Zusammenfassung
Im April 1914 reisen Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet nach Tunesien. Die visuellen Repräsentationen, die durch die Begegnung der Künstler mit der tunesischen Kultur entstanden, inspirieren zur Reflexion über das Verhältnis von Imagination, Interpretation und Erfahrung. Paul Klees Aquarell, Im Stil von Kairuan, ins Gemäßigte übertragen, veranschaulicht dieses Verhältnis auf bemerkenswerte Weise. Es zeigt, inwieweit der Maler Tunesien mit den Augen des in Deutschland und der Schweiz lebenden modernen Künstlers gesehen hat. Klee gehört zu den Begründern der modernen, abstrakten Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war Mitglied der Künstlervereinigung ‘Der Blaue Reiter’ und besaß Kontakte sowohl zum expressionistischen ‘Sturmkreis’ als auch zum Dada-Kreis. Seine Darstellung der tunesischen Lebenswelt läßt die Abhängigkeit von diesen künstlerischen Bewegungen deutlich erkennen. Ohne den Titel und unser Wissen von der tunesischen Reise könnte das Bild beispielsweise als Großstadtphantasie verstanden werden.
Wenn sich der Historiker in bezug auf die historische Information jedoch auf die Überlieferung allein verläßt, und die Prinzipien der Sitten, die Regeln der Politik, das Wesen der Kultur und die Verhältnisse in der menschlichen Gesellschaft nicht berücksichtigt, und wenn er weiterhin das Verborgene mit dem Sichtbaren, das Gegenwärtige mit dem Vergangenen nicht vergleicht, dann kann er nicht verhindern, daß er fällt, ausrutscht und von der Straße der Wahrheit abkommt.
Ibn Khaldun, Muqaddima (1377)1
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Notizen
Ibn Khaldun, Muqaddima, 1. Bd, hrsg. von Ali ‘Abd Al-Wāhid Wāfī (o. O. [Kairo]: lajnat al-bayān al-’arabī, 1965) 362. Meine Übersetzung.
Edward Said, Orientalism (New York: Random House, 1978). Said ist nicht der erste Vertreter dieser Art von Ideologiekritik. A. L. Tibawi, der mit seiner Schrift Englischsprachige Orientalisten — Eine Kritik ihrer Behandlung von Islam und arabischem Nationalismus (Genf: Islamisches Zentrum, 1965) zu einer schon jahrelang stattfindenden Diskussion arabischer Intellektueller über die Darstellung der arabisch-islamischen Welt durch Europäer beitrug, zählt beispielsweise zu den Vorläufern.
Edward Said, Orientalism (New York: Vintage Books, 1979) 19. Said weicht von dieser Haltung auch in »Orientalism Reconsidered« nicht ab. Cultural Critique 1 (Fall 1985): 90.
Siehe auch den Übersichtsartikel »Orient und orientalische Literaturen« von Diethelm Balke, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 2. Bd, hrsg. von Werner Kohlschmidt, Wolfgang Mohr (Berlin: de Gruyter, 1965) 816–69. Das zusammengestellte umfangreiche Quellenmaterial ist äußerst hilfreich, die Verbindung zum jeweils historischen Kontext jedoch unzureichend.
Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge (Stuttgart: Kohlhammer, 1980) 29 ff.
Siehe auch Steven Runciman, A History of the Crusades, 3 Bände (Cambridge, Engl.: Cambridge University Press, 1951–54);
Martin Erbstösser, Die Geschichte der Kreuzzüge — Eine Kulturgeschichte (Gütersloh: Prisma, 1980);
Amin Maalouf, The Crusades Through Arab Eyes, übersetzt von Jon Rothschild (New York: Schocken Books, 1984);
Aziz S. Atiya, Crusade, Commerce and Culture (New York: Indiana University Press, 1962). Unterschiedliche Positionen zur Frage der Kreuzzüge finden sich in The Crusades — Motives and Achievements, hrsg. von James A. Brundage (Boston: D.C. Heath, 1964).
Siehe Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters -Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit (Berlin: de Gruyter, 1960); Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, hrsg. von Albert Zimmermann, Ingrid Craemer-Ruegenberg (Berlin: de Gruyter, 1985).
Die Taufe von Feirefiz trägt ironischen, wenn nicht gar häretischen Charakter. Feirefiz, dem Parzival nach seinen eigenen Worten erst seit seiner Berufung zum Gralskönig ebenbürtig ist, läßt sich nicht aufgrund von religiöser Überzeugung taufen, sondern weil die Taufe es ermöglichen wird, die von ihm geliebte Repanse de Schoye zu heiraten. Bd. 2, nach der Ausgabe von Karl Lachmann, übersetzt von Karl Spiewok (Stuttgart: Reclam, 1981) 650 ff. Vgl. auch Joachim Bumke, »Parzival und Feirefiz — Priester Johannes — Loherangrin: Der offene Schluß des ‘Parzival’ von Wolfram von Eschenbach«, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 65.2 (1991): 236–64. Zu den Arabica bei Wolfram hat insbesondere Paul Kunitzsch wichtige Beiträge geleistet.
