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Die politische Interpretation und die Anbindung der Inszenierung an den sozialen Kontext

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Die Orestie des Aischylos auf der Modernen Bühne
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Zusammenfassung

In der modernen Aufführungspraxis antiker Tragödien besitzt gerade der politische Aspekt besondere Brisanz. Im Zusammentreffen mit dem zeithistorischen, sozio—kulturellen Horizont des Regisseurs und des Publikums und entsprechend ihren jeweiligen Interessen, Voreingenommenheiten oder Ideologien gerät die Inszenierung der Orestie gerade hierin besonders deutlich zur Rezeption.38

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Notizen

  1. Vgl. dazu auch die Interpretationen von Christian Meier in Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt a. M. 1980, 144–246 und Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, 117–156. Auch Bowie, Religion and Politics in Aeschylus’ Oresteia (Anm. 10), 11 spricht jüngst davon, daß die Orestie weniger eine fixierte Botschaft als vielmehr eine bestimmte ȌMatrix” und ein “Denkmodell” liefern kann.

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  2. Vgl. jetzt auch Albert Schlögl, Das »Ende der Geschichte«, nur nicht der Kriegsgeschichte. Die Orestie des Aischylos und ihre Rezeption, TheaterZeit-Schrift 33/34, 1994, 125–143.

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  3. In Italien war das Publikum lange Zeit weitaus mehr von Vittorio Alfieris Oreste begeistert, in dem die Aischyleische Eumeniden-Thematik nicht vorkam, so daß man sich nicht an Aischylos’ Gesamttrilogie heranwagte. Alfieris Drama aus dem Jahre 1786 wurde 1904 im Teatro Olimpico in Vicenza wenige Jahre vor Cippico/Marrones Orestie-Fassung von 1906/07, dann auch noch als Freilichtaufführung in Fiesole zwischen 1911–1914 gespielt. Erst 1948 wurde die gesamte Orestie in Syrakus realisiert.

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  4. Diese Worte stammen aus dem Vortrag Antikes Drama und moderne Bühne vom 4.11.1900, der in der Neuen Freien Presse (Wien) vom 5.16.11.1900 abgedruckt wurde. Vgl. Flashar, Inszenierung der Antike (Anm. 12), 120; insgesamt zu Schienthers Inszenierung ibid. 119–123.

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  5. Siegfried Melchinger, Aischylos auf der Bühne der Neuzeit (Anm. 26), 457. Ähnlich hatte man auch in England, das schon auf eine Jahrhunderte alte parlamentarische Tradition blicken konnte, mit diesem Stück weniger Probleme als in Deutschland. Am 1.12.1885 wurde an der Universität in Cambridge die gesamte Orestie, allerdings im griechischen Originaltext, aufgeführt.

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  6. So Wilamowitz in einem kurz vor der Premiere gehaltenen Vortrag mit dem Titel Die Aufführbarkeit der altgriechischen Tragödie (Bericht darüber in: Deutsche Bühnengenossenschaft 29, 1900, 39–40).

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  7. Vgl. Wilamowitz’ Einleitung zur Übersetzung der Choephoren in Aischylos. Das Opfer am Grabe (Choephoren), in: Griechische Tragoedien, übersetzt von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Zweiter Band: Orestie, Berlin, 192510, 138: “Athen hatte den Geschlechterstaat und seine Gesellschaftsordnung gesprengt und die freie Bürgerschaft und einen wirklichen Staat an ihre Stelle gesetzt.” Zu den rechtlichen Implikationen der Eumeniden vgl. Sommerstein, Aeschylus. Eume-nides (Anm. 42), 13–17.

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  8. Vgl. insgesamt Flashar, Inszenierung der Antike (Anm. 12), 60–81 (“Griechische Tragödie in Preußen”), speziell zum Plan der Eumeniden-Auffühmng ibid. 78–79.

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  9. Vgl. vor allem H. D. F. Kitto, Greek Tragedy, London 1961, 67–95. Die Interpretation von Aischylos als Demokraten findet sich seit R. W. Livingstone, The Problem of the Eumenides, JHS 45, 1925, 120–131 in der Sekundärliteratur. Vgl. vor allem auch Kenneth J. Dover, The Political Aspect of Aeschylus’s Eumenides, in: Greek and the Greeks: Collected Papers, I: Language, Poetry, Drama, Oxford 1987, 161–175 (= JHS 77, 1957, 230–237).

