Zusammenfassung
Die Vielschichtigkeit der Termini „Décadence“ und „Fin de siècle“ und ihre gelegentlich synonyme Verwendung erfordert eine Begriffsklärung. Wie eingangs bereits kurz dargelegt wurde, wird „Fin de siècle“ im folgenden als Oberbegriff für einen Zeitraum, „Décadence“ hingegen als Bezeichnung für dessen literarische Produktion, sofern diese bestimmte Kriterien erfüllt, verwendet. Die Décadence1 wird somit als literarische Epoche2 und zwar im Sinne einer Hilfskonstruktion und eines Ordnungsprinzips, das die Besonderheit der Formierung von Décadence-Texten erkennen hilft, verstanden. Décadence bezeichnet die Verbindung einer im weiteren Sinne kulturellen und im engeren Sinne literarischen Strömung, deren Merkmale innerhalb eines Zeitraumes gehäuft auftreten, als Gemeinsamkeiten dieses Zeitraumes zu untersuchen und somit von anderen Epochen abzugrenzen sind.3
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Endnoten
Cf. Albert Gier in der Einleitung von Aspekte der Literatur des fin-de-siècle in der Romania (1983).
Wolfdietrich Rasch: „Fin de siècle als Ende und Neubeginn“ (1979). Auch Ivo Vidan untersucht das Fin de siècle als eine Epoche mit Übergangscharakter und hebt die „Gleichzeitigkeit von Bewahrung und Vorgriff“ als kennzeichnend für eine Übergangsepoche hervor. („Anfänge im Fin de siècle“, 1985; p.180.)
Erwin Koppen: Dekadenter Wagnerismus (1973); p.251.
Keith G. Millward: L’Oeuvre de Pierre Loti et l’esprit „fin de siècle“ (1955); p.15. Es handelt sich um den am 4. Mai 1886 in Le Voltaire erschienen Artikel von L. Sérizier. Millward erwähnt weiterhin einen 1840 erschienenen Roman mit dem Titel Une Fin de Siècle ou Huit Ans (des Autors Kératry), bemerkt jedoch: „Ici le terme n’a aucune signification spéciale, il s’agit simplement des demières années d’un siècle!“ (p.14)
Klaus Meyer-Minnemann: Der spanisch-amerikanische Roman des Fin de siècle (1979); p.9.
Henri Chantavoine: „La Fin du siècle“ (1885). Interessant ist die Zweiteilung des Gedichtes in einen Teil, der die Endzeitstimmung und einen Teil, der den Fortschrittsoptimismus der Epoche formuliert. Meyer-Minnemann sieht Chantavoine damit als „Vertreter eines gemäßigten Fortschrittsglaubens […], der den über den Positivismus erfolgten Einbruch der exakten Wissenschaft in das geschichtliche Denken seiner Zeit mit den überkommenen Wertvorstellungen der vorindustriellen Epoche zu versöhnen hoffte.“ (Op.cit.; p.10)
Pierre Citti: „Pour une histoire des représentations du temps“ (1985); p.9.
Léon Nadjo: „Saeculum et la notion de ‘fin de siècle’“ (1985).
Weiter sei noch auf die Formen „fin de siècle“ und „fin du siècle“ hingewiesen. Während die erste auf jedes Jahrhundert bezogen werden kann, ist die zweite Form jeweils auf ein konkretes Jahrhundert gemünzt. „Fin de siècle“ ist gängiger als „fin du siècle“.
Hermann Bahr: „Henri Lavedan“ (1894); p.157.
Cf. Hans Hofstätter: Symbolismus und die Kunst der Jahrhundertwende (1965) und Bram Dijkstra: Idols of Perversity (1986).
Max Nordau: „‘Chanteuse fin de siècle’. Ein Beitrag zur Psychologie der Zeitgenossen“ (1892); p.243.
Lt. Trésor bei Théophile Gautier (Guide de l’amateur au Musée du Louvre, 1872 postum).
Roger Bauer: „‘Fin de siècle’ et ‘Décadence’ comme catégories littéraires“ (1975); „‘DBcadence’: histoire d’un mot et d’une idée“ (1978); „Avatars allemands de la décadence“ (1990); „Altes und Neues über die Décadence“ (1991).
