von Sprache und Handeln auflcommen mag, so ist dieser auch psychologisch nicht gefestigt. Hierfür war es 1964 noch zu früh. Im Gegenteil: Die psychologische Literatur ergäbe, daß beide als selbständige Relate einer Relation anzusehen seien, vgl. Carl Friedrich Graumann, Beziehungen zwischen Denken und Sprechen als psychologisches Problem, in: Rucktäschel Annamaria (Hrsg.), Sprache und Gesellschaft, München, 1972, S.143.

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  4. Rede des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner am 17. Juni 1968 auf einer Kundgebung in Berlin zum Tag der deutschen Einheit. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.75, S.635–637, 19.06.1968. Der Redner Herbert Welmer, der im Laufe seiner politischen Karriere, vor allem im Bundestag durch seine unerschrockene und kampfeslustige Rhetorik auffiel, gibt mit diesem Zitat ein exzellentes Beispiel rationalen politischen Sprechens. Auch dafür stand der Name Wehners — im Gegensatz zu dem seines Parteifreundes Brandt. Er ermöglicht mit dieser Argumentation dem Hörer eine kritische Stellungnahme und Urteilsbildung. Vgl. Schmidt 1972, S.90. Schmidt nennt dieses rationale Element der politischen Rede „explikativ-argumentative Rede“.

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  5. Vgl. diesbezüglich auch Bergsdorf 1979, S.7. Bergsdorf bestätigt die rhetorische Kontinuität bis hin zur Kanzlerschaft Willy Brandts. Er legt in der Einführung zu einer Sammlung verschiedener Aufsätze dar, daß die politische Terniinologie in der Bundesrepublik Deutschland über einen längeren Zeitraum relativ stabil geblieben sei. Er meint sogar, erst „30 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik hat sich Entscheidendes verändert.“ Für die in Kapitel II. untersuchten Jahre 1964 – 1969 hieße das, daß die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung Wolfgang Bergsdorfs grundsätzliche These zu bestätigen scheinen.

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  6. Die rhetorische Kontinuität hat zum politischen Wandel nicht unerheblich beigetragen. Vgl. Bergsdorf 1983, S.191–192. Er meint, vor allem Erhards außenpolitische Bilanz sei durch einen Mangel an terminologischer Innovation beeinträchtigt worden, und die Tatsache, daß — wie in der vorliegenden Untersuchung noch zu sehen sein wird — deutschlandpolitische Innovationen Erhards kaum bemerkt wurden, habe auch daran gelegen, daß seine Regierung es versäumt habe, diese neue Politik auch mit neuen, überzeugenden Begriffen darzustellen.

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  7. Diese Übereiitistimmungen — auch und gerade — zwischen den Partnern der Großen Koalition ist umso interessanter, als sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine — von Politik und Wissenschaft — ausgetragene Diskussion um die „rechte Sprache“ in der bundesdeutschen Politik entfaltete. Diese Debatte war geprägt von großer sprachpolitischer Distanz zwischen den großen Parteien der Bundesrepublik. Vgl. hierzu auch Walther Dieckmann, Politische Sprache. Maßstäbe ihrer Bewertung, in: Ermert, Karl (Hrsg.), Loccumer Protokolle 20, 1979, Rehburg-Loccum, 1980, S.9. Vgl. auch Wolfgang Bergsdorf, Freiheit — Ein Wort macht Geschichte, in Eichholz Brief, 1978, 3, S.46. Bergsdorf schildert den Wandel des Freiheits-Begriffs und kommt zu folgendem Ergebnis, das den Charakter deutschlandpolitischer Sprache in den Jahren zwischen Adenauer und Brandt bezeichnet und dessen rhetorisch-kulturelle Bedeutung aufzeigt: „Ohne die fließende Neuinterpretation alter Begriffe könnte die politische Sprache die für politische Kultur notwendige Kontinuität im Wandel nicht behalten.“

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  8. Rede von Bundeskanzler Dr. h.c. Kurt Georg Kiesinger am 17. Juni 1969 im Rahmen des Staatsaides zum Tag der deutschen Einheit im Deutschen Bundestag. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.78, S.669–674, 18.06.1969.

