Vorspiel in der Kunsthochschule

Zusammenfassung

Anfang der 90er Jahre ist die Fotografin Leonore Mau an die Hamburger Kunsthochschule eingeladen, sich und ihre Arbeit vorzustellen. Es ist ein naßkalter Tag im Dezember. Als ich am Nachmittag den Backsteinbau betrete, dämmert es bereits. Mit den Treppen, die ich drei Stockwerke hinaufsteige, um den Vortragssaal zu erreichen, steigert sich meine Erwartung. Vor ein paar Jahren wurde ich durch einen Zeitungsartikel auf die Fotografin Leonore Mau und den Schriftsteller und Ethnologen Hubert Fichte aufmerksam. Da ich Germanistik, Ethnologie und Kunstgeschichte studierte und mich die visuellen Medien, allen voran der Film, in gleichem Maße beschäftigten wie die Literatur, war mein Interesse heftig und nachhaltig geweckt. Ich las Xango und Petersilie und lieh mir aus einer Bibliothek die dazugehörigen Fotobände von Leonore Mau aus. Dann starb Hubert Fichte im März 1986. Es dauerte ein halbes Jahr, bis die Stadt Hamburg seines Todes mit einer kleinen Veranstaltungsreihe gedachte. Hubert Fichtes letztes Hörspiel Ich bin ein Löwe und meine Eltern sind Eichen und Steine wurde aufgeführt und in einer Austeilung waren Leonore Maus Fotografien aus Afrika zu sehen. Erstaunt nahm ich damals zur Kenntnis, daß Hubert Fichte seit vielen Jahren an einem »Riesenwerk« gearbeitet hatte, an einem, wie er es nannte, »roman fleuve«, der 19 Bände umfassen sollte und dem er schließlich den Titel Die Geschichte der Empfindlichkeit gegeben hatte, um, wie ich vermutete, nicht nur im Ausmaß, sondern bereits im Titel auf einen der ganz Großen der Literatur anzuspielen, auf Marcel Proust. Ich las mich durch die Bände, die nach und nach ediert wurden, jeweils zwei im Frühjahr und im Herbst — ein enormes Pensum für einen toten Autor.