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  10. Einen guten Überblick über die Volkstheatertradition Frankreichs gibt Simone Seym, Das Théâtre du Soleil. Ariane Mnouchkines Ästhetik des Theaters, Stuttgart 1992, 108–152.

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  11. Meier sieht seine Interpretation (Die Entstehung des Politischen bei den Griechen [Anm. 37], 144–246) in der in vielerlei Hinsicht kongenialen Inszenierung Steins bestätigt. Daher widmet er sein Buch Die politische Kunst der griechischen Tragödie (Anm. 37), in dem die Orestie erneut analysiert ist (117–156), der Schaubühne Berlin und macht dies auch mit dem Titelbild deutlich. Ferner weist er auf die Anregungen der Schaubühne am Ende des Buches (243–244) hin.

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  12. Peter Stein, Die Orestie des Aischylos (458 v. Chr. uraufgeführt) in Prosa-Übersetzung nacherzählt, Schaubühne am Halleschen Ufer Berlin, o. J., 73. Zur Umstellung vgl. Martin Schmidt und Franzjosef Schuh, Bericht über die Aufführung der Orestie des Aischylos durch die Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin, Hephaistos 3, 1981, 140 und Flashar, Inszenierung der Antike (Anm. 12), 263–264.

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  13. So Friedrich Dieckmann, Zweimal Politisches Theater«Die Orestie des Aischylos», «Jeder stirbt für sich allein», Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute 1981, 42.

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  14. Vgl. u. a. die Rezensionen von W. F. J. Knight, JHS 62, 1942, 96–97, Gilbert Norwood, CP 37, 1942, 437–41, Raffaele Cantarella, Aevum 24, 1950, 569–572 und Albin Lesky, Gnomon, 33,1961, 19–26.

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  15. Eschilo e Atene, Torino 1949. Vgl. die wenig freundliche Rezension von Raffaele Cantarella, Aevum 24, 1950, 569–572.

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  16. Ettore Paratore, Considerazioni in anteprima, Dioniso 34, 1960, 78–91, bes. 88–90, wo dieser von seinem Gefühl der Desorientierung auf das gesamte Publikum extrapoliert. Dabei stellt er meines Erachtens zu Unrecht in einer Suggestivfrage eine mögliche Verbindung mit den Ereignissen des 2. Weltkriegs her, in dem ja auch das Barbarische plötzlich in einer aufgeklärten Gesellschaft hervorbrach.

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  17. Vgl. Pasolinis Antworten auf unter der Rubrik ’Dialoghi con Pasolini’ erschienene Leserbriefe: Pasternak e la irrazionalità, in: Vie Nuove, anno XV, n. 28, 9.7.1960 und Lotta alfariseismo (che è dappertutto), anno XVI, n. 18, 6.5.1961, jetzt abgedruckt in: Pier Paolo Pasolini, / dialoghi. Prefazione di Gian Carlo Ferretti, a cura di Giovanni Falaschi, Roma 1992,17–19 und 117–120.

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  18. Zur Frage des Archaischen bei Pasolini vgl. Fabien S. Gerard, Temi arcaici nel teatro di Pasolini, Teatro Contemporaneo 3, n. 7, Juni-September 1984, 1–29.

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  19. Pier Paolo Pasolini, Bestia da stile, in: Porcile, Orgia, Bestia da Stile, Mailand 1979, 268–269.

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  20. Pier Paolo Pasolini, Pilade, in: Affabulazione, Pilade, Mailand 1977, 152. Die deutsche Übersetzung von Heinz Riedt findet sich in: Pier Paolo Pasolini, Affabulazione oder der Königsmord (Affabulazione). Pylades (Pilade), Frankfurt a. M. 1984, 133: “Die größte Anziehungskraft auf einen jeden von uns/ übt die Vergangenheit aus, weil sie das einzige ist,/ was wir tatsächlich kennen und lieben. Und das/ in solchem Maße, daß wir sie mit dem Leben verwechseln./ Der Leib unserer Mutter ist unser ganzes Streben.”