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  9. Bulletin Nr.78 (1969), S.669–674. Diese Verkleidung spezifischer politischer Ziele als Verfassungsauftrag („Juridizismen“) in der politischen Rhetorik erhöht die Zustinvnungsbereitschaft der Bevölkerung und findet sich daher häufig auch in der deutschlandpolitischen Rhetorik aller Parteien wieder. Vgl. Jürgen Frese, Politisches Sprechen, in: Rucktäschel Annamaria (Hrsg.), Sprache und Gesellschaft, 1972, S.107.

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  10. Rede des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Erhard Eppler am 16. Juni 1969 zum Tag der deutschen Einheit vor dem American Council on Germany in New York. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.79, S.677–679, 19.06.1969.

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  11. Rede des Bundesministers für Wirtschaft Prof. Dr. Karl Schiller am 15. Juni 1967 zum Tag der deutschen Einheit vor dem American Council onGermany in New York. Bulletin des Presse- und Infonnationsamtes der Bundesregierung Nr.64, S.545–547, 20.06.1967.

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  12. Dies entspricht einer normalen Sprachentwicklung, so Peter Braun (Hrsg.), Deutsche Gegenwartssprache. Entwickhmgen. Entwürfe. Diskussionen, München, 1979, S.10. Im Vorwort zu seinem Sammelband schreibt Braun: „Als ein signifikantes Merkmal für Sprachentwicklung kann der Tatbestand gelten, daß zu einer konventionellen Handlungsanweisung neue Alternativen hinzutreten, wobei noch nicht gesagt werden kann, ob auf die Dauer eine Alternative gegenüber der anderen zurücktritt, ob beide als gleichwertig oder mehrwertig fungieren.“

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  13. Bergsdorf 1984, S.34 und S.39. Vgl. auch Boris Meissner (Hrsg.), Vorwort der Herausgebers, Die deutsche Ostpolitik 1961–1970. Kontinuität und Wandel, Köln, 1970, S.5. Der Autor bezeichnet diese Phase der Ostpolitik entsprechend als „Übergang zu einer flexiblen Ostpolitik“. Er meint weiter, sie sei „durch die Bemühungen der Bundesrepublik bestimmt, die Beziehungen zu allen Oststaaten zu entwickeln und auszubauen.“

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  14. Rede von Bundeskanzler Prof. Ludwig Erhard am 16.06.1966 in Münster zum Tag der deutschen Einheit auf einer Kundgebung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.82, S.646–653, 22.06.1966.

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  15. Rede von Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier am 17. Juni 1965 anläßlich einer Feierstunde zum Tag der deutschen Einheit in Stuttgart. Bulletin des Presse- und Infonnationsamtes der Bundesregierung Nr.105, S.841–842, 22.06.1965.

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  16. Vgl. Richard Löwenthal, Vom Kalten Krieg zur Ostpolitik, Stuttgart, 1974, S.63. Der Autor bestätigt diese These aus Sicht des Historikers. Löwenthal beschreibt die Stimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach Kuba-Krise und Mauerbau und führt aus: „In dieser Situation begannen nun zwei neue Konzepte von der deutschen und europäischen Rolle der Bundesrepublik das Vakuum zu füllen. Das eine war der Gedanke des Vorrangs der solidarischen, menschlichen Verantwortung für das Alltagsschicksal der Deutschen jenseits der Mauer, der Wille, ihre Lebensbedingungen jetzt und hier zu erleichtern (…), ohne auf die große politische Lösung der deutschen Frage zu warten. Das andere war die Überlegung, daß diese große Lösung überhaupt nur im Rahmen einer Überwindung der durch den OstWest-Konflikt bewirkten Teilung Europas denkbar war (…)“

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  17. Vgl. Rede von Bundeskanzler Dr. h.c. Kurt Georg Kiesinger am 17. Juni 1967 im Rahmen des Staatsaktes zum Tag der deutschen Einheit im Deutschen Bundestag. Bulletin des Presse- und Informationsanites der Bundesregierung Nr.64, S.541–543, 20.06.1967.

