Zusammenfassung
Zu Beginn der 90er Jahre macht sich der New Yorker Schriftsteller und Literaturprofessor Raymond Federman augenzwinkernd auf, einen Abgesang anzustimmen auf die von ihm so genannte ‘selbstreflexive Literatur’: “Spricht man Anfang der neunziger Jahre von der selbstreflexiven Literatur, dann ist man geneigt, mit einem Seufzer der Erleichterung festzustellen, daß wir sie ‘endlich losgeworden sind’ und daß wir genug haben von dieser ärgerlichen, irritierenden, erschöpfenden Form der Erzählkunst.”1 Was Federman unter ‘selbstreflexiver Literatur’ versteht, ist die nicht nur implizite, sondern zugleich explizite Beschäftigung eines literarischen Textes mit sich selbst; eine Literatur, die kein wie auch immer als gültig erkanntes Wissen vermittelt, sondern gerade durch das Gegenteil gekennzeichnet ist: “Den Drang”, so nennt es Federman, “nach dem Nicht-Wissen”.2
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Endnotes
R.Federman (1991): Surfiction: Der Weg der Literatur, S.31.
Ebd. S.20f.
P.Bürger (1988): Prosa der Moderne, S.385ff.
Den Begriff der Materialität nicht als Bruch mit der Ästhetik-Tradition, sondern als deren Weiterentwicklung zu verstehen, ist ein wichtiger Bestandteil des Programms von C.Menke (1991): Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Für Menke ist der poststrukturalistische Materialitäts-Begriff und die in ihm implizierte These von der Arbitrarität der Sprache nichts anderes als die dezidiert auf Zeichensinn und Zeichenartikulation reflektierende Wiederaufnahme der Kantschen Irreduzibilität ästhetischer Erfahrung auf den Begriff, die er anhand ihrer Bedeutung für Adorno rekonstruiert. Herausgearbeitet wird damit der größte gemeinsame Teiler Adornos und Derridas — die Unverrechenbarkeit des materialen Objekts ästhetischer Erfahrung im Rezeptions-/Lektüreakt (die allerdings schon zuvor eine lange Geschichte hat). Obgleich Menke die These von der Anschlußfähigkeit beider Konzeptionen aneinander vor allem dadurch teuer erkauft, daß er weder Adorno (Ausblendung der so wichtigen gesellschaftlichen und geschichtsphilosophischen Dimension) noch Derrida (Desinteresse an dessen ‘karnevalisierender’ Methode der Selbstdekonstruktion) ganz gerecht wird, ist seine problemorientierte Analyse ästhetischer Erfahrung außerordentlich interessant. Was allerdings übergangen wird ist, daß der Materialitäts-Begriff bei Adorno (den dieser problemlos neben und nicht statt Form und Inhalt verwendet), nicht auf Sprache reduziert werden kann, sondern auch für bildende Kunst und vor allem für Musik gilt, wogegen Derridas Materialitäts-Konzept allein auf die Unmöglichkeit verbaler Semantik reflektiert. Soll dies im Sinne Menkes nun für die allgemeine Irreduzibilität des Kunstphänomens auf den Begriff vereinahmt werden, müßte es mit Sicherheit stark verändert werden.
W-D.Renner (1988): Die postmoderne Konstellation, S.124–144.
P.Ricoeur (1981): Mimesis and Representation, S.17.
Vgl. dazu W. Iser (1991): Das Fiktive und das Imaginäre, S.481–503.
E.Kleinschmidt (1992): Gleitende Sprache, S.40f.
Vgl. T.W.Adorno (1970): Ästhetische Theorie, S.38.
R.Lachmann (1993): Kultursemiotischer Prospekt, S.XX.
H. Weinrich (1967): Für eine Literaturgeschichte des Lesers; H.R.Jauß (1970): Literaturgeschichte als Provokation.
Vgl. W.H.Sokel (1988): DMoE und das achtzehnte Jahrhundert.
So z.B. R.Marschner (1981): Utopie der Möglichkeit: ästhetische Theorie; eine Arbeit, deren kategoriales Oszillieren mit den unscharfen Leitbegriffen ‘Utopie’, ‘Realität’ und ‘Möglichkeit’ nur wenig dazu beitragt, spezifische Probleme der Ästhetik des MoE diskutierbar zu machen.
In dieser Hinsicht einschlägig u.a. H.Arntzen (1960): Satirischer Stil; H.Wiegmann (1978): Musils Utopiebegriff und seine literatur-theoretischen Konsequenzen; H.Wiegmann (1980): Musils Utopiebegriff: Exkurs zum Zusammenhang von Dichtung und Theorie; H.Böhme (1974): Anomie und Entfremdung; P.V.Zima (1980): L’Ambivalence romanesque.
Vgl. u.a. D.Heyd (1980): Musil-Lektüre. Der Text, das Unbewußte; T.Zaunschirm (1982): Robert Musil und Marcel Duchamp; L.Cejpek (1982): Wahn und Methode in Robert Musils DMoE.
O. Haas: Kontingenz und Experimentalpsychologie. Ein Robert-Musil-Kolloquium an der Universität Düsseldorf, in: Frankfurter Rundschau, Nr.137, 15.6.1992, S.9.
So z. B.einzelne Untersuchungen bei B.Allemann (1956): Ironie und Dichtung; H.Arntzen (1960): Satirischer Stil; A.Schöne (1961): Zum Gebrauch des Konjunktivs bei Robert Musil; W.Rasch (1963): Robert Musil. DMoE; U.Karthaus (1965): Der andere Zustand; B.-R.Hüppauf(1971): Von sozialer Utopie zur Mystik; D.Hochstätter (1972): Sprache des Möglichen.
H.Arntzen (1960): Satirischer Stil; P.-A.Alt (1985): Ironie und Krise.
Vgl. W.Iser (1983): Akte des Fingierens; W.Iser (1991): Das Fiktive und das Imaginäre, S.24–51.
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Precht, R.D. (1996). Was heißt ästhetische Selbstreflexivität im MoE?. In: Die gleitende Logik der Seele. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04247-7_1
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