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Gewaltkritischer Christ oder “Christlicher Anarchist”? Die Entdeckung des Staats- und Militarismuskritikers Tolstoj für die anarchistische Gewaltdiskussion und den liberalen Anarchismusdiskurs der späten neunziger Jahre

  • Chapter
Dichter—Moralist—Anarchist
  • 15 Accesses

Zusammenfassung

Max Nettlau erinnert sich in seiner Geschichte des Anarchismus an die um 1895 eintretende Akzentverschiebung im Tolstojbild westeuropäischer Anarchisten:

Tolstoj ging uns allen auf die Nerven: man verstand nicht, wie er sich an das Christentum anklammern konnte, wie er Kunst und Wissenschaft geringzuschätzen schien und wie er, der sich gewiss in seine persönlichen Angelegenheiten nicht dreinreden ließ, der ganzen Welt Lehren gab im Sinn der Kreutzersonate (…). Auf den wirklichen Tolstoj, von den berühmten Romanen abgesehen, wurde man erst nach dieser internationalen Keuschheits- und Antikeuschheitsdiskussion aufmerksam. (…)

Erst allmählich kamen seine Staatsverneinung, seine konsequente Verwerfung des Militarismus, die moralische Kraft des passiven Widerstands und sein Eintreten für manche Verfolgte und Opfer zur Geltung und man fühlte, dass seine Stimme in manchen Fragen die Weltstimme der Freiheit und Menschenachtung geworden war.1

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Notizen

  1. Wilhelm Henckel: Leo Tolstoj und die Lehre vom Nichtwiderstreben, in: Allgemeine Zeitung (Beilage), München, Jg. 1894, Nr. 127, S. 4.

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  2. Vgl. dazu Elsenhaus: Graf Leo Tolstoj’s Christenthum. In Briefen eines Theologen an eine Dame. 1. Tolstoj und die Kirche, in: Protestantenblatt — Wochen-schrift für den deutschen Protestantismus Bd. 2/1895, S. 170–172. Soweit überschaubar sind die geplanten weiteren Briefe nicht erschienen.

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  3. E. Davidson: Leo Tolstoi’s Moralphilosophie und der christliche Anarchismus, in: Deutsche Worte Jg. 16/1896, S. 397. In einer stark gekürzten Fassung unter dem Titel “Leo Tolstoi’s christlicher Anarchismus” ist diese Besprechung bereits abgedruckt in: Ggw Nr. 47/1895, S. 245–249.

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  4. Vgl. Nikolaus Zagoskin: Die Familie Tolstoi, in: Die Zukunft Bd. 24/1898, S. 480–484; anonym: Ein Tag bei Tolstoj, in: Die Grenzboten Nr. 39/1899, S. 609–613; Sophie Adelung: Ein Vorläufer Leo Tolstoj’s, in: Deutsche Rundschau, Jg. 23/1896, S. 294f.; Heinrich Ephron: Wie Tolstoi lebt und arbeitet, in: Wiener Rundschau Jg. 3/1899, S. 564–566.

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  5. Eugen Zabel: Russische Literaturbilder, Berlin, 1899, S. 225.

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  6. Graf Leo Tolstoj: Gedanken über Henry Georges Bodenreformbestrebungen, in: Ges Jg. 1894, S. 856–862; Otto Julius Bierbaum: Zum fünften Jahre, in: Neue deutsche Rundschau Jg. 1894, S. 2.

