Zusammenfassung
Die Konstellation Gnosis — abstrakte Moderne, d.h. die Wiederkehr der Gnosis in der modernen Kunst, ist nicht nur von Bloch, sondern nach ihm auch anderweitig, mit ganz anderen Konsequenzen thematisiert worden. Jacob Taubes sieht einen Zusammenhang zwischen Gnosis und Surrealismus1, eine Parallele, die Breton 1953 in der letzten Programmschrift des Surrealismus selbst andeutete2. Der Nihilismus, die negative Weltsicht und die manichäische Teilung zwischen Mensch und Welt sind für Taubes Surrealismus und Gnosis gemeinsam. Beide erscheinen ihm als akosmische Revolten: Die nihilistische Weltlosigkeit ‘wiederholt’ in der Moderne die nihilistische Weltlosigkeit der spätantiken Gnosis. An anderem Orte, in der Einleitung zu Gnosis und Politik, begreift Taubes die Hinwendung zu gnostischen Ideen als Reaktion auf eine Krise des Messianismus und auf enttäuschte Heils- bzw. Apokalypseerwartungen, die sich auf die Formel bringen lassen:4 When prophecy fails, apocalypticism, when apocalypticism fails, gnosticism.5 Peter Koslowski schreibt im Anschluß an diese Interpretation:
Für den linkshegelianischen, marxistischen und utopistischen Teil der Moderne gilt, daß er immer von einer Gemütslage in die andere fällt. Die linkshegelianische Moderne verfällt konsequenterweise entweder dem Utopismus, der Apokalyptik oder dem Nihilismus. Es ist ein klares Schema: Wenn ihre utopische Naherwartung enttäuscht wird, fällt die linkshegelianisch-utopistische Moderne in apokalyptische Verzweiflung, und wenn diese enttäuscht wird, weil die Apokalypse nicht eintritt, verfällt sie dem Nihilismus … Wenn die prophetische Naherwartung nicht eintritt, kommt Apokalyptik, wenn diese nicht eintritt, Gnostizismus und Mythologie.6
In den philosophischen Querbohrungen Benjamins etwa zeigt sich: Montage holt sich das Ihre aus dem Stegreif, der früher beliebig gewesen wäre …;(Ernst Bloch, 1935)
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Notizen
Jacob Taubes, Noten zum Surrealismus, in: W. Iser, (Hrsg.), Immanente Ästhetik, Ästhetische Reflexion, Lyrik als Paradigma der Moderne, (Poetik und Hermeneutik II), München 1966, S. 141.
André Breton, Was der Surrealismus will, in: ders. Manifeste des Surrealismus, Reinbek 1977, S. 132.
Vgl. dazu Jacob Taubes, Einleitung, Das stählerne Gehäuse und der Exodus daraus oder ein Streit um Marcion, einst und heute, in: ders. (Hrsg.), Religionstheorie und Politische Theologie, Gnosis und Politik, Bd. 2, München 1984, S. 9ff.
Peter Koslowski, Ende der Geschichtsphilosophie als Revindikation der Geschichtlichkeit, Antwort auf Umfrage Ende der Geschichte der Ende der Geschichtsphilosophie, Widerspruch, Münchner Zeitschrift für Philosophie, H. 19/20, 10 Jg. 1990, S. 30.
Vgl. dazu Michael Pauen, Apotheose des Subjekts, Gnostizismus in Blochs ‘Geist der Utopie’, in: Bloch-Almanach, 12. Folge, 1992, S. 17ff.
Vgl. dazu Anson Rabinbach, Between Enlightenment and Apocalypse: Benjamin, Bloch and Modem Jewish Messianism, New German Critique, No 34, Winter 1985.
Vgl. dazu auch Peter Koslowski, Die Krise des wissenschaftlichen Weltbildes und die Wiederkehr der spekulativen Philosophie, in: Bloch-Almanach, hrsg. v. K. Weigand, 8. Folge, 1988.
Theodor W. Adorno, Rückblickend auf den Surrealismus, in: ders., Noten zur Literatur I, Frankfurt 1958.
Vgl. dazu auch Ernst Bloch, Der Mangel an Opernstoffen, Die literarische Welt 6, 1930, Nr. 31.
Roland Bothner, Kunst im System, Die konstruktive Funktion der Kunst für Ernst Blochs Philosophie, Bonn 1982, S. 7.
Dolf Sternberger, Vergiß das Beste nicht!, (1960), in: B. Schmidt (Hrsg.), Materialien zu Ernst Blochs ‘Prinzip Hoffnung’, Frankfurt 1977, S. 148/149.
Klaus Mann, Neue Bücher, Die Sammlung, 2 Jg., 1935, H. IV.
Vgl. dazu Hans Günther, Kritische Apologeten, Internationale Literatur 3, 1935, und ders., ‘Erbschaft dieser Zeit?’, Internationale Literatur 3, 1936.