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  21. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sucht die marxistische Interpretation in der Behauptung, daß die Einsetzung der Demokratie erst eine wichtige Zwischenstufe, die noch viele Widersprüche offenläßt, darstelle, der Endpunkt der Geschichte aber erst mit der Einführung des Kommunismus erreicht sei. So wird beispielsweise Steins Inszenierung aus dem Jahre 1980 strikt unter diesem marxistischen Blickwinkel gewürdigt: vgl. Peter Ullrich, Mythos und Gegenwart. Die Orestie des Aischylos in der Westberliner Schaubühne, Theater der Zeit 8/1981, 55–57.

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  22. Zu dieser Aufführung vgl. Flashar, Inszenierung der Antike (Anm. 12), 288 und die ausführliche Darstellung bei Marianne McDonald, Ancient Sun, Modern Light. Greek Drama on the Modern Stage, New York 1992, 75–87 und 89–95 (“Peter Sellars’ Talk at Carnuntum”) und C. Bernd Sucher, Coffeeshop, Pentagon, Panoptikum, SZ, 24.6.1987, 37. Beispielsweise wäre auch eine Golfkrieg-Aktualisierung ähnlich der Perser-Inszenierung Sellars’ aus dem Jahre 1993 vorstellbar.

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  23. Steins Übersetzungsmethode, verschiedene wissenschaftliche Deutungsvarianten nebeneinander gleichberechtigt vorzustellen, zerdehnt die Aufführung und verstärkt den Eindruck eines offenen Texts, dessen Inhalt nicht auf eine konkrete Aussage hin eindeutig festgelegt werden kann. Vgl. Rischbieter, Theater heute 1/1981, 48–49 und Schmidt und Schuh, Bericht über die Aufführung der Orestie desAischylos (Anm. 60), 131–138, bes. 132–133.

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  24. Diese Inkonsistenz des Inszenierungsstils wurde vor allem von Kaiser, SZ, 20.10.1985, 24 bemängelt. Vgl. auch Hellmuth Karasek, Sieg des Patriarchats, Der Spiegel, 20.10.1980, 264.

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  25. Die Behauptung, die “Balgerei” sei in der neuen Inszenierung hinzuerfunden (Sucher, SZ, 31.1.1994, 9), ist so nicht richtig. Vgl. Billington, Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute 1985, 26.

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  26. Zur genaueren Beschreibung dieser drei Theatertechniken vgl. Seym, Das Theatre du Soleil (Anm. 53), 28–42, zur Analyse der japanischen Formen Nô und Kabuki vgl. Masakuni Kitazawa, The Twilight of a Tradition, The Drama Review 39/2 (T 146), Summer 1995, 106–114. Zur semiotischen Dimension des Kabuki, wo die Zeichen über dem eigentlichen Schauspieler dominieren, vgl. Leonard C. Pronko, Kabuki: signs, symbols and the hieroglyphic actor, in: James Redmond (hrsg.), Drama and Symbolism (Themes in Drama 4), Cambridge 1982,41–55.

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  27. Froma I. Zeitlin, The Motif of the Corrupted Sacrifice in Aeschylus’ Oresteia, TAPA 96, 1965,463–508.

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  28. Zum Modell der Konkretisation, das in die theatersemiotische Begriffswelt von Signifikanten und Signifikaten vor allem den so wichtigen “sozialen Kontext” integriert, vgl. Pavis, Semiotik der Theaterrezeption (Anm. 15), 1–88, bes. 18–49, zu den Unbestimmtheitsstellen vgl. ibid. 28–31.

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  29. Cesare Milanese wurde zunächst mit der Herstellung eines eigenen Textes beauftragt. In den Aischyleischen Text wollte er Ausschnitte aus Nietzsche und anderen Autoren integrieren, um die moderne Konzeption deutlich zu machen. Ronconi war aber mit der eigenwilligen Kompilation nie zufrieden und beauftragte Milanese, die Übersetzung Untersteiners in eine dramatisch verständlichere Sprache umzusetzen; vgl. Quadri, Il rito perduto (Anm. 59), 206–207.