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  7. Wilhelm Bode: Tolstojaner in England und Amerika, in: EK Jg. 7/1899, S. 381. Auf die an Tolstoj orientierten oder ihm nahestehenden Bewegungen außerhalb Deutschlands kann hier nicht weiter eingegangen werden. Einen groben Überblick zu den um die Jahrhundertwende in verschiedenen Ländern existierenden Gruppen vermittelt Nettlau, a.a.0., Bd. IV, S. 408f., Bd. V, S. 363f. und S. 449–454. Ansonsten werden diese Bewegungen durchweg länderspezifisch erforscht. Zu den niederländischen Gruppen vgl. Anm. 12 dieses Teiles; zu den in Rußland vor 1917 existierenden und zum Teil auch in der Sowjetunion noch tolerierten Gruppen vgl. Aylmer Maude: Law and Stability: The Unfeasibility of Pacifist Anarchism, in: ders.: The Life of Tolstoy, Vol. 2, Later years, New York 1910, Fodor, a.a.0., S. 60ff., und Bruno Coppieters: Die pazifistischen Sekten, die Bolschewiki und das Recht auf Wehrdienstverweigerung, in: R. Steinweg (Hrsg.): Historische Friedensbewegung, Frankfurt a.M., 1990, S. 308–360; zu den Ursprüngen der englischen Gruppen vgl. John Coleman Kenworthy: Tolstoy: His Teaching and Influence in England, London 1895.

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  8. Wilhelm Bode: Die Botschaft Tolstois, in: Christliche Welt — Evangelisch-lutherisches Gemeindeblatt für die Gebildeten aller Stände Jg. 1894–1897; vgl. v.a. Zur Einleitung, 1894, Spalte 13–18, Neuere Werke Tolstois, 1897, Spalte 178–182 und 205–207; die Angaben zu den anderen achtzehn hier außer acht gelassenen Kurzkritiken finden sich in der Bibliographie; alle Zitate sind im Text nachgewiesen.

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  9. J. Norden: Zum 70. Geburtstag Tolstois, in: Illustrierte Zeitung Bd. 111/1898, Nr. 2880.

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  10. Rudolf Penzig: Ein Scharfmacher des Gewissens, in: EK Jg. 6/1898, S. 291; alle weiteren Zitate sind im Text nachgewiesen.

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  11. Curt Behr: Leo Tolstoi, in: Westermanns Illustrierte Monatshefte Nr. 6,7/1899, S. 282; alle weiteren Zitate sind im Text nachgewiesen.

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  12. Richard Bieber: Anarchisten-Prozesse, in: Soziale Praxis Jg. 6/1897, Sp.749–751. Bieber ist ein liberaler Jurist, der zum meistbeschäftigten Strafverteidiger in den Berliner Anarchistenprozessen wird, nachdem einer seiner Mandanten offenkundig nur aufgrund des Aktenvermerks “Anarchistensache” zu einer ungerechtfertigt hohen Haftstrafe verurteilt wird. Seine Prozeßberichte legen die Praxis politischer Justiz in Deutschland offen; vgl. auch ders.: Über die Rechtspflege den Anarchisten gegenüber, in: EK Jg. 4/1896, S. 111f.

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  13. Georg Adler: Geschichte des Sozialismus und Kommunismus, Teil 1, Leipzig 1899; alle Zitate sind im Text nachgewiesen.

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  14. Max Nettlau: Der Vorfrühling der Anarchie. Ihre historische Entwicklung von den Anfängen bis zum Jahre 1864, Berlin 1925. Die Arbeit erscheint im “Verlag Der Syndikalist’, Fritz Kater”, dem zu dieser Zeit wichtigsten anarchistischen Verlag in Deutschland. In der bürgerlichen Anarchismusforschung ist es — soweit überschaubar — als erster W. Ed. Biermann, der Adlers Historisierung des Anarchismus aufgreift und vertieft; vgl. ders.: Anarchismus und Kommunismus. Sechs Volkshochschulvorträge, Leipzig 1906.

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Sandfuchs, W. (1995). Gewaltkritischer Christ oder “Christlicher Anarchist”? Die Entdeckung des Staats- und Militarismuskritikers Tolstoj für die anarchistische Gewaltdiskussion und den liberalen Anarchismusdiskurs der späten neunziger Jahre. In: Dichter—Moralist—Anarchist. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04233-0_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04233-0_4

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-45137-8

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