Zusammenfassung
Ich bin nicht Schelling, Lukács nicht Hegel, eine schwache Entschuldigung, die Bloch für seine Angriffe auf Lukács findet. Schuldbewußtsein und ein schlechtes Gewissen schwingen in dieser Briefpassage mit.1 Der Grund dafür, das oben erwähnte Übereinkommen zu brechen, war für Bloch ein schwerwiegender: es ging schon wieder um das Erbe des Expressionismus, welches er bereits gegenüber der Neuen Sachlichkeit vehement verteidigt hatte. Vordergründiger Anlaß dafür, das Zerwürfnis mit dem Jugendfreund öffentlich auszutragen, war die seit dem Jahr 1934 in Moskau erfolgte kulturpolitische Orientierung auf nichtavantgardistische Kunst2, die Lukács, wie bereits erwähnt, nicht nur nachhaltig unterstützte, sondern auch theoretisch fundiert hat.3 Die aus Blochs und Lukács’ Positionen resultierende Rollenverteilung in der Expressionismusdebatte hat Scholem folgendermaßen beschrieben:
Die Debatten zwischen den beiden Freunden, deren literarische Urteile über Realismus und Expressionismus so entschieden auseinandergingen, obwohl sie politisch im gleichen Lager standen, und die weniger kryptisch und chiffriert ausgetragen wurden als die verwandten zwischen Brecht und Lukács, haben heute noch etwas von Streitreden zwischen einem ungebärdigen Rebellen und einem dogmatischen Doktrinär, einem tiefsinnigen Naturburschen und einem Oberstudiendirektor des literarischen Marxismus an sich.4
Lukács und ich haben früher zwar ausgemacht, daß wir der Welt das Entzweiungs-Schauspiel Schelling-Hegel nie bieten werden. Aber ich breche dies Übereinkommen nicht; denn ich bin nicht Schelling, so ist Lukács gewiß nicht Hegel geworden. (Ernst Bloch, 1936)
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Notizen
Brief von Ernst Bloch an Joachim Schumacher vom 15.1.1936, Ernst Bloch, Briefe, Bd. 2, hrsg. v. Karola Bloch et. al., Fankfurt 1985, S.497.
Dies führte bei vielen Sozialisten zu einer Orientierungskrise, vgl. dazu z.B. Hans Werner Richter, Briefe an einen jungen Sozialisten, München 1990, S. 15, 26.
Beat Wyss, Trauer der Vollendung, Von der Ästhetik des Deutschen Idealismus zur Kulturkritik an der Moderne, München 1985, S. 245/246.
Willy Haas beschreibt diesen folgendermaßen: “Er (Brecht) war mir ebenso unheimlich, wie er es Hofmannsthal gewesen ist. Er hatte das Profil eines Jesuiten, die Drahtbrille eines Oberlehrers, die kurzgeschorenen Haare eines Sträflings und die zerschlissene Lederjacke eines alten Parteibolschewiken … Er sprach sehr überlegen, hart und abstrakt.” Willy Haas, Die literarische Welt, Lebenserinnungen, Frankfurt 1983, S. 134.
Vgl. dazu Elisabeth Lenk, Der springende Narziß, André Bretons poetischer Materialismus, München 1971.
André Breton, in: Wolfgang Klein (Hrsg.), Paris 1935, Erster Internationaler Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, Reden und Dokumente, Berlin 1982, S. 309; Gemeinsamkeiten zwischen Bloch und Breton ergeben sich auch in beider Verteidigung des Traums und der Produktivität der dichterischen Imagination.
Vgl. Ernst Bloch, Durch die Wüste, Kritische Essays, Berlin 1923, S. 44/45, hier benutzt er dasselbe Zitat aus dem Grünen Heinrich wie im ersten Expressionismusaufsatz, a.a.O., S. 272–274.
Hans Heinz Holz, Über die Kategorie Vor-Schein, in: Beat Wyss (Hrsg.), Bildfälle, Die Moderne im Zwielicht, Zürich/München 1990, S. 196.
G. Lukács et. al., Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung, hrsg. v. Reinhard Müller, Frankfurt 1991, S. 12.
Ebd.
Vgl. dazu Simone Barck, Achtung vor dem Material, Zur dokumentarischen Schreibweise bei Ernst Ottwald, in: Wer schreibt, handelt, hrsg. v. Silvia Schlenstedt, Berlin/Weimar 1986.
Alfred Kurella, Das moralische Erbe, in: Internationale Literatur, H 6, 1937.
Ludwig Marcuse, Das Moralische versteht sich nicht von selbst, in: Internationale Literatur, H 6, 1937.
Zur häretischen Wirkung von Blochs Faschismusanalyse vgl. auch: Ansom Rabinbach, Unclaimed Heritage, Ernst Bloch’s Heritage of our Times Theory of Fascism, in: New German Critique, No 11, Spring 1977.
Wilhelm Worringer, Ägyptische Kunst, Probleme ihrer Wertung, München 1927.
Vgl. dazu Michael Stark, Für und wider den Expressionismus, Die Entstehung der Intellektuellendebatte in der deutschen Literaturgeschichte, Stuttgart 1982.
Vgl. Gerhard Knapp, Die Literatur des deutschen Expressionismus, Einführung, Bestandsaufnahme, Kritik, München 1979, S. 103.
Erich Kleinschmidt, Schreibpositionen, Ästhetikdebatten im Exil zwischen Selbstbehauptung und Verweigerung, in: Internationales Jahrbuch Exilforschung 6, 1988, S. 192/193.
Vgl. dazu Th.W. Adorno, Blochs Spuren, Zur neuen erweiterten Ausgabe, 1959, in: ders., Noten zur Literatur II, Frankfurt 1973, S. 144/145, sowie H.H. Holz, Logos Spermatikos, Blochs Philosophie der entzauberten Welt, Darmstadt 1975.
Vgl. Kurt Rudolph, Gnosis, Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Göttingen 1977, S. 98, 136–149.
Michael Pauen, Apotheose des Subjekts, Gnostizismus in Blochs Geist der Utopie, in: Bloch-Almanach, 12. Folge, 1992.
Thomas H. Macho, Umsturz nach innen, Figuren gnostischer Revolte, in: Sloterdijk/Macho, Weltrevolution der Seele, Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis von der Spätantike bis zur Gegenwart, Bd. II, Gütersloh 1991, S. 487.
Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt 1967, S. 30.
Georg Steiner, Träume nach vorwärts, in: B. Schmidt (Hrsg.), Materialien zu Ernst Blochs ‘Prinzip Hoffnung’, Frankfurt 1978, S. 198f.
Vgl. zur Sprache Blochs Jürgen Moltmann, Messianismus und Marxismus, in: Martin Walser et.al., Über Ernst Bloch, Frankfurt 1971, S. 53–59.
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Ujma, C. (1995). Zum Licht und nicht zur Finsternis. In: Ernst Blochs Konstruktion der Moderne aus Messianismus und Marxismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04237-8_6
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