Georg Lukács, Erbschaft dieser Zeit, Entwurf einer Rezension, Archivumi Füzetek, 4, Budapest 1984.
Zu Blochs Montagebegriff in kunsthistorischer Hinsicht vgl. W. Nerdinger, Die Montage der Wirklichkeit, in: W. Busch (Hrsg.), Funkkolleg Kunst, Bd. II, München 1987.
Roland Bothner, Kunst im System, Die konstruktive Funktion der Kunst für Ernst Blochs Philosophie, Bonn 1982, S. 80/81.
Walter Benjamin, Briefe 1, hrsg. von Gershom Scholem + Th. W. Adorno, Frankfurt 1978, S. 483.
Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt 1983, S. 578.
Weder Peter Zudeicks Biographie noch der Briefwechsel geben Qber das Verhältnis zwischen Bloch und Benjamin in dieser Zeitspanne Auskunft. 1928 war jedoch ein Jahr der intensiven Freundschaft der beiden Denker, so haben in diesem Jahr u.a. die Haschexperimente stattgefunden, im Sommer 1928 haben beide entweder in einem Haus gewohnt, oder aber Bloch hat Benjamins Zimmer im Tiergarten Obernommen, vgl. dazu Walter Benjamin, Briefe an Kracauer, a.a.O. S. 61.
Ernst Bloch, Revueform der Philosophie, Vossische Zeitung, 1.8. 1928.
Vgl. dazu Hans Mayer, Außenseiter, Frankfurt 1981, S. 11 – 13.
Vgl. dazu Anton Christen, Ernst Blochs Metaphysik der Materie, Bonn 1979, S. 12 – 81.
Peter Gay, Die Republik der Außenseiter, Geist und Kultur der Weimarer Zeit 1918–1933, Frankfurt 1989.
Vgl. dazu Peter Szondi, Nachwort zu Walter Benjamin, Städtebilder, Frankfurt 1963.
Vgl. zu Benjamins Begriff des Lumpensammlers: Irving Wohlfarth, Et cetera? Der Historiker als Lumpensammler, in: Norbert Bolz, Bernd Witte (Hrsg.), Passagen, Walter Benjamins Urgeschichte des XIX. Jahrhunderts, München 1984.
Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935, S. 217.
Der Begriff Traumkitsch findet sich auch in Spuren, (1930), S. 68.
Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Frankfurt 1982, S. 288/289.
Silvia Bovenschen, Über die Listen der Mode, in: dies. (Hrsg.), Die Listen der Mode, Frankfurt 1986, S. 11.
David Frisby, Fragmente der Moderne, Georg Simmel, Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Rheda-Wiedenbrück 1989, S. 253.
Ernst Bloch, Walter Benjamin, in: Theodor W. Adorno, et. al., Über Walter Benjamin, Frankfurt 1968, S. 17.
Ernst Bloch, Walter Benjamin, in: Theodor W. Adorno, et. al., Über Walter Benjamin, Frankfurt 1968.
Vgl. dazu Arpad Kardarkay, Georg Lukács, Life, Thought and Politics, Cambridge Mass. 1991, S. 336/337.
Manfred, Scene I, The Works of Lord Byron, ed. by E.H. Coleridge, Vol. IV, London 1922, S. 71.
Harold Bloom, Scholem: Unhistorischer oder jüdischer Gnostizismus, Babylon, Beiträge zur jüdischen Gegenwart, 1/1986, S. 70.
Vgl. dazu, Jakob Taubes, Der dogmatische Mythos der Gnosis, in: Terror und Spiel, hrsg. v. Manfred Fuhrmann, (Poetik und Hermeneutik Bd. IV), München 1971, S. 150/151, sowie ders., Studien zu Geschichte und System der abendländischen Eschatologie, Diss., Zürich, 1947 in der es heißt: “Dem pneuma entspricht in der manichäischen Literatur Ostturkestans der Begriff: grev, den Reizenstein mit ‘Selbst’ und Lenz mit ‘Ich’ übersetzen. Dieses Ich als Selbst entdeckt die Gnosis im Bruch mit der Welt. Das Ich als Selbst ist nicht identisch mit dem Menschen. Der Schnitt von Gott und Welt, von Ich und Nicht-Ich geht mitten durch das Individuum hindurch. Das pneuma als Selbst ist jeder nicht-weltliche Funke, der das antike Verhältnis von Welt und Mensch als ‘Ganzes’ und ‘Teil’ sprengt. Im Gegensatz zur Notwendigkeit des kosmos und der psyche, ist das Pneuma Träger des ‘Funkens’ der Freiheit, an der sich der ProzeB der Erlösung entzünden kann.”, S. 43.
Thomas H. Macho, Umsturz nach innen, Figuren der gnostischen Revolte, in: Sloterdijk/Macho, Weltrevolution der Seele, Bd. II, Gütersloh 1991, S. 490.
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Ujma, C. (1995). Lumpensammler. In: Ernst Blochs Konstruktion der Moderne aus Messianismus und Marxismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04237-8_7
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