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Das Epyllion vom komischen Ritter als Paradigma aufklärerischer Selbstreflexion: „Der neue Amadis“ (1771)

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Zusammenfassung

Das komische Epyllion „Der neue Amadis“ wurde von der Wieland-Forschung bisher vorwiegend summarisch behandelt als ein Beispiel für eine Dichtung im Geiste mutwilliger Laune, die für den ziemlich unübersichtlichen Handlungsverlauf und das Leichtfertig-Spielerische der Erzählhaltung verantwortlich gemacht wird. Wolfgang Preisendanz hebt die Fülle der intertextuellen Anspielungen und das virtuose Spiel mit vorgegebenen Formen hervor1; insgesamt steht dieser Text aber bisher im Rufe des allzu Leichten und damit unausgesprochen des doch relativ Banalen. Die Intention der folgenden Überlegungen geht dahin, die besondere Funktion des Komischen in dieser Versdichtung zu beschreiben und deren Bedeutung für die reflektierte und kritische Gestaltung von Subjektivität herauszustellen. Wieland zieht in diesem Text die Summe aus seinen ideologischen und poetologischen Überlegungen der sechziger Jahre, die in den „Comischen Erzählungen“ einen spielerischen und in den Romanen „Don Silvio“ und „Agathon“ sowie in den Versdichtungen „Jdris und Zenide“ und „Musarion“ einen besonders nachhaltigen Ausdruck gefunden haben. Noch deutlicher als in der soeben analysierten Verserzählung wird im „Neuen Amadis“ die Absage an eine normative Gestaltung von Subjektivität artikuliert und mit dem deskriptiven Ansatz eine kritische Reflexion ermöglicht, die sich jeder inhaltlichen Fixierung verweigert. In bezug auf die in dieser Arbeit thematisierte immanente Entwicklung von Wielands Versdichtungen läßt sich deutlich eine ironisch-satirische Wendung gegen empfindsame, religiöse und heroische Idealgestalten erkennen, die in den Texten der fünfziger Jahre im Mittelpunkt standen.

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Notizen

  1. Vgl. Wolfgang Preisendanz: Die Muse Belesenheit. Transtextualität in Wielands „Neuem Amadis“. In: MLN, German Issue, 99, Nr. 3, 1984. Beiträge des Ersten Internationalen Symposions zur Wielandforschung Biberach September 1983. Hrsg. v. Lieselotte Kurth-Voigt und John A. McCarthy, S. 539–553. Vgl. auch zum Phänomen der Intertextualität Burkhard Moennighoff: Intertextualität im scherzhaften Epos des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1991 (Palaestra 293), S. 63–86.

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  2. Vgl. Hans Robert Jauß: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. In: Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning (Hrsg.): Das Komische. München 1976 (Poetik und Hermeneutik VII), S. 103–132.

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  3. „Es ist schon viel mehr eine Zerreißprobe als eine Spannung.“ (Friedrich Sengle: Wieland. Stuttgart 1949, S. 209.)

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  4. Vgl. Sengle: Wieland, S. 209 und Sven-Aage Jørgensen u.a.: Christoph Martin Wieland. Epoche — Werk — Wirkung. München 1994 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 58–60.

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  5. Vgl. Karl Heinz Kausch: Die Kunst der Grazie. Ein Beitrag zum Verständnis Wielands. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 2.1958, S. 12–42.

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  6. Vgl. Jürgen Fohrmann: Utopie, Reflexion, Erzählung: Wielands „Goldner Spiegel“. In Wilhelm Voßkamp (Hrsg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. 3 Bände. Stuttgart 1982. Band 3, S. 24–49.

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  7. Terminologische Schwierigkeiten ergeben sich durch den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs „Satire“. Schillers Konzept der „scherzhaften Satire“ in „Ueber naive und sentimentaische Dichtung“ entspricht eher dem hier verwendeten Begriff des Komischen. Vgl. zum Forschungsstand immer noch Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45. 1971, S. *275–*377.

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  8. Vgl. zur Namenskomik den Abschnitt „Frauenbilder, Männerbilder: komisch-satirische Phänomenologie der Mentalitäten“ und zur Desillusionierung des schwärmerischen Liebhabers das Kapitel „Natürliche Geschichte der Platonischen Liebe“ im „Agathon“-Roman. (Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon >Erste Fassung 1766/67>. Unter Mitwirkung von Reinhard Döhl hrsg. v. Fritz Martini. Stuttgart 1979 <RUB 9933>, S. 155–159.)