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  18. Ludwig Marcuse, Gerstenmaier zwitschert Fraktur, in: Baroth, Hans Dieter (Hrsg.), Schriftsteller testen Politikertexte, München und Berlin, 1967, S.129. Marcuse setzte seine Attacken im weiteren Verlauf seiner Ausführungen Uber Gerstenmaier fort: „(…) steht er nicht in der Schußlinie, dann artikuliert er jene unverbindlich-abstrakte Weisheit, die in ihrem Wolkigen keinen Angriffspunkt bietet. Er hat keine individuelle Sprache, wie sie Adenauer, wie sie (Carlo) Schmidt hatten (…)“

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  19. Bulletin Nr.64 (1967), 541–543. Vgl. Peter Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente, Berlin, 1987, S.11–13. Der Autor, der Charakteristika von Feiertagen weltweit untersucht, geht hier auf die Spezifika des 17. Juni ein, für den er eine „typische Verschränkung der Zeit-Ebenen“ feststellt, und erklärt weiter: „Jedes durch einen eigenen Feiertag ausgezeichnete Denken an ein bestimmtes historisches Ereignis der Vergangenheit erinnert an dieses nicht um seiner selbst willen; vielmehr will der Feiertag das Ereignis also die hinter ihm stehende Sache wie die Staatsgrtlndung oder die Rassenintegration in die verfassungsstaatliche Gegenwart und Zukunft „transportieren“. Konkret: (…) Im Rückblick auf den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in Ostberlin und dann in der ganzen „DDR“ möchte dieser Feiertag bei uns das Ziel der deutschen Einheit wachhalten — jener Einheit, die in der Präambel des GG beschworen wird.“

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  20. Dieses Phänomen um den 17. Juni hatte Willy Brandt bereits 1963 sehr genau erkannt und in einem Artikel zum Jubiläum (Willy Brandt, Der 17. Juni. 10 Jahre später, Deutsche Rundschau 89, 1963, H.6, S.10) beschrieben: „Die Form, in der der 17. Juni verläuft, ersetzt jedoch keine gesamtdeutsche Politik. Man kann an diesem Tag allenfalls ablesen, ob es eine gibt. (…) Wenn das gesamtdeutsche Gewissen in Ordnung wäre, gabe es wohl keine Diskussion darüber, wie man den 17. Juni am witrdigsten begehen könne. Mit einem guten Gewissen in gesamtdeutschen Dingen kann man an diesem Tag sogar ins Grüne fahren. Auch unsere Landsleute jenseits der Mauer würden das nicht übelnehmen. Eben das ist aber nicht der Fall.“ Diese Diskussion um Sinn und Unsinn des Gedenktages 17. Juni, wurde gerade in der Zeit der Großen Koalition sehr konträr geführt. Ganz im Sinne Brandts meinte rund 20 Jahre später Horst Pöttker plastisch: „Feierlichkeit behindert Geschichtsbewußtsein eher, als daß sie es fördert.“ Siehe Horst Pöttker, Gedenktage. Medien. Geschichtsbewußtsein, in: Medium 19, 1989, 3, S.20. Diese und Willy Brandts Meinung waren jedoch keinesfalls konsensfähig. Nach wie vor blieb die konservativ orientierte Sicht der Dinge von der Tagespolitik unbeeinflußt. Vgl. Arnulf Clauder, 15 Jahre 17. Juni. Neugestalten oder abschaffen?, in: Politische Meinung, Bonn, Jg.13, 1968, S.13. Dort führt der Autor aus: „Angesichts der Bemühungen, den Positivismus vergangener Epochen zu überwinden, muß es erstaunen, mit welcher Unbekümmertheit gerade die Frage des 17. Juni zum Geschäft der Tagespolitik gemacht worden ist. Bedenkenlos scheint man davon auszugehen, daß diese Frage zu denen gehört, die sich im ungehinderten Bereich politischer Willkür beliebig entscheiden lassen. Es wird verkannt, daß sie letztlich die Essenz der deutschen Politik berührt: den Bestand der Nation und damit den Ausgangspunkt des Grundgesetzes.“