Siehe die sogenannte ‘Toleranzrede’ Gyburcs, Willehalm, hrsg. von Karl Lachmann, übersetzt von Dieter Kartschoke (Berlin: de Grayter, 1968) 168 ff. Siehe auch Joachim Bumke, Die Wolfram von Eschenbach Forschung seit 1945 (München: Fink, 1970);
Albrecht Classen, »Emergence of Tolerance: An Unsuspected Medieval Phenomenon. Studies on Wolfram von Eschenbach’s ‘Willehalm’, Ulrich von Etzenbach’s ‘Wilhelm von Wenden’, and Johann von Würzburg’s ‘Wilhelm von Österreich’«, Neophilologus 76 (1992) 586–99.
Siehe William E. Jackson, »Das Kreuzzugmotiv in Reinmars Lyrik«, Germanisch-Romanische Monatsschrift 43, 2 (1993): 144–66.
Zur Kritik an den Kreuzzügen siehe weiterhin Elizabeth Siberry, Criticism of Crusading 1095–1274 (Oxford: Clarendon Press, 1985).
Siehe auch Rainer Christoph Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz — Studien zu Wilhelm von Tyrus (Stuttgart: Hiersemann, 1977).
Zur Darstellung der Kreuzfahrer in arabischen Texten siehe Aleya Khattab, Das Bild der Franken in der arabischen Literatur des Mittelalters — Ein Beitrag zum Dialog über die Kreuzzüge (Göppingen: Kümmerle, 1989).
Siehe Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege. Die Vorträge des 1. Internationalen Grazer Symposions zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Südosteuropas (5. bis 10. Okt. 1970), hrsg. von Othmar Pickl (Graz, Selbstverlag der Lehrkanzel für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Graz, 1971); Publikationen von Hans Joachim Kissling, beispielsweise Rechtsproblematiken in den christlich-muslimischen Beziehungen, vorab im Zeitalter der Türkenkriege (Graz: Institut für Europäische und Vergleichende Rechtsgeschichte an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, 1974);
Rainer Leignitz, Des Kaisers Partisanen. Österreichs Türkenkriege und der Freiheitskampf auf dem Balkan (Wien: Wiener Dom-Verlag, 1972); Die Türkenkriege in der historischen Forschung, hrsg. von Zygmunt Abrahamowicz et al. (Wien: Deuticke, 1983).
Siehe Victor von Renner, Wien im Jahre 1683. Geschichte der zweiten Belagerung der Stadt durch die Türken im Rahmen der Zeitereignisse. Aus Anlaß der zweiten Säcularfeier verfasst im Auftrage des Gemeinderates der k.k. Reichshaupt-und Residenzstadt Wien (Wien: v. Waldheim, 1883).
Siehe Şenol Özyurt, Die Türkenlieder und das Türkenbild in der deutschen Volksüberlieferung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert (München: Fink, 1972).
Siehe weiterhin Cornelia Kleinlogel, Exotik — Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453–1800) (Frankfurt: Lang, 1989).
Siehe W. Daniel Wilson, Humanität und Kreuzzugsideologie um 1780. Die «Türkenoper» im 18. Jahrhundert und das Rettungsmotiv in Wielands ‘Oberon ‘, Lessings ‘Nathan’ und Goethes ‘Iphigenie’ (New York: Lang, 1984).
Zu Iphigenie siehe Helga Geyer-Ryan, »Prefigurative Racism in Goethe’s Iphigenie auf Tauris«, Europe and Its Others, Bd. 2, hrsg. von Francis Barker et al. (Colchester: University of Essex, 1985) 112–19.
Zu Goethes Verhältnis zum Orient siehe Katharina Mommsen, Goethe und 1001 Nacht (Berlin: Akademie, 1960) und Goethe und die arabische Welt (Frankfurt: Insel, 1988).
Zu Nathan der Weise siehe Karin Barbara Fischer-Gardner, Der obskure Traum der Toleranz: Zur jüdischen Rezeption von Gotthold Ephraim Lessings ‘Nathan der Weise’ (Dissertation: San Diego, 1991);
Jo-Jacqueline Eckardt, Lessing’s ‘Nathan the Wise’ and the Critics (Columbia, SC: Camden House, 1993);
Franklin Kopitzsch, »Lessing und seine Zeitgenossen im Spannungsfeld von Toleranz und Intoleranz«, Deutsche Aufklärung und Judenemanzipation. Internationales Symposium anläßlich der 250. Geburtstage Lessings und Mendelssohns (Tel-Aviv: Institut für Deutsche Geschichte, Universität Tel-Aviv, 1980) 29–85, Diskussion 85–90.