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  9. Vgl. zur Bedeutung der Moralistik für den „Agathon“-Roman Walter Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung. Christoph Martin Wielands „Agathon“-Projekt. Tübingen 1991, S. 128–132.

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  10. Vgl. zur Selbstkritik bürgerlicher Mentalität im „Abderiten“-Roman Fritz Martini: Wieland: Geschichte der Abderiten. In: Benno von Wiese (Hrsg.): Der deutsche Roman vom Barock bis zur Gegenwart. 2 Bände. Düsseldorf 1963. Band 1. S. 64–94 und S. 414–417, hier S. 80–82.

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  11. Vgl. Choderlos de Laclos: Les liaisons dangereuses. In: Ch. d. L.: Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Laurent Versini. Paris 1979 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 1–386.

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  12. Vgl. auch Michael Hofmann: Vernunft und Moral in Schillers frühen Dramen und in Laclos’ „Liaisons dangereuses“. In: Lenz-Jahrbuch. Sturm und Drang-Studien 5. 1995, S. 189–202.

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  13. Auf die Bedeutung des libertinären Paradigmas für die deutsche Literatur der Spätaufklärung und des Sturm und Drang verwies bereits vorher Harald Steinhagen: Der junge Schiller zwischen Marquis de Sade und Kant. Aufklärung und Idealismus. In: DVjs 56.1982, S. 135–157.

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  14. Vgl. hierzu Jan Philipp Reemtsma: Das Buch vom Ich. Christoph Martin Wielands „Aristipp und einige seiner Zeitgenossen“. Zürich 1993.

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  15. Jean Starobinski: Montaigne en mouvement. Paris 1978, S. 347.

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  16. Michel de Montaigne: De la solitude. In: M. d. M.: Œuvres complètes. Textes établis par Albert Thibaudet et Maurice Rat. Introduction et notes par Maurice Rat. Paris 1962 (Bibliothèque de la Pléiade). S. 232–242, hier S. 235.

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  17. Der hier verwendete Begriff der Moderne ist naturgemäß weiter gefaßt als Konzeptionen, die eine Epoche der Moderne mit Baudelaire und Flaubert beginnen lassen. Wir stützen uns auf die soziologischen Überlegungen zur Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die mit dem aufgeklärten Absolutismus einsetzt. Die Tendenzen hin zu einer Autonomie der Kunst, die das ausgehende achtzehnte Jahrhundert prägen und an denen Wieland in einer spezifischen Form partizipiert, sind als eine Reaktion auf diesen Prozeß und insofern als Symptom einer einsetzenden Moderne in der Kunst und Literatur zu verstehen, wie Schillers Ausführungen zur Ausdifferenzierung der ‘modernen’ Gesellschaft in den Briefen „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen“ belegen. Vgl. den Überblick über die verschiedenen Fassungen des Begriffs „ästhetische Moderne“ bei Peter Bürger: Prosa der Moderne. Unter Mitarbeit von Christa Bürger. Frankfurt am Main 1988, S. 439–442.

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  18. Nikolaus Wegmann: Zurück zu Philologie? Diskurstheorie am Beispiel einer Geschichte der Empfindsamkeit. In: Jürgen Fohrmann, Harro Müller (Hrsg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main 1988 (st 2091). S. 349–364, hier S. 358.

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  19. Rolf Grimminger: Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts. In: R.G.(Hrsg.): Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. München, Wien 1980 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Band 3). S. 15–99, hier S. 99.

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  20. Vgl. zur Kritik der Zivilisationstheorie der Frankfurter Schule Umberto Eco: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Aus dem Italienischen von Max Looser. Frankfurt am Main 1986 (Fischer Wissenschaft 7367).

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  21. Albrecht Wellmer: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno. Frankfurt am Main 1985 (stw 532), S. 107.

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Hofmann, M. (1998). Das Epyllion vom komischen Ritter als Paradigma aufklärerischer Selbstreflexion: „Der neue Amadis“ (1771). In: Reine Seelen und komische Ritter. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04290-3_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04290-3_5

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