Ernst Robert Curtius unterscheidet eine politische, eine ästhetische und eine den Niedergang der Sitten betreffende allgemein gesellschaftliche Dimension des Dekadenzbegriffs: „Entstehung und Wandlungen des Dekadenzproblems in Frankreich“ (1920). Aus überwiegend historischem Blickwinkel betrachtet Koenraad W. Swart das Phänomen: The Sense of Decadence in Nineteenth-Century France (1964).
Julien Freund: La Décadence. Histoire sociologique et philosophique d’une catégorie del’expérience humaine (1984); p322.
Auch Alice R. Kaminsky fordert, den Begriff zu vermeiden, da er lediglich eine literaturwissenschaftliche „mixture of oversimplified and often contradictory theorizing about the relation of art to life“ hervorgebracht habe. („The Literary Concept of Decadence“, 1976; p.384)
Vladimir Jankélévitch: „La Décadence“ (1950).
A.E.Carter: The Idea od Decadence in French Literature. 1830–1900 (1958) und George Ross Ridge: The Hero in French Decadent Literature (1961).
Fin de siècle. Zu Literatur und Kunst der Jahrhundertwende, hrsg. von Roger Bauer (1977); L’Esprit de décadence, 2 Bde. (1980/84); Aspekte der Literatur des fin-desiècle in der Romania, hrsg. von Angelika Corbineau-Hoffmann und Albert Gier (1983); Aufstieg und Krise der Vernunft. Komparatistische Studien zur Literatur der Aufklärung und des Fin-de-siècle, hrsg. von Michael Rössner und Birgit Wagner (1984); Fortschrittsglaube und Dekadenzbewußtsein im Europa des 19. Jahrhunderts. Literatur - Kunst - Kulturgeschichte, hrsg. von Wolfgang Drost (1986); Fins de siècle. Terme - Evolution - Révolution?, hrsg. von Gwenhaël Ponneau (1987); Fins de siècle, hrsg. von Piere Citti (1990) sowie La Littérature de Fin de siècle, une littérature décadente?, hrsg. von A. Cipriani (1990).
„Décadence“ (= Romantisme 42, 1983); Eclats fin-de-siècle, hrsg. von Guy Ducrey (= Equinoxe 6, automne 1991) und Littérature d’une fin de siècle (= Europe 751/52, nov.déc.1991).
Im folgenden kann nur eine Auswahl wichtiger Beiträge genannt werden: Fritz Martini: „Dekadenzdichtung“ (Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd.I, 2. Aufl. 1958); Winfried Engler: „Die erzählende Dichtung des Fin de siècle“ (in idem: Der französische Roman von 1800 bis zur Gegenwart, 1965); „Dekadenz“ (Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd.II, 1972); Erwin Koppen: „Décadence und Symbolismus in der französischen und italienischen Literatur“ (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd.XVIII, 1976); Jens Malte Fischer: „Décadence“ (Propyläen Geschichte der Literatur, Bd.V, 1984); Dominique Millet-Gérard: „Décadence, Symbolisme, le tournant du siècle“ (Précis de la littérature française du XIXe siècle, 1990); Marco Modenesi: „Verso una definizione del romanzo decadente“ (II romanzo tra i due secoli (1880–1918) hrsg. von Paolo Amalfitano, 1993); Cornelia Blasberg: „Dekadenz“ (Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd.II, 1994).
Wichtige Gesamtdarstellungen zur dekadenten Literatur sind weiterhin: Jens Malte Fischer: Fin de siècle. Kommentar zu einer Epoche (1978); Jennifer Birkett: The Sins of the Fathers. Decadence in France 1870–1914 (1986); Stefan F.-J. Fuchs: Dekadenz. Versuch zur ästhetischen Negativität im industriellen Zeitalter anhand von Texten aus dem französischen und englischen Fin de siècle (1992) - die Untersuchung von Fuchs ist allerdings aufgrund des fehlenden Registers und Literaturverzeichnisses als Überblick wenig geeignet; Pierre Jourde: L’alcool du silence: sur la décadence (1994).
Ein ausfüthrliches Kapitel zur Décadence enthält auch Dominique Millet-Gérards Untersuchung der exegetischen Schriften Paul Claudels: Anima et la Sagesse. Pour une poétique comparée de l’exégèse claudélienne (1990).
