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Zusammenfassung

Totgesagte leben länger, das ist das paradoxe Resultat von Lukács’ Generalabrechnung mit der Moderne in Größe und Verfall des Expressionismus1. Denn 1934, als dieser Aufsatz veröffentlicht wurde, war der Expressionismus bereits eine historische Avantgarde, allerdings eine, die kunsthistorische Fakten geschaffen hatte, die sich als irreversibel erweisen sollten. Statt also die bereits tote Kunstrichtung ganz zu begraben, trug gerade Lukács’ Aufsatz mit dem Umweg über die Expressionismusdebatte zu einer theoretischen Wiederbelebung bei2; ein Umstand, den Bloch in seinem Debattenbeitrag ebenso verwundert wie vergnügt konstatiert3. Dieser Tendenz versucht Lukäcs dadurch zu begegnen, daß er proklamiert: Es geht um den Realismus. In dem so überschriebenen Aufsatz, der am Schluß der Auseinandersetzung um den Expressionismus steht, behauptet er, daß die Entfernung vom Realismus das charakteristische Merkmal aller bürgerlichen Avantgarden — vom Naturalismus bis zum Surrealismus — ist. In diesem Kontext wird Lukács’ Wahl, den antirealistischen und reaktionären Charakter der Moderne ausgerechnet an Größe und Verfall des Expressionismus aufzuzeigen, nachträglich nicht verständlicher. Am Futurismus wäre die Verbindung von Faschismus und Avantgarde wesentlich überzeugender nachweisbar gewesen, und die Surrealisten vollzogen den Bruch mit den tradierten Prinzipien mimetischer Ästhetik nachdrücklicher als die Expressionisten.

Glücklicherweise haben sich weder Marx noch Lukács über die Poesie geäußert; was uns dadurch erspart geblieben ist, Iäßt sich nur mutmaßen. (H.M. Enzensberger, Poesie und Politik)

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Notizen

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Ujma, C. (1995). Der Expressionismus und das Wesen der Moderne. In: Ernst Blochs Konstruktion der Moderne aus Messianismus und Marxismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04237-8_5

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