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  21. Vgl. die Reden von Erhard, Bulletin Nr.95 (1964), S.877–878; und Gerstenmaier, Bulletin Nr.105 (1965), S.841–842.

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  22. Vgl. Eugen Gerstenmaier am 17. Juni 1956, Bulletin Nr.110 (1956), S.1077–1080.

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  23. Vgl. Bulletin Nr.64 (1967), 541–543; und Bulletin Nr.64 (1967), S.545–547.

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  24. Bulletin Nr.75 (1968), S.635–637. Wehner meint damit die Einführung der Paß- und Visapflicht im Berlinverkehr durch die DDR-Regierung am 11. Juni 1968, wenige Tage vor seiner Rede.

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  25. Bulletin Nr.79 (1969), S.677–679. Diese Worte Erhard Epplers sind ein Musterbeispiel für den Gebrauch von Klischees in der politischen Sprache, was nicht negativ gemeint sein soll. Erstens handelt es sich dabei um eine klare Vereinfachung mit sprachlichen Mitteln, die zweitens den Sachverhalt bewußt verfälscht und vom Hörer auch so wahrgenommen wird; denn jedem muß klar sein, daß es keine Tatsachenbehauptung sein konnte, daß „nicht-erleben“ automatisch zu „besser-wissen“ führt. Drittens hatte diese bewußte Verfälschung Epplers den tendenziösen Zweck, die Gefühle der Zuhörerschaft für die Mitbtirger in der DDR anzusprechen. Vgl. dazu Josef Peter Stem, Manipulation durch das Klischee, in: Rucktäschel Annamaria, Sprache und Gesellschaft, Miinchen, 1972, S.260–261. Eine solchermaßen gebrauchte Vereinfachung fmdet sich auch in der deutschlandpolitischen Rhetorik häufig wieder. Sie zeigt ein weiteres Mal den großen Einfluß der Emotionalisierung in der Deutschlandpolitik.

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  26. Zum Topos „Deutsche Menschen“ vgl. auch Dolf Sternberger, Sprache und Politik, in: Haungs P. (Hrsg.), Dolf Sternberger, Schriften Bd.XI; Frankfurt, 1991, S.375 f.. Stemberger zeigt die Paradoxität dieses Topos auf, der nur in der deutschlandpolitischen Sprache Anwendung fand (in den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung analysierten Reden aber keine größere Bedeutung spielte): „Von englischen, luxemburgischen, amerikanischen oder gar chinesischen Menschen hat noch niemand etwas vernommen (…) Es ist wie eine Entschuldigung: „diese Menschen (in der Zone) sind auch Deutsche“, zugleich aber „diese Deutschen, wir Deutschen sind auch Menschen“. Die Wendung hat etwas Weinerliches, Winselndes an sich; sie scheint um Barmherzigkeit zu flehen, kehrt unversehens den Leidenszustand der Abgetrennten hervor, und eben hierdurch nimmt, der so redet, auch wiederum etwas Herablassendes an. Es gibt also erstens nur „deutsche Menschen“, nicht auch amerikanische, und es gibt zweitens diese „deutschen Menschen“ zur Zeit vorwiegend „drüben“.“

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  27. So meint Johann B. Gradl, Wirklichkeit. Damals und heute, in: Politik und Kultur, 5, Berlin, 1978, 3, S.29, der Lebensstandard der Menschen in der DDR habe sich „beachtlich gebessert“.