Ulrich Prill: „Sind das nicht Zeichen der Decadence?“. Zur Textkonstitution des Fin de siècle am Beispiel Elémir Bourges: Le Crépuscule des Dieux (1988); p.29.
Hocke zielt in eine ähnliche Richtung wie Curtius: „Der literarische Manierismus ist vor allem an seinen formalen Eigentümlichkeiten zu erkennen. Sie sind reich und mannigfaltig. Sie können verzaubern und schockieren, sie können erregen und verstimmen. […] Manieristische Literatur bekundet folgende Grundtendenzen: affektvolle Übersteigerung oder kälteste Reduzierung des Ausdrucks, Verbergung und Überdeutlichkeit, Verrätselung und Evokation, Chiffrierung und ärgerniserregende ‘Offenbarung’.“ Gustav René Hocke: Die Welt als Labyrinth. Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur. (1957), zit. nach der von Curt Grützmacher hrsg. Ausgabe 1991; p.271.
Cf. auch Hugo Friedrich: „Über die Silvae des Statius (insbesondere V,4, Somnus) und die Frage des literarischen Manierismus“ (1963).
Gayatri Chakravorty Spivak: „Decadent Style“ (1974); p.229.
Michael Riffaterre: „Decadent Features in Maeterlinck’s Poetry“ (1974); p.4.
Edmond de Goncourt: „Préface“ zu Les frères Zemganno (1879); zit. nach der von Enzo Caramaschi 1981 hrsg. Ausg.; p.25sq.
„In Decadent style the artist concentrates upon detail, the whole composition coming together as an assembly of these patiently developed elements. Decadent art elaborates an existing form to the point of apparent dissolution, but a new order arises out of the new method.“ John R.Reed: Decadent Style (1985); p.11.
Beispiele für die Thematik des Niederganges sind die Darstellung der Auflösung gesellschaftlicher Normen, der Lust an der Übertretung dieser Normen, einer pervertierten Sexualität oder eines religiösen Ästhetizismus.
„Non si opera solo una riduzione dell’articolazione diegetica all’interno del romanzo, diluendo in modo sensibile il numero degli eventi cardinali (dei nuclei narrativi primari), ma si la affida ad un unico nucleo narrativo nel quale pare identificarsi tutta la diegesi; questo nucleo narrativo primario non informa il testo autonomamente, ma mediante il parossistico proliferare di nuclei secondari, estranei - como ho avuto modo di ricordare più volte - alla dimensione della diegesi. Il romanzo decadente non solo riduce la diegesi nella sua articolazione, ma la limita, la restringe in un unico nucleo diegetico che - da solo - in modo sorprendente costituisce e traduce tutta la dimensione diegetica del testo. In altre parole, la diegesi del romanzo decadente è, in pratica, disciolta fino a dissolversi o a diventare irrisoria. Si può dunque sostenere che il romanzo decadente tende al dissolvimento della diegesi.“ („Verso una defmizione del romanzo decadente“, 1992; p.13) Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Modenesi auch in „Nuove idee, nuove forme: aspetti strutturali del romanzo decadente“ (1992).
Jean de Palacio: „‘Enseigner’ la Décadence?“ (1991); p.12.
„Il semble que l’heure soit venue pour ces idées qui ont mûri dans l’atmosphère infâme des enfers des bibliothèques, et cet homme qui parut ne compter pour rien durant tout le XIXe siècle pourrait bien dominer le XXe.“ Guillaume Apollinaire: Oeuvres completes, hrsg. von M.Décaudin. Bd.II (1966); p.231. Zu Apollinaire und Sade cf. das Kapitel „Pornographie als Provokation und Befreiung“ in Guillaume Apollinaire (1993) von Jürgen Grimm.
In La Came, la morte e il diavolo nella letteratura romantica (1930).
Maurice Heine: „The Romantic Agony“ [Rezension] (1933); zit. nach dem Sammelband von Heines Schriften zu Sade: Le Marquis de Sade (1950); p.272.
Claude Duchet: „L’Image de Sade à l’époque romantique“ (1968); alle Zitate p.239.
