Zusammenfassung
Im Lektürekanon deutscher Leser und Kritiker ist um 1880 von den zeitgenössischen russischen Schriftstellern lediglich Turgenev ein fester Bestandteil. Er lebt seit 1863 in Deutschland und später in Frankreich, ist mit dem kulturellen Leben dieser Länder vertraut und mit einer Reihe westeuropäischer Schriftsteller befreundet. Seine Werke kommen dem Geschmack des bürgerlichen Lesepublikums entgegen und prägen besonders in liberalen Kreisen das Rußlandbild. Turgenevs Schilderungen der Lebensumstände und Denkgewohnheiten russischer Intellektueller und Adliger sind stilistisch dem französischen Naturalismus verwandt, der als avancierteste literarische Form gilt. Seine distanzierte Beurteilung der russischen Gegenwart fußt philosophisch und politisch auf den Werten des europäischen Liberalismus, die man versteht und selbst propagiert. Andere zeitgenössische Autoren Rußlands sind deutschen Lesern kaum bekannt.1 Von Tolstoj weiß man allenfalls, daß er einer von mehreren literarisch arbeitenden Grafen Tolstoj ist. Seine wenigen schon früh ins Deutsche übersetzten Werke, darunter gelungene Übertragungen der später sehr erfolgreichen Arbeiten “Familienglück” und “Krieg und Frieden”, finden keinerlei Resonanz.2
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Notizen
Eugen Zabel: Graf L. N. Tolstoi, in: Deutsche Rundschau 51/1887, S. 248.
Max Nordau: Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit, Leipzig 1883; zitiert nach Böttcher (Hrsg.), a.a.O., S. 622. Zum Einfluß Nordaus auf den Naturalismus in Deutschland vgl. auch Cowen, a.a.O., S. 18.
Michael Georg Conrad: Zur Einführung, in: Ges Jg. 1/1885, S. 1.
Otto Brahm: Anna Karenina, in: Deutsche Illustrierte Zeitung Jg. 2/1885, S. 110f.
Heinrich Hart: Wir Westfalen, in: ders.: Gesammelte Werke Bd. 3, Berlin 1907, S. 36.
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Sandfuchs, W. (1995). Dichterisches Vorbild und Abbild russischer Rückständigkeit Die Entdeckung Tolstojs durch die deutsche Literaturkritik der achtziger Jahre. In: Dichter—Moralist—Anarchist. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04233-0_2
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