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  28. Bulletin Nr.104 (1965), S.837–840. Insgesamt flohen bis zum Mauerbau im August 1961 rund dreieinhalb Millionen Deutsche aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.)1988, S.124.

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  29. Im August 1968 schlugen Truppen des Warschauer Pakts — der DDR — in Prag blutig die Demokratiebewegung nieder.

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  30. Zurtickzuführen ist diese veränderte Tenorierung auf die intemationale Situation, in der die deutsche Frage zunehmend an Bedeutung verlor sowie auf die Tatsache, daß die Bundesregierung eine eigenständiger Politik gegenüber Osteuropa anstrebte. Vgl. dazu auch Bergsdorf 1983, S.193. Bergsdorf spricht dort von einem „Noimalisierungsprozeß“ und kommentiert, diesem hätten,Yonneln wie Hallstein-Doktrin und Alleinvertretungsanspruch“ entgegengestanden. Die „realistischere Einscbätzung der DDR“ durch Erhard habe seit Ulbrichts Kairo-Reise im Januar 1965 zum Einsehen geführt, daß die Hallstein-Doktrin nicht mehr funktioniere.

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  31. Vgl. Bergsdorf 1983, S.208–209. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem Zusammenbrechen der „Strategie der Negativ-Benennung“ der Bundesregierung.

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  32. Die verschiedenen Bezeichnungen der DDR werden als Euphemismen charakterisiert von Elisabeth Leinfellner, Der Euphemismus in der politischen Sprache, Berlin, 1971, S.32–33. Bezüglich des Begriffs Mitteldeutschland von einem „scheinheiligen Begriff“ spricht auch Erasmus Schöfer, Die Sprache im Dienst des modernen Staates, in: Sprache im technischen Zeitalter, H.8, 1963, S. 627. Ihm und Elisabeth Leinfellner (die die „Eliminierung“ dieser Begrifflichkeiten mit den Worten „Sic transit gloria!“ kommentiert) ist spätestens dann zu widersprechen, wenn Leinfellner die Benutzung politischer Eupheniismen ausschließlich auf „eine gewisse semantische Unsicherheit“ zuiückführt. Gerade was die Bezeichnung der DDR durch die Politiker der Bundesrepublik Deutschland angeht, so zeigt sich ganz offensichtlich, daß der gewandelte Gebrauch einzelner Begriffe zwischen 1953 und ca. 1971 auf eine stufenweise aber dennoch klare sachliche Veränderung der Politik zurückzuffihren war. Jeder Begriff ist demnach vor seinem politischen Hintergrund zweckmäßig eingesetzt. Dies schließt durchaus mit ein, daß in Zeiten des Übergangs verschiedene Begriffe gleichzeitig eingesetzt werden konnten; also: keine Euphemismen!

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  33. In diesem Sinne wird das Verhältnis der Koalitionspartner auch aus der Sicht der Politikwissenschaft analysiert. So Meissner (Hrsg.) 1970, S.6: „Überwogen in den Anfängen der Regierung der „Großen Koalition“ die Gemeinsamkeiten in den außenpolitischen Auffassungen von Bundeskanzler Kiesinger und Bundesaußenminister Brandt, so traten später die Unterschiede starker hervor. Sie bezogen sich teils auf die Strategie und Taktik der deutschen Ostpolitik, teils auf die Frage der Staatsqualität der DDR.“

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  34. Einführung der Paß- und Visapflicht im Berlinverkehr durch die DDR-Regierung am 11. Juni 1968.