Im Gegensatz dazu beschränkt sich Vincenzo Barba in Interpretazioni di Sade (1979) auf die Aufzählung einiger Autoren des 19. Jahrhunderts: „A prescindere dall’influenza che gli scritti conosciuti di Sade, e la sua leggenda, abbiamo o no potuto avere sulla letteratura del XIX secolo (cosa di cui qui non possiamo occuparci), certo è, comunque, che fanno esplicito riferimento al marchese, in journals, progetti, note, marginalia, nella corrispondenza, e anche nei romanzi, non pochi scrittori dell’epoca, quali B. Constant, Baudelaire, Stendhal, Balzac, De Vigny, F. Soulié, P. Borel, Flaubert, i fratelli Goncourt, Swinbume, Huysmans, i poeti P. Verlaine ed Emile Chevé.“ (p.69)
Peter Brockmeier: „La mine d’or sadienne“ (1993); p.151.
Thomas Reed Whissen: The Devil’s Advocates. Decadence in Modern Literature (1989); p.XVIIIsq. Der Autor untersucht dort, inwieweit zeitgenössische Literatur, beispielsweise der Roman Das Parfüm von Patrick Süskind, Merkmale dekadenter Literatur enthalte und geht damit von einem entgrenzten Décadence-Begriff aus.
Blasberg: „Dekadenz“ (1994); p.479.
Maurice Regard zeigt in „Balzac et Sade“ (1971) Parallelen im Werk beider Autoren auf, die er wesentlich in der Konzeption von Figuren wie Henri de Marsay, der Marquise de San Réal und Vautrin verwirklicht sieht. Regard stützt sich auf die Novelle La Fille aux yeux d’or (1831), die einen indirekten Hinweis auf Sade enthält, wobei der Erzähler allerdings die Realität für gefährlicher als dessen Werke erachtet: „On nous parle de l’immoralité des Liaisons dangereuses, et de je ne sais quel autre livre qui a un nom de femme de chambre; mais il existe un livre horrible, sale, épouvantable, corrupteur, toujours ouvert, qu’on ne fermera jamais, le grand livre du monde, sans compter un autre livre mille fois plus dangereux, qui se compose de tout ce qui se dit à l’oreille, entre hommes, ou sous l’éventail entre femmes, le soir, au bal.“ (Balzac: La Fille aux yeux d’or, zit. nach La Comédie humaine. Bd.V, hrsg. von Rose Fortassier, 1977; p.1097) Zu den Vergleichen zwischen Balzac und Sade cf. auch Klaus Heitmann: Der Immoralismus-Prozeß gegen die französische Literatur im 19. Jahrhundert (1970); p.30sq. Heitmann zitiert dort im Zusammenhang mit der Kritik an der Immoralität der Comédie humaine folgende Äußerung von Louis Veuillot: „Il [Balzac] s’st fait un renom d’impudeur parce que l’adultère, les débauches et d’autres vices qu’on ne nomme pas, n’ont point trouvé depuis que M. de Sade est mort à Bicêtre, de peintre plus effronté ni plus complaisant […].“ (Louis Veuillot: „D’un manifeste littéraire“, 1840; zit. nach Heitmann, Op.cit.; p.30.)
Von Alain Goldschlägers Untersuchung („L’Image sadienne dans l’oeuvre de Stendhal“, 1979) zu Stendhals Sade-Rezeption wird an anderer Stelle die Rede sein.
Béatrice Didier: „‘Madame Putiphar’, roman sadien?“ (1972).
A. Richard Oliver weist in „Charles Nodier and the Marquis de Sade“ (1960) nach, daß ein persönliches Zusammentreffen von Nodier und Sade in Wahrheit niemals stattgefunden habe.
Manuel Durán: „Del Marqués de Sade a Valle-Inclán“ (1954); p.47. Zu Valle-Incláns Figur des Marqués de Bradomín und Sade cf. außerdem George J. Young: „Sade, los decadentistas y Bradomin“ (1975).
Ulrike Weinhold: „Das Universum im Kopf. De Sade und der junge Hofmannsthal“ (1979) p.117.
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Beilharz, A. (1997). Zum Stand der Forschung. In: Die Décadence und Sade. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04257-6_2
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