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  30. Mancini, L’illusione alternativa (Anm. 156), 195 betont, daß Ronconi sich vom Text entfernt und sich auf die szenische Metapher sprachlicher, visueller, auditiver, gestischer und musikalischer Art konzentriert. Vgl. auch die Analyse von Renzo Tian, Simbolo poetico e metafora scenica nel linguaggio dell’ «Orestea», Dioniso 48, 1977, (= Atti del VI Congresso Internazionale di Studi sul Dramma Antico: Eschilo e l’Orestea, 19–22 Maggio 1977), 195–202.

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  31. Sie ist bei Flashar, Inszenierung der Antike (Anm. 12) nicht erwähnt. Vgl. die kurze Analyse bei Floriana Gavazzi, L’eco della tragedia grecafra estetica del frammento e autobiografismo: gli anni ottanta, in: Annamaria Cascetta (hrsg.), Sülle orme dell’antico. La tragedia greca e la scena contemporanea, Milano 1991, 157–159.

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  32. Emanuele Severino, Interpretazione e traduzione dell’Orestea di Eschilo, Milano 1985.

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  33. Dazu Emanuele Severino, im Programmheft: Orestea di Eschilo, a cura di Umberto Albini e del Centro Studi e Ricerche Salone Pier Lombardo, Cernusco sul Naviglio, Nov. 1985.

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  34. Claudia Provvedini, La follia dell’occidente nell’Eschilo di Parenti, Sipario 454/455, März-April 1986, 89.

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  35. Die Eumeniden sind auch für Severino entscheidend; vgl. Severino, Il giogo (Anm. 59), 176 und seine ausführliche Analyse ibid. 211–319.

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  36. Allerdings weist er Nietzsches Interpretation von Aischylos als einem dionysischen Dichter, der den ontologischen, schmerzvollen Kreislauf des Lebens bejaht, zurück. Vielmehr sieht er ihn als Ausgangspunkt des kranken, logoszentrierten, westlichen Denkens, das bei Nietzsche erst mit Sokrates und Piaton einsetzt. Vgl. Severino, Il giogo (Anm. 59), 358–385.

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  37. Alice’s Adventures in Wonderland, in: The Complete Works of Lewis Carroll, Penguin: London 1988, 15–16. Vgl. Arnold van Gennep, Les rites de passage, Paris 1909.

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  38. Zur Verbindung von Iphigenie und Artemis im Rahmen weiblicher Initiationsriten vgl. Ken Dowden, Death and the Maiden. Girls’ Initiation Rites in Greek Mythology, London/New York 1989, 9–47.

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  39. Through the Looking-Glass, in: The Complete Works of Lewis Carroll (Anm. 194), 140 und 197.

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  40. Die herbe Kritik Artauds an Carroll findet sich im Brief aus Rodez vom 22.9.1945 (Anm. 200), 169–172 und im Brief vom 20.9.1945, in: CEuvres complètes, IX (Anm. 199), 201–203. Zur Sichtweise Artauds, sich als Doppel Carrolls zu fühlen, und zur kritischen Bewunderung des Materiellen in dessen Sprache vgl. Antonin Artaud, Variations á propos d’un thème d’après Lewis Carroll in: CEuvres complètes, IX (Anm. 199), 129–131, bes. 129: “Il y a dans ce poème-ci un stade déterminatif des états par oü passe le mot-matière avant de fleurir dans la pensee,…”

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  41. Zur Beschreibung von Artauds Auftritt vgl. Ruby Cohn, From ’Desire’ to ’Godot’: Pocket Theater of Postwar Paris, Berkeley 1987, 51–63, zitiert bei Miller, The Passion of Michel Foucault (Anm. 117), 94–96. Die Aufführung wurde für eine große Zahl von Pariser Intellektuellen entscheidend, besonders auch für Foucault.

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Bierl, A. (1997). Die politische Interpretation und die Anbindung der Inszenierung an den sozialen Kontext. In: Die Orestie des Aischylos auf der Modernen Bühne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04265-1_2

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