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  35. Daß die Große Koalition nicht nur einen rhetorischen Wandel, sondern auch eine veränderte Politik bedeutete, ließ die Kritiker Adenauers auch zu drastischen Formulierangen greifen. Vgl. Gert Heidenreich, Deutsch sein: der unheimliche Zustand. Eine nicht gehaltene Rede zum 17. Juni 1981, in: Liberal, 23, Baden-Baden, 1981, 7/8, S.573: „Bis hin zu Kiesinger war denn auch Unionspolitik überwiegend die Fortsetzung des Wilhelminischen mit anderen Mitteln.“

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  36. Vgl. Bergsdorf 1983, S.181–186. Bergsdorf bestätigt darin, dali Erhard die Tradition zu Adenauer bewahrte und es ihm dennoch gelang „auch terminologisch erkennbare Signale für seine Bereitscbaft zu setzen, in der Ostpolitik erste Schritte der Verständigung zu wagen.“

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  37. Wobei die Geschichtswissenschaft feststellen konnte, daß der Entspannungs-Topos bereits in Konrad Adenauers Rhetorik eine Rolle spielte. Vgl. Garton Ash 1993, S.60: „Das Wort „Etttspannung“ wurde bereits hi den frühen fünfziger Jahren von Konrad Adenauer benutzt (…)“ Dies gilt allerdings nicht für dessen deutschlandpolitische Rhetorik. Wie Garton Ash wenig später bestätigt, wurde es erst im Deutschland der sechziger Jahre auch „als Rezeptur für diverse deutsche Versionen der Detente (…)“ benutzt.

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  38. Erste Regierungserklärung Ludwig Erhards, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 186, S.1621–1632, 19.10.1963. Interessant: Erhard babe in seinen Regierungserklarungen Außen- und auch Deutschlandpolitik zugunsten der Innenpolitik vemachlässigt, und zudem einen konzilianteren Umgang mit der Opposition eingeführt, meint von Beyme 1979, S.22.

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  39. Dies bestätigt auch William E. Griffith, Die Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart,1981, S, 184 ff:

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  40. Hannah Arendt, Die Lüge in der Politik, in: Neue Rundschau, 83, 1972, 2, S.186.

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  41. In diesem Sinne äußerst sich auch Garton Ash 1993, S.205–206. Es sei den Bundesregierungen immer um jeden nur denkbaren Austausch gegangen, Bonn habe Uber alles reden wollen. Garton Ash fährt fort: „In jedem Fall war es das Interesse der Bundesregierung, jede nur irgend mögliche Form des Austausches, der Verbindungen und Bindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu bewahren oder zu entwickeln und somit ein Netz zu weben, das die Nation zusammenhalten konnte. Die Idee eines solchen Netzwerks an Beziehungen und Interdependenzen (…) war ein wesentlicher Bestandteil der deutschlandpolitischen Überlegungen in den sechziger Jahren gewesen und sollte für die gesamte Ostpolitik der siebziger und achtziger Jahre wichtig sein.“

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  42. Und dennoch wird seine wichtige Rolle zwischen Adenauer und Kiesinger ganz in diesem hier beschriebenen Sinne gewürdigt von Griffith 1981, S.180: „(…) brach er das Eis Osteuropa gegenüber, modifizierte die CDU/CSU-Position und erleichterte damit die Aufgabe der Großen Koalition.“

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  43. Bulletin Nr.64 (1967), S.545–547. Die rhetorische Instrumentalisienmg des Kalten Krieges in diesem Sinn nennt Munay Edehnann einen „Pseudokonflikt“, der „die Aufmerksamkeit von unpopularen oder peinlichen Handlungen und ]nteressenskonflikten“ ablenke. Edehnann sieht in dieser Verfahrensweise einen „Mißbrauch politischer Kommunikation“. Vgl. Edelmann 1976, S.XIII.

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Fritton, M. (1998). Annäherungsrhetorik zwischen Adenauer und Brandt — 1964 bis 1969. In: Die Rhetorik der Deutschlandpolitik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04292-7_4

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