Armin Kössler, Aktionsfeld Osmanisches Reich — Die Wirtschaftsinteressen des Deutschen Kaiserreiches in der Türkei 1871–1908 (New York: Arno Press, 1981);
Jehuda L. Wallach, Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militärmissionen in der Türkei 1835–1919 (Düsseldorf: Droste, 1976); Germany and the Middle East 1835–1939, International Symposium, hrsg. von Jehuda L. Wallach (Tel-Aviv: Institut für Deutsche Geschichte, Universität Tel-Aviv, 1975).
Zum Thema Eurozentrismus siehe Samir Amin, L’eurocentrisme: Critique d’une ideologie (Paris: Anthropos-Economica, 1988).
Siehe auch Ludwig Amman, Östliche Spiegel. Ansichten vom Orient im Zeitalter seiner Entdeckung durch den deutschen Leser 1800–1850 (Hildesheim: Olms, 1989).
Siehe auch Lothar Krecker, Deutschland und die Türkei im zweiten Weltkrieg (Frankfurt: Klostermann, 1964).
Siehe Auswanderer — Wanderarbeiter — Gastarbeiter: Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Klaus J. Bade (Ostfildem: Scripta Mercaturae, 1984); Elisabeth Lichtenberger, Gastarbeiter: Leben in zwei Gesellschaften (Wien: Hermann Böhlaus Nachf., 1984).
Einen Überblick über die Minderheitenliteratur gibt Heidrun Suhr, »Ausländerliteratur: Minority Literature in the Federal Republic of Germany«, New German Critique 46 (Winter 1989): 71–103.
Siehe auch Akile Gürsoy Tezcans Einleitung zur englischen Übersetzung von Aras Örens Bitte Nix Polizei (Please, No Police; ursprünglich auf Türkisch geschrieben) durch Teoman Sipahigil (Austin: Center for Middle Eastern Studies, 1992) ix–xxxvii. Imam Osman Khalil konzentriert sich auf Schriftsteller aus dem arabischsprachigen Bereich: »Der Beitrag arabischer Autoren zur deutschen Gegenwartsliteratur«, Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990, Bd. 8, hrsg. von Yoshinori Shichiji (München: iudicium, 1991) 225–34.
Siehe weiterhin Nazire Akbulut, Das Türkenbild in der neueren deutschen Literatur 1970–1990 (Berlin: Köster, 1993);
Sabine von Dirke, »Multikulti: The German Debate on Multicultural ism«, German Studies Review 17.3 (October 1994): 513–36.
Dazu Arlene Akiko Teraokas kritische Anmerkungen in ihrem Artikel »Talking Turk: On Narrative Strategies and Cultural Stereotypes«, New German Critique 46 (Winter 1989): 104–28.
Siehe Leslie A. Adelson, »Opposing Oppositions: Turkish-German Questions in Contemporary German Studies«, German Studies Review 17.2 (May 1994): 305–30; »Torkan’s Tufan: Brief an einen islamischen Bruder — Inscriptions and Positionalities: Some Particulars«, Making Bodies, Making History (Lincoln: University of Nebraska Press, 1993) 57–86;
Sabine von Dirke, »West meets East: Narrative Construction of the Foreigner and Postmodern Orientalism in Sten Nadolny’s Selim oder Die Gabe der Rede«, The Germanic Review 69.2 (Spring 1994): 61–69;
Anna Picardi-Montesardo, Die Gastarbeiter in der Literatur der Bundesrepublik Deutschland (Berlin: Express, 1985).
Siehe Orhan Gökçe, Das Bild der Türken in der deutschen Presse — Eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung zum Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Turgut Özal im Herbst 1984 in der Bundesrepublik Deutschland (Giessen: Schmitz, 1988).
Siehe Aijaz Ahmad, »Orientalism and After: Ambivalence and Metropolitan Location in the Work of Edward Said«, In Theory. Classes, Nations, Literatures (London: Verso, 1992) 159–219. Vgl. ebenfalls die Diskussion zu Ahmads Überlegungen in Public Culture — Society for Transnational Cultural Studies 6.1 (Fall 1993). Saids Nachwort zu einer Neuauflage von Orientalism (1995), welches auch separat erschien (»Orientalism, an Afterword«, Raritan-A Quarterly Review 14. 3 (Winter 1995): 32 – 59) löste erneut eine Diskussion zentraler Thesen Saids aus. Siehe beispielsweise Leserbriefe in Ausgaben des Times Literary Supplement vom 10., 17., 24. Februar und 31. März., jeweils S. 15, die der Publikation einer verkürzten Fassung von Saids Nachwort (“East isn’t East: The impending end of the age of orientalism”) in einer Ausgabe der Zeitschrift vom 3. Februar 1995 (N 4792: 3–6) folgten.
Siehe Clifford Geertz, »Art as a Cultural System«, Modern Language Notes 91.6 (December 1976): 1498.
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Berman, N. (1997). Einleitung: Deutschland und der Orient. In: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04258-3_1
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